„Mächtig, gewaltig Egon“, war wohl der markanteste Spruch von Benny aus der Olsenbande. Genau diese Worte fielen mir ein, als ich vor dem Kölner Dom stand, meinen Kopf in den Hals legte und dachte, dass diese Unendlichkeit der Türme nie aufhört. Dass die Bautätigkeit mit 300 Jahren Unterbrechung 632 Jahre dauerte (von 1248-1880), ist dann auch verständlich. Dass Menschen sich so etwas ausdachten, um dem Schöpfer nahezukommen, ist einerseits ihrem Glauben zuzuordnen, andererseits hat es auch etwas von Größenwahn. Mit welchen Mitteln sie damals arbeiteten und trotzdem beachtliches bauen konnten, ist schier unverständlich. Aber Glauben versetzt Berge. In diesem Fall Teile des Donnerbergs, wo das Material des Domes herangeschafft wurde und die die Menschenhand so kunstvoll umwandelte. Und das alles nur, um dem Weltenschöpfer zu gefallen, der seinen Sohn in die vorderste Reihe schickte, um die Sünden der Menschen auf sich zu nehmen. Doch dies ist eine Last, die dem vielfachen des Domgewichtes übersteigt. Gerade in unserer Zeit, in der die Welt mehr hechelt, als noch normal atmet, wo Territorialansprüche uns langsam, aber sicher in die Steinzeit zurückbomben. Das hatten wir alles schon und scheinbar nichts daraus gelernt. Das Ganze geschieht noch unter den Augen des Schöpfers, der entweder müde oder blind ist. Laut Bibel hat er schon wegen weniger Frevel in die Geschichte der Menschheit eingegriffen. Bauwerke, Dome hat er genug, von der Menschheit scheinbar auch. So ist der Dom stolze leere Hülle, wo Menschen vor Altären knien, ihre Sorgen mitteilen und letztlich doch allein mit den Sorgen klarkommen müssen. Keine noch so hohe Kirche hilft.
Der Dom hat es in sich und auch um das Objekt drumherum gibt es beachtenswerte Feinheiten an Portalen, die Künstler schufen. Faszinierend sind auch Dinge, die man nicht sieht, wie zum Beispiel die 1000 Tonnen geschätzte Biomasse, die auf dem Dom lagert oder sich in Nischen ausbreitet, sei es als Farn, Pilz oder Moos. Man kann sich an den Details gar nicht satt lesen oder auch satt sehen, sofern man geschichtsinteressiert ist. Wenn nicht, ist das Auge zumindest fasziniert. Im Inneren des Dom erschlägt einen die schiere Höhe. Kann es noch höher gehen? Schließlich hatte der Turmbau zu Babel die Menschheit sprachlich entzweit, nach der alten biblischen Legende. Allenthalben sind geschnitzte Altäre zu sehen, die sich alle um kirchliche Themen bemühen, in deren Mittelpunkt immer wieder die Kreuzigung Jesu steht.
Immerhin hält sich diese Legende seit 2000 Jahren in der 2000-jährigen Stadt und weit darüber hinaus, die einst als römische Kolonie mit einem Durchmesser von einem Kilometer gegründet wurde. Reste davon gibt ist immer noch. Und sei es nur die der römischen Hafenstraße auf der Südseite des Domes zum Rhein herunter. Dass sie weder Hafenstraße war oder sein konnte (es gab damals keinen Hafen dort am Rhein), dass sie um sechs Meter nach Süden versetzt wurde, weil das unterirdische Domparkhaus gebaut wurde und dass selbst die verlegten Basaltstein nicht dem Original der einstigen echten Römerstraße entsprechen (Beim Bergen der Straße wurden die Blöcke mit Kreide nummeriert. Dumm nur, dass Regen Kreide abwäscht.), ist eben auch Teil einer gewissen Legendenbildung, wie die von Jesus. Aber man glaubt(e) daran, weil es schlicht und einfach der Hoffnung entspricht. Insofern kann man fast die Geschichte von Jesu als eine Art Placebo für die Träume der Menschen bezeichnen. Natürlich ist es Häresie und Ketzerei und vor 500 Jahren sind genug Leute verbrannt worden, denen dies unterstellt wurde. Und Gott sah zu, die Dome wuchsen, die Macht der Kirchenfürsten vorher und nachher auch. Kirche war allgegenwärtig und bestimmte das Leben in all seinen Facetten.
Heute ruhen die Erzbischöfe friedlich vereint in ihren Sarkophagen und lauschen, wenn vielleicht nicht Gott, so aber dem Kamera klicken der Touristen, die staunenden Auges durch die 140 m lange Kirche mehr oder weniger andachtsvoll schlendern. Ob manchem Bischof die Ehre zustand oder zusteht im Kölner Dom begraben zu sein, ist ob ihres Lebensstils eher zweifelhaft. Wie eben der von Erzbischof Ernst von Bayern (1554-1612). Seine Neigungen gehörten einem guten Essen, der Jagd und den zahlreichen Liebesaffären. Für jede Klatschspalte wäre er heute genüssliches Opfer von Gottes Gnaden. Dieses Leben führte ihn nach dem Tod in einen Sarkophag dicht am Dreikönigsschrein, wo die Gebeine der ersten Könige ruhen (sollen), die bei der Geburt Jesu anwesend waren. Der Schrein ist wohl zu klein für ein Umdrehen der Könige.
Je länger man als Ungläubiger durch den Dom beeindruckt wandelt, staunt man bei der Beschäftigung mit biblischen Kunstwerken über das biblische Ausmaß der gottlosen Verfehlungen der Kirche, die doch immer wieder Leute zu noch mehr Andacht führten. So fallen mir in der Bewunderung der großartigen Leistungen immer wieder Worte wie Hexenverbrennung, Schulden, Ablass, Folter, Inquisition, Kindesmissbrauch, Liebesaffären ein, die alle unter dem Dach der Kirche und unter den Augen Gottes geschahen. Was haben Menschen unfassbar aufgrund des Glaubens leiden müssen, wie viele Glaubenskriege gab und gibt es noch, weil jeder seinen schweigenden Gott für den richtigen hält. Das ins Verhältnis zum Kölner Dom zu setzen, lässt diesen auf einmal winzig erscheinen. Persönlich ist der Dom für mich eher ein Mahnmal. Für den jungen Mann, der kniend vor dem Altar im Dom betete, ist er wohl Ehrfurcht vor dem Schöpfer.
Ich bin beeindruckt von der schieren Größe dieser Kathedrale, von den Figuren, die diese Kirche an den Portalen bewachen, von den bunten Glasscheiben, den vielen Kunstwerken innerhalb der Kirche, dem goldenen Schrein der Heiligen Drei Könige (die in Mailand gestohlen wurden im 12. Jahrhundert), aber auch zutiefst bedrückt, dass der Glaube (der friedlich sein sollte) immer noch Kämpfe bis zum letzten Tropfen provoziert. Jesus ist längst ausgeblutet. Der Dom steht.