Anfahrt und Einschiffung
Am Anfang ist… – der Wecker, der meine Frau zwar sofort weckt, aber nicht unbedingt mich. Das muss ein Wecker auch nicht, auch dann nicht, wenn es zu einem siebzehntägigen Urlaub entlang der Donau geht – bis zum Kilometer Null. Das Abenteuer beginnt also mit dem nerv tötenden Laut des Weckers und dem gleich darauf ansetzenden mauzenden Kater, der diesen Wecker zum Anlass nimmt, mir die Wichtigkeit des Aufstehens klarzumachen. Trotzdem versuche ich mehr oder weniger erfolglos noch ein Weilchen zu dösen, höre auf die vertrauten Geräusche meiner duschenden Frau und warte darauf, von ihr endgültig aus dem Bett geworfen zu werden. Mit der liebevollen Bemerkung: “Du kannst dich entstinken gehen.” , tut sie das auch. Nach einem ausgiebigen Frühstück beginnt die Reise genau um 5:40 Uhr mit dem Einstieg in das bestellte Taxi. Ein paar angenehm geplauderte Worte später sind wir am neu erbauten Busbahnhof in Halle. Dass er neu ist, sieht man ihm an, die Millionen, die er verschlang, indes weniger. Der Himmel fängt an zu blauen und der Bus lässt noch auf sich warten. Vor Langeweile lese ich meiner Frau Rezepte vor, die ich in einem Heft auf der Bank finde, und kommentiere sie, wohl ein bisschen zu schnöde, wie ich es ihrem Gesicht ansehe. Ganze sieben Minuten zu spät kommt dann der Bus, während dessen ich nicht nur die Rezepte las, sondern auch mehrmals den Bahnsteig auf- und ablief, die Briefe des Busunternehmens mit der Notfallnummer kontrollierte und argwöhnisch jedes ankommende Fahrzeug in Busgröße mit meinen Blicken untersuchte. Wir sind die Ersten die einsteigen und die Einzigen aus Halle. Während der Fahrt stellt sich heraus, dass der Fahrer scheinbar noch nie in Halle war. Der Beifahrer, ein bulliger, hässlicher und obendrein noch blond-lockiger Typ hilft dem Fahrer für einen Moment und schläft dann wieder ein wenig – immer abwechselnd. Zwischen Leipzig, Chemnitz und Hermsdorfer Kreuz sammeln wir noch neun weitere Leute auf. Zwei Romane weiter, die ich währenddessen lese, sind wir schon in Passau. Natürlich haben wir auch zwischendurch unsere Pinkelpausen, die uns jeweils 50 Cent kosten. Dafür bekommen wir einen Schein, den wir für weitere 1,50 Euro in eine Tüte Bonbons umsetzen, die wir ansonsten nicht gekauft hätten.
Kaum steigen wir in Passau aus dem Bus, schnappt sich ein Russe beide Koffer und ich erst mal nach Luft. Gott sei Dank gehört er zur Besatzung, wie ich erleichtert feststelle, und verschwindet so schnell im Schiff, dass mir von seinem Gesicht nur die Warze in Erinnerung bleibt und das Lächeln darunter. Nach einem kurzen Warten beginnt der offizielle Einlass, nicht ohne die üblichen Meckereien älterer Frauen, die nicht nur vom letzten Krieg benachteiligt waren, sondern auch von den Leuten, die zuletzt kommen und zufällig vor der Eingangstür stehen. Geflissentlich überhöre ich die kleinen Aufregungen und konzentriere mich aufs Warten, währenddessen Sylvia die Pässe abgibt und sich für den Zimmerschlüssel anstellt. Dann gibt es noch ein Schnellbegrüßungsfoto nach ukrainischer Tradition neben einem Mädel in Tracht. Brot abgebrochen, neben der Trachtenpuppe aufgestellt, bitte lächeln, der-Nächste-Bitte und schon sind wir auf dem Weg zur Kabine. Bislang nahmen wir an Kreuzfahrten auf dem Mittelmeer und der Ostsee teil, auf riesigen Kreuzfahrtschiffen, da dauerte das Zurechtfinden schon eine Weile. Hier gibt es den Schlüssel in die Hand, eine freundliche Geste in Richtung Wendeltreppe und kaum haben wir uns darauf einmal nach unten geschraubt, stehen wir schon vor unserer Kabine. Dahinter öffnen sich uns 9 Quadratmeter seliges Glück, zumindest für eine gewisse Zeit.
Während Sylvia auspackt und mir überflüssigerweise den Sinn aufgeräumter Schränke erklärt, kämpfe ich mit meinem schon seit Wochen anhaltenden Hustenreiz, der mir den ganzen Abend zu vermiesen droht. Er droht nicht nur, sondern er tut es auch, trotz gutem Abendessen mit Schinkenröllchen, Geschnetzeltem mit Klößen und Buttererbsen. Nach dem Abendbrot geht fast nichts mehr, ein paar Landschaftsaufnahmen, die Schlögener Schlinge, ein paar Schleusen von je 7 und 14 Meter und immer wieder dieser verdammte Hustenreiz, der mich tierisch nervt. Ich muss ins Bett, mag nichts mehr sehen. Im Zimmer sinke ich dahin, tröpfele einen Whiskey in die geplagte Kehle und spüre, wie der Schlaf mich übermannt…
Wien
Auf nach Wien. So richtig bewusst wird mir die Reise erst heute. Der blöde Hustenreiz hat mich, wie in jeder Nacht, Gott sei Dank verschont. Vieles von gestern kommt mir erst jetzt so richtig in den Sinn, wie zum Beispiel die Stuttgarter an unserm Tisch, die ich so schlecht verstehe, die freundlichen Kabinendurchsagen mit Infos über Land und Leute und das Schiff, das mit 150 Meter, 160 Passagieren und 60 Besatzungsmitgliedern gegenüber Luxuslinern geradezu winzig ist. Während des Frühstücks gleitet Österreich an uns vorbei und breitet die Wachau links und rechts der Fenster aus. Doch im Moment ist der Frühstückstau am Buffet wichtiger und es gibt dort immer wieder Ruhe und Sturmphasen. Beinah familiär geht es hier zu, gemessen an unseren früheren Kreuzfahrten. Ich beobachte die Menschen, während Sylvia dauernd versucht mit mir zu konversieren. Mir ist nicht nach Reden, ich warte auf den Hustenreiz, sehe den ukrainischen Kellner, der geradezu unterwürfig versucht, es jedem recht zu machen (das erinnert mich an meine ehemalige Theatergruppe und ich werde mir bewusst, dass dies in die Hose gehen muss). Er wuselt ständig am Buffet und um die Leute herum. Die Leute sind zum größten Teil wesentlich älter als wir. Wir gehören halt zur Krabbelgruppe.
Die Landschaft zeigt sich in sattem Grün, während ich auf dem Sonnendeck E-Book lese und Sylvia im Pool badet. Die blaue Donau trübt vor sich hin, das Schiff steuert mit 25 km/h auf Wien zu, wie mir mein Navi verrät. Der Vormittag ist gemütlich, ich bin glücklich, Sonne, Schiff, Donau, E-Book, eine badende Frau, was will ich mehr. Die Anlegestelle Wien-Nussdorf erweist sich als unspektakulär, aber dafür gemütlich.
Zum Mittag gibt es Fisch oder Schweinefilet, je nach Wunsch, sowie Smalltalk. Die Stuttgarter und wir kommen uns näher. Das Schiff hat angelegt und der Bordlautsprecher ruft zur Stadtrundfahrt nach Wien auf. Natürlich geht es schnell mit dem Bus, keine Zeit ist zum Schwelgenlassen, ein schnelles Staunen, ach, ist das schön, oh, schau das Denkmal der Erzherzogin, hast du Mozart fotografieren können, wie, der Bus war zu schnell? Am Hundertwasserhaus gibt es jede Menge Erklärungen und eine halbe Stunde Zeit, immerhin. Japaner haben weniger Zeit zum Fotografieren, da sind wir kulturell schon weiter. Auf dem Rückweg zum Bus finden wir eine Toilette mit Souvenirladen. Es riecht dort ein wenig streng, da die Toilettentür zum Laden hin offensteht. Dem russischen Souvenirverkäufer machte dies nichts aus, er spricht ohnehin nur schlecht Deutsch. Vom Hundertwasserhaus geht es gleich um die Ecke ein paar Jahrhunderte zurück zum Steffel, dem Dom der Wiener. Die Stadtführerin klärt uns mit wenigen Worten über die Geschichte auf, was aber im ständigen Fotografieren und Filmen beinah untergeht. Die Stadt bricht mit ihren prachtvollen Bauten, den viel zu teuren Fiakern und den nach Pferdepisse stinkenden Straßen über uns herein. So viel das Auge und der Kamerauslöser erfassen können, saugen wir das Fluidum auf, ohne auch nur einen Moment den Wiener Charme auskosten zu können.
Das Wichtigste an Wien ist für mich das Finden eines Buchladens, um ein Netzteil für mein E-Book zu kaufen. Leider bemerkte ich die Funktionslosigkeit meines USB-Ladegerätes nicht und Sylvia standen die Haare zu Berge, wenn sie nur daran dachte, es mit mir ohne Lesestoff die nächsten 15 Tage aushalten zu müssen. Zwischen Demel Cafe und Sissi Museum finden wir einen geeigneten Shop mit hilflosen Verkäufern, aber wenigstens gangbaren Netzteil. Meine Welt ist wieder in Ordnung und Sylvia atmet auf.
Im Stephansdom sind uns zwei Minuten vergönnt, um dann rechtzeitig zum Treffpunkt zu gelangen. Davor schossen wir in den uns verbleibenden 50 Minuten hunderte Fotos, hetzten 2,5 Kilometer vorbei an historischen Gebäuden bis zum Maria-Theresia-Denkmal, machten ruckartig kehrt, ignorierten Gucci und Co. (würden wir nie kaufen) und huschten schlussendlich noch in den Steffel für enorme 3 Minuten. Wien ist great.
Am Abend besteht Sylvia auf einen kleinen Spaziergang entlang der Donau. Wir wandern bis zu einem kleinen Jagdhafen und kämpfen auf dem Rückweg gegen die Mücken, die mit einer ihnen eigenen Ignoranz ausgerechnet die Touristen zum bevorzugten Jagdobjekt wählen. Trotzdem ist der Trip eine Wohltat.
Jetzt sitzen wir auf dem Sonnendeck, schauen auf den Milleniumturm, töten hin und wieder diese oder jene Mücke und hoffen auch mal einen General zu erwischen. Ich kämpfe gegen den wiederkehrenden Hustenreiz und schreibe auf, was gewesen ist. Punkt 22:30 Uhr trägt uns die Donau nach Budapest. Blau ist die Donau, oder…?
Budapest
Der dritte Tag beginnt schon fast mit einer Routine – dem Aufstehen. Ich habe geschlafen wie ein Stein, kein plätscherndes Wasser, keine Schleusendurchfahrt, nicht einmal mein eigenes Schnarchen konnte mich erschüttern. Sylvia hingegen kam sich eher wie ein Kiesel vor, gerührt von allen möglichen Tönen und früh aus dem Bett geschüttelt. Unser Schiff strebt derweil der Königin der Donau zu – Budapest. Eine stolze Stadt und erst im 19. Jahrhundert durch den Zusammenschluss dreier Städte zur Hauptstadt geworden. Damit hatte die alte Hauptstadt – Esztergom – ausgedient. Das kleine Städtchen sollten wir heute noch am Donauknie kurz kennen lernen, dazu seine Burgruine, die einst die Insignien der Macht beherbergten und zeitweise sogar die Kronjuwelen Polens.
Doch vor der Glorifizierung der ungarischen Geschichte kommt die alltägliche Schlacht ums Frühstücksbüfett, wo manch tapferes Brötchen sein Leben verliert. Mit der älteren Generation an Bord ist dann diese Schlacht auch eher ein fröhliches alte-Leute-Rennen um Saft, Marmelade und anderen lieb gewordenen Spezialitäten des emsigen Rentnerlebens. Sylvia bemerkt etwas süffisant, dass die Milch doch ganz gut ankommt bei den Männern. Ich kann dies nur bejahen mit einem beherzten Wisch über meinen Milchbart.
Wie immer isst und redet Sylvia, während ich esse und beobachte. Die Leute sind in ihren Bewegungen ganz interessant. Da ist der Alte, der seinen Leberfleck auf der Glatze vergebens kaschiert oder die Mürrische, die bei jedem Griff in den Aufschnitt zwar nickt, aber säuerlich das Gesicht verzieht. Mit den vielen dicken Bäuchen der Männer kann man mehrere Fußballmannschaften bilden, das zeigt Deutschlands sportlichen Fortschritt. Bald schon liegt geselliges Raunen in der Luft, was eine gewisse Zufriedenheit ausstrahlt. Hin und wieder wird gemurrt über irgendetwas Unwichtiges, Unbedeutendes, Nichtssagendes. Die Landschaft ist vom Grün der Ufer gesäumt, manchmal schon ein wenig zu vertraut und man könnte meinen, zwischen den Bäumen kommt Langeweile auf. Doch mitnichten, während wir auf dem Sonnendeck dösen, schnarrt der Schiffsreiseleiter über den Bordlautsprecher und gibt uns wertvolle Infos über dieses und jenes am Wegesrand. Blitzschnell springen dann die Kameramänner, und es sind sehr viele, auf, laufen von links nach rechts und zurück, um möglichst massenhaft Motive einzufangen. Fast scheint es, dass einige ihre Reise erst zu Hause zwischen Couch und Bierchen so richtig erleben wollen. Es dauert auch nicht lange und das Gewusel erstirbt nach der letzten Ansage in den Sonnenliegen. Wieso soll man auch namenloses fotografieren. Tatsächlich kehrt auch in mir eine innere Ruhe ein und meine badende Frau versucht mich beim Abtrocknen zu einem aktiven “Guck doch mal” zu bewegen. Indes der Geist ist willig, aber das Fleisch der Anziehungskraft der Sonnenliege nicht gewachsen. Die bald darauf erfolgte Bordansage über Esztergom und dem Donauknie hat besseren Erfolg. Sage und schreibe fünfzehn Minuten lang klickt mein Kameraauslöser, saugt gierig die farbenfrohe Landschaft auf und digitalisiert die Bilder. Es ist atemberaubend und diese herrliche Natur unter strahlendblauem Himmel erreicht auch das blanke Auge ohne Zweitlinse.
An das Donauknie schließt sich das Abendessen an; Hähnchen nach ungarischer Art umschmeichelt unseren Gaumen. Der Bordlautsprecher weist auf die Sehenswürdigkeiten an den Uferseiten hin, die wohl kaum jemand momentan zu schätzen weiß. Wir sind mit Essen, Reden über Rezepte und anderen Wichtigkeiten des Lebens beschäftigt. Das Essen ist kurz, gemessen an der Länge der Donau…
Kurz darauf fängt uns die Magaretheninsel ein und Budapest liegt zu beiden Seiten des Stroms. Das riesige Parlamentsgebäude kommt mit seiner imposanten Gewaltigkeit vor dem Bug des Schiffes. Und die Kette imposanter Gebäude reißt nicht ab. Eine Brücke nach der anderen zieht das Schiff und staunende Gesichter unter sich durch, bis wir an der Kettenbrücke Pier 5 zum Halten und Anlegen kommen. Sylvia versucht sich an ihren Besuch 1978 zu erinnern, aber insgesamt kam es ihr damals grauer und trister vor. Die Zeit der Stadtrundfahrt bricht bei 33 Grad im Schatten an. Als sonnengewöhnte Touristen, unscheinbar verkleidet, entern wir die Busse und mit denselben den Gellertberg samt seiner Festung und der Freiheitsstatue, die, aufgrund der herrschenden Verhältnisse, schon mal um eine sozialistische Plastik gekürzt wurde. Für solcherart Kunst gibt es in Ungarn einen eigenen Park, wo Lenin und Co. ihr letztes, aber doch beachtetes Domizil finden. Anders als in Deutschland, wo Kunst je nach Geschichtsstand schon mal entartet. Souvenirläden sind auch hier unsere ständigen Begleiter und an einem erbarmen wir uns für einen Flaschenöffner mit Glocke. Wenigstens einen geringen Nutzen sollten Souvenirs haben, meint Sylvie.
Die Zeit der Besichtigung ist kurz, zu kurz, um sich weitere Gedanken zu machen. Selbst unsere Touristenführerin überschreitet die Zeit. Ein Novum. Die Fischerbastei und die Martinskirche sind die nächsten Anlaufpunkte unserer Rundfahrt. Im Hilton der Neuzeit darf sich der alte Dom in den Fenstern widerspiegeln, nachdem er seinen Machtstatus durch den Bau des exklusiven Hotels verloren hat.
Im Moment schreibe ich sehr langsam, da Budapests Lichter der Nacht erwachen und ich im Takt von Sylvias freudigen “Guck mal” meinen Hals verdrehen muss.
Nach zahlreich geschossenen Bildern ist der Besuch der Kirche wieder ein optisches Highlight und in der anschließenden Stadtrundfahrt erhaschen wir zwischen ausladend grünen Bäumen und Ampelrotphasen diesen oder jenen erhabenen Blick.
Das fast unscheinbare Denkmal des Mannes auf einer eiserner Brücke – Imre Nagy (Notsch) – umrunden wir, damit sowohl die rechte Seite des Busses als auch die linke Seite einen gleichberechtigten Blick auf das Parlamentsgebäude werfen kann. Das Denkmal fällt trotz Hinweis kaum auf. Anschließend haben wir drei Minuten Zeit, um den Heldenplatz zu fotografieren. Das funktioniert mit Überqueren der Straße und einem olympiareifen Lauf auch mäßig. Ein paar der Nationalhelden erreicht die Kamera aufgrund akuten Zeitmangels nicht mehr. Also drehen wir noch mal einen Kreis und fahren endlich zum Schiff zurück, wo schon das Abendrot in vertrauter Umgebung wartet. Unsere Gegenüber, die zwei Stuttgarter, waren mit ihren Cousins (ebenfalls aus der Stuttgarter Umgebung) am Nebentisch auf eigene Faust unterwegs. Der schwäbische Dialekt verlangt volle Konzentration, aber nach einem Hä, erfolgt meist eine hochdeutsche Erklärung. Nur die gebrauchten Würstchen, die es angeblich in den berühmten Budapester Markthallen zu kaufen gab, verwirren mich. Unter dem Gelächter der Anderen werde ich schnell aufgeklärt, es heißt schlichtweg gerauchte Würstchen.
Mein Hustenreiz, der mich die ersten zwei Tage, eigentlich schon seit zwei Monaten, quält, scheint nachzulassen, Wick-sei-Dank. Sylvia freut sich schon auf das Ende dieser für sie unleidlichen Jammerei meinerseits. Männer – meint sie meist verächtlich.
Es rückt der Abend heran und ich schreibe an meinen Erlebnissen weiter, werde aber von Sylvias Wunsch nach einem Spaziergang unterbrochen. Als lieber Mann gehorche ich dem Urlaubswunschbefehl meiner Frau und wir schlendern in die Nacht hinaus, inmitten des Lichtermeers von Budapest, das uns den Weg von der Kettenbrücke zur Elisabethbrücke und auf der anderen Seite zurück, ausleuchtet. An einer Stelle machen wir halt und ich bemerke tatsächlich, dass die Donau eine blauschwarze Farbe hat, wenn ich den Kopf leicht zurückneige, in die Knie gehe und schielenden Auges den Blick wie einen hüpfenden Stein übers Wasser streifen lasse. Es gibt sie also, die blaue Donau, die Wiener haben recht. Nach diesem einmaligen Erlebnis und dem Fehlen des Hustenreizes sehen wir uns nach unserer Rückkehr an der illuminierten Freiheitsbrücke satt, bis das Schiff um 23:30 Uhr Budapest verlässt und die Lichter in der Spur des Schiffes versinken.
Nacht bricht über uns herein, wir nehmen einen Donaudrink und etwas Toast Hawaii und bemerken erstaunt – die Welt kann noch in Ordnung sein.
Vukovar
Ich muss heute ein wenig schneller schreiben, da der Tag vollgedrängt ist mit Aktivitäten und ich bin so aufgeregt. Die üblichen Angelegenheiten, wie Aufstehen, Frühstück brauche ich wohl kaum noch erwähnen. Langsam aber sicher ist das schon Gewohnheit. Auch mit den anderen Touristen wird man allmählich warm, irgendwie grüßen wir schon jeden. Das ist das Schöne an einer Flussreise, es sind nur wenige Leute, so dass mit der Zeit die Anonymität draußen vor bleibt und im wahrsten Sinne des Wortes über Bord geworfen wird. Da ist zum Beispiel dieses Ehepaar, dass die Tour zum zweiten Mal hintereinander macht, aber dieses Mal auf weitere Landgänge verzichtet, weil es halt mit der Bewegung nicht mehr so klappt. Das Alter ist eine sehr anstrengende Sache, die Zeit fährt in die Knochen, das Essen in die sowieso schon überdimensionierten Bäuche. Unseren Vormittag verbringen wir mit Shopping im Miniladen, mit Lesen des inzwischen 5. Romans und dem Musikhören auf dem Sonnendeck. Sylvia freilich findet noch Zeit zum Planschen. Die Donau transportiert uns auf sanften Wogen in Richtung Vukova. An der ungarisch-kroatischen Grenze in Mohasz, wo das Schengener Abkommen endet, ist Grenzkontrolle. Ein älterer Bürger bemerkt trocken, dass selbst unser gemeinsames Stehen schneller sei, als das an-Bord-kommen der Beamten. Natürlich muss man den deutschen Touristen und vielleicht ehemaligen Beamten zeigen, was Gründlichkeit ist und so wird jede Küchenplombe untersucht, die Haltbarkeit der Waren und und und…, sodass unser Schiff in erheblichen Zeitverzug kommt. Naja, vielleicht sehen diese unterbezahlten Beamten in uns nur die reichen Deutschen, vergessen aber, dass auch wir so unsere Geschichte haben.
Vukovar ist eine Stadt mit zwei Leben, ein Altes hinter sich, ein Junges noch vor sich. Vor 15 Jahren war diese Stadt an der Grenze zu Serbien noch ein Trümmerhaufen. Während der Einfahrt zur Anlegestelle wird es uns dies erst auf den zweiten Blick deutlich. Der Blick durchs Fernglas offenbarte die zahlreichen Einschüsse in den stehen gebliebenen Ruinen. Dass ich einem Krieg einmal so nah komme, hätte ich nicht gedacht, obwohl ich ja auch gerade mal 15 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg geboren wurde. Die Aufbaujahre danach kenne ich nur aus Erzählungen. Ein zerschossenes Haus fällt mir besonders auf, da in seinen Fenstern rote Geranien weithin sichtbar blühen. Ein etwas unwirkliches Bild. Jeden Tag sieht man hier einen Mann die Blumen gießen, jedes Jahr werden die Blumen neu gepflanzt und geben dem toten Haus ein wenig Leben. Niemand weiß, warum und unsere Reiseführerin versichert, sich das nächste Mal zu erkundigen. Dieses nächste Mal lässt doch uns Menschen hoffen, oder? Dass eine tote Stadt in so kurzer Zeit zu solch Leben erwacht, nötigt mir Respekt ab. Doch obwohl die Serben ihre unmissverständlichen Spuren hinterließen und der Krieg hier 1991 seinen Ausgang nahm, scheint der Hass auch mit dem Ende des Schießens die Stadt verlassen zu haben. Der Krieg scheint einfach aus den Köpfen ausgezogen zu sein, mit all seiner Dumpfheit, seinen schrecklichen Waffen und seiner Traurigkeit. Nur ein Wahrzeichen, der zerbombte Wasserturm, der trotz seiner Schäden noch aufrecht steht, mahnt den Ankommenden und den Gehenden. Innerlich knie ich vor den Menschen dieser Stadt.
Auf der Rundfahrt mit dem Bus lernen wir viel über Kroatien und seinem kleinen Volk, das einfach nur nach vorne schaut. Für diese Herzlichkeit möchte man seinen gewohnten deutschen Standard gern mal eintauschen, doch das würde dieses Volk wohl mehr verletzen als der vergangene Krieg. Die Reiseleiterin überschüttet uns förmlich mit Informationen über die Geschichte, über das Land und seine Leute, sie ist eine wandelnde Enzyklopädie, fast ein wenig emotionslos und doch spüre ich die Liebe zu ihrem Kroatien. Ihre Eltern waren in der Bundesrepublik Gastarbeiter in Kassel und hatten aber ein recht bequemes Leben. Trotzdem tauschten sie es gegen ein Leben in Entbehrungen ein, weil “hier noch Herzlichkeit” ist. Ach, Deutschland, was hast du verloren, wenn dir dies erst auf engen Schiffen wieder gewahr wird. Ich kenne dieses Gefühl aus einer kleinen Ecke meines Herzen, da wo noch ein bisschen DDR ist. Die Hitze drückt, der Planet scheint uns rösten zu wollen, da ist ein Stopp in einem Café willkommen, zumal ein Getränk im Ausflugspreis inbegriffen ist. Sylvia freut sich auf eine Eisschokolade, ich versuche ein einheimisches Bier. Unserem Tischnachbarn, einem Schweizer und mir gefällt das feinherbe Bier, zumal es schön kalt ist. Die Kellner sind dem Ansturm von 115 Leuten in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht gewachsen. Wir witzeln schon am Tisch, ob die halbe Stunde ausreicht, um all die bestellten Getränke zu servieren. Der Aufbruch setzt dann auch jäh ein, das Bier ist gerade alle und ich muss mit der Schweizerin ein interessantes Gespräch über Bildung, Lehrer und Schüler, über Gott und die Welt unterbrechen.
Beim Aufbrechen echauffiert sich eine ältere Dame beim Reiseleiter, unserem Bordlautsprecher, über die Hitze, über die Führung mit zu vielen Informationen, über die Kellner, kurzum nichts passte zu ihrem gewohnten Standard. Ganz böse wird sie endlich, als ich schulterzuckend darauf verweise, dass wir mit dieser Reise bewusst Massentourismus gebucht haben und damit auch eine gewisse Schnellabfertigung, was den Nachteil hat, auf Individualität verzichten zu müssen, da die wohl auch teurer kommt. Sie schnappt nach Luft, sichert sich der Unterstützung einer anderen Leidensgefährtin und funkelt mit ihren (giftgrünen?) Augen: ”Schön, dass es wenigstens Einem gefällt.” Mein Hinweis “Nö, wir sind eigentlich schon zwei” und Sylvias Lächeln sind dann zu viel für sie. Sie verdreht ob dieser Ungehörigkeit die Augen und geht. Diese alte, vielleicht auch in ihrem Leben würdige Dame hat einfach keinen Respekt vor diesem Land, nimmt sich selbst zu wichtig und vielleicht nicht wahr, dass wir über die Grenzen von Deutschland schon ein wenig weit hinaus sind. In Osijek, eine alte Stadt, die schon im 12. Jh. erwähnt wird, sind die Zerstörungen des Krieges gegen Serbien schon weitestgehend behoben. In der Stadt sieht man allenthalben den Einfluss der Habsburger. Die mittelalterliche Festung zieht uns mit ihren dicken begehbaren Mauern in den Bann. Es ist schwül-warm und wir freuen uns fast darauf wieder an Bord zu kommen, wo kaltes Wasser die durstigen Kehlen nässt.
Belgrad
Ars Vivendi! Das gilt auch für die Flussschifffahrt. Sylvia mag das Anstehen am Salatbüffet beim Essen nicht, obwohl dies nur gelegentlich zur Debatte steht. Als getreuer Ehemann liebe ich es natürlich auch nicht, wobei es mir letztendlich egal ist, da sie ja doch dafür sorgt, dass ich einen kleinen Heuschober als gesunde Kost bekomme. Die Donau wird augenscheinlich trüber und immer öfter sieht man Abfälle im Fluss. Besonders schlimm ist es auf der Sava, einem Nebenarm der Donau, auf dem wir nach Belgrad einbiegen. Unterhalb der Festung Kalemegdan (Festungsfeld) ankert unser Schiff in einem Strudel voll Müll. Die Türken nannten den Hügel der Festung auch “Hügel zum Nachdenken”. Wenigstens dies sollten die Serben als Tradition mit in die geplante Mitgliedschaft zur EU übernehmen, obwohl sie sonst mit den Türken aus verständlichen Gründen nicht viel zu tun haben wollen. Belgrad wurde ungezählte Male zerstört, sodass seine heutige Existenz überhaupt verwunderlich ist.
An Bord geht alles seinen gewohnten Gang, irgendwo hört man immer ein wenig Meckern über das heiße Wetter und natürlich dem ewigen Warten auf irgendwelche Behörden. Den Reiseleiter scheint nichts zu erschüttern, auch größere Probleme lächelt er einfach weg. Seine gute Laune ist allgegenwärtig, er wird entweder königlich bezahlt oder besitzt ein sonniges Gemüt, wobei letzteres wahrscheinlicher ist. Außerdem hat er eine riesige Freude an den Ausflügen, obwohl er sie schon einige Male absolviert hat. Diese positive Einstellung überträgt sich wohltuend auf die Passagiere. Apropos Ausflüge; der heutige führt uns frühmorgens nach Belgrad. Die Luft steht förmlich und es ist jetzt um 9:30 Uhr drückend heiß.
Die Fahrt geht mit dem Bus zur Festung und wir erfahren, dass Belgrad schon 24 mal zerstört wurde und doch haben die Bewohner immer wieder die Kraft gefunden, ihre Stadt und sich selbst aufzubauen. Und wir armen Deutschen haben Probleme mit dem Wetter, dabei ist es in Deutschland momentan mit 37 Grad im Schatten bedeutend wärmer.
Das Stadtbild lässt wechselhafte Gefühle in uns zurück. Sozialistisches Einheitsgrau mit vernachlässigten Fassaden wird nur allmählich durch bunte Werbung und renovierte Häuser abgelöst. Der neue Kapitalismus trägt Farbe auf das alte Gesicht der Stadt, doch ob er auch die Seele aufzuhübschen weiß ist zu mindestens der Stadtführerin nach fraglich. Sie lässt den goldenen 70igern und 80igern unter Tito ehrfurchtsvollen Raum und gibt dem Land noch 10 Jahre, um den damaligen Stand der Dinge zu erreichen. Etwas seltsam mutet der heraufbeschworene Bund mit den abtrünnigen Bosniern, Montenegrinern und Kroaten an. Fast hört man das nicht gefallene Wort Bruder heraus. Diese Seltsamkeit ist umso auffälliger, wenn ich mir die Worte der kroatischen Fremdenführerin vor Augen führe, die zwar keinen Hass gegen die Serben zum Ausdruck brachte, aber sich und ihr Volk von den Serben sowohl geschichtlich als auch ethnisch entschieden distanzierte.
In der serbischen Führung fehlte auch der geschichtliche Teil des Krieges von 1991 – 1995 völlig, aber man zeigte uns die Ruinen der von der NATO bombardierten Regierungs- und Militärgebäude, um gleich danach auf Distanz zu Milosevic zu gehen.
Nach dem Mittag und einem wohlgefälligen Schläfchen machen wir uns um 16 Uhr auf den Weg in die Stadt zu einem Bummel und das natürlich völlig undeutsch zu Beginn des Fußballspiels Argentinien gegen Deutschland oder besser Maradona gegen Löw.
Kaum haben wir nach zehn Minuten die Promenade erreicht, erstaunt uns ein 1:0 für Deutschland, zu sehen in den zahlreichen Fernseher der Cafés. Mein Desinteresse gegenüber Fußball erleidet einen heftigen Rückschlag und ich komme nicht umhin, mich als freudigen Deutschen gegenüber den Serben zu produzieren, die nun mal erkennbar für Argentinien sympathisieren. Genüsslich sauge ich die verdutzten Blicke auf und wende mich demonstrativ mit der Kamera den teilweise wunderschönen, klassizistischen und anderen -istischen Häuserzeilen zu. Ab und an quietscht in dem undurchschaubaren Verkehr eine uralte Straßenbahn und die O-Busse scheinen gerade mal eben schnell zusammengeschweißt zu sein. Die Holzbänke darin sehen genauso unbequem aus, wie das gesamte Ambiente, falls es ein solches gibt. Eine Abweichung von der Promenadenstrasse wird gnadenlos mit dem Blick auf graue Häuser bestraft und man fühlt sich zurück in die guten-alten-DDR-Zeiten. In den abbruchreifen Häusern damals waren unsere bunten Herzen nicht zu sehen, aber spürbar. Heute sind eher die Herzen grau, die Städte grün, die Flüsse sauberer, aber meine Gedanken schweifen ab.
Verzweifelt suchen wir einen Gemüsemarkt, der uns auf der Stadtrundfahrt auffiel, können uns aber auf die Himmelsrichtung nicht einigen. Nach dem dritten Fußballtor der Deutschen und den recht sauren Gesichtern der Serben beschließen wir keine unnötigen Siegesbekundungen von uns zu geben und zum Schiff zurückzukehren. Das Gesicht von Maradona bleibt mir aschfahler als diese Stadt in Erinnerung.
Im Schiff, beim Café, fällt dann das endgültige 4:0 und der Jubel der anwesenden Flussfahrttouristen erreicht wohl auch einige Teile Serbiens. Wir sind mit unseren dicken Bäuchen und gutem Geld gerüstet für eventuelle Angriffe.
Der Heilbutt zum Abendessen ist nach unserm Geschmack. Ich reiche unserem Tischnachbarn ein paar Bilder unsere Tiere und Videos von ehemaligen Theateraufführungen. Sie sind begeistert von den kleinen Filmchen und bemerken Gott sei Dank nicht mein Seufzen. Ich verschweige ihnen, dass das Theaterspielen ein vergangenes Hobby ist und kaum ein Tag vergeht, an dem ich nicht daran denke, durch welchen Schwachsinn ich das Handtuch werfen musste. Es wird noch sehr lange dauern, diese Endgültigkeit zu begreifen.
Am Ende des Tages fangen wir an der Heckbar die Abendstimmung, die sich langsam über Belgrad neigt, mit ein paar Drinks ein, begleitet von einer sanften Melodie Dimitrijs, unserem Bordmusiker. Es ist schön nur Tourist in Belgrad zu sein. Zwei Bier und einen Grand Manier später ist dieser Abend von berückender Romantik. Blitze streifen den Horizont und ein Regen unser Schiff. In der Ferne wird die Festung bestrahlt und die Donau spiegelt in den gekräuselten Wellen die Lichter der Stadt wieder. Die dargebotenen Schinkenhäppchen umschmeicheln unseren Gaumen, während das Auge die Lichter der Nacht erschaut und das Ohr die feine Musik der Zivilisation hört.
Nachtrag zum 4. Tag
Die Weinverkostung am Abend war ein Highlight. Natürlich haben wir alle keine Ahnung von Weinen, aber die Präsentation an sich war das schon wert. Nachdem mich die Mücken beim Schreiben des Reiseberichtes fast aufgefressen hatten, trafen wir uns zu der Veranstaltung im Restaurant des Schiffes und 6 Weine, sowie unzählige Witze, dargeboten vom Hotelmanager des Schiffes, weiter, fanden wir uns müde auf der Kabine wieder, wo uns der Schlaf, und die dahinplätschernde Donau sacht in die Träume wiegte.
Die Kataraktenstrecke und das Eiserne Tor
Ein Tag der uns durch die Kataraktenstrecke führen soll, ein Tag zum Schauen, zum Schreiben und zum Dösen, ein Tag ohne Ausflug. Noch vor dem Aufstehen eilen wir um 6:00 Uhr zum Sonnendeck, um den Anfang der 100 schönsten Kilometer der Donau überhaupt auf keinen Fall zu verpassen. Das Gähnen ist sofort aus unseren Gesichtern verschwunden, als die ersten Felsen auftauchen und die kommende Pracht erahnen lassen. Aus den waldbewachsenen, steilen Hängen wabert der Nebel und die aufgehende Sonne malt die Wolken zaghaft Orange, um dann später in ein sattes Rot überzugehen. Die Natur könnte kaum prächtiger sein, zwischen Serbien und Rumänien, wenn nicht immer wieder dieser Plastemüll an den Ufern wäre. Die vielen Anglern stört dies nicht und Greenpeace hat gerade mit den Walen zu tun. Uns fröstelt noch nach den letzten Tagen mit mehr als 30 Grad Celsius und im Osten ist die Sonne noch immer mehr mit ihrer Staffelei beschäftigt, als Wärme spenden zu wollen. Freilich besinnt sie sich später und macht Versäumtes dann besonders gutgelaunt wieder wett. So zieht uns die Donau durch immer enger werdende Felstore und die engste Stelle mit himmelsstürmenden Felsen ist nur ganze hundert Meter breit. Fast könnte man meinen, die Felsen mit ausgestrecktem Armen berühren zu können. Die Breite, so die Lautsprecherinfo, entspricht an dieser Stelle auch der Tiefe der Donau und ist somit ihr tiefster Punkt überhaupt. Das enge Tor im Rücken erblicken wir rechter Hand die Trajantafel, die gerade über die Wasseroberfläche hinausragt und an besagten Römer und den Bau seiner Straße durch dieses wilde Tal vor 2000 Jahren erinnert. Die Straße führt heute durch die Staustufe am Eisernen Tor etwa 40m unter Wasser. Bald danach erscheint das gewaltige in Fels gehauene 30m hohe Abbild des Königs der Daker – Decebal (Dekebalus). Sein Antlitz bewacht an dieser Stelle die Donau und grüßt jeden Neuankömmling. Die Kameras der Touristen klicken wie wild, das es nur so ein Spaß ist und man aufpassen muss, in dem Gewusel statt des Dakerfürsten nicht einen sonnenverbrannten Touristenrücken zu erwischen. Sei’s drum, in den Zeiten digitaler Technik ist dies kein Ungemach mehr, sondern allerhöchstens ein Lächeln und einen weiteren Klick wert. Nachdem die stolzen Berge, zu rumänischer Seite Vorläufer der Karpaten, würdevoll an uns vorbeigezogen sind, ist auch bald Derjab I erreicht, eine gewaltige Schleuse, eigentlich die Größte auf unserer 2248 Kilometer langen Reise. 36 Meter werden wir in zwei Stufen von je 18 Meter hinabgelassen. Das Ganze braucht dann auch seine Zeit. Ganze 90 Minuten dauert das gesamte Schauspiel. An Deck verschlafen einige der Passagiere die Kataraktenstrecke und auch die Schleusung. Die glücklichen Unglücklichen. Das Panorama der Ausfahrt sättigt unsere gierigen Blicke nach mehr und die Mägen fangen an, ihren Hunger zu bekunden. Wie von Zauberhand leert sich das Sonnendeck pünktlich zum Beginn des Mittagessens und kein Naturschauspiel hätte etwas dagegen tun können. Das wichtigste Schauspiel war und ist das Schauspiel am Buffet.
Nach der Fütterung entscheidet sich Sylvia fürs Sonnendeck und ich für das Längliche auf der Couch in der Kabine. Während sie badet und sich bräunt, erinnere ich mich an die Worte des Bordlautsprechers: ”Das Eiserne Tor ist ein Gebirgskamm aus eisenhaltigen Mineral unter dem Wasserspiegel und spannt sich von einem Ufer zum anderen. Vor dem Bau des Staudamms entschied der Wasserstand, ob ein Darüberfahren möglich war oder nicht. Jetzt liegt der Gebirgskamm 40m unter Wasser und stellt kein Hindernis mehr dar.“ An die vielen Zahlen dieses gigantischen Staumauerbaus kann ich mich schon nicht mehr erinnern und schlafe unweigerlich ein, bis der Wecker mir die Kaffeezeit ins Ohr klingelt.
Später auf dem Sonnendeck gesellt sich Rose aus dem Stuttgarter Kreis zu uns und hört sich Sylvias einsetzenden Redeschwall geduldig an. Ich übe mich im Schreiben, wobei ich heute endlich das Theaterstück “Bis ans Ende der Welt…” fertigstellen kann. Es soll für meine neue Klasse (ich bin Lehrer) die Möglichkeit bieten, sich in der Theaterdarstellung zu versuchen und handelt von der Suche eines Teenagers nach der Identität. Im Sinn ist mir eine Mischung aus Theater, Musik und Tanz.
Der Abend wird ausgefüllt mit dem üblichen 3 Gänge-Menü. Das Beste daran ist die Begrüßung durch den Kapitän mittels Handschlag für ein zu teures Foto, wobei der Schlips mich tüchtig einzwängt. Sylvia nimmt sich ausgesprochen reizvoll aus in ihrem schwarzen, blumenbestickten Abendkleid. Dazu trägt sie einen Swarowskistein, den ich einst mit zielsichern Blick auswählte, der aber auch von Anderen gebührend bewundert wird. Unser Stuttgarter suchte seine Frau, während sie schon eine ganze Weile bei uns sitzt. Beide schließen aber relativ schnell wieder Frieden, sie wollten ja sowieso nicht mit dem Kapitän fotografiert werden. Der Klecks Kaviar zum Abendbrot ist kaum erwähnenswert, der Shrimpscocktail dagegen schon. Tatjana, die blonde, hübsche Russin, etwas unterkühlt, aber stets freundlich, serviert gekonnt die Tomatensuppe mit Wodka. Das Gekonnte relativiert sich allerdings, nachdem sie uns ihren verbrannten Unterarm zeigt. Das sind Kollateralschaden, denke ich. Was muss man nicht alles für seine Gäste leiden. Meine Zeichnung von Decebal (es war so eine Art Wettbewerb) fand immerhin bei einigen Gästen Beachtung, wohl auch wegen des Gedichts dazu. Auf dem Blatt war es nur ein Gedanke, den ich später dann für die Reisebeschreibung noch einmal verfeinerte. Die Zeichnung bekam keinen Preis, da eine durchaus bessere Zeichnung mich auf meinen immerwährenden zweiten Platz schob. Doch es war gut so. Inzwischen hat sich meine Schreiberei herumgesprochen, da ich wohl der Einzige bin, der sich auf dem Sonnendeck, anstatt zu schlafen, zu bräunen oder zu dösen, an einem Tisch setzt und unentwegt schreibt oder liest. Bis jetzt habe ich 49 DIN A5 Seiten am Reisebericht gearbeitet, ein Theaterstück zu Ende geschrieben und eine Kurzgeschichte über ein sich ewig streitendes, älteres Ehepaar bewerkstelligt, 6 Romane (a 150 Seiten) gelesen, 13 Gedichte geschrieben, 3 Bilder gemalt und ca. 8 Whiskey getrunken, das ist, denke ich, ein guter kreativer Schnitt.
Den Tag verlassen wir, wie der Morgen kam, rotglühend. Wir sehen versonnen den Wellen nach, die die Propeller am Heck schaumig schlagen. Der Tag geht müde und wir dösen noch vom intensiven Erleben mit einem Glas in der Hand, dem neunten Whiskey.
Bukarest
Bukarest nennt sich auch das Klein-Paris. Ceausescu selbst sonnte sich in diesem Glauben. Doch nicht darauf bin ich gespannt, sondern auf den Präsidentenpalast, dem zweitgrößten Gebäude der Welt, vom mickrigen Conducător (dt. Führer) dazu ausersehen, seine 1,60 m über die Welt zu recken, was ihm bis zu seinem gewaltsamen Tode 1989 nicht so recht gelang. Bevor er sich auf dem Balkon des Palastes ins Weltall heben konnte, schoss ihn die Geschichte von der Bildfläche weg.
Ehe ich den Augenblick der Geschichte so richtig spüren kann, muss die Dnepr erst in Ghiurghiu anlegen, eine Stadt mit 70000 Einwohnern, viel Industrie und einem Denkmal von Vlad Tepes, das schnell an unserem Bus vorbeigleitet. Nicht mal ein Aug in Aug mit diesem Fürsten, der noch heute der heimliche Herrscher der Rumänen ist, ist möglich.
So sind wir schon im nächsten Augenblick in Bukarest und haben gleich darauf die Landschaft vergessen, in der es neben vielen bewirtschafteten Feldern noch mehr Flächen gibt, die nur von den Krähen und hier und da auch von Störchen bewirtschaftet werden. Merkwürdig sind auch diese vielen Villen mit silbernen Dächern und vielen kleinen Türmchen. Ein Ratespiel, wem die Gebäude gehören könnten, führt im Bus zu keinem brauchbaren Ergebnis, doch staunenswert ist die Tatsache, dass sie den Roma gehören und je mehr Türme zu sehen sind, desto reicher sind die Leute. Mir wird die heftige Einseitigkeit unseres Wissens bewusst, mit dem wir oft über Land und Leute hinweg urteilen.
Die Stadteinfahrt versetzt uns augenblicklich in die Zeit der 80iger Jahre des Sozialismus einer DDR-Stadt, nur scheint hier alles ein wenig größer zu sein. Wenn man die Fenster betrachtet, ihre grauen Gardinen, manche mit Stanniol verdeckt, will man sich keine Gedanken mehr über die Bewohner machen, obwohl gerade dies wohl am wichtigsten wäre. Und schon wieder beginne ich den unverzeihlichen Fehler der Vorverurteilung. Das Zentrum der Stadt wird von der Prachtstraße Bukarests zum Präsidentenpalast eingenommen, die ganze 30cm breiter sein soll, als die Pariser Prachtstraße. Ein imposanter, riesiger Brunnen gibt den Blick frei auf die vielen kleineren Brunnen, die sich entlang der Straße ziehen und reichhaltig verziert sind. Links und rechts gibt es riesige Wohnblöcke mit gewölbten Balkonen, auf manchen Dächern thronen Säulen, wie bei griechischen Tempeln. Es erinnert ein wenig an die gigantische Stalinallee in Berlin, die aber wesentlich plumper wirkt.
Endlich stehe ich auf dem Parkplatz vor dem gewaltigen Palast, der einem schier die Sprache verschlägt. Auf den ersten Blick und gefühlsbereinigt gefällt mir die Architektur mit ihren Säulen und reichhaltigen Verzierungen, obwohl hier viele Elemente durcheinander gewürfelt sind. Dann wird mir aber auch bewusst, dass an diesem Klotz mehr als sechs Jahre 20.000 Menschen täglich 24 Stunden rackern mussten. Für das Areal wurde ebenfalls eine Altstadt mit 6 Quadratkilometern Größe abgerissen. Auf dem Balkon in der Mitte des Gebäudes wollte das Genie der Karpaten (einer der vielen unglaublichen Titel des Sohnes der Sonne) sprechen. Dazu kam es freilich nie, die Rumänen machten dem Wahnsinn ein blutiges Ende. Flankiert wird der Bau im Vordergrund von imposanten Gebäuden, die den Mitgliedern der kommunistischen Partei vorbehalten waren. Heute sind darin Ministerien untergebracht, der Palast ist Parlament und Regierungsgebäude. Vom abgelegten Kommunismus geht es ein paar Minuten weiter zur orthodoxen Patriachie. So schnell kann es heutzutage, 21 Jahre nach dem Mauerfall, gehen. Was heute von den Füßen der Touristen erkundet wird, war zu damaligen Zeiten ein oft unüberbrückbarer und auch lebensgefährlicher Weg. Der Titan der Titanen glaubte nicht an Gott und ließ viele Kirchenhäuser abreißen. Ausgerechnet eine kleine Kirche auf dem Platz, wo er seine Reden hielt (im Übrigen auch seine letzte), blieb stehen. Von ihr sagte man, wer sie zerstört, ist verdammt. Der Aberglaube holte den Diktator nicht ein, aber dafür sein eigenes Volk.
Doch zurück zu dem Kirchenkomplex. Wir werden aufgefordert im Inneren nicht zu fotografieren, da gerade eine Zeremonie stattfindet. Die Kuppel der Kirche ist atemberaubend. Ich stehe vor dem goldenen, riesigen Altar, der meinen Blick sofort in seinen Bann zieht. Auf dem Teppich davor bekreuzen sich zumeist Frauen, einige knien, andere stehen, während über versteckte Lautsprecher der monotone Sing Sang des Oligarchen ertönt. Was dem Palast seine Größe, ist der Kirche ihre Pracht. In einer Ecke unterhalten sich angeregt zwei bärtige Kirchenmänner. Sie nehmen meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Vor einem kleineren Altar scheinen sie ein Allerweltsgespräch zu haben. Doch dann kommen ab und zu einige Frauen zu ihnen, nachdem sie das goldene Bildnis eines Heiligen am Altar küssten. Ein Kirchenmann schlägt ein Kreuz vor der Stirn der Frauen mit einem dolchartigen, kleinen Gegenstand. Danach treten die Frauen vor den zweiten Kirchenmann, der ihnen die Hand auf den Kopf legt. Ehrfürchtig küsst eine Frau seinen Ärmel. An sich ist das nicht überraschend. Mich überrascht die Beiläufigkeit der Beiden, mit der sie ihr Amt so versehen, wie ein Jägersmann, der in einem Gespräch mit einem anderen Waidgenossen mal eben über seinen Hund streichelt, und danach noch nicht einmal sagen kann, ob er es getan hat oder nicht.
Es liegt eine unbotmäßige Geringschätzung in den Beiden, die mich wieder mal auf die Kirche so wütend macht. Das haben diese Frauen nicht verdient. Erst erhebt sich ein Mann in diesem Land zu Gott, dann setzt man eben diesen armen Leuten Kirchen vor den unbeugsamen Nacken, um sich schlussendlich nur selbst wahrzunehmen. Der Tausch Kirche gegen Kommunismus scheint nicht viel zu bringen, außer einem Kniefall und inbrünstiges Beten nach etwas Besserem.
Den Ort zu verlassen, fällt mir trotz, oder soll ich jetzt sagen wegen der Pracht, nicht schwer. Ich bin ja nur ein Tourist und sehe alles, obwohl direkt vor Ort, nur durch diese touristische Brille. Und die setzte ich schon am Anfang der Reise auf. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie absetzen will, und würde mich am liebsten zum schützenden Schiff zurück begeben. Da ist dann ein bisschen Heimat, mit Leuten, die mir zwar meist fremd, aber sprachlich und touristisch nahe sind.
Die anschließende Begegnung mit den im Freilandmuseum herangekarrten Gebäuden aus verschiedenen Ecken des Landes, bessern meine heutigen Ansichten erheblich auf. Endlich kann die Kamera ohne weitere Hintergedanken vor sich hin klicken. Die Trachtengruppe, bestehend aus jungen Mädchen, kommt gerade recht ins Bild. Das Foto, mit mir sitzend vor dem weißen Bauernhaus mit seinen blauen Fenstern, ist jedem Klischee von Idylle nicht nur nahe, sondern ist das Klischee in seiner reinsten Form.
Die Fahrt endet nach fünf Stunden in einer anderen Stadt, wo das Schiff inzwischen angelegt hat. Die, die nicht mit dem Bus gefahren sind, machten einen Spaziergang an Land und befanden sich plötzlich inmitten von Industrieruinen, mit denen sich das Wort Sehenswürdigkeit doch ein heftiges Duell lieferte. Die Industrieruinen siegten und die Menschen kehrten schnell ins Paradiesschiff zurück, denn dort wartete das Mittagessen, Bingo oder sogar eine Tombola. Damit kann nicht einmal Rumänien mithalten.
Völlig erschöpft tauschen wir Infos über den Geschmack der Fischsuppe mit unseren schwäbischen Mitessern aus, befinden das Geschnetzelte für gut und ich kann sogar über meine eigenen Witze lachen. Neu ist für mich, das Fischsoljanka mit Oliven versetzt werden kann. Nicht so neu ist die Tatsache, dass ich mich nach einem kleinen Mittagsschläfchen sehne.
Eine Stunde, nach Beginn meines seligen Schlummers, klingelt der Wecker zum Kaffee. Dort erfahre ich einiges über die Zuckerkrankheit und ihre Auswirkungen. Nach dieser medizinischen Erfahrung wird mir wieder mein Auftrag ein Tagebuch zu schreiben, bewusst. Also sitze ich hier, schaue nachdenklich auf die überschwemmten Gebiete und schreibe mir die Worte vom Hals, wohl bewusst, nur das Wesentliche auf das Papier bringen zu können.
Ismail und das Donaudelta
Die Donau bleibt bis Ismail grau, die blaue Wunschfarbe der Wiener erfüllt sich höchstens nach ein paar Gläsern Whiskey, doch bis dahin bin ich nie gekommen. Obwohl noch ein Großteil der Flächen überschwemmt ist, (der Fluss ist ca. 2m zu hoch und nimmt pro Tag nur etwa 1cm ab) scheint die Natur auf große Strecken noch intakt. Sie verkraftet es besser als die an den Ufer liegenden Dörfer. Neben Grau- und Silberreiher begegnen uns auch immer wieder Kormorane. Kurz vor Ismail entdecke ich den ersten einsamen Pelikan, dann legen wir auch schon in der kleinen Stadt an und vor uns steht eine geradezu winzige Backsteinkirche. In deren Inneren befindet sich, wie ich später feststelle, ein reich verzierter Altar und ein kleiner Verkaufs- oder Souvenirladen. Mehr als 5-6 Menschen passen kaum in den Raum. Die Kirche fängt in dem tristen Hafengelände sofort den Blick ein, dagegen verkümmert der großzügig aus Stahl und Fenstern gebaute „Moskauer Bahnhof“ förmlich. Diesmal gibt es nach dem obligatorischen Frühstück, bei dem die Gespräche um Fußball, Wehwehchen und Rezepte dominieren, für die Stadtbesucher vollklimatisierte Doppelstockbusse. Für das obere Stockwerk bin ich eigentlich mit meinen 1,76 schon fast zu groß, wie ich schmerzhaft feststelle, doch Sylvia hat schon wie sooft unseren Platz festgelegt. Sobald sie meint einen interessanten Blick erhascht zu haben, ist sie vollends überzeugt, auch für mich richtig entschieden zu haben. Das sehe ich völlig anders, mag mich aber nicht so recht wehren zu wollen. Der Bus ist diesmal groß genug, so dass ich einen eigenen Fensterplatz bekomme. 10 Minuten nach Abfahrt des Busses, währenddessen uns die interessante Sehenswürdigkeit eines Minigolfes nähergebracht wurde, steigen wir vor einer Kirche aus. Meinen touristischen Ehrgeiz völlig ignorierend, meldet sich meine Blase zu Wort. Der Park bietet nur wenige Möglichkeiten den Blicken der Anderen zu entschwinden. Während die Reiseleiterin uns die historische Tatsachen näherbringt, durchforste ich den Park nach einer blicksicheren Stelle, die ich auch finde. Aah, das war gut. Die blaue, orthodoxe Kirche kann nun meine ungeteilte Aufmerksamkeit bekommen. Im Inneren, wie immer reichlich und bunt bemalt, befindet sich ein großer goldener Altar mit einer offenen Tür in der Mitte. Dahinter kann ich Kerzenständer und anderes liturgisches Gerät erkennen. Ein Priester zelebriert in einer blauen, mit viel goldener Borte abgesetzten Art Tunika sein Gebet, während die Gläubigen unentwegt ihre Kreuze mit drei Fingern schlagen (Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammen symbolisieren die Dreifaltigkeit, die zwei anderen gekrümmten Finger Adam und Eva). Gegenüber der Kirche befindet sich ein großzügiges, aber nicht allzu protziges Denkmal für die gefallenen afghanischen Soldaten der Stadt. Eine lebensgroße Figur teilt eine Landkarte von Afghanistan. Die Kirche ist uns Atheisten dann doch touristisch näher, wir stehen mit dem Rücken zu den unglücklichen Helden und fotografieren fleißig den Tempel Gottes, wohl in der Hoffnung auch IHN mal zu Gesicht zu bekommen. Unsere Gruppenandacht mit Kamera stören zwei Bettler, eine Frau und ein Mann, die äußerst aufdringlich betteln. Sie zupfen an Sylvias Ärmeln, sobald man sie anschaut, schlagen sie Kreuze und murmeln unverständliches. Soweit ich es bemerke, gibt niemand etwas, was die Frau nach einer Weile mit einem wütenden „Ne, ne“ kommentiert. Den humpelnden Mann weist inzwischen die Reiseleiterin energisch in die Schranken. Er gibt sofort Ruhe. Ich meine das Wort „Policia“ gehört zu haben. Wir wissen zu wenig über dieses Land, über die Ukraine.
Auf holprigen Straßen müht sich der Bus über den 6 Kilometer langen Suworow Prospekt, dessen Straßenbelag wohl noch aus Kriegszeiten stammt. Drei Minuten brauchen wir bis zum nächsten Ziel, einem Museum. Hier dürfen wir als erstes Bilder von Studenten der Kunstakademie bewundern. Interessant sind für mich Bilder von 11–14-jährigen Kindern, die erstaunlich erwachsen zum Teil wirken. Die einzelne Toilette im Museum ist hart umkämpft, wie immer bei den Landausflügen seit Rumänien. Nachdem ich diesen Kampf meisterhaft hinter mich brachte (wieso musste ich schon wieder) erfreuten sich unsere Sinne an einer kleinen folkloristischen Gruppe. Der siebenköpfige Frauenchor ist schon mehr als 29 Jahre zusammen, was man ihnen dann auch durchweg ansieht. Aber trotz Goldzähnen, Kopfwackeln und vielen Falten erreichen die Liedchen nicht nur unsere Ohren, sondern auch unsere Herzen, zu mindestens meines. Ich liebe russische Lieder und der Akkordeonspieler entspricht vollkommen meinem Bild von einem echten Russen (auch wenn er Ukrainer ist und dies nicht gern hören wird). Diese Lieder tragen so viel Gefühl in sich, dass mir schlichtweg die Worte fehlen dies zu beschreiben. Sie entführen mich in eine Kindheit, wo ich die russischen Märchen noch im Kino sah. Den Abschluss krönt ein deutschsprachiges Volkslied, dessen Text ich zu meiner Beschämung nicht kann. Das hier ist die Busfahrt wert gewesen.
Der Rest der Fahrt ist eher reizlos, da Ismail noch nicht so recht touristisch erschlossen scheint. Doch das Diorama von der Schlacht der Türken gegen Suworow 1770 beansprucht noch einmal meine volle Aufmerksamkeit. 26.000 Janitscharen und 4.000 Russen verloren an diesem entscheidenden Wintertag ihr Leben. 100 Jahre später wurde die Festung Stein um Stein abgetragen vom russischen Sieger. Heute ist auf dem Gelände eine Motocrossstrecke, die die entstandenen Krater ausnutzt. Die übriggebliebene Moschee mit dem Diorama war damals etwas abseits der Kampfschauplätze und überlebte die Schlacht.
Der Bus schaukelt 5-10 Minuten weiter. Der Ausflug hätte auch ohne weiteres zu Fuß in derselben Zeit gemacht werden können, aber wir haben halt eine achtzigprozentige Rentnerbevölkerung an Bord, natürlich rein touristisch gesehen. Eine junge Braut in Weiß überrascht uns bei der Ankunft am Hafen vor der kleinen Kirche. Ihr Kleid ist von zartem Tüll umgeben und ihr hübsches Gesicht verrät eine unbändige, beneidenswerte Jugend. Wer der Ehemann ist wird uns trotz intensiven Beobachtens nicht klar, da einige der in Frage kommenden Kandidaten aus der lärmenden Hochzeitsgruppe, vergnügt mit der Braut posieren.
Schon ganz ungeduldig erwarten wir die Fahrt in das Donaudelta. Doch zuvor kommt in Vilkovo, das wir um die Mittagszeit erreichen, ein lipowanischer Brauch auf uns zu. Der Dorfälteste steht mit einer kleinen Schar traditionell gekleideter Kinder an der Pier und hält in den Händen eine große Schale Brot und Salz. Der Gesang und Tanz der Kinder wird mit Schokolade und Kaugummi der Touristen belohnt. 145 Leute füllen die Tüten der kleinen Mädchen, da der Bordlautsprecher und ein speziell gedeckter Tisch schon seit Tagen fleißig dafür wirbt, solcherart nützliche Dinge zu kaufen und an das Kind zu bringen. Tradition ist Tradition und Geschäft ist Geschäft.
Die Fahrt auf einem Donaudeltaschiff ist nicht nur informativ, sondern atemberaubend. Schilflandschaften, soweit das Auge reicht, ein Refugium, das mir den Atem nimmt. Anfangs sind die Ufer des Kiriljenkoarmes von überschwemmten Gärten gesäumt, die etwas später Weiden und dann den riesigen Schilfflächen weichen. Vor dem doch etwas lauten Motorgeräusch des Schiffes lassen sich nur wenige Tiere sehen, da sie sich wohlweislich im Schilf oder unter Wasser verstecken. Die Vilkover produzieren ihr Obst, wie wir erfahren selbst und betreiben intensiven Fischfang, zu dessen Spitzenprodukt der Donauhering und der Hausen (Beluga) gehören. Letzterer kann bis zu vier Meter lang werden und bis zu einer Tonne wiegen, wird aber nur äußerst selten in dieser Größe gefangen.
Kurz vor dem Denkmal des Kilometer Null gibt es einen Wodka und besagten Donauhering – ich bin am Ziel meiner Wünsche, die ich tapfer mit dem für mich eigentlich ungenießbaren Wodka begieße und den Würgereiz bekämpfe. Das Schwarze Meer grüßt uns kaum 500 Meter entfernt mit schäumenden Wellen und am linken Rand des sich ins Meer ergießenden Donaustromes tummeln sich auf einem vorgeschobenen Eiland Pelikane. Fünfzehn Minuten dürfen wir dieses Schauspiel genießen, dann geht es zurück durch dieses einmalige Biospärenreservat. In einem kleinen See, der nahtlos in den Kiriljenkoarm übergeht, tummelt sich eine Schwanenfamilie. Zwei Kormorane posieren auf einem abgestorbenen, halb versunkenen Baumnest für die Kameras.
Auf der Rückfahrt vereinnahmt mich wieder dieses phantastische Delta (das Wort leitet sich vom griechischen Buchstaben ab, der der Form der Flusslandschaft entsprechen soll). Einige Gäste, so auch mein Nachbar, wähnen diese Rückfahrt schon als langweilig. Seine Augen ermüden bei der immerwährend, gleichförmigen Landschaft. Die Menschen sind schon zu satt geworden, um solche Schönheit zu begreifen. Der Tourist von heute ist gierig darauf erpicht, ständig in Atem gehalten zu werden. Ihm fehlt die Ausdauer für ein langanhaltendes Genießen.
Den bessarabische Rotwein, den wir kurz vorm Einlaufen in der Gabelstadt (Vilkovo kommt von wilko=russisch für Gabel, weil der Fluss sich hier gabelt) bekommen, empfinde ich als Nichtweinkenner für ungenießbar. Die Anderen hingegen schlürfen ihn genüsslich. Im Übrigen ist bessarabisch kein geografischer Begriff, er steht für eine gewisse Heimat und hat mit arabisch nichts zu tun. Er stammt von einem gleichnamigen Fürsten ab, dem es anno dazumal gelang, die Fürstentümer auf diesem Gebiet zu vereinen. Der Wein, den wir bekommen schmeckt weniger nach Geschichte, er ist für meine Begriffe staubtrocken. Weinkenner würden wahrscheinlich Lobeshymnen anstimmen, ich gab ihn schulterzuckend meiner Frau. Kurz darauf hat uns Vilkovo und das Abendessen wieder. Mit einem langen Blick auf die Donau und einem weiteren tieferen Blick in das Whiskeyglas lassen wir den anbrechenden Abend glücklich und zufrieden ausklingen.
Tag auf dem Fluss
Natürlich ist ein Tag auf See etwas Erholsames, man kann sich beruhigt entspannen, Sylvia badet im Becken drei mal sechs Meter und ich habe meinen runden Tisch aufgebaut, lausche den eigenen Worten und lasse vor meinem geistigem Auge die Geschehnisse ablaufen. In Ismail wurden Teile der Besatzung ausgetauscht. Tatjana, die gestrenge Blondine und ewig lächelnde Serviererin, die aus einem russischen Märchen zu kommen schien, musste mit anderen Mädchen gehen. Es bleibt ein Geheimnis, warum stattdessen Elena und Victoria kamen. Auch unser Zimmermädchen Okzana ist nun nicht mehr da und prompt fehlt mein zweites Kuschelkopfkissen. Die Neue hat es in das einklappbare Sofa eingebaut. Es dauert eine Weile, bis ich die Klapptechnik heraushabe. Der Bordalltag wird durch Quiz, Rätselblätter und Bingo ein wenig aufgelockert. Mit Bingo haben wir es schon am siebenten Tag versucht. Der Reiseleiter von nicko tours, auch Bordlautsprecher genannt, ein immer fröhlicher, steht zuvorkommen Mann, dem selbst Beschwerden das Lächeln nicht aus dem Gesicht zaubern können, verteilte die Bingoscheine und vergaß mich prompt. Im Prinzip bin ich das gewöhnt. Schon des Öfteren wurde ich in Restaurants, Cafés vergessen oder ignoriert, inzwischen bringt das mich weder aus der Ruhe, noch muss ich darüber nachdenken, aber diesmal war’s auf einem Schiff und mir dadurch neu. Ein kleiner Protest meinerseits und eine Entschuldigung unseres Bordlautsprechers, dessen Wortlaut mir ebenfalls nicht neu war, sowie das Gelächter der Anderen, brachten das Spielen ins Rollen. Die gesamte Bingobeute in Höhe von 28,00 € mussten sich aber zwei Mitspieler teilen. Sylvia und mir fehlten je fünf Zahlen. Was für ein Wunder?
Noch vor dem Frühstück reservieren wir uns einen Sonnendeckplatz und schleppen alles mit uns, was wir haben: e-book, Palm, Navi, meine Schreibutensilien, Kamera, Video, Fernglas, Kopfhörer und Handtücher. Die ersten Minuten verbringen die Sonnenhungrigen noch mit Stühle umher schleppen, rücken sich in die Sonne zurecht, zupfen die Handtücher gerade und allenthalben klickt die Kamera mal rechts und mal links, um die überschwemmten Uferregionen von Rumänien festzuhalten. Ab und an kommen Informationen und der Bordlautsprecher schnarrt übers Deck. Durch das Hochwasser hat unser Schiff schon drei Stunden verloren und so beschließt der Kapitän zusammen mit nicko tours, den heutigen Tag etwas umzugestalten. Der Stopp in Cernovodo entfällt und damit auch die Reise nach Konstanza. Wie uns unsere Schwaben versichern, gibt es dort nur eine Statue von Ovid und ein Casino. Wir hatten noch nicht gebucht. Uns erschien der Preis von 39,00 €, trotz in Aussicht gestellten Badevergnügens im Schwarzen Meer, zu hoch. Mal abgesehen davon, dass ich sowieso kein Badefreak bin. Die drei Stunden Fahrt hin und zurück und der anderthalbstündige Aufenthalt entfallen für viele auch zu Gunsten des Fußballspiels Deutschland gegen Holland (Holland hatte am Vortag gegen Uruguay gewonnen). Aber das interessiert mich herzlich wenig bis gar nicht, ich nehme die Information nur auf, um sie ein wenig später wichtigtuerisch weiterzugeben, als hätte ich vom Fußball irgendwelche Ahnung.
Nach dem häuslichen Einrichten aller Beteiligten auf dem Sonnendeck tritt auch bald Ruhe ein. Ab 10 Uhr kann man sich auf der Brücke noch mit dem Steuerrad fotografieren lassen. Der neue Kapitän hat sich etwas für seine Gäste einfallen lassen. Er bekam von den Passagieren schon Bonuspunkte, da er sich gestern Abend auf Deutsch vorstellte. Selbst meine Frau findet das Klasse, was an sich schon bemerkenswert ist. Ein wenig zu überheblich ist das schon, finde ich.
Der winzige Schiffsverkaufsladen stellt seine Souvenirs aus, um Käufer anzulocken. Das kleine Holzschiff gefällt mir sehr, wird aber als Staubfänger faktisch im Vorbeigehen von meiner Regierung abgelehnt. Irgendwann nach 10 Uhr wird die Ruhe, die ab und zu von Scharchtönen unterbrochen wird, wieder von einem seltsamen geschäftigen Treiben abgelöst. Viele haben ein Papier und knobeln vor sich hin. Aha, beim Länderquiz gilt es 32 Länder aus einem Buchstabensalat herauszufinden. Die ersten zehn gelingen mir gut, doch dann stocken meine grauen Zellen. Ich muss dringend aufs stille Örtchen und komme deshalb an einige Rätselrater vorbei und wie zufällig erhascht mein Blick mir unbekannte Wörter beziehungsweise Länder. Eine perfide Idee ist geboren. Zurück zu meiner Frau bilde ich sie sofort zu meiner geheimen Kundschafterin aus. Sie soll wie selbstverständlich zum Pool gehen und über die Schulter der fleißigen Rätsler schauen. Das gelingt auch bei einigen Wörtern. Leider ist die Fehlerquote sehr hoch, da meine fleißige Kundschafterin auch schon gefundene Länder mitbringt. Uns fehlen also noch fünf Länder. Nun mache ich mich auf Patrouille, damit es nicht so auffällt. Ich bemerke eine Dame, die schon fast alles zusammen hat. So zufällig wie möglich versuche ich an der Reling zu stehen und beobachte wie von ungefähr die Umgebung. Zur Tarnung habe ich mich mit dem Fotoapparat bewaffnet und mache irgendwelche nichtssagende Bilder. Dann versuche ich die fehlenden Länder zu erschielen. Leider hat sie ihren Stift genau an der Stelle, die ich lesen will. Ich gehe also in die Knie und tue so, als ob ich meine Schuhe zu binden will. Das ist eine blöde Idee, weil ich Klettverschlüsse habe und ihr reißendes Geräusch nun erst recht die Aufmerksamkeit auf mich lenkt. Also schaue ich so unschuldig wie möglich in der Gegend herum und bemerke zu meinem Erstaunen und noch größerem Entsetzen, dass meine kluge Idee mehrere Nachahmer gefunden hat. Einer davon ist genau der Mann von der Frau, die ich gerade im Visier habe. Der Typ steht ausgerechnet vor Silvias Tisch und spioniert ungeniert drauflos. Das ist ja nun mal frech.
Bis auf ein gesuchtes Land habe ich genug Informationen ergattert und beeile mich meinen Tisch zu bewachen. Was interessieren mich kurz vor dem Ziel die überschwemmten Gebiete oder sogar das einsame Pferd auf einer schmalen Landzunge inmitten von Wasser. Die Nummer 30 auf unseren Zettel scheint auch den anderen Gästen Probleme zu bereiten. Ein älterer weißhaariger Herr, mit dem ich schon öfters ein paar Worte gewechselt hatte, baut sich wie von ungefähr vor mir auf. „Na, auch beim Rätseln.“ „Ja, ich versuche es“, fast unauffällig schiebe ich die leere Hülle meines Navigators auf die Lösung, indes das Ding bedeckt nur einen Teil. „Wie viel fehlen denn noch?“„Einer.“, ich traue ihm nicht. Er versucht auf den ungedeckten Teil zu schauen. Ich ziehe weiter die Hülle herunter. Der verflixte obere Teil wird dabei sichtbar.“ Nummer?“ „30“, das Verschiebespiel geht in die nächste Runde, doch diesmal bleibt meine Hand mit dem Kuli auf dem unteren Teil. Ich bin halt clever. „Das bekommen wir auch noch hin.“ „Klar doch.“, nicke ich selbstbewusst. Er geht zurück zur Reling, bleibt einen Moment stehen, den ich schnell benutze, um das Blatt endgültig allen Blicken zu entziehen. Sylvia ist inzwischen auf der Suche nach Infos in die Bibliothek gegangen, während ich über dieses verdammte Land-Dingsda schwitze. Le, Li, Les, Leo, Leone – das ist es. Sierra Leone. Ich habe es. Die Enttäuschung ist groß, als mit mir auch drei Andere die ausgefüllten Blätter abgeben. Nun ja, unsere Spionagetätigkeit muss gründlich überdacht werden.
Die letzten zwei Tage war das Mittagessen eher fad, anscheinend haben sie den Koch auch ausgewechselt, doch das heutige Essen weist wieder Geschmack auf. Sylvia gefällt die Rinderzunge mit Meerrettichsauce und mir die Hähnchenroulade mit Paprikasauce, die geschmacklich auch diese Bezeichnung verdient.
Jetzt aber ist erst mal Mittagsruhe auf dem Sonnendeck und die meisten Leute schlafen oder dösen vor sich hin, manche lesen und einer schreibt. Ich schiebe mir den Hut aus dem Gesicht und schaue zufrieden auf die Donau, die hinter uns unaufhaltsam dem Schwarzen Meer zu strömt. Wir fahren gerade am Kilometer 270 vorbei.
So vergeht der Nachmittag in beschaulicher Ruhe und schon sitzen wir wieder beim Abendbrot. Wenn wir doch nur sitzen würden!! Aufregung pur herrscht in unserer Kabine 219. Der verdammte Safeschlüssel ist weg. Verschwunden, nicht aufzufinden. Panik breitet sich aus, der Hunger ist verflogen. Hektisch werden alle möglichen und unmöglichen Ecken durchsucht. Nichts. Das vermaledeite Ding hat sich aufgelöst. Schon 20 Minuten suchen wir verzweifelt, dann gehe ich zur Rezeption und melde den Verlust an. Der Offizier bleibt ruhig. Was habe ich mir auch anderes vorgestellt? Er kommt mit und versiegelt unseren Safe. Am Abendbrotstisch ergreift mich erneut Unruhe und ich mag nichts mehr essen. Ich gehe lieber suchen. Jetzt nehme ich mir vor, systematisch vorzugehen und fange in der linken Ecke des Zimmers an zu wühlen. Langsam werde ich wütend und ärgere mich über den zu erwartenden Obolus von 120 €. Die Welt ist schlecht und ich habe ein fürchterliches Leben. Zum -zigsten Male suche ich meine ¾ lange Hose durch, die an einem Haken hängt. Sylvia selbst hat sie zuvor schon mehrmals umgekrempelt. Ich fahre mit den Händen über den Stoff, in alle Taschen, dann erfühle ich unerwartet etwas Hartes. Es ist unglaublich, aber auf einmal ist dieser verdammte Schlüssel wieder da. Ausgerechnet an einer Stelle, die wir wohl am meisten durchsucht haben.
Die Welt ist wieder in Ordnung und mein Leben hat wieder einen Sinn. Die Schwaben an unserem Tisch bemerken als erstes mein breites Grinsen und schon gewinne ich meine gewohnte Contenance zurück und lese gut gelaunt einige meiner Nonsens-Gedichte vor. Das hebt die Stimmung ungemein, denn eigentlich ist ja nichts geschehen.
Am Heck bereitet Tamara meinen Abend mit einem Whisky vor, Sylvia trinkt einen Black Sea Drink, der mit Wodka und Kaffeelikör gemixt ist und zur Donau irgendwie wie zu passen scheint. Ich bemühe mich Tamara mit ein wenig Russisch aufzuheitern. Sie täuscht lächelnd Interesse vor und ich bin zufrieden. Der Tag könnte ausklingen, ganz langsam und ruhig, wenn nicht eine ältere, schlanke Person einen Marathonlauf quer durch unser Restaurant geplant hätte. Mit Höchstgeschwindigkeit düst sie an den friedlich Drinks schlürfenden Gästen vorbei. Das Schauspiel wiederholt sich alle paar Minuten, jeweils in umgekehrter Richtung. Die Schweizer hinter uns sind leicht genervt. Unsere Unterhaltung mit ihnen führt über den Laufweg der selbstbewussten Sportlerin, die auf die Forderung, ein wenig langsamer zu laufen, gereizt reagiert. Schließlich könne sie nichts dafür, dass die Schweizer ausgerechnet neben oder gar in ihrer Rennstrecke sitzen. Ab der Runde sieben beginnen dann die ersten Witze und jede weitere Runde wird mit einem fröhlichen Händegeklapper quittiert. Die Sportlerin reagiert zunehmend irritiert. Als Streckenberichterstatter sitze ich nun mehr so günstig, dass ich ihre Ankunft jedes Mal ankündigen kann. Nach Runde zehn werden inzwischen auch Fremdankömmlinge mit einem fröhlichen Sport frei begrüßt. Das führt im ersten Moment zu Irritationen bei den Neuankömmlingen und bei uns für Spaß.
Irgendwann nach Runde 13 bricht die Läuferin entnervt ab, sie hat genug. Mit der Vorstellung ihrer wütenden Eskapaden gegen uns, kehrt wieder Ruhe auf dem Heck ein und wenig später fallen uns in der Kajüte die Augen zu. Es geht weiter Richtung Nikopol.
Nikopol
Das Hochwasser begleitet uns weiter die Donau hinab. Zum Frühstück erfahren wir, dass Deutschland gegen Spanien 0:1 verloren hat. Nun gut die Schwaben bekommen halt kein Bier von mir. Jedes Tor Deutschlands hätte mich ein Bier für drei Schwaben gekostet. Damit tendiert der Preis gegen Null. Heute ist der erste bewölkte Tag und ein fröstelnder Ausblick auf dem Sonnendeck lässt uns nach dem Frühstück in den blauen Salon zurückziehen, wo wir uns mit einem Rätsel über Deutschland herumplagen. Wir bekommen sogar heraus, welche Stadt der ungekochte Holzstock bedeutet – es ist Ro(h)stock. Nur die Wasserstraße aus Niederschlag bleibt mir ein Rätsel. Hat Regensburg einen Fluss namens Regen? Er hat, wie ich später erfahre und wird als leichtestes Rätsel für mich fast unlösbar. Beim gestrigen Scherzfragenquiz gewannen wir und unsere Schwaben ein Puzzle. Sylvia ist in Scherzfragen ganz gut, aber Moses foppte uns ein wenig, weil die Arche nun mal von Noah tierisch gut bestückt wurde. Das Länderquiz gewinnen andere, weil blöderweise auch die Rechtschreibung herangezogen wird. In der Eile habe ich aus Bhutan – Buthan gemacht, aber so etwas passiert mir häufiger, lässt die einen geringschätzig lächeln und mich manchmal verzweifeln. Also Tschüss Sektflasche. Naja, der Spaß zählt.
Das letzte Reisedrittel wird durch einen Diavortrag unseres Bordlautsprechers Herrn Sörensen eingeläutet. Er beschreibt die noch ausbleibenden Touren und macht uns das Geldausgeben schmackhaft. Der blaue Salon ist proper voll und ein Herr uns gegenüber freut sich kindlich über seine fotografischen Fähigkeiten und knipst ausgiebig die Spiegeldecke mit sich selbst als Motiv. Nun vielleicht hat er eine neue Variante fürs eigene Schlafzimmer entdeckt, da er dieses seltsame Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht bekommt.
Viel sehen wir von Nikopol nicht. Auf der gegenüberliegenden Seite ist ein großer Industriehafen, der zum rumänischen Turnu Magurele gehört. Pleven, unser Zielort liegt 50 Minuten von Nikopol, einer nichtssagenden kleinen Hafenstadt, entfernt. Die gebuchte Busfahrt geht durch diverse kleine Dörfer mit unverputzten, teilweise lädierten und leerstehenden Häusern. Die erschreckende Armut der Menschen wird schlagartig sichtbar, obwohl oder gerade, weil 90% aller Häuser der Stadt in Privatbesitz sind. Bei Löhnen von 240 bis 600 Lewa (120 – 300 Euro) nimmt das nicht Wunder, da die Betriebskosten, insbesondere die Heizung etwa 250 Lewa verschlingt. So wird insbesondere die Nahrung von der Bevölkerung in kleinen Gärten selbst produziert, wie wir es schon in Kroatien kennenlernten. Die Stadt selbst bietet einen ernüchternden Anblick. Sie scheint sich gerade aus ihrer sozialistischen Pelle zu schälen. Zu deutlich sind die Vernachlässigungen aus der Shivkowschen Ära, die auch nicht durch die blühende westliche Werbung gemildert wird. Da ändern die immer wiederkehrenden Äußerungen der Reiseleiterin über den Privatbesitz an Geschäften nichts im Auge des Betrachters. Wir Ostdeutschen haben diese Phase des sich entwickelnden Kapitalismus durch den reichen Bruder im Zeitraffertempo erlebt und oft genug durch litten. Trotzdem liegt ein nicht unerheblicher Stolz in der Stimme unserer bulgarischen Führerin. Führer sind immer irgendwie stolz auf ihre Nation, jeder auf seine Weise. Unsere Reiseleiterin lässt den sentimentalen Wehmut der Serben völlig vermissen.
Wir besuchen das Panorama vom Sieg der Russen über Omar Pascha 1877 vor den Hügeln Plevens. Die Türken, deren Wirken uns seit der Hinfahrt über Ungarn immer wieder begegnete, hatten durch ihre Blutzollpolitik das Blut der Völker zum sprichwörtlichen Wallen gebracht. Blutzoll bedeutete die Verschleppung der 12-14jährigen Söhne der Bevölkerung in die Türkei. Dort wurden sie einer Gehirnwäsche unterzogen und mit ihrer umgekrempelten Seele auf ihr eigenes Volk losgelassen; mit verheerenden Folgen.
Diese barbarische, aber zu jener Zeit auch durchaus logische Tat, war aber letztendlich mit zu vielen Grausamkeiten verbunden und konnte keinen Bestand haben. Der Widerstand regte sich, trat zuerst vereinzelt auf und sollte zu einem Flächenbrand werden. Doch noch konnten die Türken diese aufflackernden Feuerchen unter Kontrolle bringen, bis dann die Russen eingriffen, mit durchschlagendem Erfolg. 200 Jahre nach der unbarmherzigen Schlacht, in der Omar sein Schwert an die Sieger in einer kleinen erbärmlichen Hütte an einem Pass übergeben musste, baute man den Gefallenen zu Ehren ein Panorama und ein Mausoleum, in dem die Gebeine der Gefallenen eine letzte Ruhe fanden. Das Mausoleum ist im Stile einer Moschee gebaut und säumt den Platz vor dem rot-weißen Rathaus in Pleven. Zu jeder vollen Stunden ertönen die Glocken, als primitive Tonbandaufzeichnung, so wollte es unseren verwöhnten Ohren scheinen. Das Ganze klingt eher wie ein übersteuerter Lautsprecher.
Sylvia findet wie immer wenig Neigung tote Knochen zu besichtigen und beobachtet stattdessen die balzenden Tauben. Doch ehe sie sich besinnt, das Schauspiel zu filmen, verliert der Tauberich das Interesse an der immer wieder ausweichenden Taubendame. Darüber ist mein holdes Weib augenscheinlich erbost und spielt wahrscheinlich gerade ein paar leckere Taubenrezepte im Geiste durch. Beim Verlassen der Moschee entdecke ich ein paar überdimensionierte Hainschnirkelschnecken, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob es sich auch um die genannte Art handelt. Ich fotografiere sie intensiv und von allen Seiten und mir fällt auf, dass mir wohl Pleven als Stadt der Schnecken in Erinnerung bleiben wird. Die Welt ist nun mal ungerecht.
In Nikopol angekommen legt uns die Reiseleiterin ans Herz, doch irgendwann einmal wieder zu kommen, falls uns Bulgarien gefällt. Ich muss eingestehen unsere Gedanken werden dem Land und den Menschen nicht gerecht, doch äußern wir diese Überheblichkeit nicht und bedanken uns artig bei Vivian. Inzwischen haben wir den Krieg und den Sozialismus vergessen und hoffen darauf, dass unser Abendessen ebenso gut gewürzt ist, wie unsere verwöhnten Gaumen dies erwarten. Zu unserer Erleichterung tritt genau dies ein und gedanklich verlassen wir Bulgarien noch bevor das Schiff überhaupt abgelegt hat.
Auf der gegenüberliegenden Seite, am rumänischen Ufer sehen wir gelbgrüne, giftige Nebel aus gewaltigen Schloten aufsteigen, die uns zwar ein paar Naturschutzbemerkungen abverlangen, andererseits sind wir aber beschäftigt mit der äußerst wichtigen Frage nach dem Geschmack unserer Suppe. Schließlich weiß ja auch jeder; dieser Nebel reicht niemals bis nach Deutschland. Nicht in diesem Urlaub.
Der abschließende Abend wird in das schöne Bild einer gelbrot-glühenden Sonne, die sich langsam hinter lauschigen Wäldern auf ihr Nachtlager vorbereitete, getaucht. Dabei erscheint sie auf der Donau wie eine sich in satten Farben spiegelnde Straße und macht einen besonders romantischen Eindruck. Die zahlreichen Zuschauer dieses Schauspiels fangen diesen Moment immer wieder ein. Später zu Hause beim Betrachten der Bilder muss man unumwunden feststellen, dass das reale Bild jedes noch so meisterhaft eingefangene Foto übertrifft. Sylvia amüsiert sich derweil mit einer Schwäbin bei der Tombola und gewinnt ein Parfüm von Armani. Da ich sowieso nie etwas gewinne, lass ich mir lieber meinen nächtlichen Whisky munden.
Zurück über die Katarakten
Bulgarien haben wir nun auch verlassen und schiffern über den serbischen Teil der Donau weiter. Das Hochwasser gibt inzwischen wieder die Ufer frei. Auf dem Sonnendeck ist eine friedliche Ruhe eingekehrt. Ich beobachte einen Vogel, der seine Kreise scheinbar endlos über die grünen Hügel zieht. Der anfangs stürmische Wind geht über in ein hautstreichelndes Wesen. Sylvia reckt sich genüsslich der Sonne entgegen. Ich kann nicht recht dösen, mein Kopf explodiert, ist voll mit Ideen, mit Geschichten, Erzählungen und Theaterstücken. So viel Hände kann ich gar nicht haben, wie die Lust in mir steigt, endlose Wortreihen zu bilden. Pink Floyd’s Melodien beflügeln mich. Dabei sehe ich dem Monteur gedankenverloren zu, der in der Nähe des Schornsteins werkelt. Dann vertiefe ich meinen Blick lange in die Wasser der Donau.
Hin und wieder wird meine nun gewonnen Ruhe durch Risse in den Gedanken gestört, durch tief sitzende Ängste, die mich aufwühlen. Was geschieht während der Reise zu Hause, ist dort alles in Ordnung? Kommt der Hustenreiz wieder, der mich am Anfang der Reise heftig quälte und auch jetzt immer mal wieder heimsucht. Gibt es unangenehme Post? Was ist nur geschehen, dass mir keine andere Wahl blieb, als aus der geliebten Theatergruppe auszutreten? Hab ich die eigentliche Schuld daran, obwohl mir nichts bewusst ist? Sylvia will von alldem nichts hören. Ihre Sorglosigkeit möchte ich haben. Dafür hat sie auch den entspannteren Urlaub. Sie genießt jeden Tag ohne die lästigen Unterbrechungen, die mich zuweilen bedrängen. Die Musik ist inzwischen nicht nur in meinem Kopf, sie scheint auch die gesamte Landschaft zu erfassen. Sie beschreibt die herrliche Aussicht, die wogenden Wälder, die sanften Wellen des Flusses und die Worte gleiten mir schnell aufs Papier. Es ist eine unglaubliche Symphonie aus Ekstase und Schönheit, deren einzelnen Fetzen ich in tiefen Zügen aufsauge und gleichzeitig Angst habe, loslassen zu müssen. Am Himmel baue ich aus Wolkenteilen Phantasiefiguren, puste sie auseinander, um sogleich mit einem neuen Bau zu beginnen, während die Sonne fortwährend an den Rändern der Gebilde frisst. Wir fahren auf das Eiserne Tor zu und Decebal erwartet meine Verneigung, bietet mir seinen Schutz an.
Jetzt zu schlafen, wie es viele auf dem Deck tun, wäre für mich eine unglaubliche Verschwendung. Kann ich diesen Tag beschreiben, wie er war oder beschreibe ich ihn nur so, wie ich ihn sehe? Vor uns tauchen in dunstiger Entfernung die Ausläufer der Karpaten auf.
Nach dem Passieren der Schleusen von Derjab am Eisernen Tor öffnet sich vor uns wieder die Kataraktenstrecke, der wohl schönste Teil der Donaufahrt. Schroffe Felsen engen die Donau ein, verjüngen sich zu steinernen Toren, um dann unvermutet wieder ein geräumiges Becken zu bilden. Gleich darauf werden sie enger und scheinen sich zusammenschließen zu wollen. Das Auge ist voll von großartigen Bildern und das Gehirn hat Mühe, die beeindruckende Landschaft auch nur ansatzweise zu speichern. Die klickenden Kameras bemühen sich wie so oft, die Wirklichkeit wenigstens teilweise einzufangen. Decebal oder Dekebalus grüßt, in Stein gehauen, vornehm die Vorbeifahrenden und schon schlängelt sich das Schiff zum nächsten Felsentor. Gleich darauf kommt das klosterähnliche rumänische Leuchtfeuer in Sichtweite. Die Sinne schlagen Purzelbäume und sind trunken von der Bildergewalt, dem Riechen und auch Schmecken der frischen Luft. Über uns spannt sich blau das Himmelszelt und die Federwolken berühren sanft die Felsspitzen. Der Wind spielt sacht mit den Wellen, steigert dann und wann sein Pusten und Wehen, zerrt an den Sonnensegeln, zerzaust das Haar, um kurz danach in die Wipfel der Bäume zu greifen und sich dann wieder sacht mit den Wellen zu beschäftigen. Am Ende der Kataraktenstrecke gleich hinter dem serbischen Leuchtfeuer, das sich relativ bescheiden präsentiert, steht ein Abendbrot nach Piratenart im Speisesalon. Man hat sich Mühe gegeben und den Saal mit Wimpeln dekoriert. Die Kellner tragen blaugestreifte Seemannsshirts und Gena, der ewig zuvorkommende Kellner, hat sich ein Mützchen mit dem Jolly Rogers Emblem gebastelt, was im Saal für Heiterkeit sorgt. Kurzzeitig nominiert er zum Star und posiert mit oder ohne Kollegin, keine Spur von Verlegenheit zeigend, vor den Kameras, die sich gegenseitig bedrängen und einander die Blitzlichter abjagen. Ein Gast, der mir sonst nur durch seine dicke Brille und seiner etwas mürrisch dreinschauenden Frau auffiel, genießt diesen Abend besonders. Ausstaffiert mit Piratenkopftuch, einem riesigen Pflaster im Gesicht und einem Armstumpf mit Enterhaken wird er zum Mittelpunkt des Gaudis. Unser Bordlautsprecher schminkte sich in Piratenmanier und humpelt, mit einer Wunde übers zusammengekniffene Auge, durch den Saal. Die Atmosphäre ist fröhlich und aufgelockert und Dimitrijs Melodien unterstreichen das Treiben.
Kurz vor dem Abendbrot gebe ich einer Frau das Gedicht „Sonnenuntergang“. Einen Abend zuvor hatte sie mich unbewusst inspiriert, den wirklich schönen Himmel am Abend samt seiner Spiegelungen im Wasser in ein Gedicht zu verwandeln. Natürlich sagte sie es bloß so dahin, da sie mich des Öfteren beim Schreiben beobachtete. Sie bedankt sich artig und ich halte es mehr für eine Höflichkeitsgeste. Natürlich schreib‘ ich gern und manchmal auch viel, halte mich aber kaum für einen Künstler. Es ist eine Art Therapie und macht mir Freude. Nicht mehr und nicht weniger. Zudem bin ich mir meiner holprigen Art zu schreiben durchaus bewusst und die Rechtschreibung muss ich ständig überprüfen. In der weiten Welt der Worte gehöre ich wohl eher zum dörflichen Teil und da vielleicht noch in die hinterste Ecke. Die Leute mögen oft auch keine Gedichte, die sich nicht reimen. Ich habe also diese Begebenheit, wenn es denn eine solche war, schon fast vergessen und will mit Sylvia den Abend wie immer am Heck beschließen, als mich ein mir unbekannter Mann von hinten anspricht und mir dankt. Einen Moment bin ich etwas verwirrt, sehe aber dann die Frau, der ich das besagte Gedicht gab und bin regelrecht baff. Ich habe den Nerv der beiden Ruhrpöttler, wie sich herausstellt, getroffen und zwar derart, dass sie mich spontan zu einem Bier einladen und auch Sylvia einen Bailey spendieren. So hatte sich noch nie jemand bedankt und die überschaubare Reihe meiner Fans erweiterte sich auf Nummer zwei und drei. Mit einer Emotion, die man der Frau auf den ersten Blick gar nicht zutraut, erzählt sie von ihren Reisen in den Jemen. Die Begeisterung ist in jedem ihrer Sätze spürbar. Vor meinem geistigen Auge entstehen mitten auf der Donau Wüstenwellen, die von Jeeps durchfurcht werden und riesige Staubfontänen hinter sich herziehen. Schwarzgekleidete Männer kauen unentwegt grüne Blätter bis ihre Wangentaschen Beulen bilden. Sie verhandeln mit den Reiseleitern über den Bakschisch der zu betretenden Gebiete. Im nächsten Moment befinde ich mich in Vietnam in einem sauberen, nicht üppig ausgestalteten Restaurant, wo die bestellten Speisen den gesamten Tisch bedecken und die Frau, ob der Fülle, kurzerhand andere Touristen einlädt. Das Mahl ist opulent, aber für den Preis auch fast geschenkt. „Für diesen Preis“, sagt der Mann aus dem Ruhrgebiet mit ruhiger, sachlicher Stimme „gibt es in Deutschland nicht mal eine Schnapsrunde.“ So plaudern wir in den Abend hinein, der aber irgendwann durch die Invasion der Mücken jäh unterbrochen wird.
Bevor ich mein Haupt müde in die Kissen drücke, fällt mein Blick auf das kleine Holzkästchen auf dem Tisch. Es sind kleine Seemannsknoten eingeklebt. Die Schwäbin an unserem Tisch hat ihn bei der Tombola gewonnen und schenkte ihn mir. Irgendjemand hatte sich vorgenommen mir heute unbedingt etwas Gutes zu tun. Zufrieden und selig schlafe ich ein.
Novi Sad
Es geht unweigerlich nach Hause, aber noch erwarten uns drei Ausflüge. Schon früh am Morgen sitze ich an der Seite des Schiffes und lasse das serbische Ufer an mir vorüberziehen. Es ist leicht hügelig, waldbewachsenen und zeigt von Zeit zu Zeit felsiges Gestein. Manchmal sind die Hügel mit alten Häusern betupft, die sich allmählich zu Orten zusammenballen, um dann wieder auseinander zu fließen und ganz zu verschwinden. Reiher und Kormorane fliegen nah am Schiff vorbei. Im nächsten Augenblick verschmelzen sie als kleine Punkte irgendwo mit dem Blau des Himmels. Der Fluss zieht sich kurvenreich durch die Landschaft. Ich schlemme an den herrlichen Bildern. Sylvia genießt das schöne Wetter auf dem Sonnendeck. Ich mag es heute mehr im Schatten und habe es mir an einem Tisch auf dem Seitengang des Schiffes gemütlich gemacht. Hinter mir klappert das Geschirr in der Kombüse, irgendjemand flucht auf Russisch. Trotzdem empfinde ich meinen Platz fast lauschig und lasse die Eindrücke vergangener Tage an mir vorüber ziehen, die prächtige Moscheen und Kirchen, das bettelnde Mädchen, Budapest bei Nacht, die verfallenen und halbgeputzten Häuser in Bulgarien, der traurige Blick der ungarischen Hunde, der unrasierte Alte in Ismail, die zerbeulten O-Busse, Tamaras Lächeln beim Bestellen des Whiskys, Decebals Lächeln, das abbröckelnde Grau des Sozialismus, die Wunden an den Häusern Kroatiens und die zerbombten Regierungsgebäude Serbiens, die Bordansagen, die Katarkatenstrecke und und und….
Bis heute habe ich 107 A5 Seiten, eine Kurzgeschichte, zwei Theaterstücke geschrieben, 6 Romane gelesen, und die Sinne meines Körpers ausgekostet bis zur Neige. Ist das nicht Glück und Zufriedenheit??
Am Frühstückstisch beobachte ich die Menschen; den Mann der jede aufgenommenen Wurstscheibe kommentiert, den Unentschlossenen, der sich einfach nicht entscheiden kann, welchen Saft er nehmen soll, den Unzufriedenen, der verzweifelt mit dem klebrigen Käse kämpft, die Missmutige, die ihren Teller mit stoischer Ruhe vollstapelt, die Jungsche, die sich wie immer schnell und behände um die Alten schlängelt und lächelnd jeden artig grüßt. Ich fange Wortfetzen auf“…die Reiseleiterin hat mir gefallen.“, „…das musste nicht sein.“, „…die Parkplätze, hast du die Parkplätze gesehen.“ Ich sehe auf die Münder, die Worte formulieren, höre das Auf- und Abschwellen der raunenden Masse. Sylvia versucht mit mir zu reden. Ich möchte aber in diesem Augenblick weiter in mir verweilen und reagiere kaum. Sie genießt das Frühstück in vollen Zügen, schlürft ihren Kaffee und lutscht an den Früchten. Irgendwann zieht es mich raus, die Warterei wird langweilig. Dann möchte ich nur noch schreiben und fange an zu maulen.
Novi Sad – Neusatz, lädt uns zum Verweilen ein. Diesmal besuchen wir auf eigenen Faust diese serbische Stadt, lassen die Festung buchstäblich links liegen und schlendern in der Hitze den Boulevard entlang. Die kleinen und großen Geschäfte interessieren uns nur am Rande, wir halten Ausschau nach den Nichtalltäglichkeiten und architektonischen Sehenswürdigkeiten. Dabei fällt uns nach dem Besuch eines Basars, den wir nur flüchtigen Blicks würdigen, der golddurchwirkte Turm einer Kirche mit der Aufschrift 1903 auf. Natürlich steuert Sylvia gleich auf die weit geöffnete Tür zu und plötzlich hören wir eine vertraute Sprache. „Du Deutscher?“. Ein altes bärtiges Gesicht, das in einem abgewetzten Hemd steckt, schaut uns erwartungsvoll an. Ich registriere den Stock und einen zusammengeknüllten Beutel, in dem Undefinierbares steckt. „Woher du kommen?“, fragt er. „Aus Ostdeutschland“. Er erzählt in gebrochenem Deutsch, dass er sieben Jahre in Berlin schwarz arbeitete und sein Bein (er meint die Knie) jetzt kaputt ist. Eine Rente von 500 Dinar (ca. 55,- Euro) beziehe er nun. Uns ist später nicht ganz klar, ob er monatlich oder wöchentlich meint, wobei ersteres wirklich arg wäre. Im Gegensatz zu anderen Leuten bettelt er nicht direkt, er bittet um Hilfe, vielleicht 5 oder 10 Euro. Obwohl ich das erwartet habe, kann ich mich nicht entschließen, einfach nur weiterzugehen. Zu persönlich war das kurze Gespräch, zu ehrlich sein Blick. Wenn mich schon mal Mitleid packt, dann ist es meist von besonderer Art, sehr zum Leidwesen meiner Frau. Völlig überrascht bin ich jedoch, als sie mir bedeutet, 5 Euro zu geben. Dass erlebte ich so noch nie. Es hat bei ihr weniger mit Geiz zu tun, obwohl ich ständig dahingehend frotzele, sondern eher mit Pragmatismus; gebe ich dem Einen, muss ich dem Anderen auch geben und dann werde ich nie fertig und auch ungerecht. Diese Logik ist aber heute irgendwie außer Kraft gesetzt. Diese Summe ist die bisher höchste, die wir auf einem Ausflug ausgaben, abgesehen vom Kauf des Netzteils für mein E-Book in Wien.
In den Gassen suchen wir die kleinen Durchgänge zwischen den Häusern auf, die Überraschendes bieten; Weinumrankte Mauern und die fast familiäre, vertraute Enge mit Minilädchen, sowie zahlreichen, beschaulichen Cafés, in denen das Raunen und Wispern zufriedener Menschen nachklingt. Sylvia interessiert sich für die Preise der Schuhe. Ihr Interesse erlahmt, aber schnell beim ernüchternden Vergleich, mal ganz abgesehen davon, dass die Absätze dieser „Stehschuhe“ eine Nummer zu groß sind. Die Brautkleider ziehen sie schon eher in den Bann und werden fachmännisch auf ihre Tragbarkeit begutachtet. Meine Aufmerksamkeit hingegen ist nur von kurzer Natur und gilt den hübschen Modellen, die sanften Stoffen umschmeichelt werden. Im Donaupark wird Sylvia von den Rotwangenschildkröten gefesselt. Intensiv beobachtet und filmt sie die kleinen „Schildas“. Ich muss sie von diesem Teich geradezu wegzerren.
Wir verabschieden uns von der Stadt und dem Park, schlendern an den vollen Parkbänken entlang, schauen den Liebespaaren ein wenig wehmütig zu und streben unserem Schiff zu. Die MS Dnepr liegt in voller Schönheit längsseits des Piers und bietet ein prachtvolles Kamerabild.
Zwei Motorboote reiten auf den Wellen unseres Schiffes entlang und halten uns am Heck mit waghalsigen Sprüngen in Atem, als wir die Stadt verlassen. Am Abend werden wir unerwartet schnell müde, so dass dieser Tag nicht wie gewöhnlich am Heck beschlossen wird. In der Kajüte begeben wir uns nach einem Gläschen Krimsekt und einem Bier ins Bett. Ich lese Sylvia noch mein Theaterstück „Bis ans Ende der Welt“ vor. Es ist ein Stück für und über Jugendliche um Werte und Ideale, die uns Erwachsenen fremd sind. Das Ganze ist umrahmt von einer Bühne mit surrealistischen Bildern. Sylvi ist sich unsicher, ob diese Bilder von den Jugendlichen auch verstanden werden. Außerdem soll ich einige Ungereimtheiten beseitigen. Es wird noch ein schönes Stück Schreiberei, da ich auch Rapmusik und Tanz einsetzen will. Das zweite Stück ist noch in Arbeit, sodass ich nur 2 Szenen vorlesen kann. In dem Stück „Der Bischof und das Mädchen“ geht es um die Rache einer zur Hure gemachten Frau an einem Bischof, der seinen mordlüsternden Bruder deckt. Den Mord an ihrem Vater habe ich gerade erst „geschafft“ und sie will wissen, wie es weitergeht. Da wird sie sich noch gedulden müssen, fürchte ich. Anscheinend habe ich in diesem ruppigen Mittelalterstück doch etwas Spannung aufbauen können.
Kalosza – Paprika und Puszta
Heute freuen wir uns auf die Pusztafahrt. Was so profan daher gesagt klingt, ist eigentlich, neben dem Donaudelta, unser zweitgrößter Wunsch. Wir kennen dieses typisch ungarische Bild nur aus dem Fernsehen und jetzt bietet sich uns ein klein wenig Wirklichkeit. Der Tag ist schon am Morgen schwül und beginnt mit der Flussfahrt von der Zollstation in Mohasz. Diesmal waren die Behörden schneller als auf der Hinfahrt. Es schließt sich erst mal ein gemütliches Sonnenbaden der Gäste an, während ich meinen Tisch aufbaue, das Schreibgerät zurechtlege und den großen Dichter mime. Immerhin muss mein Reisetagebuch gefüllt werden und ein paar Stücke warten auf ihre Weiterführung. Mit der Donau im Rücken, fallen mir Gedanken fast von selbst auf das Papier. Es ist fantastisch mit der Musik von Faun diesen Tag, diesen Strom zu genießen. Immerhin ist es schon der 12. Tag und noch nie waren wir länger als acht bis zehn Tage im Urlaub. Es tritt bei mir so eine Art Urlaubsmüdigkeit ein, die aber auch dem vielen ungewohnten Essen geschuldet ist und der doch immer wieder kehrenden Sorge um unser Zuhause, um unsere Tiere. Meine Gedanken kreisen häufig um Romero, meinen schwarzen, in diesem Jahr erblindeten vierzehnjährigen Kater.
Dann geht es endlich von Kalosza los. Erwartungsvoll stehen Sylvia und ich im Foyer des Schiffes, ausgestattet mit den Kopfhörern und zugehörigem Funkgerät. Beflissen steigen wir in den zugewiesenen Bus ein. Das Thermometer zeigt jetzt schon 24 Grad an. Es wird wieder ein verdammt heißer Tag. Wir erfahren etwas über die Hitze in Deutschland; 40 Grad sollen es dort sein. Das Wetter schlägt Kapriolen, es beschäftigt die Leute, freilich mehr durch Witze als durch wissenschaftliche Erörterungen. Sylvia hat plötzlich Bedenken wegen ihrer Balkonpflanzen, doch noch überwiegt ihr Urlaubsfeeling. Später werden wir stellen zu Hause feststellen, dass die gute Pflege der Nachbarin die Balkonpflanzen gerettet hat. Ein paar Straßen und Gedanken weiter befinden wir uns schon im Paprikahaus, dem sogenannten Sankt-Stephan-Haus. Überall hängen Paprikaschnüre herum, mehr als 1000 sollen es sein. Es erzählt uns durch Fotos und anderen Ausstellungstücken vom Leben der Paprikabauern. Der anschließende Besuch eines Bauernhauses bietet uns ein Bild vom Alltag einer ungarischen Paprikabauernfamilie. Natürlich sind die Farben touristisch aufgemotzt und täuschen eine Idylle vor. Das blau-weiß gestaltete Haus mit Schilfdach beherbergt neben dem unweigerlichen Souvenirshop auch allerlei ansehnliches Nebengelass. Die Hitze ist inzwischen erdrückend und gleich geht es in die Puszta. Diese rein touristisch erschlossene Puszta hat mit der Vergangenheit nur bruchstückchenhaft etwas zu tun. Damals waren die Männer monatelang draußen in der Ebene, hatten ein karges Leben und suchten Zerstreuung. Die Graurinder, Pferde und Menschen bildeten eine Einheit und es entstanden einzigartige Dressuren, die aber mehr dem Überleben dienten und weniger als Zirkusattraktion gedacht waren. Wo legt sich ein Pferd schon freiwillig hin und lässt sich weder durch Peitschenknall noch Pistolenschüsse aus der Ruhe bringen? Die Reiter können nicht nur auf den liegenden Pferden stehen, sondern benutzen die hockenden! Tiere auch als eine Art Sessel, den so genannten Pusztastuhl. Dazu gehört mehr als nur ein bisschen Vertrauen. Diese „Kunststückchen“ waren einerseits Spaß, aber andererseits zum Schutz vor Feinden gedacht, wenn es galt sich schnell in Deckung zu bringen und ganz plötzlich ab- oder aufzutauchen.
Das Kutschenrennen ist dann ebenfalls ein besonderes Spektakel. Es braucht einen zweiten Mann, der sich ähnlich wie bei Motorrädern mit Beiwagen, in Kurven als stabilisierendes Element erweist. Der stehende Ritt auf einem Sechserpferdegespann in vollem Galopp gibt dann das berühmte Tüpfelchen auf dem i. Nach den Staubwolken wird 40-prozentiger Pfirsischschnaps, schmalzgetränkte Schnittchen mit einem Hauch Paprika, Salzlaugengebäck bzw. –brot gereicht. Eine Kutschfahrt mitten durch eine Herde Graurinder und speziell aufgebautem Pusztainterieur bildet den Abschluss. Hollywood lässt grüßen, aber anders wäre es bei dieser Abfertigung von 150 verschwitzten Touristen nicht möglich. Wer individuelle Erfahrungen machen, Land und Leute näher kennen lernen will, ist bei unseren Kurzstreifzügen und dem gebotenen Programm fehl am Platz. Das Land lebt von diesem Massenansturm, ein Individualtourist bringt der eigenen Seele etwas, den Menschen hier nicht viel. Wir können Wein und Schnaps trinken, soviel wir wollen und auch vom Imbiss ist mehr als genug da. Wir kaufen uns das Horn eines Zackelschafes und eine Flasche Likör, die sich auf dem Schiff als äußerst lecker herausstellt. Etwas komisch im Kopf begeben wir uns glücklich auf die Heimfahrt. An einer Stelle bleibt unser Bus für einen winzigen Moment stehen und wir bewundern ein noch winzigeres Feld voller grünen Pflanzen, die ringsum von mannshohen Sonnenblumen eingekesselt sind. Die niedlichen Pflänzchen wachsen mal zum berühmten ungarischen Paprika heran. Jedenfalls zu einer der über zweihundert Sorten. Der Abend kann mit uns nicht mehr viel anfangen, wir sind zu müde für ihn. Noch kurz lassen wir den Tag an uns vorübergleiten, um uns dann auf die Nacht vorzubereiten, den Peitschenknall und die schnaubenden Pferde in den Ohren. Kurz vor dem Einschlafen wird mir bewusst, dass wir noch eine Kirche besuchten und den Orgelklängen lauschten, die jetzt in mir ihren wuchtigen, aber kurzen Nachhall haben. Die Puszta hat mich das beinah vergessen gemacht.
… und wieder Budapest
Zurück in Budapest. Ein schon vertrautes Bild empfängt uns an der Perle der Donau. Unser Bordlautsprecher, Reiseleiter Sörensen von nicko tours, gibt die gewohnten Informationen über Land und Leute in seiner gewohnt ruhigen und smarten Art. Die Nickotoursschiffe begleiten uns schon die gesamte Reise und legten bei kleineren Anlegestellen schon mal nebeneinander an, sodass wir durchmarschieren mussten. Dadurch wurde uns auch ein kleiner Blick in die „Stuben“ der anderen Touristen gegönnt. Heute nehmen wir in Budapest ein zusätzlich angebotene Ausflugspaket wahr; den Besuch des Parlamentsgebäudes. Dem Bordlautsprecher sei Dank.
Die Zeit davor überbrücken wir mit einem kleinen Stadtrundgang, der uns endlich auch zum Denkmal von Imre Nagy (Notsch ausgesprochen) führt. Der Politiker galt als Kopf der ungarischen Revolution 1956 und wurde im Zuge der Ereignisse 1958 hingerichtet. Heute steht er als Bronzeplastik auf einer Brücke und schaut mit ruhigem Blick im Gehrock mit Brille, Hut und Stock in das weite Rund. Ein zufällig vorbeikommender Passant könnte meinen, über einen imaginären Fluss zu gehen und dabei zufällig auf einen sinnenden Mann aus einer anderen Zeit zu treffen. Selten sah ich von einem Politiker ein eindrucksvolleres und schlichteres Denkmal.
Doch dann heißt es erst mal warten vor dem Parlamentsgebäude. Dieses Warten ist Gift für meine Blase und ein wenig geniert es mich, den Park vor dem imposanten Gebäude als letzte Rettung zu missbrauchen (war das nicht schon einmal so?). Aber ein Malheur an anderer Stelle ist sicherlich peinlicher. Am Eingang werden wir sorgfältig kontrolliert. Unsere Schwaben kommen nicht vom Fleck. Immer wieder schlagen die Sicherheitsgeräte an und das Dauerpiepsen belustigt uns zunehmend. Mit dem Eintritt in das Gebäude werde ich von der Pracht und den Farben schier überwältigt. Ist schon das Äußere beeindruckend, so ist das Innere schlichtweg unfassbar. Marmor und Goldauflagen wohin das Auge schaut, 8 riesige Säulen im Foyer, Prunk und fast schon ein bisschen Protz allenthalben. In den Fensterbänken gibt es nummerierte Messingablagen für die Zigarren der Abgeordneten aus der früheren besseren Zeit. Das Auge schwelgt im Überfluss. Im Kuppelsaal werden uns die Krönungsutensilien der ungarischen Herrscher, die schon Stephan’s Haupt zierten, unter einer Glasvitrine gezeigt. Sie steht in der Mitte des Saales und die Kuppel hoch über uns gibt das Licht frei für den Glaskasten mit den uralten Insignien der Macht. Für einen Augenblick wähne ich mich allein in diesem runden Saal und atme tief Geschichte ein, um dann von der brabbelnden Menge in den nächsten Raum geschoben zu werden. Hier traf man sich auf einem riesigen handgewebten Teppich zum Plausch. Auf den goldeingefassten, samtenen Rundsesseln in der Mitte oder den Wandsofas links und rechts des Raumes wurde einst Weltpolitik diskutiert, Kriege geplant und Politik für all die gemacht, die sie dann richten und austragen mussten. Die eigentlichen Ideen der Weltpolitik werden eher in der saloppen, vertraulichen Umgebung solcher dann doch relativ kleinen Räume geboren. Der Rest des Gebäudes im Plast dient dann nur den Verwaltern. Der Parlamentsaal ist halbrund gehalten und in seinen Ausmaßen ebenso riesig, als alles bisher gesehene. An den Wänden im Hintergrund sind Wappen mit historischer Bedeutung zu sehen und umrahmen zwei geschichtsträchtigen Wandbilder. Die 40t Blattgold laut Reiseleiterin sieht man dem Saal nun gerade nicht an, trotzdem blinkt und blitzt alles. Bald darauf stehen wir wieder im Freien und ich spüre noch eine geraume Weile den Nachhall dieses visuellen Erlebnisses. Die nachfolgenden Markthallen, die wir darauf besuchen, sind gefüllt vom Gedränge der Menschen. Auf zwei Stockwerken werden Waren aller Art feilgeboten, das meiste davon interessiert uns kaum. Hier wird gehandelt, gegessen, getrunken, verkauft, geflucht und gelacht, wie auf jedem anderen Markt der Welt. Unsere Ausbeute sind jede Menge Fotos, eine Kette für Sylvia im Wert von 1,- Euro und eine sehr scharfe Paprikawurst. Bald darauf ist die Markthalle schon wieder Geschichte und wir bummeln gemütlich über den Boulevard zum Schiff. Für einen kurzen Moment zieht mich eine Marionette in einem diversen Geschäft in ihren Bann. Der Preis von 78,- Euro scheint mir für diese Stabmarionette fast doppelt so hoch wie gewöhnlich und ich lasse die Finger davon. Sylvia vertröstet mich auf Bratislava, da in der Slowakei traditionell Stabmarionetten hergestellt werden.
Gleich nach dem Mittagessen geht es weiter mit dem Bus zum Donauknie. Der Halt nach ca. einer Stunde Fahrt in Esztergom ist uns willkommen, obwohl die Hitze im Freien nun schon wieder extrem ist. Der riesenhafte Dom zerdrückt uns kleine ankommende Menschlein förmlich und füllt den gesamten Blick von einer Seite zur Anderen und von der Erde bis zum Himmel hinauf. Dieser Monumentalismus des Glaubens und im Gegensatz dazu das Leiden der Menschen ist einfach nur überwältigend und irrational. Wie viel Verschwendung steckt in der Demonstration der Macht der Kirche. Ich denke, wenn es denn einen Gott geben würde, der hätte schon dem vielen Unrecht, die der Glaube mitbringt, in den Arsch getreten. Sodom und Gomorrha wurde für weniger in Schutt und Asche gelegt. Gäbe es Gott, würden ihm simple Denkmäler genügen. Natürlich ist dies Blasphemie und die Zeiten damals waren auch anders und Gott vielleicht auch. Nach einer Stunde ist der phänomenale Anblick, gekrönt durch den Besuch des Inneren der Kirche, auch schon wieder vorbei. Die Busse transportieren uns nach Visegrad (hohe Burg). Oberhalb der Burg machen wir einen Stopp in einem malerisch gelegenen Cafe mit sagenhaften Ausblick auf die Donau und zur Burg gegenüber.
Uns wir ein Kaffe kredenzt, der mir den Atem nimmt und auf den Magen schlägt. Ich nehme dann doch lieber einen Tee und genieße die Aussicht. Mir gegenüber sitzt ein junger Mann, der mit einem überdimensionalen Objektiv die Burg aus allen Perspektiven heraus fotografiert. Sorgsam säubert er immer wieder das Objektiv und den Bajonettverschluss der Kamera. Er führt sein ganzes Equipment in einer riesigen Tasche mit. Ich fotografiere auch sehr gern, aber wenn er nicht gerade professionell fotografiert, fände ich diesen Aufwand übertrieben und nebenbei auch zu teuer. Das ist aber mehr für mich ein Resümee als irgendeine Art von Kritik, die mir auch gar nicht zusteht. Plötzlich spielt eine ungarische Musiktruppe auf und geht von Tisch zu Tisch. Ein schmalziger Mann mit Brotkorb sammelt die Trinkgelder bei den Leuten ein, noch bevor sie die ersten Töne erreichen. So schnell wie er ist die Musikergruppe nicht und hinkt ihren Trinkgeldern ständig hinterher. Das ist manchmal das perfide an der Reise. Jeder will ständig abkassieren, für ein bisschen Folklore, für ein bisschen Reden. Selbst für das Schiff sind pro Tag und Person 6,- Euro eingeplant. Das sind schon allein für uns beide 180,- Euro. Bei 145 Passagieren macht das dann 13050,- Euro, wenn sich jeder daranhalten würde; summa summarum 217,- Euro für jedes Besatzungsmitglied. Es scheint, dass die Redereien dies als Gehaltszulage einrechnen. Wer eine weite Reise macht, der soll auch kräftig zahlen. Eine einfache und durchaus nachvollziehbare Denkweise. Freilich muss man gerechterweise auch sagen, dass niemand gezwungen wird, die Trinkgelder in der vorgeschlagenen Höhe zu geben. Wer geizig bleiben will, kann dies ohne Einbußen oder schlechtem Gewissen tun. Außerdem ist es nun auch wahr, dass all diese Menschen, die täglich für uns ihre Dienste tun, froh wären, nur einen Bruchteil unseres Reisebudgets zu besitzen. Jede Medaille hat nun mal zwei Seiten.
Die Burg ist faszinierend und eigentlich eine restaurierte Ruine, prächtig geeignet für ein Mittelalterspektakel mit Bühnen. Verwinkelte Gänge und Ausstellungsräume, sowie der umgreifenden Blick auf die Donau geben dem Ganzen ein unnachahmliches Ambiente. Wir sehen gleichzeitig die Ferne und die Nähe und sind immer wieder erstaunt über die grandiose Weite der hügeligen Landschaft. Das Donauknie, eine kleine Absonderlichkeit im Verlaufe der Donau, präsentiert sich links unterhalb des Flusses im sanften Schwung. Ich durcheile die Burg um keinen Winkel zu verpassen. Sylvia kommentiert dies mit einer spöttischen Bemerkung über die mir eigene Hektik. Ich selbst bin mir dieser Hektik nicht bewusst. Noch mehr Ruhe und ich wär tot. Treppauf und treppab spür ich das Alter der Steine unter meinen Füßen und möchte für einen Moment die Gewandung damaliger Zeit tragen und auch sanft ein wenig das Flair des Burgtreibens spüren, wissend, dass mich dann doch diese Zeit schrecken würde. Nach diesem Eindruck, den ich tief in mir aufnehme, spür ich schon im nächsten Augenblick das Rütteln des Busses und hole tief Luft.
Bratislava
Bratislava breitet seine Arme aus und wir ankern vor der Brücke mit dem charakteristischen Pylon. Hoch oben an seiner Spitze hat ein Ufo festmacht. Es ist ein Restaurant. Gleich gegenüber reckt stolz die markante Burg ihre vier Türme in den Himmel, von der Bevölkerung respektlos „umgekehrter Tisch“ genannt. Die Stadt, Hauptstadt der Slowakei, war früher Krönungsstadt der ungarischen Herrscher. Immerhin 11 von ihnen bekamen ihr gottgewolltes Amt in der Krönungskirche verliehen, einschließlich Maria Theresia. Die Innenstadt ist anheimelnd und hat die triste Farbgebung vergangener Regimes überstanden. Interessant sind auch die Bronzeplastiken, verteilt über die gesamte Altstadt. Da lugt ein Bronzepaparazzi scheinbar blitzschnell um die Ecke und schießt mit langem Teleobjektiv ein Foto, Napoleon schaut jedem wie von ungefähr an einer Bank über die Schulter, da hinten lugt ein Arbeiter aus einem Gully, wohl den Frauen unter die Röcke, und grinst übers ganze Gesicht. Er hat sein eigenes Verkehrsschild; „Man at work“. Das ist mehr als originell. Selbst unser Halle an der Saale hat inzwischen einige Figuren in verschiedenen Farben, die eilenden Passanten nachempfunden wurden.
Endlich finde ich einen Souvenirladen mit meinen geliebten Marionetten. Ich würde gern mehrere kaufen, aber Sylvia bremst mich. Sie hat ja recht, aber das muss ich ja nicht zugeben. Ich entscheide mich für eine Figur, die ich insgeheim das „schlechte Gewissen“ nenne, weil es mit dem Geld der Schwaben bezahlt wird. Na gut, ich habe mich angeboten, den Urlaubsfilm zu gestalten, aber dafür einen Vorschuss von 50 Euro zu bekommen, ist mir peinlich, obwohl ich zugeben muss, dass es mir auch schmeichelt.
Die Verkäuferin ist ein Verpackungsgenie; jung und desorientiert. Ganze 15 Minuten sucht sie nach einem geeigneten Karton. Ich bin schon versucht die Figur einfach zu schnappen, zu bezahlen und ohne Verpackung zu gehen, da hat sie endlich einen Pappkarton gefunden. Vorsichtig wird die Marionette, die einen Landstreicher darstellt, mit viel Papier erstickt und das Ganze dann bedächtig zugeklebt, mit schönen maßgenauen Streifen. Diese Prozedur bringt mich unweigerlich in Wallung. Ich überlege krampfhaft, was wohl geschieht, wenn ich noch eine Figur kaufe. Liebevoll sehe ich Sylvia an, die mir solche Katastrophe mit einem resoluten „Brauchen wir nicht“ schon beim Eintritt ins Geschäft ersparte. Die Beute triumphierend in der Hand schließen wir uns wieder unserer Gruppe an, die auf Bänken ihre Pause machen. Unser kleiner Trip in die restliche Altstadt wird auf dem Platz vor dem Regierungsgebäude beendet.
Auf dem Schiff herrscht Aufbruchsstimmung. Viele sind schon mit ihren Gedanken zu Hause und bestürmen unseren Bordlautsprecher mit Fragen nach dem Wie-und-Was der Abfahrt in Passau. Geduldig beantwortet er wie immer alle Fragen, wiederholt, erklärt und hat dann noch eine witzige Bemerkung und ein Lächeln parat. Kein Job für einen Choleriker. Vielleicht hat er einen Punchingball in der Kabine, wer weiß das schon.
Am Abend genehmigen wir uns vor dem Folkloreabend noch einen Drink in Tamaras Heckbar. Ich habe diese unaufdringliche, blonde Ukrainerin in mein Herz geschlossen. Manch angenehme Minute verbrachte ich mit ihr bei einem Plausch und natürlich war sie zu mir mindestens genauso nett, wie zu den anderen Touris. Trotzdem mag ich sie besonders und Sylvia verewigt uns auf einem Foto. Tamara ist nicht einmal eine besondere Schönheit, aber ihr rundliches Gesicht, ihre Figur, das ganze Drum und Dran erinnert mich bei ihr an meine geliebten russischen Märchen. Sie hat für jeden einen sehr sympathisches Lächeln und ihr sieht man nie an, wie sie sich wirklich fühlt. Dagegen ist die Kellnerin der Schwaben ein russisches, pardon ukrainisches, Vollblutweib. Sage zu einer Ukrainerin nie Russin, so wie du einen Sachsen schlecht Bayer nennen kannst. Ihr Gesicht zeigt stets ihre Stimmung an und man spürt deutlich ihr feuriges Temperament, das manchmal ein wenig mit ihr durchgeht. Ljudmilla beweist am Abend beim Bordprogramm ihr Talent zum Tanzen in typischer russischer Tracht (ich habe es schon wieder gesagt – russisch). Die Talente sind dünn gesät auf dem Schiff. Sie beschränken sich auf die Tänzerin, auf Dimitrij, der mit selbstgeschriebenen seichten russischen und rumänischen Liedern uns beglückt, sowie einem Mechaniker, der Kalinka singen kann. Dazwischen hüpft noch eine Reinigungskraft mit roten Fahnenkleidern an uns vorbei. Ich will nicht überheblich oder gar sarkastisch sein, sie geben sich redlich Mühe uns zu unterhalten. Ich denke, mir steht auch kaum das Recht zu, die Nase zu rümpfen, da ich aus eigener Erfahrung weiß, was es heißt, auf der Bühne zu stehen. Und ich habe dort jede Minute genossen. Mir kommt die Galle hoch, wenn ich die Umstände bedenke, warum ich das nunmehr nicht kann. Unglückliche und für mich unverständliche Umstände haben mich dazu getrieben dieses Hobby zu beenden. Jede Phase meines Körpers erinnert mich an diese Zeit. Es vergehen auch hier auf dem Schiff nur wenige Tage, wo ich nicht an die Ereignisse zurückdenke. Noch ist das so… Darum verdient diese kleine Vorführung, die den Beteiligten auch sichtlich Spaß macht, einfach nur eine gewisse Hochachtung. Nicht jeder hat den Mut sich zu präsentieren und im Zweifelsfalle auch zu blamieren. Immerhin war es mehr Programm als die fiedelnden ungarischen Musiker mit ihrem Münzkorb, der der Musik stets vorauseilte. Zufrieden und auch ein bisschen betütert von Wein und Whisky nimmt uns Morpheus in die Arme.
Durch die Wachau
Wir legen in aller Herrgottsfrühe an Krems an und schon zum Frühstück sind es 22° Celsius. Es wird wie jeden Tag der Reise wieder heiß. Nur ein- oder zweimal spürten wir für kurze Zeit Regentropfen auf der Haut und erlebten sogar ein Gewitter mit heftigem Regen. Das war am Abend zuvor und wir saßen gemütlich mit einem Whisky in der Hand an der Heckbar. Heute ist unser Ruhetag an Bord. Nachdem wir uns klammheimlich mit etwas Reiseproviant für die morgige Heimfahrt eindeckten, sichern wir uns nun Liegeplätze auf dem Sonnendeck. Heute hat ein Schwäble Geburtstag. Reini wird 76 Jahre alt. Rose lässt ihm in der Küche eine Schwarzwälder Kirschtorte backen. Der junge Koch hat so etwas noch nie angefertigt und Rose muss ihm erst das Rezept erklären. Als gelernte Konditorin kennt sie sich damit aus. Von den Schwaben werde ich Bio genannt, wie sie mir verraten. Das schmeichelt mir ein wenig. Ich gratuliere Reini und wir reiben unsere Bäuche aneinander. Für den Nachmittag habe ich ein Gedicht vorbereitet, dass Rose in Auftrag gab. Ich schrieb den Text schon vor ein paar Tagen auf. Sylvia gefällt es und das ist schon mal ein gutes Zeichen.
Wir sind in der Wachau, Krems bildet sozusagen das Ende dieser malerischen Landschaft. Diesmal machen wir keinen Ausflug, weil wir uns vorgenommen haben, den Urlaub im nächsten Jahr unbedingt an diesem Fleckchen Erde zu verbringen. Hier hat Gott sich etwas ausgeruht und hinterließ wohlwollende Spuren. Von Krems aus passieren wir Dürnstein, die Perle der Wachau mit der Kuenringburg, wo schon Richard Löwenherz nicht ganz freiwillig weilte. Es geht vorbei an Weissenkirchen und seinem Wachsmuseum, weiter flussaufwärts liegt direkt am Ufer Spitz, berühmt durch die Filme von Moser und Hörbiger. In Melk haben wir einen kurzen Halt zur Aufnahme der Ausflügler, die in Krems starteten und die Dörfer durch die Glasscheiben des Busses bewundern durften. Wir hatten derweil einen wunderschönen Blick auf die ufernahen Sehenswürdigkeiten, die von unserem fleißigen Bordlautsprecher kommentiert wurden. Ich genieße diesen Tag und schreibe ausnahmsweise gar nichts. Der Text entsteht erst einen Monat später. Sylvia gönnte sich zwischen dem Blick in die Weite immer wieder ein Bad im Pool. So vergeht der Tag mit Dösen und die 34 km lange Strecke an der Uferlandschaft der Wachau ist schnell vorbei, als wir uns schon zum Geburtstagskaffe treffen. Reini muss erst geholt werden, fast hätte er seinen Geburtstag verpennt. Die servierte Torte ist schon ein reiner Augengenuss. Ich deklamiere mein Gedicht und ernte Beifall und ein glückliches Lächeln. Dafür lasse ich mich auch zu einem Stückchen Torte breitschlagen, obwohl sie nun gar nicht so recht mein Fall ist. Der fleißige Koch hat sich ein halbes Bein ab gefreut, als ihm Rose 10 Euro für sein Kunstwerk zusteckte.
Der Rest des Nachmittags besteht aus rein organisatorischen Dingen, Empfang der Banderolen für die Koffer, Terminabsprachen, Bezahlung der Rechnung, fotografieren des Schiffes. Am Abend lädt der Kapitän Anatolij Skopin, sein Hotelmanager Sergej Anissimow und der Kreuzfahrtleiter (Bordlautsprecher) Sönke Börensen zum Abschiedsempfang ein. Nach ein paar netten Worten wird das Galaessen serviert. Es besteht aus Wodka, den ich mir verkneife, gedünsteten Lachsschnitten an Rahmsauce für Sylvia und gegrillte Tournedos vom Rinderfilet an Pfeffersauce für mich. Dazu wird Käse und Tafelobst gereicht. Wir freuen uns auf die Heimreise und genießen diesen letzten Abend zusammen mit unseren Schwaben. Reini lädt alle zu später Stunde in die Bar ein. Wir können trinken, was wir wollen. Ich führe noch meine neu erworbene Marionette vor und rezitiere ein, zwei meiner Nonsensgedichte, die Heiterkeit hervorrufen. Beschaulicher kann der Tag nicht ausklingen.
Epilog
Alles hat ein Ende und diese Reise auch. Vor Passau müssen wir noch eine Weile in einer Flusskurve ankern, da es verboten ist vor acht Uhr in die Stadt einzufahren. Der Bordlautsprecher ist so früh nicht gewünscht. In Passau selbst geht alles sehr schnell. Wir verabschieden uns von unseren Schwaben sehr herzlich und wissen, dass wir uns im Oktober dann in Stuttgart treffen. Bis dahin habe ich den Reisebericht und den Videofilm geschafft. Unser Busfahrer ist unfreundlich und will nur schnell weg – Richtung Heimat. Mir ist seine Laune egal und wir machen es uns in den Sitzen gemütlich. Ich habe Zeit die ganze Reise an mir vorübergleiten zu lassen, doch meine Gedanken sind schon zu Hause, bei meinen Tieren. Ich denke an mein Hörnchen, den Fischen und Krebsen, den Degus, den Schildkröten, dem Leopardgecko und meinem blinden Kater, der von unserer Nachbarin, genau wie die anderen Tiere auch, liebevoll umsorgt wird. Die Reise hat viele Eindrücke hinterlassen und ich freue mich schon auf die Arbeit an den Reisebeschreibungen, den über 400 Fotos und vielen Videoschnipseln. So bleibt uns ein langer Nachhall.