Poesie und Lyrik

Ich fotografiere nicht nur gern, sondern schreibe auch Gedichte oder Geschichten. Es stellt für mich eine Art Seelenreinigung dar. Es handelt sich zwar um eine Fiktion, doch vieles ist tatsächlich geschehen, insbesondere die Schulgeschichten.

Reisen

Ca. 16:00
Fangen wir mal den Bericht von hinten an. Also aus Sicht meiner liegenden Gestalt in Couchposition zu Hause. Sozusagen in wehleidiger Position nach kilometerlangem Wandern durch eine Blumenparadies mit obskuren und bekannten Blüten, mit Menschenmassen, Currywurst, denkwürdigen Gesprächen und blankem Staunen. Das Ganze nennt sich Buga Erfurt und zeigt die schöpferische Fantasie in Sachen Gestaltung, die dem Menschen eigen ist. Natürlich ist das immer an die Natur angelehnt und hat Struktur, während die Natur strukturlos erscheint aber evolutionistisch reagiert. Wie auch immer gehen wir also jeweils einen Schritt zurück, bis wir zum Anfang kommen.

ca. 14:00
Die Autofahrt nach Hause ist eigentlich wenig dramatisch, wenn man davon absieht, dass ich zwei Abfahrten auf der Autobahn übersehe und eine Ehrenrunde drehe, aber das ist bei mir halt typisch. Einige nennen das schlicht chaotisch, meine Frau weiß etwas von unkonzentriert, andere seufzen nur hörbar. Aber ohne diesen Umstand wäre ja der Tag perfekt. Hallo, doch nicht mit mir! Sonst ist nichts los, außer die Radiosendern, die einfach nicht funktionieren wollen. Insgesamt also eine ganz normale Autofahrt nach Hause, wo meine Couch ruft. Fast schon langweilig.

Ca. 13:30

Auf dem Parkplatz ruft mich noch die beste Freundin an. Sie hat ein Computerproblem. Ich schalte meine eine Gehirnhälfte in den Computermodus und die andere Hälfte in den Automodus. Meine Frau guckt von skeptisch über verzweifelt bis entsetzt.  Aber irgendwie klappt es und ich komme nach einer Ehrenrunde aus der verzwickten Baustelle heraus.

Ca. 13:00
Kommen wir, also immer noch zeitlich rückwärts gesehen, zum letzten Weg in Richtung Auto, der natürlich, wie kann es sein, seinen Anstieg hat. Warum auch nicht, war ja alles bergab vorher. Wir kommen vom japanischen Garten, der sich an einen Berghang schmiegt, davon gleich mehr. Aus Vogelperspektive sieht man zwei Gestalten den Berg hochschleichen, die Rundkugel vorn, das Anhängsel weiter hinten und irgendetwas sagen wie: „Warum rennst du so?“ Na, weil das Auto ruft und ich mich nach einer Currywurst sehe. Inmitten von Gärten, Obstbäumen, Kräutern, Blumenbeeten, soweit das Auge reicht und Menschengedränge steht mir der Sinn nach einer simplen Currywurst. An einem Stand mache ich Fassbrause aus. Doch 0,2 l mit 4,50 € für Schlabberwasser bezahlen zu müssen, haut dem Fass den Boden aus. Wir schleppen uns zur nächsten Currywurstbude und für die Wurst musste ich denselben Preis bezahlen – 4,50 €. Doch im Warten auf die Zubereitung, die etwas dauert (nur 20 Minuten, ich dachte schon, die haben mich vergessen), kommen wir mit Dortmundern ins Gespräch, denen ich gleich mal eine Visitenkarte in die Hand drücke und von meinem Verein erzähle. Fast hätte ich denen etwas vorgespielt, aber der Currywurstgarten war voll mit Menschen und Sylvia hätte sich wohl woanders hingesetzt. Die Dortmunder wollen mal irgendwann zu einem Stadtrundgang kommen. Ich vergnüge mich mit meiner Currywurst und freue mich auf die Heimfahrt. Mein Kopf ist randvoll mit Bildern.

Ca. 12:00
Die BUGA, unendliche Weiten, eine satte Pracht und Himmel und Menschen. Wir kommen gerade von den schönsten Blüten der Welt und befinden uns vor den japanischen Gärten. Ich höre einem älteren Paar zu und mische mich mit einem Reim ein: „Sieh die Schönheit der Natur, Steine und auch Bäume, ist’s wovon ich träume, auf das ich dies nicht versäume, ist’s für die Seele doch eine Kur.“ Die beiden sind erstaunt vor dem spätgeborenen Goetheverschnitt und wir schnattern ein wenig über dies und das und natürlich über meinen Verein. Soll die Welt ruhig wissen, dass es uns gibt. Irgendwann trennen sich die Wege und wir genießen den sorgsam angelegten Gärten mit aufgetürmten Steinbergen, harmonierenden Sträuchern, Bäumen und immer wieder kleinen Bächen und Wasserfällen. Wenn die vielen Menschen nicht wären, wär es eine unendliche Ruheinsel. Trotzdem bleibt es ein Genuss, wie sich die Pfade verengen, den Blick auf die durchgestylte optische Schönheit freigeben, bis ich einen Mann entdeckte, der von einem Baum eingehüllt ist. „Schau mal“, sage ich zu Sylvi, „Da ist einer im Baum verwachsen.“ „Ach was“, grinst der andere Mitarbeiter der BUGA, neben mir stehend: „Der hält nur die Zweige fest, bis die Besucher weg sind.“ „Gut“, erwidere ich, „Dann ziehe ich meine Bewerbung für eine Gartenarbeit hier zurück.“ Der Mann lächelt weise. Am Schluss dieser Oase des Yin und Yang entdecke ich einen Mann, der einen Stein mit Loch fotografiert. „Oh“, sag ich, „Ein Stein mit Loch und er fotografiert ihn doch.“ „Das reimt sich ja“, freut sich der Mann. Ich werfe ihm noch ein paar Reime um die Ohren, die ihn flüchten lassen. So kann ich endlich selbst fotografieren. Kunst kann eben auch eine Waffe sein. Wir sind am Ende des Parks angelangt. Es kann nach Hause gehen. Wir wenden uns in Richtung Ausgang und sehen einen ansteigenden Berg vor uns. Sylvia holt tief Luft und setzt an.

Ca. 11:30 Uhr
Wir befinden uns in einem Skulpturenpark. Hier stand mal eine Residenz, von der noch einige Reste zu sehen sind. Auf den Turm gehen wir nicht, da steht eine Schlange davor und ich hasse anstehen. Außerdem ist das Ding nur hoch.  Überall stehen nackte Skulpturen inmitten sorgsam angelegter Beete. Wir finden ein Plätzchen in der Nähe einer sitzenden Mädchenskulptur und kümmern uns um unser leibliches Wohl. Ich beobachte die Menschen. Ein Pärchen geht an uns vorüber. Der Mann bleibt unmittelbar bei der Plastik stehen. Jetzt wird es spannend, freue ich mich. Er zückt das Handy, schaut sich verdächtig um, während seine Frau in die Gegend herumzeigt. Der gute Mann fährt mit dem Handy ebenfalls in der Gegend herum, schwenkt ganz plötzlich zu der Skulptur und löst aus. Schnell ist das Handy in eine andere Richtung gehoben, bevor seine Frau bemerkt, dass er eine neue Bettlektüre hat. Sylvia fragt, was ich beobachte. Ich reime, zugegeben etwas derb: „Schau der Mann fotografiert den Akt ohne Geländer, ich hoff‘, er hat jetzt keinen Ständer.“  Nun ja, manchmal überkommen mich so kleine Sinnesfreuden. Nach diesem bedeutenden erotischen Moment haben uns die Pflanzen wieder und wir befinden uns inmitten riesiger Schilfe und Gräser, die über unseren Köpfen zusammenschlagen. Wir sind im Paradies und uns erwartet ein neues fernöstliches Paradies, der japanische Garten.

Ca. 10:30 Uhr
Ein Blumenbeet nach dem anderen mit Blüten in allen Farben. Fuchsien, Pelargonien, Dahlien, Rosen, ein Farbenmeer. Wir fließen im Strom der Menschen mit, meine Kamera klickt, die Welt ist prächtig aufbereitet. Gott war hier und mit ihm Schönheit. Immer wieder bleiben wir stehen, schwenken ab vom Weg, gehen mitten hinein in die Blütenpracht und erfreuen uns an Dingen, die in der Natur ohne den Menschen niemals so wachsen würden und könnten. Das Blumenmeer ist fürs Auge, für den menschlichen Sinn nach Ordnung, die Blumenpracht von kurzer Dauer. Schon beginnen die Rosen ihr kurzes Dasein zu beenden, während die Iris noch auf ihr Erwachen wartet. Es ist die falsche Schöne, die sich schminkt und die nur wenige Menschen kennen, wenn sie ungekämmt und mit Augenringen aus dem Bette steigt. So ist das Blumenmeer gestylt durch menschliche Hand, die Blüten überdimensional, was Natur sich nicht immer so erlauben kann. Ich versuch mich nicht zu tief in diese Gedanken einzuklinken, hier steht der Genuss im Vordergrund. Inmitten dieser Augenweide stehen Menschen in schlaksigen Hosen und einer Beinfreiheit, die jede Wade sehen lässt von behaart bis dick und auch ziemlich dünn. Nun hier hat niemand groß gestylt. Ein jeder versucht sich ein Stück von der Schönheit mitzunehmen und die Handys halten Bilder fest, die man später vor einem mickrigen Blumenstrauß auf dem Tisch mit einem Seufzen kommentiert: „Oh, war das schön.“

Ca. 09:45
Wir kommen an in Erfurt und biegen ein zum Parkplatz. Nur ist es der falsche. Sylvia weiß ganz genau, wo es langgeht und dass ich einen Fehler machte. Nun, ich korrigiere den Fehler, fahre wieder raus, die Straße entlang, ein Stück zurück und bin natürlich wieder da, wo kein Parkplatz für uns ist. Also Ehrenrunde Nummer 2, die andere hatte ich schon bei der Abfahrt von zu Hause. Wir versuchen es nach einem lauschigen kurzen Wörterabschlagtausch an der Kreuzung nach links und siehe da plötzlich sind wir beim richtigen Parkplatz. Ich gebe dem Posten einen 50 € Schein, er gibt mir die Karten, ich fahr los, er schreit: „Halt. Ihr Wechselgeld“. Sylvia schüttelt den Kopf und ich sage brav: „Wollte nur mal sehen, ob Sie aufpassen. Ich bin vom Beschwerdebürgeramt.“ Er schaut mich schräg an und grient. Ich bekomme 42, – € zurück. Er hat bestanden.

Vom Parkplatz sind es ca. 15 Minuten zum Eingang. Vor mir laufen eine Menge Menschen. Ich beobachte sie von hinten, was ich langweilig finde und beschließe, mir die Schuhe zu betrachten, um mir beim Gehen die Zeit zu vertreiben. Da gibt es Sandaletten, große Zehen, kleine Zehen, Damenschuhe, hässliche Füße und behaarte Füße. Mir reicht es, ich bleibe doch beim Blick in den Rücken. An der Kasse sitzt eine sehr stabile Dame, die den Kassenraum auszufüllen scheint. Ich frage sie, ob ich nicht die 50,- € Eintritt abarbeiten könnte. „Ja, Sie übernehmen meinen Job und ich geh mit Ihrer Frau bummeln“. Ich will dann Sylvia doch nicht solch kolossale Begleitung zumuten, mein Bauch muss ihr genügen. Wir bekommen unsere Tickets und uns eröffnen sich Springbrunnen und eine Farbenvielfalt, wie sie im Buche steht. Irgendjemand drückt uns einen Plan in die Hand, ich hänge meine Fotoausrüstung um und derart kampfbereit begeben wir uns in die Augenweide.

 

Ca. 8:15
Heute ist Erfurt eingeplant. Es scheint ein schöner Tag zu werden. Ab ins Auto und schon geht es los. Doch wie immer biege ich erstmal falsch ab, weil das Navi sich noch nicht eingeregelt hat. Gut ziehen wir also eine extra Runde in einem Stadtteil, den wir gut kennen, weil wir nun mal dort wohnen. Gut, hätten wir das auch erledigt. Wie können wir auch wissen, dass wir noch drei weitere Ehrenrunden vor uns haben. Inzwischen streiten wir uns nicht mehr allzu lange über solche Kleinigkeiten und bald hat uns die Autobahn. Ich lausche den gleichförmig rollenden Rädern auf dem Asphalt, unterbrochen von meinen Wortfetzen wie etwa: „Aus dem Weg du Straßenfluse. Machen die schon wieder Elefantenrennen. Eh bist du blöde. Guck mal, der überholt mich rechts.“ Eine ganz normale Autofahrt eben. Buga Erfurt, wir kommen.

Ach, wie lang ist es her, als ich das letzte Mal bei der Rappbodetalsperre war oder gar beim Regenstein. In manchen Erinnerungen liegt auch viel Wehmut. So nehmen wir uns vor, diese Erinnerungen zu aktualisieren. Im Computer geht so etwas blitzschnell. Ein Button gedrückt und schon ist die Sache erledigt. Meistens jedenfalls, falls er nicht abstürzt. Wie auch immer, wir möchten die Aktualisierung genießen und sie darf auch ein wenig dauern. Tut sie auch, denn erst einmal haben wir eine Fahrt vor uns, ohne besondere Vorkommnisse.

Bald schon haben wir viel Landschaft in der Vorbeifahrt genossen und finden uns auf dem großen Parkplatz an der Staumauer ein. Dieser gewaltige Bau aus Beton wurde von 1952 bis 1959 gebaut und zum 10. Jahrestag der DDR eingeweiht oder eröffnet. Hier steht also noch ein echt sozialistischer Bau und das sehr monumental. Doch vor dem Genuss kommt die Verwirrung und die findet immer noch auf dem Parkplatz statt. Wir mussten kein Ticket ziehen, das war gut. Schlecht war, dass wir keine Erklärung dafür fanden, am Ende die Parkplatzzeit bezahlen zu müssen. Woher wollen die Betreiber wissen, wielange wir dort sind? Die Verwirrung ist nicht nur bei uns, sondern wie es scheint auch bei anderen Parkplatzbesuchern. Wir beschließen, der Sache bei der Abfahrt auf den Grund zu gehen, schultern unsere Rucksäcke und lösen ein Ticket für die Titanbrücke. Was da auf mich zukam, war einfach nur die Hölle. Ich bin nicht schwindelfrei und diese riesige, lange Brücke, die das Tal überspannte, spannte meine Nerven auf das Äußerste an. Ich kann es nicht leiden, wenn Sylvia über die Brücke geht und so tut, als sei diese verdammte Höhe das Normalste der Welt. Starr geradeaus schauend, mit beiden Händen links und rechts das Geländer haltend, stiefelte ich stur an den Leuten vorbei und das so schnell wie möglich. Die Natur genießen Fehlanzeige, mein Magen überlegte, ob er mich nicht einfach verlassen wollte. Schlimm war es einhändig an den Leuten vorbeizugehen. Manche blieben mitten im Weg stehen. Da war guter Rat teuer. Dazu kam noch die Schwingung. Ich sah schon den Überschlag vor mir und mich dem Wasser entgegenstürzen. Den Konstrukteuren wünschte ich die Pest an den Hals und Sylvia schnatterte vergnügt hinter mir etwas von der schönen Aussicht. Hat sich was mit Aussicht! Mein Blick klebte am Ende der Brücke und dies Ende schien kaum näher zu kommen, meins schon. Am Ausgang der Brücke stand ich wieder aufrecht und fotografierte selbstbewusst die Gegend und Sylvia, die weit abgeschlagen immer noch auf der Brücke war und permanent vor sich hinlächelte. War eigentlich nicht so schlimm, befand ich selbstbewusst, aber noch einmal dieses Monster zu überqueren? Nein, für nichts auf der Welt.

Meiner besten Freundin sendete ich ein paar Fotos von der Zipline, wo sich Wahnsinnige in eine Art fliegenden Schlafkoje zwängen und mit Höllengeschwindigkeit von einem Turm am Anfang der Brücke übers Wasser gleiten. Ich bedauerte sie und freute mich schon darauf, ihre Schreine zu hören, wenn sie das Video mitbekommen. Warum soll ich nur leiden? Sylvia war inzwischen bei mir. Mein Puls war auf den normalen Wert gesunken. Ich brauchte einen Milchshake und einen Keks, um die Hölle zu vergessen. Am liebsten wäre sie über die Brücke zurückgegangen. Da ich in meinem Alter aber kaum zu Adrenalinjunkies gehöre, hätte mich keine Macht der Welt wieder darüber gejagt.

Gott sei Dank war ein Rückweg wegen Corona nicht möglich und wir schlenderten gemütlich über die Staumauer zurück. Endlich war Natur da und ich hatte Zeit, mich meiner Fotografie genüsslich hinzugeben. Wie war dieser Weg doch so friedlich und so sicher. Ich fotografierte die Titanbrücke, deren höllischen Weg ich aus meinem Gedächtnis streichen wollte.

Da war dann nur noch die Sache mit dem Parkplatz. Also wie war das nochmal, kein Ticket, aber bezahlen nach Verweildauer. Also auf zum Automaten. Ein hagerer älterer Mann versuchte verzweifelt Münzen in den Schlitz zu stecken. Irgendwie ging das aber nicht. Wir gaben ihm gut gemeinte Ratschläge, die ihn aber wie es schien, nur wütender machten. Schließlich gab er auf: „Dann versuchen Sie es doch“, meinte er bockig zu mir und ging. Mit einer mir eigenen Seelenruhe, versuchte ich das Geheimnis des Automaten zu lösen. Aha, wir mussten unser Autokennzeichen eingeben und Sylvia hatte sofort eine weitere Eingabe: „Die haben uns gescannt“. An unserem Auto lüfteten wir das Geheimnis. Während der Einfahrt wurden wir von einer sehr großen Säule links vom Auto gefilmt, was wir aber übersehen hatten, da wir uns auf den Parkplatz rechts konzentrierten.
Endlich bei der Ausfahrt achteten wir besser darauf, hatten unser Aha-Erlebnis und weiter ging es zum Regenstein. Jedenfalls sollte das die bei Weitem ungefährlichere Etappe werden.

Nur die Leute beim Regenstein wussten eben noch nicht, was sie dort von mir noch zu erwarten hatten. Auf dem Regenstein wartete Geschichte. Es kam ein aufgekratzter dichtender Micha dazu. Noch lag Ruhe auf dem Felsen.

 

Ach, wie lang ist es her, als ich das letzte Mal bei der Rappbodetalsperre war oder gar beim Regenstein. In manchen Erinnerungen liegt auch viel Wehmut. So nehmen wir uns vor diese Erinnerungen zu aktualisieren. Im Computer geht so etwas blitzschnell. Ein Button gedrückt und schon ist die Sache erledigt. Meisten jedenfalls, falls er nicht abstürzt. Wie auch immer wir möchten die Aktualisierung genießen und sie darf auch ein wenig dauern. Tut sie auch, denn erst einmal haben wir eine Fahrt vor uns, ohne besondere Vorkommnisse.

Bald schon haben wir viel Landschaft in der Vorbeifahrt genossen und finden uns auf dem großen Parkplatz an der Staumauer ein. Dieser gewaltige Bau aus Beton wurde von 1952 bis 1959 gebaut und zum 10. Jahrestag der DDR eingeweiht oder eröffnet. Hier steht also noch ein echt sozialistischer Bau und das sehr monumental. Doch vor dem Genuss kommt die Verwirrung und die findet immer noch auf dem Parkplatz statt. Wir mussten kein Ticket ziehen, das war gut. Schlecht war, dass wir keine Erklärung dafür fanden am Ende die Parkplatzzeit bezahlen zu müssen. Woher wollen die Betreiber wissen, wie lange wir dort sind? Die Verwirrung ist nicht nur bei uns, sondern wie es scheint auch bei anderen Parkplatzbesuchern. Wir beschließen, der Sache bei der Abfahrt auf den Grund zu gehen, schultern unsere Rucksäcke und lösen ein Ticket für die Titanbrücke. Was da auf mich zukam, war einfach nur die Hölle. Ich bin nicht schwindelfrei und diese riesig lange Brücke, die das Tal überspannte, spannte meine Nerven auf das Äußerste an. Ich kann es nicht leiden, wenn Sylvia über die Brücke geht und so tut, als sei diese verdammte Höhe das Normalste der Welt. Starr geradeaus schauend, mit beiden Händen links und rechts das Geländer haltend, stiefelt ich stur an den Leuten vorbei und das so schnell wie möglich. Die Natur genießen Fehlanzeige, mein Magen überlegte, ob er mich nicht einfach verlassen wollte. Schlimm war es einhändig an den Leuten vorbeizugehen. Manche blieben mitten im Weg stehe. Da war guter Rat teuer. Dazu kam noch die Schwingung. Ich sah schon den Überschlag vor mir und mich dem Wasser entgegenstürzen. Den Konstrukteuren wünschte ich die Pest am Hals und Sylvia schnatterte vergnügt hinter mir etwas von der schönen Aussicht. Hat sich was mit Aussicht, mein Blick klebte am Ende der Brücke und dies Ende schien kaum näher zu kommen, meins schon. Am Ausgang der Brücke stand ich wieder aufrecht und fotografierte selbstbewusst die Gegend und Sylvia, die weit abgeschlagen immer noch auf der Brücke war und permanent vor sich hinlächelte. War eigentlich so schlimm, befand ich selbstbewusst, aber noch einmal dieses Monster zu überqueren? Nein, für nichts in der Welt.

Meiner besten Freundin sendete ich ein paar Fotos von der Zipline, wo sich Wahnsinnige in eine Art fliegenden Schlafkoje zwängen und mit Höhlengeschwindigkeit von einem Turm am Anfang der Brücke übers Wasser gleiten. Ich bedauerte beide und freute mich schon darauf ihre Schreine zu hören, wenn sie das Video mitbekommen. Warum soll ich nur leiden? Sylvia war inzwischen bei mir und meine Pulsfrequenz war auf den normalen Wert gesunken. Ich brauchte einen Milchshake und einen Keks, um die Hölle zu vergessen. Am liebsten wäre sie über die Brücke zurückgegangen. Da ich in meinem Alter aber kaum zu Adrenalinjunkies gehöre, hätte mich keine Macht der Welt wieder darüber gejagt.

Gott sei Dank, war ein Rückweg wegen Corona nicht möglich und wir schlenderten gemütlich über die Staumauer zurück. Endlich war Natur da und ich hatte Zeit mich meiner Fotografie genüsslich hinzugeben. Wie war dieser Weg doch so friedlich und so sicher. Ich fotografierte die Titanbrücke, deren höllischen Weg ich aus meinem Gedächtnis streichen wollte.

Da war dann nur noch die Sache mit dem Parkplatz. Also wie war das nochmal, kein Ticket, aber bezahlen nach Verweildauer. Also auf zum Automaten. Ein hagerer älterer Mann versuchte verzweifelt Münzen in den Schlitz zu stecken. Irgendwie ging das aber nicht. Wir gaben ihm gut gemeinte Ratschläge, die ihn aber wie es schien, nur wütender machten. Schließlich gab er auf: Dann versuchen Sie es doch“, meinte er bockig zu mir und ging. Mit einer mir zu eigenen Seelenruhe, versuchte ich das Geheimnis des Automaten zu lösen. Aha, wir mussten unser Autokennzeichen eingeben und Sylvia hatte sofort eine weitere Eingabe: „Die haben uns gescannt“. An unserem Auto lüfteten wir das Geheimnis. Während der Einfahrt wurden wir von einer sehr großen Säule links vom Auto gefilmt, was wir aber übersehen hatten, da wir uns auf den Parkplatz rechts konzentrierten.
Endlich bei der Ausfahrt achteten wir besser darauf, hatten unser AHA-Erlebnis und weiter ging es zum Regenstein. Jedenfalls sollte das die bei Weitem eine ungefährlichere Etappe werden.

Nur die Leute beim Regenstein wussten eben noch nicht, was sie dort von mir noch zu erwarten hatten. Auf dem Regenstein wartete Geschichte und es kam ein aufgekratzter dichtender Micha dazu. Noch lag Ruhe auf dem Felsen.

 

Anfahrt und Einschiffung

 

Am Anfang ist… – der Wecker, der meine Frau zwar sofort weckt, aber nicht unbedingt mich. Das muss ein Wecker auch nicht, auch dann nicht, wenn es zu einem siebzehntägigen Urlaub entlang der Donau geht – bis zum Kilometer Null. Das Abenteuer beginnt also mit dem nerv tötenden Laut des Weckers und dem gleich darauf ansetzenden mauzenden Kater, der diesen Wecker zum Anlass nimmt, mir die Wichtigkeit des Aufstehens klarzumachen. Trotzdem versuche ich mehr oder weniger erfolglos noch ein Weilchen zu dösen, höre auf die vertrauten Geräusche meiner duschenden Frau und warte darauf, von ihr endgültig aus dem Bett geworfen zu werden. Mit der liebevollen Bemerkung: “Du kannst dich entstinken gehen.” , tut sie das auch. Nach einem ausgiebigen Frühstück beginnt die Reise genau um 5:40 Uhr mit dem Einstieg in das bestellte Taxi. Ein paar angenehm geplauderte Worte später sind wir am neu erbauten Busbahnhof in Halle. Dass er neu ist, sieht man ihm an, die Millionen, die er verschlang, indes weniger. Der Himmel fängt an zu blauen und der Bus lässt noch auf sich warten. Vor Langeweile lese ich meiner Frau Rezepte vor, die ich in einem Heft auf der Bank finde, und kommentiere sie, wohl ein bisschen zu schnöde, wie ich es ihrem Gesicht ansehe. Ganze sieben Minuten zu spät kommt dann der Bus, während dessen ich nicht nur die Rezepte las, sondern auch mehrmals den Bahnsteig auf- und ablief, die Briefe des Busunternehmens mit der Notfallnummer kontrollierte und argwöhnisch jedes ankommende Fahrzeug in Busgröße mit meinen Blicken untersuchte. Wir sind die Ersten die einsteigen und die Einzigen aus Halle. Während der Fahrt stellt sich heraus, dass der Fahrer scheinbar noch nie in Halle war. Der Beifahrer, ein bulliger, hässlicher und obendrein noch blond-lockiger Typ hilft dem Fahrer für einen Moment und schläft dann wieder ein wenig – immer abwechselnd. Zwischen Leipzig, Chemnitz und Hermsdorfer Kreuz sammeln wir noch neun weitere Leute auf. Zwei Romane weiter, die ich währenddessen lese, sind wir schon in Passau. Natürlich haben wir auch zwischendurch unsere Pinkelpausen, die uns jeweils 50 Cent kosten. Dafür bekommen wir einen Schein, den wir für weitere 1,50 Euro in eine Tüte Bonbons umsetzen, die wir ansonsten nicht gekauft hätten.

Kaum steigen wir in Passau aus dem Bus, schnappt sich ein Russe beide Koffer und ich erst mal nach Luft. Gott sei Dank gehört er zur Besatzung, wie ich erleichtert feststelle, und verschwindet so schnell im Schiff, dass mir von seinem Gesicht nur die Warze in Erinnerung bleibt und das Lächeln darunter. Nach einem kurzen Warten beginnt der offizielle Einlass, nicht ohne die üblichen Meckereien älterer Frauen, die nicht nur vom letzten Krieg benachteiligt waren, sondern auch von den Leuten, die zuletzt kommen und zufällig vor der Eingangstür stehen. Geflissentlich überhöre ich die kleinen Aufregungen und konzentriere mich aufs Warten, währenddessen Sylvia die Pässe abgibt und sich für den Zimmerschlüssel anstellt. Dann gibt es noch ein Schnellbegrüßungsfoto nach ukrainischer Tradition neben einem Mädel in Tracht. Brot abgebrochen, neben der Trachtenpuppe aufgestellt, bitte lächeln, der-Nächste-Bitte und schon sind wir auf dem Weg zur Kabine. Bislang nahmen wir an Kreuzfahrten auf dem Mittelmeer und der Ostsee teil, auf riesigen Kreuzfahrtschiffen, da dauerte das Zurechtfinden schon eine Weile. Hier gibt es den Schlüssel in die Hand, eine freundliche Geste in Richtung Wendeltreppe und kaum haben wir uns darauf einmal nach unten geschraubt, stehen wir schon vor unserer Kabine. Dahinter öffnen sich uns 9 Quadratmeter seliges Glück, zumindest für eine gewisse Zeit.

Während Sylvia auspackt und mir überflüssigerweise den Sinn aufgeräumter Schränke erklärt, kämpfe ich mit meinem schon seit Wochen anhaltenden Hustenreiz, der mir den ganzen Abend zu vermiesen droht. Er droht nicht nur, sondern er tut es auch, trotz gutem Abendessen mit Schinkenröllchen, Geschnetzeltem mit Klößen und Buttererbsen. Nach dem Abendbrot geht fast nichts mehr, ein paar Landschaftsaufnahmen, die Schlögener Schlinge, ein paar Schleusen von je 7 und 14 Meter und immer wieder dieser verdammte Hustenreiz, der mich tierisch nervt. Ich muss ins Bett, mag nichts mehr sehen. Im Zimmer sinke ich dahin, tröpfele einen Whiskey in die geplagte Kehle und spüre, wie der Schlaf mich übermannt…

 

 

Wien

 

Auf nach Wien. So richtig bewusst wird mir die Reise erst heute. Der blöde Hustenreiz hat mich, wie in jeder Nacht, Gott sei Dank verschont. Vieles von gestern kommt mir erst jetzt so richtig in den Sinn, wie zum Beispiel die Stuttgarter an unserm Tisch, die ich so schlecht verstehe, die freundlichen Kabinendurchsagen mit Infos über Land und Leute und das Schiff, das mit 150 Meter, 160 Passagieren und 60 Besatzungsmitgliedern gegenüber Luxuslinern geradezu winzig ist. Während des Frühstücks gleitet Österreich an uns vorbei und breitet die Wachau links und rechts der Fenster aus. Doch im Moment ist der Frühstückstau am Buffet wichtiger und es gibt dort immer wieder Ruhe und Sturmphasen. Beinah familiär geht es hier zu, gemessen an unseren früheren Kreuzfahrten. Ich beobachte die Menschen, während Sylvia dauernd versucht mit mir zu konversieren. Mir ist nicht nach Reden, ich warte auf den Hustenreiz, sehe den ukrainischen Kellner, der geradezu unterwürfig versucht, es jedem recht zu machen (das erinnert mich an meine ehemalige Theatergruppe und ich werde mir bewusst, dass dies in die Hose gehen muss).  Er wuselt ständig am Buffet und um die Leute herum. Die Leute sind zum größten Teil wesentlich älter als wir. Wir gehören halt zur Krabbelgruppe.

Die Landschaft zeigt sich in sattem Grün, während ich auf dem Sonnendeck E-Book lese und Sylvia im Pool badet. Die blaue Donau trübt vor sich hin, das Schiff steuert mit 25 km/h auf Wien zu, wie mir mein Navi verrät. Der Vormittag ist gemütlich, ich bin glücklich, Sonne, Schiff, Donau, E-Book, eine badende Frau, was will ich mehr. Die Anlegestelle Wien-Nussdorf erweist sich als unspektakulär, aber dafür gemütlich.

Zum Mittag gibt es Fisch oder Schweinefilet, je nach Wunsch, sowie Smalltalk. Die Stuttgarter und wir kommen uns näher. Das Schiff hat angelegt und der Bordlautsprecher ruft zur Stadtrundfahrt nach Wien auf. Natürlich geht es schnell mit dem Bus, keine Zeit ist zum Schwelgenlassen, ein schnelles Staunen, ach, ist das schön, oh, schau das Denkmal der Erzherzogin, hast du Mozart fotografieren können, wie, der Bus war zu schnell? Am Hundertwasserhaus gibt es jede Menge Erklärungen und eine halbe Stunde Zeit, immerhin. Japaner haben weniger Zeit zum Fotografieren, da sind wir kulturell schon weiter. Auf dem Rückweg zum Bus finden wir eine Toilette mit Souvenirladen. Es riecht dort ein wenig streng, da die Toilettentür zum Laden hin offensteht. Dem russischen Souvenirverkäufer machte dies nichts aus, er spricht ohnehin nur schlecht Deutsch. Vom Hundertwasserhaus geht es gleich um die Ecke ein paar Jahrhunderte zurück zum Steffel, dem Dom der Wiener. Die Stadtführerin klärt  uns mit wenigen Worten über die Geschichte auf, was aber im ständigen Fotografieren und Filmen beinah untergeht. Die Stadt bricht mit ihren prachtvollen Bauten, den viel zu teuren Fiakern und den nach Pferdepisse stinkenden Straßen über uns herein. So viel das Auge und der Kamerauslöser erfassen können, saugen wir das Fluidum auf, ohne auch nur einen Moment den Wiener Charme auskosten zu können.

Das Wichtigste an Wien ist für mich das Finden eines Buchladens, um ein Netzteil für mein E-Book zu kaufen. Leider bemerkte ich die Funktionslosigkeit meines USB-Ladegerätes nicht und Sylvia standen die Haare zu Berge, wenn sie nur daran dachte, es mit mir ohne Lesestoff die nächsten 15 Tage aushalten zu müssen. Zwischen Demel Cafe und Sissi Museum finden wir einen geeigneten Shop mit hilflosen Verkäufern, aber wenigstens gangbaren Netzteil. Meine Welt ist wieder in Ordnung und Sylvia atmet auf.

Im Stephansdom sind uns zwei Minuten vergönnt, um dann rechtzeitig zum Treffpunkt zu gelangen. Davor schossen wir in den uns verbleibenden 50 Minuten hunderte Fotos, hetzten 2,5 Kilometer vorbei an historischen Gebäuden bis zum Maria-Theresia-Denkmal, machten ruckartig kehrt, ignorierten Gucci und Co. (würden wir nie kaufen) und huschten schlussendlich  noch in den Steffel für enorme 3 Minuten. Wien ist great.

Am Abend besteht Sylvia auf einen kleinen Spaziergang entlang der Donau. Wir wandern bis zu einem kleinen Jagdhafen und kämpfen auf dem Rückweg gegen die Mücken, die mit einer ihnen eigenen Ignoranz ausgerechnet die Touristen zum bevorzugten Jagdobjekt wählen. Trotzdem ist der  Trip eine Wohltat.

Jetzt sitzen wir auf dem Sonnendeck, schauen auf den Milleniumturm, töten hin und wieder diese oder jene Mücke und hoffen auch mal einen General zu erwischen. Ich kämpfe gegen den wiederkehrenden Hustenreiz und schreibe auf, was gewesen ist. Punkt 22:30 Uhr trägt uns die Donau nach Budapest. Blau ist die Donau, oder…?

 

Budapest

 

Der dritte Tag beginnt schon fast mit einer Routine – dem Aufstehen. Ich habe geschlafen wie ein Stein, kein plätscherndes Wasser, keine Schleusendurchfahrt, nicht einmal mein eigenes Schnarchen konnte mich erschüttern. Sylvia hingegen kam sich eher wie ein Kiesel vor, gerührt von allen möglichen Tönen und früh aus dem Bett geschüttelt. Unser Schiff strebt derweil der Königin der Donau zu – Budapest. Eine stolze Stadt und erst im 19. Jahrhundert durch den Zusammenschluss dreier Städte zur Hauptstadt geworden. Damit hatte die alte Hauptstadt – Esztergom – ausgedient. Das kleine Städtchen sollten wir heute noch am Donauknie kurz kennen lernen, dazu seine Burgruine, die einst die Insignien der Macht beherbergten und zeitweise sogar die Kronjuwelen Polens.

Doch vor der Glorifizierung der ungarischen Geschichte kommt die alltägliche Schlacht ums Frühstücksbüfett, wo manch tapferes Brötchen sein Leben verliert. Mit der älteren Generation an Bord ist dann diese Schlacht auch eher ein fröhliches alte-Leute-Rennen um Saft, Marmelade und anderen lieb gewordenen Spezialitäten des emsigen Rentnerlebens. Sylvia bemerkt etwas süffisant, dass die Milch doch ganz gut ankommt bei den Männern. Ich kann dies nur bejahen mit einem beherzten Wisch über meinen Milchbart.

Wie immer isst und redet Sylvia, während ich esse und beobachte. Die Leute sind in ihren Bewegungen ganz interessant. Da ist der Alte, der seinen Leberfleck auf der Glatze vergebens kaschiert oder die Mürrische, die bei jedem Griff in den Aufschnitt zwar nickt, aber säuerlich das Gesicht verzieht. Mit den vielen dicken Bäuchen der Männer kann man mehrere Fußballmannschaften bilden, das zeigt Deutschlands sportlichen Fortschritt. Bald schon liegt geselliges Raunen in der Luft, was eine gewisse Zufriedenheit ausstrahlt. Hin und wieder wird gemurrt über irgendetwas Unwichtiges, Unbedeutendes, Nichtssagendes. Die Landschaft ist vom Grün der Ufer gesäumt, manchmal schon ein wenig zu vertraut und man könnte meinen, zwischen den Bäumen kommt Langeweile auf. Doch mitnichten, während wir auf dem Sonnendeck dösen, schnarrt der Schiffsreiseleiter über den Bordlautsprecher und gibt uns wertvolle Infos über dieses und jenes am Wegesrand. Blitzschnell springen dann die Kameramänner, und es sind sehr viele, auf, laufen von links nach rechts und zurück, um möglichst massenhaft Motive einzufangen. Fast scheint es, dass einige ihre Reise erst zu Hause zwischen Couch und Bierchen so richtig erleben wollen. Es dauert auch nicht lange und das Gewusel erstirbt nach der letzten Ansage in den Sonnenliegen. Wieso soll man auch namenloses fotografieren. Tatsächlich kehrt auch in mir eine innere Ruhe ein und meine badende Frau versucht mich beim Abtrocknen zu einem aktiven “Guck doch mal” zu bewegen. Indes der Geist ist willig, aber das Fleisch der Anziehungskraft der Sonnenliege nicht gewachsen. Die bald darauf erfolgte Bordansage über Esztergom und dem Donauknie hat besseren Erfolg. Sage und schreibe fünfzehn Minuten lang klickt mein Kameraauslöser, saugt gierig die farbenfrohe Landschaft auf und digitalisiert die Bilder. Es ist atemberaubend und diese herrliche Natur unter strahlendblauem Himmel erreicht auch das blanke Auge ohne Zweitlinse.

An das Donauknie schließt sich das Abendessen an; Hähnchen nach ungarischer Art umschmeichelt unseren Gaumen. Der Bordlautsprecher weist auf die Sehenswürdigkeiten an den Uferseiten hin, die wohl kaum jemand momentan zu schätzen weiß. Wir sind mit Essen, Reden über Rezepte und anderen Wichtigkeiten des Lebens beschäftigt. Das Essen ist kurz, gemessen an der Länge der Donau…

Kurz darauf fängt uns die Magaretheninsel ein und Budapest liegt zu beiden Seiten des Stroms. Das riesige Parlamentsgebäude kommt mit seiner imposanten Gewaltigkeit vor dem Bug des Schiffes. Und die Kette imposanter Gebäude reißt nicht ab. Eine Brücke nach der anderen zieht das Schiff und staunende Gesichter unter sich durch, bis wir an der Kettenbrücke Pier 5 zum Halten und Anlegen kommen. Sylvia versucht sich an ihren Besuch 1978 zu erinnern, aber insgesamt kam es ihr damals grauer und trister vor. Die Zeit der Stadtrundfahrt bricht bei 33 Grad im Schatten an. Als sonnengewöhnte Touristen, unscheinbar verkleidet, entern wir die Busse und mit denselben den Gellertberg samt seiner Festung und der Freiheitsstatue, die, aufgrund der herrschenden Verhältnisse, schon mal um eine sozialistische Plastik gekürzt wurde. Für solcherart Kunst gibt es  in Ungarn einen eigenen Park, wo Lenin und Co. ihr letztes, aber doch beachtetes Domizil finden. Anders als in Deutschland, wo Kunst je nach Geschichtsstand schon mal entartet. Souvenirläden sind auch hier unsere ständigen Begleiter und an einem erbarmen wir uns für einen Flaschenöffner mit Glocke. Wenigstens einen geringen Nutzen sollten Souvenirs haben, meint Sylvie.

Die Zeit der Besichtigung ist kurz, zu kurz, um sich weitere Gedanken zu machen. Selbst unsere Touristenführerin überschreitet die Zeit. Ein Novum. Die Fischerbastei und die Martinskirche sind die nächsten Anlaufpunkte unserer Rundfahrt. Im Hilton der Neuzeit darf sich der alte Dom in den Fenstern widerspiegeln, nachdem er seinen Machtstatus durch den Bau des exklusiven Hotels verloren hat.

Im Moment schreibe ich sehr langsam, da Budapests Lichter der Nacht erwachen und ich im Takt von Sylvias freudigen “Guck mal” meinen Hals verdrehen muss.

Nach zahlreich geschossenen Bildern ist der Besuch der Kirche wieder ein optisches Highlight und in der anschließenden Stadtrundfahrt erhaschen wir zwischen ausladend grünen Bäumen und Ampelrotphasen diesen oder jenen erhabenen Blick.

Das fast unscheinbare Denkmal des Mannes auf einer eiserner Brücke – Imre Nagy (Notsch) – umrunden wir, damit sowohl die rechte Seite des Busses als auch die linke Seite einen gleichberechtigten Blick auf das Parlamentsgebäude werfen kann. Das Denkmal fällt trotz Hinweis kaum auf. Anschließend haben wir drei Minuten Zeit, um den Heldenplatz zu fotografieren. Das funktioniert mit Überqueren der Straße und einem olympiareifen Lauf auch mäßig. Ein paar der Nationalhelden erreicht die Kamera aufgrund akuten Zeitmangels nicht mehr. Also drehen wir noch mal einen Kreis und fahren endlich zum Schiff zurück, wo schon das Abendrot in vertrauter Umgebung wartet. Unsere Gegenüber, die zwei Stuttgarter, waren mit ihren Cousins (ebenfalls aus der Stuttgarter Umgebung) am Nebentisch auf eigene Faust unterwegs. Der schwäbische Dialekt verlangt volle Konzentration, aber nach einem Hä, erfolgt meist eine hochdeutsche Erklärung. Nur die gebrauchten Würstchen, die es angeblich in den berühmten Budapester Markthallen zu kaufen gab, verwirren mich. Unter  dem Gelächter der Anderen werde ich schnell aufgeklärt, es heißt schlichtweg gerauchte Würstchen. 

Mein Hustenreiz, der mich die ersten zwei Tage, eigentlich schon seit zwei Monaten, quält, scheint nachzulassen, Wick-sei-Dank. Sylvia freut sich schon auf das Ende dieser für sie unleidlichen Jammerei meinerseits. Männer – meint sie meist verächtlich.

Es rückt der Abend heran und ich schreibe an meinen Erlebnissen weiter, werde aber von Sylvias Wunsch nach einem Spaziergang unterbrochen. Als lieber Mann gehorche ich dem Urlaubswunschbefehl meiner Frau und wir schlendern in die Nacht hinaus, inmitten des Lichtermeers von Budapest, das uns den Weg von der Kettenbrücke zur Elisabethbrücke und auf der anderen Seite zurück, ausleuchtet. An einer Stelle machen wir halt und ich bemerke tatsächlich, dass die Donau eine blauschwarze Farbe hat, wenn ich den Kopf leicht zurückneige, in die Knie gehe und schielenden Auges den Blick wie einen hüpfenden Stein übers Wasser streifen lasse. Es gibt sie also, die blaue Donau, die Wiener haben recht. Nach diesem einmaligen Erlebnis und dem Fehlen des Hustenreizes sehen wir uns nach unserer Rückkehr an der illuminierten Freiheitsbrücke satt, bis das Schiff um 23:30 Uhr Budapest verlässt und die Lichter in der Spur des Schiffes versinken.

Nacht bricht über uns herein, wir nehmen einen Donaudrink und etwas Toast Hawaii und bemerken erstaunt – die Welt kann noch in Ordnung sein.

Vukovar

 

Ich muss heute ein wenig schneller schreiben, da der Tag vollgedrängt ist mit Aktivitäten und ich bin so aufgeregt. Die üblichen Angelegenheiten, wie Aufstehen, Frühstück brauche ich wohl kaum noch erwähnen. Langsam aber sicher ist das schon Gewohnheit. Auch mit den anderen Touristen wird man allmählich warm, irgendwie grüßen wir schon jeden. Das ist das Schöne an einer Flussreise, es sind nur wenige Leute, so dass mit der Zeit die Anonymität draußen vor bleibt und im wahrsten Sinne des Wortes über Bord geworfen wird. Da ist zum Beispiel dieses Ehepaar, dass die Tour zum zweiten Mal hintereinander macht, aber dieses Mal auf weitere Landgänge verzichtet, weil es halt mit der Bewegung nicht mehr so klappt. Das Alter ist eine sehr anstrengende Sache, die Zeit fährt in die Knochen, das Essen in die sowieso schon überdimensionierten Bäuche. Unseren Vormittag verbringen wir mit Shopping im Miniladen, mit Lesen des inzwischen 5. Romans und dem Musikhören auf dem Sonnendeck. Sylvia freilich findet noch Zeit zum Planschen. Die Donau transportiert uns auf sanften Wogen in Richtung Vukova. An der ungarisch-kroatischen Grenze in Mohasz, wo das Schengener Abkommen endet, ist Grenzkontrolle. Ein älterer Bürger bemerkt trocken, dass selbst unser gemeinsames Stehen schneller sei, als das an-Bord-kommen der Beamten. Natürlich muss man den deutschen Touristen und vielleicht ehemaligen Beamten zeigen, was Gründlichkeit ist und so  wird jede Küchenplombe untersucht, die Haltbarkeit der Waren und und und…, sodass unser Schiff in erheblichen Zeitverzug kommt. Naja, vielleicht sehen diese unterbezahlten Beamten in uns nur die reichen Deutschen, vergessen aber, dass auch wir so unsere Geschichte haben.

Vukovar ist eine Stadt mit zwei Leben, ein Altes hinter sich, ein Junges noch vor sich. Vor 15 Jahren war diese Stadt an der Grenze zu Serbien noch ein Trümmerhaufen. Während der Einfahrt zur Anlegestelle wird es uns dies erst auf den zweiten Blick deutlich. Der Blick durchs Fernglas offenbarte die zahlreichen Einschüsse in den stehen gebliebenen Ruinen. Dass ich einem Krieg einmal so nah komme, hätte ich nicht gedacht, obwohl ich ja auch gerade mal 15 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg geboren wurde. Die Aufbaujahre danach kenne ich nur aus Erzählungen. Ein zerschossenes Haus fällt mir besonders auf, da in seinen Fenstern rote Geranien weithin sichtbar blühen. Ein etwas unwirkliches Bild. Jeden Tag sieht man hier einen Mann die Blumen gießen, jedes Jahr werden die Blumen neu gepflanzt und geben dem toten Haus ein wenig Leben. Niemand weiß, warum und unsere Reiseführerin versichert, sich das nächste Mal zu erkundigen. Dieses nächste Mal lässt doch uns Menschen hoffen, oder? Dass eine tote Stadt in so kurzer Zeit zu solch Leben erwacht, nötigt mir Respekt ab. Doch obwohl die Serben ihre unmissverständlichen Spuren hinterließen und der Krieg hier 1991 seinen Ausgang nahm, scheint der Hass auch mit dem Ende des Schießens die Stadt verlassen zu haben. Der Krieg scheint einfach aus den Köpfen ausgezogen zu sein, mit all seiner Dumpfheit, seinen schrecklichen Waffen und seiner Traurigkeit. Nur ein Wahrzeichen, der zerbombte Wasserturm, der trotz seiner Schäden noch aufrecht steht, mahnt den Ankommenden und den Gehenden. Innerlich knie ich vor den Menschen dieser Stadt.

Auf der Rundfahrt mit dem Bus lernen wir viel über Kroatien und seinem kleinen Volk, das einfach nur nach vorne schaut. Für diese Herzlichkeit möchte man seinen gewohnten deutschen Standard gern mal eintauschen, doch das würde dieses Volk wohl mehr verletzen als der vergangene Krieg. Die Reiseleiterin überschüttet uns förmlich mit Informationen über die Geschichte, über das Land und seine Leute, sie ist eine wandelnde Enzyklopädie, fast ein wenig emotionslos und doch spüre ich die Liebe zu ihrem Kroatien. Ihre Eltern waren in der Bundesrepublik Gastarbeiter in Kassel und hatten aber ein recht bequemes Leben. Trotzdem tauschten sie es gegen ein Leben in Entbehrungen ein, weil “hier noch Herzlichkeit” ist. Ach, Deutschland, was hast du verloren, wenn dir dies erst auf engen Schiffen wieder gewahr wird. Ich kenne dieses Gefühl aus einer kleinen Ecke meines Herzen, da wo noch ein bisschen DDR ist. Die Hitze drückt, der Planet scheint uns rösten zu wollen, da ist ein Stopp in einem Café willkommen, zumal ein Getränk im Ausflugspreis inbegriffen ist. Sylvia freut sich auf eine Eisschokolade, ich versuche ein einheimisches Bier. Unserem Tischnachbarn, einem Schweizer und mir gefällt das feinherbe Bier, zumal es schön kalt ist. Die Kellner sind dem Ansturm von 115 Leuten in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht gewachsen. Wir witzeln schon am Tisch, ob die halbe Stunde ausreicht, um all die bestellten Getränke  zu servieren. Der Aufbruch setzt dann auch jäh ein, das Bier ist gerade alle und ich muss mit der Schweizerin ein interessantes Gespräch über Bildung, Lehrer und Schüler, über Gott und die Welt unterbrechen.

Beim Aufbrechen echauffiert sich eine ältere Dame beim Reiseleiter, unserem Bordlautsprecher, über die Hitze, über die Führung mit zu vielen Informationen, über die Kellner, kurzum nichts passte zu ihrem gewohnten Standard. Ganz böse wird sie endlich, als ich schulterzuckend darauf verweise, dass wir mit dieser Reise bewusst Massentourismus gebucht haben und damit auch eine gewisse Schnellabfertigung, was den Nachteil hat, auf Individualität verzichten zu müssen, da die wohl auch teurer kommt. Sie schnappt nach Luft, sichert sich der Unterstützung einer anderen Leidensgefährtin und funkelt mit ihren (giftgrünen?) Augen: ”Schön, dass es wenigstens Einem gefällt.” Mein Hinweis “Nö, wir sind eigentlich schon zwei” und Sylvias Lächeln sind dann zu viel für sie. Sie verdreht ob dieser Ungehörigkeit die Augen und geht. Diese alte, vielleicht auch in ihrem Leben würdige Dame hat einfach keinen Respekt vor diesem Land, nimmt sich selbst zu wichtig und vielleicht nicht wahr, dass wir über die Grenzen von Deutschland schon ein wenig weit hinaus sind.  In Osijek, eine alte Stadt, die schon im 12. Jh. erwähnt wird, sind die Zerstörungen des Krieges gegen Serbien schon weitestgehend behoben. In der Stadt sieht man allenthalben den Einfluss der Habsburger. Die mittelalterliche Festung zieht uns mit ihren dicken begehbaren Mauern in den Bann. Es ist schwül-warm und wir freuen uns fast darauf wieder an Bord zu kommen, wo kaltes Wasser die durstigen Kehlen nässt.

 

 

 

 

Belgrad

 

Ars Vivendi! Das gilt auch für die Flussschifffahrt. Sylvia mag das Anstehen am Salatbüffet beim Essen nicht, obwohl dies nur gelegentlich zur Debatte steht. Als getreuer Ehemann liebe ich es natürlich auch nicht, wobei es mir letztendlich egal ist, da sie ja doch dafür sorgt, dass ich einen kleinen Heuschober als gesunde Kost bekomme. Die Donau wird augenscheinlich trüber und immer öfter sieht man Abfälle im Fluss. Besonders schlimm ist es auf der Sava, einem Nebenarm der Donau, auf dem wir nach Belgrad einbiegen. Unterhalb der Festung Kalemegdan (Festungsfeld) ankert unser Schiff in einem Strudel voll Müll. Die Türken nannten den Hügel der Festung auch “Hügel zum Nachdenken”. Wenigstens dies sollten die Serben als Tradition mit in die geplante Mitgliedschaft zur EU übernehmen, obwohl sie sonst mit den Türken aus verständlichen Gründen nicht viel zu tun haben wollen. Belgrad wurde ungezählte Male zerstört, sodass seine heutige Existenz überhaupt verwunderlich ist.

An Bord geht alles seinen gewohnten Gang, irgendwo hört man immer ein wenig Meckern über das heiße Wetter und natürlich dem ewigen Warten auf irgendwelche Behörden. Den Reiseleiter scheint nichts zu erschüttern, auch größere Probleme lächelt er einfach weg. Seine gute Laune ist allgegenwärtig, er wird entweder königlich bezahlt oder besitzt ein sonniges Gemüt, wobei letzteres wahrscheinlicher ist. Außerdem hat er eine riesige Freude an den Ausflügen, obwohl er sie schon einige Male absolviert hat. Diese positive Einstellung überträgt sich wohltuend auf die Passagiere. Apropos Ausflüge; der heutige führt uns frühmorgens nach Belgrad. Die Luft steht förmlich und es ist jetzt um 9:30 Uhr drückend heiß.

Die Fahrt geht mit dem Bus zur Festung und wir erfahren, dass Belgrad schon 24 mal zerstört wurde und doch haben die Bewohner immer wieder die Kraft gefunden, ihre Stadt und sich selbst aufzubauen. Und wir armen Deutschen haben Probleme mit dem Wetter, dabei ist es in Deutschland momentan mit 37 Grad im Schatten bedeutend wärmer.

Das Stadtbild lässt wechselhafte Gefühle in uns zurück. Sozialistisches Einheitsgrau mit vernachlässigten Fassaden wird nur allmählich durch bunte Werbung und renovierte Häuser abgelöst. Der neue Kapitalismus trägt Farbe auf das alte Gesicht der Stadt, doch ob er auch die Seele aufzuhübschen weiß ist zu mindestens der Stadtführerin nach fraglich. Sie lässt den goldenen 70igern und 80igern unter Tito ehrfurchtsvollen Raum und gibt dem Land noch 10 Jahre, um den damaligen Stand der Dinge zu erreichen. Etwas seltsam mutet der heraufbeschworene Bund mit den abtrünnigen Bosniern, Montenegrinern und Kroaten an. Fast hört man das nicht gefallene Wort Bruder heraus. Diese Seltsamkeit ist umso auffälliger, wenn ich mir die Worte der kroatischen Fremdenführerin vor Augen führe, die zwar keinen Hass gegen die Serben zum Ausdruck brachte, aber sich und ihr Volk von den Serben sowohl geschichtlich als auch ethnisch entschieden distanzierte.

In der serbischen Führung fehlte auch der geschichtliche Teil des Krieges von 1991 – 1995 völlig, aber man zeigte uns die Ruinen der von der NATO bombardierten Regierungs- und Militärgebäude, um gleich danach auf Distanz zu Milosevic  zu gehen.

Nach dem Mittag und einem wohlgefälligen Schläfchen machen wir uns um 16 Uhr auf den Weg in die Stadt zu einem Bummel und das natürlich völlig undeutsch zu Beginn des Fußballspiels Argentinien gegen Deutschland oder besser Maradona gegen Löw.

Kaum haben wir nach zehn Minuten die Promenade erreicht, erstaunt uns ein 1:0 für Deutschland, zu sehen in den zahlreichen Fernseher der Cafés. Mein Desinteresse gegenüber Fußball erleidet einen heftigen Rückschlag und ich komme nicht umhin, mich als freudigen Deutschen gegenüber den Serben zu produzieren, die nun mal erkennbar für Argentinien sympathisieren. Genüsslich sauge ich die verdutzten Blicke auf und wende mich demonstrativ mit der Kamera den teilweise wunderschönen, klassizistischen und anderen -istischen Häuserzeilen zu. Ab und an quietscht in dem undurchschaubaren Verkehr eine uralte Straßenbahn und die O-Busse scheinen gerade mal eben schnell zusammengeschweißt zu sein. Die Holzbänke darin sehen genauso unbequem aus, wie das gesamte Ambiente, falls es ein solches gibt. Eine Abweichung von der Promenadenstrasse wird gnadenlos mit dem Blick auf graue Häuser bestraft und man fühlt sich zurück in die guten-alten-DDR-Zeiten. In den abbruchreifen Häusern damals waren unsere bunten Herzen nicht zu sehen, aber spürbar. Heute sind eher die Herzen grau, die Städte grün, die Flüsse sauberer, aber meine Gedanken schweifen ab.

Verzweifelt suchen wir einen Gemüsemarkt, der uns auf der Stadtrundfahrt auffiel, können uns aber auf die Himmelsrichtung nicht einigen. Nach dem dritten Fußballtor der Deutschen und den recht sauren Gesichtern der Serben beschließen wir keine unnötigen Siegesbekundungen von uns zu geben und zum Schiff zurückzukehren. Das Gesicht von Maradona bleibt mir aschfahler als diese Stadt in Erinnerung.

Im Schiff, beim Café, fällt dann das endgültige 4:0 und der Jubel der anwesenden Flussfahrttouristen erreicht wohl auch einige Teile Serbiens. Wir sind mit unseren dicken Bäuchen und gutem Geld gerüstet für eventuelle Angriffe.

Der Heilbutt zum Abendessen ist nach unserm Geschmack. Ich reiche unserem Tischnachbarn ein paar Bilder unsere Tiere und Videos von ehemaligen Theateraufführungen. Sie sind begeistert von den kleinen Filmchen und bemerken Gott sei Dank nicht mein Seufzen. Ich verschweige ihnen, dass das Theaterspielen ein vergangenes Hobby ist und kaum ein Tag vergeht, an dem ich nicht daran denke, durch welchen Schwachsinn ich das Handtuch werfen musste. Es wird noch sehr lange dauern, diese Endgültigkeit zu begreifen.

Am Ende des Tages fangen wir an der Heckbar die Abendstimmung, die sich langsam über Belgrad neigt, mit ein paar Drinks ein, begleitet von einer sanften Melodie Dimitrijs, unserem Bordmusiker. Es ist schön nur Tourist in Belgrad zu sein. Zwei Bier und einen Grand Manier später ist dieser Abend von berückender Romantik. Blitze streifen den Horizont und ein Regen unser Schiff. In der Ferne wird die Festung bestrahlt und die Donau spiegelt in den gekräuselten Wellen die Lichter der Stadt wieder. Die dargebotenen Schinkenhäppchen umschmeicheln unseren Gaumen, während das Auge die Lichter der Nacht erschaut und das Ohr die feine Musik der Zivilisation hört.

Nachtrag zum 4. Tag

Die Weinverkostung am Abend war ein Highlight. Natürlich haben wir alle keine Ahnung von Weinen, aber die Präsentation an sich war das schon wert. Nachdem mich die Mücken beim Schreiben des Reiseberichtes fast aufgefressen hatten, trafen wir uns zu der Veranstaltung im Restaurant des Schiffes und 6 Weine, sowie unzählige Witze, dargeboten vom Hotelmanager des Schiffes, weiter, fanden wir uns müde auf der Kabine wieder, wo uns der Schlaf, und die dahinplätschernde Donau sacht in die Träume wiegte.

 

Die Kataraktenstrecke und das Eiserne Tor

 

Ein Tag der uns durch die Kataraktenstrecke führen soll, ein Tag zum Schauen, zum Schreiben und zum Dösen, ein Tag ohne Ausflug. Noch vor dem Aufstehen eilen wir um 6:00 Uhr zum Sonnendeck, um den Anfang der 100 schönsten Kilometer der Donau überhaupt auf keinen Fall zu verpassen. Das Gähnen ist sofort aus unseren Gesichtern verschwunden, als die ersten Felsen auftauchen und die kommende Pracht erahnen lassen. Aus den waldbewachsenen, steilen Hängen wabert der Nebel und die aufgehende Sonne malt die Wolken zaghaft Orange, um dann später in ein sattes Rot überzugehen. Die Natur könnte kaum prächtiger sein, zwischen Serbien und Rumänien, wenn nicht immer wieder dieser Plastemüll an den Ufern wäre. Die vielen Anglern stört dies nicht und Greenpeace hat gerade mit den Walen zu tun. Uns fröstelt noch nach den letzten Tagen mit mehr als 30 Grad Celsius und im Osten ist die Sonne noch immer mehr mit ihrer Staffelei beschäftigt, als Wärme spenden zu wollen. Freilich besinnt sie sich später und macht Versäumtes dann besonders gutgelaunt wieder wett. So zieht uns die Donau durch immer enger werdende Felstore und die engste Stelle mit himmelsstürmenden Felsen ist nur ganze hundert Meter breit. Fast könnte man meinen, die Felsen mit ausgestrecktem Armen berühren zu können. Die Breite, so die Lautsprecherinfo, entspricht an dieser Stelle auch der Tiefe der Donau und ist somit ihr tiefster Punkt überhaupt. Das enge Tor im Rücken erblicken wir rechter Hand die Trajantafel, die gerade über die Wasseroberfläche hinausragt und an besagten Römer und den Bau seiner Straße durch dieses wilde Tal vor 2000 Jahren erinnert. Die Straße führt heute durch die Staustufe am Eisernen Tor etwa 40m unter Wasser. Bald danach erscheint das gewaltige in Fels gehauene 30m hohe Abbild des Königs der Daker – Decebal (Dekebalus). Sein Antlitz bewacht an dieser Stelle die Donau und grüßt jeden Neuankömmling. Die Kameras der Touristen klicken wie wild, das es nur so ein Spaß ist und man aufpassen muss, in dem Gewusel statt des Dakerfürsten nicht einen sonnenverbrannten Touristenrücken zu erwischen. Sei’s drum, in den Zeiten digitaler Technik ist dies kein Ungemach mehr, sondern allerhöchstens ein Lächeln und einen weiteren Klick wert. Nachdem die stolzen Berge, zu rumänischer Seite Vorläufer der Karpaten, würdevoll an uns vorbeigezogen sind, ist auch bald Derjab I erreicht, eine gewaltige Schleuse, eigentlich die Größte auf unserer 2248 Kilometer langen Reise. 36 Meter werden wir in zwei Stufen von je 18 Meter hinabgelassen. Das Ganze braucht dann auch seine Zeit. Ganze 90 Minuten dauert das gesamte Schauspiel. An Deck verschlafen einige der Passagiere die Kataraktenstrecke und auch die Schleusung. Die glücklichen Unglücklichen. Das Panorama der Ausfahrt sättigt unsere gierigen Blicke nach mehr und die Mägen fangen an, ihren Hunger zu bekunden. Wie von Zauberhand leert sich das Sonnendeck pünktlich zum Beginn des Mittagessens und kein Naturschauspiel hätte etwas dagegen tun können. Das wichtigste Schauspiel war und ist das Schauspiel am Buffet.

Nach der Fütterung entscheidet sich Sylvia fürs Sonnendeck und ich für das Längliche auf der Couch in der Kabine. Während sie badet und sich bräunt, erinnere ich mich an die Worte des Bordlautsprechers: ”Das Eiserne Tor ist ein Gebirgskamm aus eisenhaltigen Mineral unter dem Wasserspiegel und spannt sich von einem Ufer zum anderen. Vor dem Bau des Staudamms entschied der Wasserstand, ob ein Darüberfahren möglich war oder nicht. Jetzt liegt der Gebirgskamm 40m unter Wasser und stellt kein Hindernis mehr dar.“ An die vielen Zahlen dieses gigantischen Staumauerbaus kann ich mich schon nicht mehr erinnern und schlafe unweigerlich ein, bis der Wecker mir die Kaffeezeit ins Ohr klingelt.

Später auf dem Sonnendeck gesellt sich Rose aus dem Stuttgarter Kreis zu uns und hört sich Sylvias einsetzenden Redeschwall geduldig an. Ich übe mich  im Schreiben, wobei ich heute endlich das Theaterstück “Bis ans Ende der Welt…” fertigstellen kann. Es soll für meine neue Klasse (ich bin Lehrer) die Möglichkeit bieten, sich in der Theaterdarstellung zu versuchen und handelt von der Suche eines Teenagers nach der Identität. Im Sinn ist mir eine Mischung aus Theater, Musik und Tanz.

Der Abend wird ausgefüllt mit dem üblichen 3 Gänge-Menü. Das Beste daran ist die Begrüßung durch den Kapitän mittels Handschlag für ein zu teures Foto, wobei der Schlips mich tüchtig einzwängt. Sylvia nimmt sich ausgesprochen reizvoll aus in ihrem schwarzen, blumenbestickten Abendkleid. Dazu trägt sie einen Swarowskistein, den ich einst mit zielsichern Blick auswählte, der aber auch von Anderen gebührend bewundert wird. Unser Stuttgarter suchte seine Frau, während sie schon eine ganze Weile bei uns sitzt. Beide schließen aber relativ schnell wieder Frieden, sie wollten ja  sowieso nicht mit dem Kapitän fotografiert werden. Der Klecks Kaviar zum Abendbrot ist kaum erwähnenswert, der Shrimpscocktail dagegen schon. Tatjana, die blonde, hübsche Russin, etwas unterkühlt, aber stets freundlich, serviert gekonnt die Tomatensuppe mit Wodka. Das Gekonnte relativiert sich allerdings, nachdem sie uns ihren verbrannten Unterarm zeigt. Das sind Kollateralschaden, denke ich. Was muss man nicht alles für seine Gäste leiden. Meine Zeichnung von Decebal (es war so eine Art Wettbewerb) fand immerhin bei einigen Gästen Beachtung, wohl auch wegen des Gedichts dazu. Auf dem Blatt war es nur ein Gedanke, den ich später dann für die Reisebeschreibung noch einmal verfeinerte. Die Zeichnung bekam keinen Preis, da eine durchaus bessere Zeichnung mich auf meinen immerwährenden zweiten Platz schob. Doch es war gut so. Inzwischen hat sich meine Schreiberei herumgesprochen, da ich wohl der Einzige bin, der sich auf dem Sonnendeck, anstatt zu schlafen,  zu bräunen oder zu dösen, an einem Tisch setzt und unentwegt schreibt oder liest. Bis jetzt habe ich 49 DIN A5 Seiten am Reisebericht gearbeitet, ein Theaterstück zu Ende geschrieben und eine Kurzgeschichte über ein sich ewig streitendes, älteres Ehepaar bewerkstelligt, 6 Romane (a 150 Seiten) gelesen, 13 Gedichte geschrieben, 3 Bilder gemalt und  ca. 8 Whiskey getrunken, das ist, denke ich, ein guter kreativer Schnitt.

Den Tag verlassen wir, wie der Morgen kam, rotglühend. Wir sehen versonnen den Wellen nach, die die Propeller am Heck schaumig schlagen. Der Tag geht müde und wir dösen noch vom intensiven Erleben mit einem Glas in der Hand, dem neunten Whiskey.

 

Bukarest

 

Bukarest nennt sich auch das Klein-Paris. Ceausescu selbst sonnte sich in diesem Glauben. Doch nicht darauf bin ich gespannt, sondern auf den Präsidentenpalast, dem zweitgrößten Gebäude der Welt, vom mickrigen  Conducător (dt. Führer) dazu ausersehen, seine 1,60 m über die Welt zu recken, was ihm bis zu seinem gewaltsamen Tode 1989 nicht so recht gelang. Bevor er sich auf dem Balkon des Palastes ins Weltall heben konnte, schoss ihn die Geschichte von der Bildfläche weg.

Ehe ich den Augenblick der Geschichte so richtig spüren kann, muss die Dnepr erst in Ghiurghiu anlegen, eine Stadt mit 70000 Einwohnern, viel Industrie und einem Denkmal von Vlad Tepes, das schnell an unserem Bus vorbeigleitet. Nicht mal ein Aug in Aug mit diesem Fürsten, der noch heute der heimliche Herrscher der Rumänen ist, ist möglich.

So sind wir schon im nächsten Augenblick in Bukarest und haben gleich darauf die Landschaft vergessen, in der es neben vielen bewirtschafteten Feldern noch mehr Flächen gibt, die nur von den Krähen und hier und da auch von Störchen bewirtschaftet werden. Merkwürdig sind auch diese vielen Villen mit silbernen Dächern und vielen kleinen Türmchen. Ein Ratespiel, wem die Gebäude gehören könnten, führt im Bus zu keinem brauchbaren Ergebnis, doch staunenswert ist die Tatsache, dass sie den Roma gehören und je mehr Türme zu sehen sind, desto reicher sind die Leute.  Mir wird die heftige Einseitigkeit unseres Wissens bewusst, mit dem wir oft über Land und Leute hinweg urteilen.

Die Stadteinfahrt versetzt uns augenblicklich in die Zeit der 80iger Jahre des Sozialismus einer DDR-Stadt, nur scheint hier alles ein wenig größer zu sein. Wenn man die Fenster betrachtet, ihre grauen Gardinen, manche mit Stanniol verdeckt, will man sich keine Gedanken mehr über die Bewohner machen, obwohl gerade dies wohl am wichtigsten wäre. Und schon wieder beginne ich den unverzeihlichen Fehler der Vorverurteilung. Das Zentrum der Stadt wird von der Prachtstraße Bukarests zum Präsidentenpalast eingenommen, die ganze 30cm breiter sein soll, als die Pariser Prachtstraße. Ein imposanter, riesiger Brunnen gibt den Blick frei auf die vielen kleineren Brunnen, die sich entlang der Straße ziehen und reichhaltig verziert sind. Links und rechts gibt es riesige Wohnblöcke mit gewölbten Balkonen, auf manchen Dächern thronen Säulen, wie bei griechischen Tempeln. Es erinnert ein wenig an die gigantische Stalinallee in Berlin, die aber wesentlich plumper wirkt.

Endlich stehe ich auf dem Parkplatz vor dem gewaltigen Palast, der einem schier die Sprache verschlägt. Auf den ersten Blick und gefühlsbereinigt gefällt mir die Architektur mit ihren Säulen und reichhaltigen Verzierungen, obwohl hier viele Elemente durcheinander gewürfelt sind. Dann wird mir aber auch bewusst, dass an diesem Klotz mehr als sechs Jahre 20.000 Menschen täglich 24 Stunden rackern mussten. Für das Areal wurde ebenfalls eine Altstadt mit 6 Quadratkilometern Größe abgerissen. Auf dem Balkon in der Mitte des Gebäudes wollte das Genie der Karpaten (einer der vielen unglaublichen Titel des Sohnes der Sonne) sprechen. Dazu kam es freilich nie, die Rumänen machten dem Wahnsinn ein blutiges Ende. Flankiert wird der Bau im Vordergrund von imposanten Gebäuden, die den Mitgliedern der kommunistischen Partei vorbehalten waren. Heute sind darin Ministerien untergebracht, der Palast  ist Parlament und Regierungsgebäude. Vom abgelegten Kommunismus geht es ein paar Minuten weiter zur orthodoxen Patriachie. So schnell kann es heutzutage, 21 Jahre nach dem Mauerfall, gehen. Was heute von den Füßen der Touristen erkundet wird, war zu damaligen Zeiten ein oft unüberbrückbarer und auch lebensgefährlicher Weg. Der Titan der Titanen glaubte nicht an Gott und ließ viele Kirchenhäuser abreißen. Ausgerechnet eine kleine Kirche auf dem Platz, wo er seine Reden hielt (im Übrigen auch seine letzte), blieb stehen. Von ihr sagte man, wer sie zerstört, ist verdammt. Der Aberglaube holte den Diktator nicht ein, aber dafür sein eigenes Volk.

Doch zurück zu dem Kirchenkomplex. Wir werden aufgefordert im Inneren nicht zu fotografieren, da gerade eine Zeremonie stattfindet. Die Kuppel der Kirche ist atemberaubend. Ich stehe vor dem goldenen, riesigen Altar, der meinen Blick sofort in seinen Bann zieht. Auf dem Teppich davor bekreuzen sich zumeist Frauen, einige knien, andere stehen, während über versteckte Lautsprecher der monotone Sing Sang des Oligarchen ertönt. Was dem Palast seine Größe, ist der Kirche ihre Pracht. In einer Ecke unterhalten sich angeregt zwei bärtige Kirchenmänner. Sie nehmen meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Vor einem kleineren Altar scheinen sie ein Allerweltsgespräch zu haben. Doch dann kommen ab und zu einige Frauen zu ihnen, nachdem sie das goldene Bildnis eines Heiligen am Altar küssten. Ein Kirchenmann schlägt ein Kreuz vor der  Stirn der Frauen mit einem dolchartigen, kleinen Gegenstand. Danach treten die Frauen vor den zweiten Kirchenmann, der ihnen die Hand auf den Kopf legt. Ehrfürchtig küsst eine Frau seinen Ärmel. An sich ist das nicht überraschend. Mich überrascht die Beiläufigkeit der Beiden, mit der sie ihr Amt so versehen, wie ein Jägersmann, der in einem Gespräch mit einem anderen Waidgenossen mal eben über seinen Hund streichelt, und danach noch nicht einmal sagen kann, ob er es getan hat oder nicht.

Es liegt eine unbotmäßige Geringschätzung in den Beiden, die mich wieder mal auf die Kirche so wütend macht. Das haben diese Frauen nicht verdient. Erst erhebt sich ein Mann in diesem Land zu Gott, dann setzt man eben diesen  armen Leuten Kirchen  vor den unbeugsamen Nacken, um sich schlussendlich nur selbst wahrzunehmen. Der Tausch Kirche gegen Kommunismus scheint nicht viel zu bringen, außer einem Kniefall und inbrünstiges Beten nach etwas Besserem.

Den Ort zu verlassen, fällt mir trotz, oder soll ich jetzt sagen wegen der Pracht, nicht schwer. Ich bin ja nur ein Tourist und sehe alles, obwohl direkt vor Ort, nur durch diese touristische Brille. Und die setzte ich schon am Anfang der Reise auf.  Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie absetzen will, und würde mich am liebsten zum schützenden Schiff zurück begeben. Da ist dann ein bisschen Heimat, mit Leuten, die mir zwar meist fremd, aber sprachlich und touristisch nahe sind.

Die anschließende Begegnung mit den im Freilandmuseum herangekarrten Gebäuden aus verschiedenen Ecken des Landes, bessern meine heutigen Ansichten erheblich auf. Endlich kann die Kamera ohne weitere Hintergedanken vor sich hin klicken. Die Trachtengruppe, bestehend aus jungen Mädchen, kommt gerade recht ins Bild. Das Foto, mit mir sitzend vor dem weißen Bauernhaus mit seinen blauen Fenstern, ist jedem Klischee von Idylle nicht nur nahe, sondern ist das Klischee in seiner reinsten Form.

Die Fahrt endet nach fünf Stunden in einer anderen Stadt,  wo das Schiff inzwischen angelegt hat. Die, die nicht mit dem Bus gefahren sind, machten einen Spaziergang an Land und befanden sich plötzlich inmitten von Industrieruinen, mit denen sich das Wort Sehenswürdigkeit doch ein heftiges Duell lieferte. Die Industrieruinen siegten und die Menschen kehrten schnell ins Paradiesschiff zurück, denn dort wartete das Mittagessen, Bingo oder sogar eine Tombola. Damit kann nicht einmal Rumänien mithalten.

Völlig erschöpft tauschen wir  Infos über den Geschmack der Fischsuppe mit unseren schwäbischen Mitessern aus, befinden das Geschnetzelte für gut und ich kann sogar über meine eigenen Witze lachen.  Neu ist für mich, das Fischsoljanka mit Oliven versetzt werden kann. Nicht so neu ist die Tatsache, dass ich mich nach einem kleinen Mittagsschläfchen sehne.

Eine Stunde, nach Beginn meines seligen Schlummers, klingelt der Wecker zum Kaffee. Dort erfahre  ich einiges über die Zuckerkrankheit und ihre Auswirkungen. Nach dieser medizinischen Erfahrung wird mir wieder mein Auftrag  ein Tagebuch zu schreiben, bewusst. Also sitze ich hier, schaue nachdenklich auf die  überschwemmten Gebiete und schreibe mir die Worte vom Hals, wohl bewusst, nur das Wesentliche auf das Papier bringen zu können.

 

Ismail und das Donaudelta

 

Die Donau bleibt bis Ismail grau, die blaue Wunschfarbe der Wiener erfüllt sich höchstens nach ein paar Gläsern Whiskey, doch bis dahin bin ich nie gekommen. Obwohl noch ein Großteil der Flächen überschwemmt ist, (der Fluss ist ca. 2m zu hoch und nimmt pro Tag nur etwa 1cm ab) scheint die Natur auf große Strecken noch intakt. Sie verkraftet es besser als die an den Ufer liegenden Dörfer. Neben Grau- und Silberreiher begegnen uns auch immer wieder Kormorane. Kurz vor Ismail entdecke ich den ersten einsamen Pelikan, dann legen wir auch schon in der kleinen Stadt an und vor uns steht eine geradezu winzige Backsteinkirche. In deren Inneren befindet sich, wie ich später feststelle, ein reich verzierter Altar und ein kleiner Verkaufs- oder Souvenirladen. Mehr als 5-6 Menschen passen kaum in den Raum. Die Kirche fängt in dem tristen Hafengelände sofort den Blick ein, dagegen verkümmert der großzügig aus Stahl und Fenstern gebaute „Moskauer Bahnhof“ förmlich. Diesmal gibt es nach dem obligatorischen Frühstück, bei dem die Gespräche um Fußball, Wehwehchen und Rezepte dominieren, für die Stadtbesucher vollklimatisierte Doppelstockbusse. Für das obere Stockwerk bin ich eigentlich mit meinen 1,76 schon fast zu groß, wie ich schmerzhaft feststelle, doch Sylvia hat schon wie sooft unseren Platz festgelegt. Sobald sie meint einen interessanten Blick erhascht zu haben, ist sie vollends überzeugt, auch für mich richtig entschieden zu haben. Das sehe ich völlig anders, mag mich aber nicht so recht wehren zu wollen. Der Bus ist diesmal groß genug, so dass ich einen eigenen Fensterplatz bekomme. 10 Minuten nach Abfahrt des Busses, währenddessen uns die interessante Sehenswürdigkeit eines Minigolfes nähergebracht wurde, steigen wir vor einer Kirche aus. Meinen touristischen Ehrgeiz völlig ignorierend, meldet sich meine Blase zu Wort. Der Park bietet nur wenige Möglichkeiten den Blicken der Anderen zu entschwinden. Während die Reiseleiterin uns die historische Tatsachen näherbringt, durchforste ich den Park nach einer blicksicheren Stelle, die ich auch finde. Aah, das war gut. Die blaue, orthodoxe Kirche kann nun meine ungeteilte Aufmerksamkeit bekommen. Im Inneren, wie immer reichlich und bunt bemalt, befindet sich ein großer goldener Altar mit einer offenen Tür in der Mitte. Dahinter kann ich Kerzenständer und anderes liturgisches Gerät erkennen. Ein Priester zelebriert in einer blauen, mit viel goldener Borte abgesetzten Art Tunika sein Gebet, während die Gläubigen unentwegt ihre Kreuze mit drei Fingern schlagen (Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammen symbolisieren die Dreifaltigkeit, die zwei anderen gekrümmten Finger Adam und Eva). Gegenüber der Kirche befindet sich ein großzügiges, aber nicht allzu protziges Denkmal für die gefallenen afghanischen Soldaten der Stadt. Eine lebensgroße Figur teilt eine Landkarte von Afghanistan. Die Kirche ist uns Atheisten dann doch touristisch näher, wir stehen mit dem Rücken zu den unglücklichen Helden und fotografieren fleißig den Tempel Gottes, wohl in der Hoffnung auch IHN mal zu Gesicht zu bekommen. Unsere Gruppenandacht mit Kamera stören zwei Bettler, eine Frau und ein Mann, die äußerst aufdringlich betteln. Sie zupfen an Sylvias Ärmeln, sobald man sie anschaut, schlagen sie Kreuze und murmeln unverständliches. Soweit ich es bemerke, gibt niemand etwas, was die Frau nach einer Weile mit einem wütenden „Ne, ne“ kommentiert. Den humpelnden Mann weist inzwischen die Reiseleiterin energisch in die Schranken. Er gibt sofort Ruhe. Ich meine das Wort „Policia“ gehört zu haben. Wir wissen zu wenig über dieses Land, über die Ukraine.

Auf holprigen Straßen müht sich der Bus über den 6 Kilometer langen Suworow Prospekt, dessen Straßenbelag wohl noch aus Kriegszeiten stammt. Drei Minuten brauchen wir bis zum nächsten Ziel, einem Museum. Hier dürfen wir als erstes Bilder von Studenten der Kunstakademie bewundern. Interessant sind für mich Bilder von 11–14-jährigen Kindern, die erstaunlich erwachsen zum Teil wirken. Die einzelne Toilette im Museum ist hart umkämpft, wie immer bei den Landausflügen seit Rumänien. Nachdem ich diesen Kampf meisterhaft hinter mich brachte (wieso musste ich schon wieder) erfreuten sich unsere Sinne an einer kleinen folkloristischen Gruppe. Der siebenköpfige Frauenchor ist schon mehr als 29 Jahre zusammen, was man ihnen dann auch durchweg ansieht. Aber trotz Goldzähnen, Kopfwackeln und vielen Falten erreichen die Liedchen nicht nur unsere Ohren, sondern auch unsere Herzen, zu mindestens meines. Ich liebe russische Lieder und der Akkordeonspieler entspricht vollkommen meinem Bild von einem echten Russen (auch wenn er Ukrainer ist und dies nicht gern hören wird).  Diese Lieder tragen so viel Gefühl in sich, dass mir schlichtweg die Worte fehlen dies zu beschreiben. Sie entführen mich in eine Kindheit, wo ich die russischen Märchen noch im Kino sah. Den Abschluss krönt ein deutschsprachiges Volkslied, dessen Text ich zu meiner Beschämung nicht kann. Das hier ist die Busfahrt wert gewesen.

Der Rest der Fahrt ist eher reizlos, da Ismail noch nicht so recht touristisch erschlossen scheint. Doch das Diorama von der Schlacht der Türken gegen Suworow 1770 beansprucht noch einmal meine volle Aufmerksamkeit. 26.000 Janitscharen und 4.000 Russen verloren an diesem entscheidenden Wintertag ihr Leben. 100 Jahre später wurde die Festung Stein um Stein abgetragen vom russischen Sieger. Heute ist auf dem Gelände eine Motocrossstrecke, die die entstandenen Krater ausnutzt. Die übriggebliebene Moschee mit dem Diorama war damals etwas abseits der Kampfschauplätze und überlebte die Schlacht.

Der Bus schaukelt 5-10 Minuten weiter. Der Ausflug hätte auch ohne weiteres zu Fuß in derselben Zeit gemacht werden können, aber wir haben  halt eine achtzigprozentige Rentnerbevölkerung an Bord, natürlich rein touristisch gesehen. Eine junge Braut in Weiß überrascht uns bei der Ankunft am Hafen vor der kleinen Kirche. Ihr Kleid ist von zartem Tüll umgeben und ihr hübsches Gesicht verrät eine unbändige, beneidenswerte Jugend. Wer der Ehemann ist wird uns trotz intensiven Beobachtens nicht klar, da einige der in Frage kommenden Kandidaten aus der lärmenden Hochzeitsgruppe, vergnügt mit der Braut posieren.

Schon ganz ungeduldig erwarten wir die Fahrt in das Donaudelta.  Doch zuvor kommt in Vilkovo, das wir um die Mittagszeit erreichen, ein lipowanischer Brauch auf uns zu. Der Dorfälteste steht mit einer kleinen Schar traditionell gekleideter Kinder an der Pier und hält in den Händen eine große Schale Brot und Salz. Der Gesang und Tanz der Kinder wird mit Schokolade und Kaugummi der Touristen belohnt. 145 Leute füllen die Tüten der kleinen Mädchen, da der Bordlautsprecher und ein speziell gedeckter Tisch schon seit Tagen fleißig dafür wirbt, solcherart nützliche Dinge zu kaufen und an das Kind zu bringen. Tradition ist Tradition und Geschäft ist Geschäft.

Die Fahrt auf einem Donaudeltaschiff ist nicht nur informativ, sondern atemberaubend. Schilflandschaften, soweit das Auge reicht, ein Refugium, das mir den Atem nimmt. Anfangs sind die Ufer des Kiriljenkoarmes von überschwemmten Gärten gesäumt, die etwas später Weiden und dann den riesigen Schilfflächen weichen. Vor dem doch etwas lauten Motorgeräusch des Schiffes lassen sich nur wenige Tiere sehen, da sie sich wohlweislich im Schilf oder unter Wasser verstecken. Die Vilkover produzieren ihr Obst, wie wir erfahren selbst und betreiben intensiven Fischfang, zu dessen Spitzenprodukt der Donauhering und der Hausen (Beluga) gehören. Letzterer kann bis zu vier Meter lang werden und bis zu einer Tonne wiegen, wird aber nur äußerst selten in dieser Größe gefangen.

Kurz vor dem Denkmal des Kilometer Null gibt es einen Wodka und besagten Donauhering – ich bin am Ziel meiner Wünsche, die ich tapfer mit dem für mich eigentlich ungenießbaren Wodka begieße und den Würgereiz bekämpfe. Das Schwarze Meer grüßt uns kaum 500 Meter entfernt mit schäumenden Wellen und am linken Rand des sich ins Meer ergießenden Donaustromes tummeln sich auf einem vorgeschobenen Eiland Pelikane. Fünfzehn Minuten dürfen wir dieses Schauspiel genießen, dann geht es zurück durch dieses einmalige Biospärenreservat. In einem kleinen See, der nahtlos in den Kiriljenkoarm übergeht, tummelt sich eine Schwanenfamilie. Zwei Kormorane posieren auf einem abgestorbenen, halb versunkenen  Baumnest für die Kameras.

Auf der Rückfahrt vereinnahmt mich wieder dieses phantastische Delta (das Wort leitet sich vom griechischen Buchstaben ab, der der Form der Flusslandschaft entsprechen soll). Einige Gäste, so auch mein Nachbar, wähnen diese Rückfahrt schon als langweilig. Seine Augen ermüden bei der immerwährend, gleichförmigen Landschaft. Die Menschen sind schon zu satt geworden, um solche Schönheit zu begreifen. Der Tourist von heute ist gierig darauf erpicht, ständig in Atem gehalten zu werden. Ihm fehlt die Ausdauer für ein langanhaltendes Genießen.

Den bessarabische Rotwein,  den wir kurz vorm Einlaufen in der Gabelstadt (Vilkovo kommt von wilko=russisch für Gabel, weil der Fluss sich hier gabelt) bekommen, empfinde ich als Nichtweinkenner für ungenießbar. Die Anderen hingegen schlürfen ihn genüsslich. Im Übrigen ist bessarabisch kein geografischer Begriff, er steht für eine gewisse Heimat und hat mit arabisch nichts zu tun. Er stammt von einem gleichnamigen Fürsten ab, dem es anno dazumal gelang, die Fürstentümer auf diesem Gebiet zu vereinen. Der Wein, den wir bekommen schmeckt weniger nach Geschichte, er ist für meine Begriffe staubtrocken. Weinkenner würden wahrscheinlich  Lobeshymnen anstimmen, ich gab ihn schulterzuckend meiner Frau. Kurz darauf hat uns Vilkovo und das Abendessen wieder. Mit einem langen Blick auf die Donau und einem weiteren tieferen Blick in das Whiskeyglas lassen wir den anbrechenden Abend glücklich und zufrieden ausklingen.

 

Tag auf dem Fluss

 

Natürlich ist ein Tag auf See etwas Erholsames, man kann sich beruhigt entspannen, Sylvia badet im Becken drei mal sechs Meter und ich habe meinen runden Tisch aufgebaut, lausche den eigenen Worten und lasse  vor meinem geistigem Auge die Geschehnisse ablaufen. In Ismail wurden Teile der Besatzung ausgetauscht. Tatjana, die gestrenge Blondine und ewig lächelnde Serviererin, die aus einem russischen Märchen zu kommen schien, musste mit anderen Mädchen gehen. Es bleibt ein Geheimnis, warum stattdessen Elena und Victoria kamen. Auch unser Zimmermädchen Okzana ist nun nicht mehr da und prompt fehlt mein zweites Kuschelkopfkissen. Die Neue hat es in das einklappbare Sofa eingebaut. Es dauert eine Weile, bis ich die Klapptechnik heraushabe. Der Bordalltag wird durch Quiz, Rätselblätter und Bingo ein wenig aufgelockert. Mit Bingo haben wir es schon am siebenten Tag versucht. Der Reiseleiter von nicko tours, auch Bordlautsprecher genannt, ein immer fröhlicher, steht zuvorkommen Mann, dem selbst Beschwerden das Lächeln nicht aus dem Gesicht zaubern können, verteilte die Bingoscheine und vergaß mich prompt. Im Prinzip bin ich das gewöhnt. Schon des Öfteren wurde ich in Restaurants, Cafés vergessen oder ignoriert, inzwischen bringt das mich weder aus der Ruhe, noch muss ich darüber nachdenken, aber diesmal war’s auf einem Schiff und mir dadurch neu. Ein kleiner Protest meinerseits und eine Entschuldigung unseres Bordlautsprechers, dessen Wortlaut mir ebenfalls nicht neu war, sowie das Gelächter der Anderen, brachten das Spielen ins Rollen. Die gesamte Bingobeute in Höhe von 28,00 € mussten sich aber zwei Mitspieler teilen. Sylvia und mir fehlten je fünf Zahlen. Was für ein Wunder?

Noch vor dem Frühstück reservieren wir uns einen Sonnendeckplatz und schleppen alles mit uns, was wir haben: e-book, Palm, Navi, meine Schreibutensilien, Kamera, Video, Fernglas, Kopfhörer und Handtücher. Die ersten Minuten verbringen die Sonnenhungrigen noch mit Stühle umher schleppen, rücken sich in die Sonne zurecht, zupfen die Handtücher gerade und allenthalben klickt die Kamera mal rechts und mal links, um die überschwemmten Uferregionen von Rumänien festzuhalten. Ab und an kommen Informationen und der Bordlautsprecher schnarrt übers Deck. Durch das Hochwasser hat unser Schiff schon drei Stunden verloren und so beschließt der Kapitän zusammen mit nicko tours, den heutigen Tag etwas umzugestalten. Der Stopp in Cernovodo entfällt und damit auch die Reise nach Konstanza. Wie uns unsere Schwaben versichern, gibt es dort nur eine Statue von Ovid und ein Casino. Wir hatten noch nicht gebucht. Uns erschien der Preis von 39,00 €, trotz in Aussicht gestellten Badevergnügens im Schwarzen Meer, zu hoch. Mal abgesehen davon, dass ich sowieso kein Badefreak bin. Die drei Stunden Fahrt hin und zurück und der anderthalbstündige Aufenthalt entfallen für viele auch zu Gunsten des Fußballspiels Deutschland gegen Holland (Holland hatte am Vortag gegen Uruguay gewonnen). Aber das interessiert mich herzlich wenig bis gar nicht, ich nehme die Information nur auf, um sie ein wenig später wichtigtuerisch weiterzugeben, als hätte ich vom Fußball irgendwelche Ahnung.

Nach dem häuslichen Einrichten aller Beteiligten auf dem Sonnendeck tritt auch bald Ruhe ein. Ab 10 Uhr kann man sich auf der Brücke noch mit dem Steuerrad fotografieren lassen. Der neue Kapitän hat sich etwas für seine Gäste einfallen lassen. Er bekam von den Passagieren schon Bonuspunkte, da er sich gestern Abend auf Deutsch vorstellte. Selbst meine Frau findet das Klasse, was an sich schon bemerkenswert ist. Ein wenig zu überheblich ist das schon, finde ich.

Der winzige Schiffsverkaufsladen stellt seine Souvenirs aus, um Käufer anzulocken. Das kleine Holzschiff gefällt mir sehr, wird aber als Staubfänger faktisch im Vorbeigehen von meiner Regierung abgelehnt. Irgendwann nach 10 Uhr wird die Ruhe, die ab und zu von Scharchtönen unterbrochen wird, wieder von einem seltsamen geschäftigen Treiben abgelöst. Viele haben ein Papier und knobeln vor sich hin. Aha, beim Länderquiz gilt es 32 Länder aus einem Buchstabensalat herauszufinden. Die ersten zehn gelingen mir gut, doch dann stocken meine grauen Zellen. Ich muss dringend aufs stille Örtchen und komme deshalb an einige Rätselrater vorbei und wie zufällig erhascht mein Blick mir unbekannte Wörter beziehungsweise Länder. Eine perfide Idee ist  geboren. Zurück zu meiner Frau bilde ich sie sofort zu meiner geheimen Kundschafterin aus. Sie soll wie selbstverständlich zum Pool gehen und über die Schulter der fleißigen Rätsler schauen. Das gelingt auch bei einigen Wörtern. Leider ist die Fehlerquote sehr hoch, da meine fleißige Kundschafterin auch schon gefundene Länder mitbringt. Uns fehlen also noch fünf Länder. Nun mache ich mich auf Patrouille, damit es nicht so auffällt. Ich bemerke eine Dame, die schon fast alles zusammen hat. So zufällig wie möglich versuche ich an der Reling zu stehen und beobachte wie von ungefähr die Umgebung. Zur Tarnung habe ich mich mit dem Fotoapparat bewaffnet und mache irgendwelche nichtssagende Bilder. Dann versuche ich die fehlenden Länder zu erschielen. Leider hat sie ihren Stift genau an der Stelle, die ich lesen will. Ich gehe also in die Knie und tue so, als ob ich meine Schuhe zu binden will. Das ist eine blöde Idee, weil ich  Klettverschlüsse habe und ihr reißendes Geräusch nun erst recht die Aufmerksamkeit auf mich lenkt. Also schaue ich so unschuldig wie möglich in der Gegend herum und bemerke zu meinem Erstaunen und noch größerem Entsetzen, dass meine kluge Idee mehrere Nachahmer gefunden hat. Einer davon ist genau der Mann von der Frau, die ich gerade im Visier habe. Der Typ steht ausgerechnet vor Silvias Tisch und spioniert ungeniert drauflos. Das ist ja nun mal frech.

Bis auf ein gesuchtes Land habe ich genug Informationen ergattert und beeile mich meinen Tisch zu bewachen. Was interessieren mich kurz vor dem Ziel die überschwemmten Gebiete oder sogar das einsame Pferd auf einer schmalen Landzunge inmitten von Wasser. Die Nummer 30 auf unseren Zettel scheint auch den anderen Gästen Probleme zu bereiten. Ein älterer weißhaariger Herr, mit dem ich schon öfters ein paar Worte gewechselt hatte, baut sich wie von ungefähr vor mir auf. „Na, auch beim Rätseln.“ „Ja, ich versuche es“, fast unauffällig schiebe ich die leere Hülle meines Navigators auf die Lösung, indes das Ding bedeckt nur einen Teil. „Wie viel fehlen denn noch?“„Einer.“, ich traue ihm nicht. Er versucht auf den ungedeckten Teil zu schauen. Ich ziehe weiter die Hülle herunter. Der verflixte obere Teil wird dabei sichtbar.“ Nummer?“ „30“, das Verschiebespiel geht in die nächste Runde, doch diesmal bleibt meine Hand mit dem Kuli auf dem unteren Teil. Ich bin halt clever. „Das bekommen wir auch noch hin.“ „Klar doch.“, nicke ich selbstbewusst. Er geht zurück zur Reling, bleibt einen Moment stehen, den ich schnell benutze, um das Blatt endgültig allen Blicken zu entziehen. Sylvia ist inzwischen auf der Suche nach Infos in die Bibliothek gegangen, während ich über dieses verdammte Land-Dingsda schwitze. Le, Li, Les, Leo, Leone – das ist es. Sierra Leone. Ich habe es. Die Enttäuschung ist groß, als mit mir auch drei Andere die  ausgefüllten Blätter abgeben. Nun ja, unsere Spionagetätigkeit muss gründlich überdacht werden.

Die letzten zwei Tage war das Mittagessen eher fad, anscheinend haben sie den Koch auch ausgewechselt, doch das heutige Essen weist wieder Geschmack auf. Sylvia gefällt die Rinderzunge mit Meerrettichsauce und mir die Hähnchenroulade mit Paprikasauce, die geschmacklich auch diese Bezeichnung verdient.

Jetzt aber ist erst mal Mittagsruhe auf dem Sonnendeck und die meisten Leute schlafen oder dösen vor sich hin, manche lesen und einer schreibt. Ich schiebe mir den Hut aus dem Gesicht und schaue zufrieden auf die Donau, die hinter uns unaufhaltsam dem Schwarzen Meer zu strömt. Wir fahren gerade am Kilometer 270 vorbei.

So vergeht der Nachmittag in beschaulicher Ruhe und schon sitzen wir wieder beim Abendbrot. Wenn wir doch nur sitzen würden!! Aufregung pur herrscht in unserer Kabine 219. Der verdammte Safeschlüssel ist weg. Verschwunden, nicht aufzufinden. Panik breitet sich aus, der Hunger ist verflogen. Hektisch werden alle möglichen und unmöglichen Ecken durchsucht. Nichts. Das vermaledeite Ding hat sich aufgelöst. Schon 20 Minuten suchen wir verzweifelt, dann gehe ich zur Rezeption und melde den Verlust an. Der Offizier bleibt ruhig. Was habe ich mir auch anderes vorgestellt? Er kommt mit und versiegelt unseren Safe. Am Abendbrotstisch ergreift mich erneut Unruhe und ich mag nichts mehr essen. Ich gehe lieber suchen. Jetzt nehme ich mir vor, systematisch vorzugehen und fange in der linken Ecke des Zimmers an zu wühlen. Langsam werde ich wütend und ärgere mich über den zu erwartenden Obolus von 120 €. Die Welt ist schlecht und ich habe ein fürchterliches Leben. Zum -zigsten Male suche ich meine ¾ lange Hose durch, die an einem Haken hängt. Sylvia selbst hat sie zuvor schon mehrmals umgekrempelt. Ich fahre mit den Händen über den Stoff, in alle Taschen, dann erfühle ich unerwartet etwas Hartes. Es ist unglaublich, aber auf einmal ist dieser verdammte Schlüssel wieder da. Ausgerechnet an einer Stelle, die wir wohl am meisten durchsucht haben.

Die Welt ist wieder in Ordnung und mein Leben hat wieder einen Sinn. Die Schwaben an unserem Tisch bemerken als erstes mein breites Grinsen und schon gewinne ich meine gewohnte Contenance zurück und lese gut gelaunt einige meiner Nonsens-Gedichte vor. Das hebt die Stimmung ungemein, denn eigentlich ist ja nichts geschehen.

Am Heck bereitet Tamara meinen Abend mit einem Whisky vor, Sylvia trinkt einen Black Sea Drink, der mit Wodka und Kaffeelikör gemixt ist und zur Donau irgendwie wie zu passen scheint. Ich bemühe mich Tamara mit ein wenig Russisch aufzuheitern. Sie täuscht lächelnd Interesse vor und ich bin zufrieden. Der Tag könnte ausklingen, ganz langsam und ruhig, wenn nicht eine ältere, schlanke Person einen Marathonlauf quer durch unser Restaurant geplant hätte. Mit Höchstgeschwindigkeit düst sie an den friedlich Drinks schlürfenden Gästen vorbei. Das Schauspiel wiederholt sich alle paar Minuten, jeweils in umgekehrter Richtung. Die Schweizer hinter uns sind leicht genervt. Unsere Unterhaltung mit ihnen führt über den Laufweg der selbstbewussten Sportlerin, die auf die Forderung, ein wenig langsamer zu laufen, gereizt reagiert. Schließlich könne sie nichts dafür, dass die Schweizer ausgerechnet neben oder gar in ihrer Rennstrecke sitzen. Ab der Runde sieben beginnen dann die ersten Witze und jede weitere Runde wird mit einem fröhlichen Händegeklapper quittiert. Die Sportlerin reagiert zunehmend irritiert. Als Streckenberichterstatter sitze ich nun mehr so günstig, dass ich ihre Ankunft jedes Mal ankündigen kann. Nach Runde zehn werden inzwischen auch Fremdankömmlinge mit einem fröhlichen Sport frei begrüßt. Das führt im ersten Moment zu Irritationen bei den Neuankömmlingen und bei uns für Spaß.

Irgendwann nach Runde 13 bricht die Läuferin entnervt ab, sie hat genug. Mit der Vorstellung ihrer wütenden Eskapaden gegen uns, kehrt wieder Ruhe auf dem Heck ein und wenig später fallen uns in der Kajüte die Augen zu. Es geht weiter Richtung Nikopol.

 

Nikopol

 

Das Hochwasser begleitet uns weiter die Donau hinab. Zum Frühstück erfahren wir, dass Deutschland gegen Spanien 0:1 verloren hat. Nun gut die Schwaben bekommen halt kein Bier von mir. Jedes Tor Deutschlands hätte mich ein Bier für drei Schwaben gekostet. Damit tendiert der Preis gegen Null. Heute ist der erste bewölkte Tag und ein fröstelnder Ausblick auf dem Sonnendeck lässt uns nach dem Frühstück in den blauen Salon zurückziehen, wo wir uns mit einem Rätsel über Deutschland herumplagen. Wir bekommen sogar heraus, welche Stadt der ungekochte  Holzstock bedeutet – es ist Ro(h)stock. Nur die Wasserstraße aus Niederschlag bleibt mir ein Rätsel. Hat Regensburg einen Fluss namens Regen? Er hat, wie ich später erfahre und wird als leichtestes Rätsel für mich fast unlösbar. Beim gestrigen Scherzfragenquiz gewannen wir und unsere Schwaben ein Puzzle. Sylvia ist in Scherzfragen ganz gut, aber Moses foppte uns ein wenig, weil die Arche nun mal von Noah tierisch gut bestückt wurde. Das Länderquiz gewinnen andere, weil blöderweise auch die Rechtschreibung herangezogen  wird. In der Eile habe ich aus Bhutan – Buthan gemacht, aber so etwas passiert mir häufiger, lässt die einen geringschätzig lächeln und mich manchmal verzweifeln. Also Tschüss Sektflasche. Naja, der Spaß zählt.

Das letzte Reisedrittel wird durch einen Diavortrag unseres Bordlautsprechers Herrn Sörensen eingeläutet. Er beschreibt die noch ausbleibenden Touren und macht uns das Geldausgeben schmackhaft. Der blaue Salon ist proper voll und ein Herr uns gegenüber freut sich kindlich über seine fotografischen Fähigkeiten und knipst ausgiebig die Spiegeldecke mit sich selbst als Motiv. Nun vielleicht hat er eine neue Variante fürs eigene Schlafzimmer entdeckt, da er dieses seltsame Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht bekommt.

Viel sehen wir von Nikopol nicht. Auf der gegenüberliegenden Seite ist ein großer Industriehafen, der zum rumänischen Turnu Magurele gehört. Pleven, unser Zielort liegt 50 Minuten von Nikopol, einer nichtssagenden kleinen Hafenstadt, entfernt. Die gebuchte Busfahrt geht durch diverse kleine Dörfer mit unverputzten, teilweise lädierten und leerstehenden Häusern. Die erschreckende Armut der Menschen wird schlagartig sichtbar, obwohl oder gerade, weil 90% aller Häuser der Stadt in Privatbesitz sind. Bei Löhnen von 240 bis 600 Lewa (120 – 300 Euro) nimmt das nicht Wunder, da die Betriebskosten, insbesondere die Heizung etwa 250 Lewa verschlingt. So wird  insbesondere die Nahrung von der Bevölkerung in kleinen Gärten selbst produziert, wie wir es schon in Kroatien kennenlernten. Die Stadt selbst bietet einen ernüchternden Anblick. Sie scheint sich gerade aus ihrer sozialistischen Pelle zu schälen. Zu deutlich sind die Vernachlässigungen aus der Shivkowschen Ära, die auch nicht durch die blühende westliche Werbung gemildert wird. Da ändern die immer wiederkehrenden Äußerungen der Reiseleiterin über den Privatbesitz an Geschäften nichts im Auge des Betrachters. Wir Ostdeutschen haben diese Phase des sich entwickelnden Kapitalismus durch den reichen Bruder im Zeitraffertempo erlebt und oft genug durch litten. Trotzdem liegt ein nicht unerheblicher Stolz in der Stimme unserer bulgarischen Führerin. Führer sind immer irgendwie stolz auf ihre Nation, jeder auf seine Weise. Unsere Reiseleiterin lässt den sentimentalen Wehmut der Serben völlig vermissen.

Wir besuchen das Panorama vom Sieg der Russen über Omar Pascha 1877 vor den Hügeln Plevens. Die Türken, deren Wirken uns seit der Hinfahrt über Ungarn immer wieder begegnete, hatten durch ihre Blutzollpolitik das Blut der Völker zum sprichwörtlichen Wallen gebracht. Blutzoll bedeutete die Verschleppung der 12-14jährigen Söhne der Bevölkerung in die Türkei. Dort wurden sie einer Gehirnwäsche unterzogen und mit ihrer umgekrempelten Seele auf ihr eigenes Volk losgelassen; mit verheerenden Folgen.

Diese barbarische, aber zu jener Zeit auch durchaus logische Tat, war aber letztendlich mit zu vielen Grausamkeiten verbunden und konnte keinen Bestand haben. Der Widerstand regte sich, trat zuerst vereinzelt auf und sollte zu einem Flächenbrand werden. Doch noch konnten die Türken diese aufflackernden Feuerchen unter Kontrolle bringen, bis dann die Russen eingriffen, mit durchschlagendem Erfolg. 200 Jahre nach der unbarmherzigen Schlacht, in der Omar sein Schwert an die Sieger in einer kleinen erbärmlichen Hütte an einem Pass übergeben musste, baute man den Gefallenen zu Ehren ein Panorama und ein Mausoleum, in dem die Gebeine der Gefallenen eine letzte Ruhe fanden. Das Mausoleum ist im Stile einer Moschee gebaut und säumt den Platz vor dem rot-weißen Rathaus in Pleven. Zu jeder vollen Stunden ertönen die Glocken, als primitive Tonbandaufzeichnung, so wollte es unseren verwöhnten Ohren scheinen. Das Ganze klingt eher wie ein übersteuerter Lautsprecher.

Sylvia findet wie immer wenig Neigung tote Knochen zu besichtigen und beobachtet stattdessen die balzenden Tauben. Doch ehe sie sich besinnt, das Schauspiel zu filmen, verliert der Tauberich das Interesse an der immer wieder ausweichenden Taubendame. Darüber ist mein holdes Weib augenscheinlich erbost und spielt wahrscheinlich gerade ein paar leckere Taubenrezepte im Geiste durch. Beim Verlassen der Moschee entdecke ich ein paar überdimensionierte Hainschnirkelschnecken, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob es sich auch um die genannte Art handelt. Ich fotografiere sie intensiv und von allen Seiten und mir fällt auf, dass mir wohl Pleven als Stadt der Schnecken in Erinnerung bleiben wird. Die Welt ist nun mal ungerecht.

In Nikopol angekommen legt uns die Reiseleiterin ans Herz, doch irgendwann einmal wieder zu kommen, falls uns Bulgarien gefällt. Ich muss eingestehen unsere Gedanken werden dem Land und den Menschen nicht gerecht, doch äußern wir diese Überheblichkeit nicht und bedanken uns artig bei Vivian. Inzwischen haben wir den Krieg und den Sozialismus vergessen und hoffen darauf, dass unser Abendessen ebenso gut gewürzt ist, wie unsere verwöhnten Gaumen dies erwarten. Zu unserer Erleichterung tritt genau dies ein und gedanklich verlassen wir Bulgarien noch bevor das Schiff überhaupt abgelegt hat.

Auf der gegenüberliegenden Seite, am rumänischen Ufer sehen wir gelbgrüne, giftige Nebel aus gewaltigen Schloten aufsteigen, die uns zwar ein paar Naturschutzbemerkungen abverlangen, andererseits sind wir aber beschäftigt mit der äußerst wichtigen Frage nach dem Geschmack unserer Suppe. Schließlich weiß ja auch jeder; dieser Nebel reicht niemals bis nach Deutschland. Nicht in diesem Urlaub.

Der abschließende Abend wird in das schöne Bild einer gelbrot-glühenden Sonne, die sich langsam hinter lauschigen Wäldern auf ihr Nachtlager vorbereitete, getaucht. Dabei erscheint sie auf der Donau wie eine sich in satten Farben spiegelnde Straße und macht einen besonders romantischen Eindruck. Die zahlreichen Zuschauer dieses Schauspiels fangen diesen Moment immer wieder ein. Später zu Hause beim Betrachten der Bilder muss man unumwunden feststellen, dass das reale Bild jedes noch so meisterhaft eingefangene Foto übertrifft. Sylvia amüsiert sich derweil mit einer Schwäbin bei der Tombola und gewinnt ein Parfüm von Armani. Da ich sowieso nie etwas gewinne, lass ich mir lieber meinen nächtlichen Whisky munden.

 

 

Zurück über die Katarakten

 

Bulgarien haben wir nun auch verlassen und schiffern über den serbischen Teil der Donau weiter. Das Hochwasser gibt inzwischen wieder die Ufer frei. Auf dem Sonnendeck ist eine friedliche Ruhe eingekehrt. Ich beobachte einen Vogel, der seine Kreise scheinbar endlos über die grünen Hügel zieht. Der anfangs stürmische Wind geht über in ein hautstreichelndes Wesen. Sylvia reckt sich genüsslich der Sonne entgegen. Ich kann nicht recht dösen, mein Kopf explodiert, ist voll mit Ideen, mit Geschichten, Erzählungen und Theaterstücken. So viel Hände kann ich gar nicht haben, wie die Lust in mir steigt, endlose Wortreihen zu bilden. Pink Floyd’s Melodien beflügeln mich. Dabei sehe ich dem Monteur gedankenverloren zu, der in der Nähe des Schornsteins werkelt. Dann vertiefe ich meinen Blick lange in die Wasser der Donau.

Hin und wieder wird meine nun gewonnen Ruhe durch Risse in den Gedanken gestört, durch tief sitzende Ängste, die mich aufwühlen. Was geschieht während der Reise zu Hause, ist dort alles in Ordnung? Kommt der Hustenreiz wieder, der mich am Anfang der Reise heftig quälte und auch jetzt immer mal wieder heimsucht. Gibt es unangenehme Post? Was ist nur geschehen, dass mir keine andere Wahl blieb, als aus der geliebten Theatergruppe auszutreten? Hab ich die eigentliche Schuld daran, obwohl mir nichts bewusst ist?  Sylvia will von alldem nichts hören. Ihre Sorglosigkeit möchte ich haben.  Dafür hat sie auch den entspannteren Urlaub. Sie genießt jeden Tag ohne die lästigen Unterbrechungen, die mich zuweilen bedrängen. Die Musik ist inzwischen nicht nur in meinem Kopf, sie scheint auch die gesamte Landschaft zu erfassen. Sie beschreibt die herrliche Aussicht, die wogenden Wälder, die sanften Wellen des Flusses und die Worte gleiten mir schnell aufs Papier. Es ist eine unglaubliche Symphonie aus Ekstase und Schönheit, deren einzelnen Fetzen ich in tiefen Zügen aufsauge und gleichzeitig Angst habe, loslassen zu müssen. Am Himmel baue ich aus Wolkenteilen Phantasiefiguren, puste sie auseinander, um sogleich mit einem neuen Bau zu beginnen, während die Sonne fortwährend an den Rändern der Gebilde frisst. Wir fahren auf das Eiserne Tor zu und Decebal erwartet meine Verneigung, bietet mir seinen Schutz an.

Jetzt zu schlafen, wie es viele auf dem Deck tun, wäre für mich eine unglaubliche Verschwendung. Kann ich diesen Tag beschreiben, wie er war oder beschreibe ich ihn nur so, wie ich ihn sehe? Vor uns tauchen in dunstiger Entfernung die Ausläufer der Karpaten auf.

Nach dem Passieren der Schleusen von Derjab am Eisernen Tor öffnet sich vor uns wieder die Kataraktenstrecke, der wohl schönste Teil der Donaufahrt.  Schroffe Felsen engen die Donau ein, verjüngen sich zu steinernen Toren, um dann unvermutet wieder ein geräumiges Becken zu bilden. Gleich darauf werden sie enger und scheinen sich zusammenschließen zu wollen. Das Auge ist voll von großartigen Bildern und das Gehirn hat Mühe, die beeindruckende Landschaft auch nur ansatzweise zu speichern. Die klickenden Kameras bemühen sich wie so oft, die Wirklichkeit wenigstens teilweise einzufangen. Decebal oder Dekebalus grüßt, in Stein gehauen, vornehm die Vorbeifahrenden und schon schlängelt sich das Schiff zum nächsten Felsentor. Gleich darauf kommt das klosterähnliche rumänische Leuchtfeuer in Sichtweite. Die Sinne schlagen Purzelbäume und sind trunken von der Bildergewalt, dem Riechen und auch Schmecken der frischen Luft. Über uns spannt sich blau das Himmelszelt und die Federwolken berühren sanft die Felsspitzen. Der Wind spielt sacht mit den Wellen, steigert dann und wann sein Pusten und Wehen, zerrt an den Sonnensegeln, zerzaust das Haar, um kurz danach in die Wipfel der Bäume zu greifen und sich dann wieder sacht mit den Wellen zu beschäftigen. Am Ende der Kataraktenstrecke gleich hinter dem serbischen Leuchtfeuer, das sich relativ bescheiden präsentiert, steht ein Abendbrot nach Piratenart im Speisesalon. Man hat sich Mühe gegeben und den Saal mit Wimpeln dekoriert. Die Kellner tragen blaugestreifte Seemannsshirts und Gena, der ewig zuvorkommende Kellner, hat sich ein Mützchen mit dem Jolly Rogers Emblem gebastelt, was im Saal für Heiterkeit sorgt. Kurzzeitig nominiert er zum Star und posiert mit oder ohne Kollegin, keine Spur von Verlegenheit zeigend,  vor den Kameras, die sich gegenseitig bedrängen und einander die Blitzlichter abjagen.  Ein Gast, der mir sonst nur durch seine dicke Brille und seiner etwas mürrisch dreinschauenden Frau auffiel, genießt diesen Abend besonders. Ausstaffiert mit Piratenkopftuch, einem riesigen Pflaster im Gesicht und einem Armstumpf mit Enterhaken wird er zum Mittelpunkt des Gaudis. Unser Bordlautsprecher schminkte sich in Piratenmanier und humpelt, mit einer Wunde übers zusammengekniffene Auge, durch den Saal. Die Atmosphäre ist fröhlich und aufgelockert und Dimitrijs Melodien unterstreichen das Treiben.

Kurz vor dem Abendbrot gebe ich einer Frau das Gedicht „Sonnenuntergang“. Einen Abend zuvor hatte sie mich unbewusst inspiriert, den wirklich schönen Himmel am Abend samt seiner Spiegelungen im Wasser in ein Gedicht zu verwandeln. Natürlich sagte sie es bloß so dahin, da sie mich des Öfteren beim Schreiben beobachtete. Sie bedankt sich artig und ich halte es mehr für eine Höflichkeitsgeste. Natürlich schreib‘ ich gern und manchmal auch viel, halte mich aber kaum für einen Künstler. Es ist eine Art Therapie und macht mir Freude. Nicht mehr und nicht weniger. Zudem bin ich mir meiner holprigen Art zu schreiben durchaus bewusst und die Rechtschreibung muss ich ständig überprüfen. In der weiten Welt der Worte gehöre ich wohl eher zum dörflichen Teil und da vielleicht noch in die hinterste Ecke. Die Leute mögen oft auch keine Gedichte, die sich nicht reimen. Ich habe also diese Begebenheit, wenn es denn eine solche war, schon fast vergessen und will mit Sylvia den Abend wie immer am Heck beschließen, als mich ein mir unbekannter Mann von hinten anspricht und mir dankt. Einen Moment bin ich etwas verwirrt, sehe aber dann die Frau, der ich das besagte Gedicht gab und bin regelrecht baff. Ich habe den Nerv der beiden Ruhrpöttler, wie sich herausstellt, getroffen und zwar derart, dass sie mich spontan zu einem Bier einladen und auch Sylvia einen Bailey spendieren. So hatte sich noch nie jemand  bedankt und die überschaubare Reihe meiner Fans erweiterte sich auf Nummer zwei und drei. Mit einer Emotion, die man der Frau auf den ersten Blick gar nicht zutraut, erzählt sie von ihren Reisen in den Jemen. Die Begeisterung ist in jedem ihrer Sätze spürbar. Vor meinem geistigen Auge entstehen mitten auf der Donau Wüstenwellen, die von Jeeps durchfurcht werden und riesige Staubfontänen hinter sich herziehen. Schwarzgekleidete Männer kauen unentwegt grüne Blätter bis ihre Wangentaschen Beulen bilden. Sie verhandeln mit den Reiseleitern über den Bakschisch der zu betretenden Gebiete. Im nächsten Moment befinde ich mich in Vietnam in einem sauberen, nicht üppig ausgestalteten Restaurant, wo die bestellten Speisen den gesamten Tisch bedecken und die Frau, ob der Fülle, kurzerhand andere Touristen einlädt. Das Mahl ist opulent, aber für den Preis auch fast geschenkt. „Für diesen Preis“, sagt der Mann aus dem Ruhrgebiet mit ruhiger, sachlicher Stimme „gibt es in Deutschland nicht mal eine Schnapsrunde.“ So plaudern wir in den Abend hinein, der aber irgendwann durch die Invasion der Mücken jäh unterbrochen wird.

Bevor ich mein Haupt müde in die Kissen drücke, fällt mein Blick auf das kleine Holzkästchen auf dem Tisch. Es sind kleine Seemannsknoten eingeklebt. Die Schwäbin an unserem Tisch hat ihn bei der Tombola gewonnen und schenkte ihn mir. Irgendjemand hatte sich vorgenommen mir heute unbedingt etwas Gutes zu tun. Zufrieden und selig schlafe ich ein.

 

Novi Sad

 

Es geht unweigerlich nach Hause, aber noch erwarten uns drei Ausflüge.  Schon früh am Morgen sitze ich an der Seite des Schiffes und lasse das serbische Ufer an mir vorüberziehen. Es ist leicht hügelig, waldbewachsenen und zeigt von Zeit zu Zeit felsiges Gestein. Manchmal sind die Hügel mit alten Häusern betupft, die sich allmählich zu Orten zusammenballen,  um dann wieder auseinander zu fließen und ganz zu verschwinden. Reiher und Kormorane fliegen nah am Schiff vorbei. Im nächsten Augenblick verschmelzen sie als kleine Punkte irgendwo mit dem Blau des Himmels. Der Fluss zieht sich kurvenreich durch die Landschaft. Ich schlemme an den herrlichen Bildern. Sylvia genießt das schöne Wetter auf dem Sonnendeck. Ich mag es heute mehr im Schatten und habe es mir an einem Tisch auf dem Seitengang des Schiffes gemütlich gemacht. Hinter mir klappert das Geschirr in der Kombüse, irgendjemand flucht auf Russisch. Trotzdem empfinde ich meinen Platz fast lauschig und lasse die Eindrücke vergangener Tage an mir vorüber ziehen, die prächtige Moscheen und Kirchen, das bettelnde Mädchen, Budapest bei Nacht, die verfallenen und halbgeputzten Häuser in Bulgarien, der traurige Blick der ungarischen Hunde, der unrasierte Alte in Ismail, die zerbeulten O-Busse, Tamaras Lächeln beim Bestellen des Whiskys, Decebals Lächeln, das abbröckelnde Grau des Sozialismus, die Wunden an den Häusern Kroatiens und die zerbombten Regierungsgebäude Serbiens, die Bordansagen, die Katarkatenstrecke und und und….

Bis heute habe ich 107 A5 Seiten, eine Kurzgeschichte, zwei Theaterstücke geschrieben, 6 Romane gelesen, und die Sinne meines Körpers ausgekostet bis zur Neige. Ist das nicht Glück und Zufriedenheit??

Am Frühstückstisch beobachte ich die Menschen; den Mann der jede aufgenommenen Wurstscheibe kommentiert, den Unentschlossenen, der sich einfach nicht entscheiden kann, welchen Saft er nehmen soll, den Unzufriedenen, der verzweifelt mit dem klebrigen Käse kämpft, die Missmutige, die ihren Teller mit stoischer Ruhe vollstapelt, die Jungsche, die sich wie immer schnell und behände um die Alten schlängelt und lächelnd jeden artig grüßt. Ich fange Wortfetzen auf“…die Reiseleiterin hat mir gefallen.“, „…das musste nicht sein.“, „…die Parkplätze, hast du die Parkplätze gesehen.“ Ich sehe auf die Münder, die Worte formulieren, höre das Auf- und Abschwellen der raunenden Masse. Sylvia versucht mit mir zu reden. Ich möchte aber in diesem Augenblick weiter in mir verweilen und reagiere kaum. Sie genießt das Frühstück in vollen Zügen, schlürft ihren Kaffee und lutscht an den Früchten. Irgendwann zieht es mich raus, die Warterei wird langweilig. Dann möchte ich nur noch schreiben und fange an zu maulen.

Novi Sad – Neusatz, lädt uns zum Verweilen ein. Diesmal besuchen wir auf eigenen Faust diese serbische Stadt, lassen die Festung buchstäblich links liegen und schlendern in der Hitze den Boulevard entlang. Die kleinen und großen Geschäfte interessieren uns nur am Rande, wir halten Ausschau nach den Nichtalltäglichkeiten und architektonischen Sehenswürdigkeiten. Dabei fällt uns nach dem Besuch eines Basars, den wir nur flüchtigen Blicks würdigen, der golddurchwirkte Turm einer Kirche mit der Aufschrift 1903 auf. Natürlich steuert Sylvia gleich auf die weit geöffnete Tür zu und plötzlich hören wir eine vertraute Sprache. „Du Deutscher?“. Ein altes bärtiges Gesicht, das in einem abgewetzten Hemd steckt, schaut uns erwartungsvoll an. Ich registriere den Stock und einen zusammengeknüllten Beutel, in dem Undefinierbares steckt. „Woher du kommen?“, fragt er. „Aus Ostdeutschland“. Er erzählt in gebrochenem Deutsch, dass er sieben Jahre in Berlin schwarz arbeitete und  sein Bein (er meint die Knie) jetzt  kaputt ist. Eine Rente von 500 Dinar (ca. 55,- Euro) beziehe er nun. Uns ist später nicht ganz klar, ob er monatlich oder wöchentlich meint, wobei ersteres wirklich arg wäre.  Im Gegensatz zu anderen Leuten bettelt er nicht direkt, er bittet um Hilfe, vielleicht 5 oder 10 Euro. Obwohl ich das erwartet habe, kann ich mich nicht entschließen, einfach nur weiterzugehen. Zu persönlich war das kurze Gespräch, zu ehrlich sein Blick. Wenn mich schon mal Mitleid packt,  dann ist es meist von besonderer Art, sehr zum Leidwesen meiner Frau. Völlig überrascht bin ich jedoch, als sie mir bedeutet, 5 Euro zu geben. Dass erlebte ich so noch nie. Es hat bei ihr weniger mit Geiz zu tun, obwohl ich ständig dahingehend frotzele, sondern eher mit Pragmatismus; gebe ich dem Einen, muss ich dem Anderen auch geben und dann werde ich nie fertig und auch ungerecht. Diese Logik ist aber heute irgendwie außer Kraft gesetzt. Diese Summe ist die bisher höchste, die wir auf einem Ausflug ausgaben, abgesehen vom Kauf des Netzteils für mein E-Book in Wien.

In den Gassen suchen wir die kleinen Durchgänge zwischen den Häusern auf, die Überraschendes bieten; Weinumrankte Mauern und die fast familiäre, vertraute Enge mit Minilädchen, sowie zahlreichen, beschaulichen Cafés, in denen das Raunen und Wispern zufriedener Menschen nachklingt. Sylvia interessiert sich für die Preise der Schuhe. Ihr Interesse erlahmt, aber schnell beim ernüchternden Vergleich, mal ganz abgesehen davon, dass die Absätze dieser „Stehschuhe“ eine Nummer zu groß sind. Die Brautkleider ziehen sie schon eher in den Bann und werden fachmännisch auf ihre Tragbarkeit begutachtet. Meine Aufmerksamkeit hingegen ist nur von kurzer Natur und gilt den hübschen Modellen, die sanften Stoffen umschmeichelt werden. Im Donaupark wird Sylvia von den Rotwangenschildkröten gefesselt. Intensiv beobachtet und filmt sie die kleinen „Schildas“.  Ich muss sie von diesem Teich geradezu wegzerren.

Wir verabschieden uns von der Stadt und dem Park, schlendern an den vollen Parkbänken entlang, schauen den Liebespaaren ein wenig wehmütig zu und streben unserem Schiff zu. Die MS Dnepr liegt in voller Schönheit längsseits des Piers und bietet ein prachtvolles Kamerabild.

Zwei Motorboote reiten auf den Wellen unseres Schiffes entlang und halten uns am Heck mit waghalsigen Sprüngen in Atem, als wir die Stadt verlassen. Am Abend werden wir unerwartet schnell müde, so dass dieser Tag nicht wie gewöhnlich am Heck beschlossen wird. In der Kajüte begeben wir uns nach einem Gläschen Krimsekt und einem Bier ins Bett. Ich lese Sylvia noch mein Theaterstück „Bis ans Ende der Welt“ vor. Es ist ein Stück für und über Jugendliche um Werte und Ideale, die uns Erwachsenen fremd sind. Das Ganze ist umrahmt von einer Bühne mit surrealistischen Bildern. Sylvi ist sich unsicher, ob diese Bilder von den Jugendlichen auch verstanden werden. Außerdem soll ich einige Ungereimtheiten beseitigen. Es wird noch ein schönes Stück Schreiberei, da ich auch Rapmusik und Tanz einsetzen will. Das zweite Stück ist noch in Arbeit, sodass ich nur 2 Szenen vorlesen kann. In dem Stück „Der Bischof und das Mädchen“ geht es um die Rache einer zur Hure gemachten Frau an einem Bischof, der seinen mordlüsternden Bruder deckt. Den Mord an ihrem Vater habe ich gerade erst „geschafft“ und sie will wissen, wie es weitergeht. Da wird sie sich noch gedulden müssen, fürchte ich. Anscheinend habe ich in diesem ruppigen Mittelalterstück doch etwas Spannung aufbauen können.

 

 

Kalosza – Paprika und Puszta

 

Heute freuen wir uns auf die Pusztafahrt. Was so profan daher gesagt klingt, ist eigentlich, neben dem Donaudelta, unser zweitgrößter Wunsch. Wir kennen dieses typisch ungarische Bild nur aus dem Fernsehen und jetzt bietet sich uns ein klein wenig Wirklichkeit. Der Tag ist schon am Morgen schwül und beginnt mit der Flussfahrt von der Zollstation in Mohasz. Diesmal waren die Behörden schneller als auf der Hinfahrt. Es schließt sich erst mal ein gemütliches Sonnenbaden der Gäste an, während ich meinen Tisch aufbaue, das Schreibgerät zurechtlege und den großen Dichter mime. Immerhin muss mein Reisetagebuch gefüllt werden und ein paar Stücke warten auf ihre Weiterführung. Mit der Donau im Rücken, fallen mir Gedanken fast von selbst auf das Papier. Es ist fantastisch mit der Musik von Faun diesen Tag, diesen Strom  zu genießen. Immerhin ist es schon der 12. Tag und noch nie waren wir länger als acht bis zehn Tage im Urlaub. Es tritt bei mir so eine Art Urlaubsmüdigkeit ein, die aber auch dem vielen ungewohnten Essen geschuldet ist und der doch immer wieder kehrenden Sorge um unser Zuhause, um  unsere Tiere. Meine Gedanken kreisen häufig um Romero, meinen schwarzen, in diesem Jahr erblindeten vierzehnjährigen Kater.

Dann geht es endlich von Kalosza  los. Erwartungsvoll stehen Sylvia und ich im Foyer des Schiffes, ausgestattet mit den Kopfhörern und zugehörigem Funkgerät. Beflissen steigen wir in den zugewiesenen Bus ein. Das Thermometer zeigt jetzt schon 24 Grad an. Es wird wieder ein verdammt heißer Tag. Wir erfahren etwas über die Hitze in Deutschland; 40 Grad sollen es dort sein. Das Wetter schlägt Kapriolen, es beschäftigt die Leute, freilich mehr durch Witze als durch wissenschaftliche Erörterungen. Sylvia hat plötzlich Bedenken wegen ihrer Balkonpflanzen, doch noch überwiegt ihr Urlaubsfeeling. Später werden wir stellen zu Hause feststellen, dass die gute Pflege der Nachbarin die Balkonpflanzen gerettet hat. Ein paar Straßen und Gedanken weiter befinden wir uns schon im Paprikahaus, dem sogenannten Sankt-Stephan-Haus. Überall hängen Paprikaschnüre herum, mehr als 1000 sollen es sein. Es erzählt uns durch Fotos und anderen Ausstellungstücken vom Leben der Paprikabauern. Der anschließende  Besuch eines Bauernhauses bietet uns ein Bild vom Alltag einer ungarischen Paprikabauernfamilie. Natürlich sind die Farben touristisch aufgemotzt und täuschen eine Idylle vor. Das blau-weiß gestaltete Haus mit Schilfdach beherbergt neben dem unweigerlichen Souvenirshop auch allerlei ansehnliches Nebengelass. Die Hitze ist inzwischen erdrückend und gleich geht es in die Puszta. Diese  rein touristisch erschlossene Puszta hat mit der Vergangenheit nur bruchstückchenhaft etwas zu tun. Damals waren die Männer monatelang draußen in der Ebene, hatten ein karges Leben und suchten Zerstreuung. Die Graurinder, Pferde und Menschen bildeten eine Einheit und es entstanden einzigartige Dressuren, die aber mehr dem Überleben dienten und weniger als Zirkusattraktion gedacht waren. Wo legt sich ein Pferd schon freiwillig hin und lässt sich weder durch Peitschenknall noch Pistolenschüsse aus der Ruhe bringen? Die Reiter können nicht nur auf den liegenden Pferden stehen, sondern benutzen die hockenden! Tiere auch als eine Art Sessel, den so genannten Pusztastuhl. Dazu gehört mehr als nur ein bisschen Vertrauen. Diese „Kunststückchen“ waren einerseits Spaß, aber andererseits zum Schutz vor Feinden gedacht, wenn es galt sich schnell in Deckung zu bringen und ganz plötzlich ab- oder aufzutauchen.

 Das Kutschenrennen ist dann ebenfalls ein besonderes Spektakel. Es braucht einen zweiten Mann, der sich ähnlich wie bei Motorrädern mit Beiwagen, in Kurven als stabilisierendes Element erweist. Der stehende Ritt auf einem Sechserpferdegespann in vollem Galopp gibt dann das berühmte Tüpfelchen auf dem i. Nach den Staubwolken wird 40-prozentiger Pfirsischschnaps, schmalzgetränkte Schnittchen mit einem Hauch Paprika, Salzlaugengebäck bzw. –brot gereicht. Eine Kutschfahrt mitten durch eine Herde Graurinder und speziell aufgebautem Pusztainterieur bildet den Abschluss. Hollywood lässt grüßen, aber anders wäre es bei dieser Abfertigung von 150 verschwitzten Touristen nicht möglich. Wer individuelle Erfahrungen machen, Land und Leute näher kennen lernen will, ist bei unseren Kurzstreifzügen und dem gebotenen Programm fehl am Platz. Das Land lebt von diesem Massenansturm, ein Individualtourist bringt der eigenen Seele etwas, den Menschen hier nicht viel. Wir können Wein und Schnaps trinken, soviel wir wollen und auch vom Imbiss ist mehr als genug da. Wir kaufen uns das Horn eines Zackelschafes und eine Flasche Likör, die sich auf dem Schiff als äußerst lecker herausstellt. Etwas komisch im Kopf begeben wir uns glücklich auf die Heimfahrt. An einer Stelle bleibt unser Bus für einen winzigen Moment stehen und wir bewundern ein noch winzigeres Feld voller grünen Pflanzen, die ringsum von mannshohen Sonnenblumen eingekesselt sind. Die niedlichen Pflänzchen wachsen mal zum berühmten ungarischen Paprika heran. Jedenfalls zu einer der über zweihundert Sorten. Der Abend kann mit uns nicht mehr viel anfangen, wir sind zu müde für ihn. Noch kurz lassen wir den Tag an uns vorübergleiten, um uns dann auf die Nacht vorzubereiten, den Peitschenknall und die schnaubenden Pferde in den Ohren. Kurz vor dem Einschlafen wird mir bewusst, dass wir noch eine Kirche besuchten und den Orgelklängen lauschten, die jetzt in mir ihren wuchtigen, aber kurzen Nachhall haben. Die Puszta hat mich das beinah vergessen gemacht.

 

… und wieder Budapest

 

Zurück in Budapest. Ein schon vertrautes Bild empfängt uns an der Perle der Donau. Unser Bordlautsprecher, Reiseleiter Sörensen von nicko tours, gibt die gewohnten Informationen über Land und Leute in seiner gewohnt ruhigen und smarten Art. Die Nickotoursschiffe begleiten uns schon die gesamte Reise und legten bei kleineren Anlegestellen schon mal nebeneinander an, sodass wir durchmarschieren mussten. Dadurch wurde uns auch ein kleiner Blick in die „Stuben“ der anderen Touristen gegönnt.  Heute nehmen wir in Budapest ein zusätzlich angebotene Ausflugspaket wahr; den Besuch des Parlamentsgebäudes. Dem Bordlautsprecher sei Dank.

Die Zeit davor überbrücken wir mit einem kleinen Stadtrundgang, der uns endlich auch zum Denkmal von Imre Nagy (Notsch ausgesprochen) führt. Der Politiker galt als Kopf der ungarischen Revolution 1956 und wurde im Zuge der Ereignisse 1958 hingerichtet. Heute steht er als Bronzeplastik auf einer Brücke und schaut mit ruhigem Blick im Gehrock mit Brille, Hut und Stock in das weite Rund. Ein zufällig vorbeikommender Passant könnte meinen, über einen imaginären Fluss zu gehen und dabei zufällig auf einen sinnenden Mann aus einer anderen Zeit zu treffen. Selten sah ich von einem Politiker ein eindrucksvolleres und schlichteres Denkmal.

Doch dann heißt es erst mal warten vor dem Parlamentsgebäude. Dieses Warten ist Gift für meine Blase und ein wenig geniert es mich, den Park vor dem imposanten Gebäude als letzte Rettung zu missbrauchen (war das nicht schon einmal so?). Aber ein Malheur an anderer Stelle ist sicherlich peinlicher. Am Eingang werden wir sorgfältig kontrolliert. Unsere Schwaben kommen nicht vom Fleck. Immer wieder schlagen die Sicherheitsgeräte an und das Dauerpiepsen belustigt uns zunehmend. Mit dem Eintritt in das Gebäude werde ich von der Pracht und den Farben schier überwältigt. Ist schon das Äußere beeindruckend, so ist das Innere schlichtweg unfassbar. Marmor und Goldauflagen wohin das Auge schaut, 8 riesige Säulen im Foyer, Prunk und fast schon ein bisschen Protz allenthalben. In den Fensterbänken gibt es nummerierte Messingablagen für die Zigarren der Abgeordneten aus der früheren besseren Zeit. Das Auge schwelgt im Überfluss. Im Kuppelsaal werden uns die Krönungsutensilien der ungarischen Herrscher, die schon Stephan’s Haupt zierten, unter einer Glasvitrine gezeigt. Sie steht in der Mitte des Saales und  die Kuppel hoch über uns gibt das Licht frei für den Glaskasten mit den uralten Insignien der Macht. Für einen Augenblick wähne ich mich allein in diesem runden Saal und atme tief Geschichte ein, um dann von der brabbelnden Menge in den nächsten Raum geschoben zu werden. Hier traf man sich auf einem riesigen handgewebten Teppich zum Plausch. Auf den goldeingefassten, samtenen Rundsesseln in der Mitte oder den Wandsofas links und rechts des Raumes wurde einst Weltpolitik diskutiert, Kriege geplant und Politik für all die gemacht, die sie dann richten und austragen mussten. Die eigentlichen Ideen der Weltpolitik werden eher in der saloppen, vertraulichen Umgebung solcher dann  doch relativ kleinen Räume geboren. Der Rest des Gebäudes im Plast dient dann nur den Verwaltern. Der Parlamentsaal ist halbrund gehalten und in seinen Ausmaßen ebenso riesig, als alles bisher gesehene. An den Wänden im Hintergrund sind Wappen mit historischer Bedeutung zu sehen und umrahmen zwei geschichtsträchtigen Wandbilder. Die 40t Blattgold laut Reiseleiterin sieht man dem Saal nun gerade nicht an, trotzdem blinkt und blitzt alles. Bald darauf stehen wir wieder im Freien und ich spüre noch eine geraume Weile den Nachhall dieses visuellen Erlebnisses. Die nachfolgenden Markthallen, die wir darauf besuchen, sind gefüllt vom Gedränge der Menschen. Auf zwei Stockwerken werden Waren aller Art feilgeboten, das meiste davon interessiert uns kaum. Hier wird gehandelt, gegessen, getrunken, verkauft, geflucht und gelacht, wie auf jedem anderen Markt der Welt. Unsere Ausbeute sind jede Menge Fotos, eine Kette für Sylvia im Wert von 1,- Euro und eine sehr scharfe Paprikawurst. Bald darauf ist die Markthalle schon wieder Geschichte und wir bummeln gemütlich über den Boulevard zum Schiff. Für einen kurzen Moment zieht mich eine Marionette in einem diversen Geschäft in ihren Bann.  Der Preis von 78,- Euro scheint mir für diese Stabmarionette fast doppelt so hoch wie gewöhnlich und ich lasse die Finger davon. Sylvia vertröstet mich auf Bratislava, da in der Slowakei traditionell Stabmarionetten hergestellt werden.

Gleich nach dem Mittagessen geht es weiter mit dem Bus zum Donauknie. Der Halt nach ca. einer Stunde Fahrt in Esztergom ist uns willkommen, obwohl die Hitze im Freien nun schon wieder extrem ist. Der riesenhafte Dom zerdrückt uns kleine ankommende Menschlein förmlich und füllt den gesamten Blick von einer Seite zur Anderen und von der Erde bis zum Himmel hinauf. Dieser Monumentalismus des Glaubens und im Gegensatz dazu das Leiden der Menschen ist einfach nur überwältigend und irrational. Wie viel Verschwendung steckt in der Demonstration der Macht der Kirche. Ich denke, wenn es denn einen Gott geben würde, der hätte schon dem vielen Unrecht, die der Glaube mitbringt, in den Arsch getreten. Sodom und Gomorrha wurde für weniger in Schutt und Asche gelegt. Gäbe es Gott, würden ihm simple Denkmäler genügen. Natürlich ist dies Blasphemie und die Zeiten damals waren auch anders und Gott vielleicht auch. Nach einer Stunde ist der phänomenale Anblick, gekrönt durch den Besuch des Inneren der Kirche, auch schon wieder vorbei. Die Busse transportieren uns nach Visegrad (hohe Burg). Oberhalb der Burg machen wir einen Stopp in einem malerisch gelegenen Cafe mit sagenhaften Ausblick auf die Donau und zur Burg gegenüber.

Uns wir ein Kaffe kredenzt, der mir den Atem nimmt und auf den Magen schlägt. Ich nehme dann doch lieber einen Tee und genieße die Aussicht. Mir gegenüber sitzt ein junger Mann, der mit einem überdimensionalen Objektiv die Burg aus allen Perspektiven heraus fotografiert. Sorgsam säubert er immer wieder das Objektiv und den Bajonettverschluss der Kamera. Er führt sein ganzes Equipment in einer riesigen Tasche mit. Ich fotografiere auch sehr gern, aber wenn er nicht gerade professionell fotografiert, fände ich diesen Aufwand übertrieben und nebenbei auch zu teuer. Das ist aber mehr für mich ein Resümee als irgendeine Art von Kritik, die mir auch gar nicht zusteht. Plötzlich spielt eine ungarische Musiktruppe auf und geht von Tisch zu Tisch. Ein schmalziger Mann mit Brotkorb sammelt die Trinkgelder bei den Leuten ein, noch bevor sie die ersten Töne erreichen. So schnell wie er ist die Musikergruppe nicht und hinkt ihren Trinkgeldern ständig hinterher. Das ist manchmal das perfide an der Reise. Jeder will ständig abkassieren, für ein bisschen Folklore, für ein bisschen Reden. Selbst für das Schiff sind pro Tag und Person 6,- Euro eingeplant. Das sind schon allein für uns beide 180,- Euro. Bei 145 Passagieren macht das dann 13050,- Euro, wenn sich jeder daranhalten würde; summa summarum 217,- Euro für jedes Besatzungsmitglied.  Es scheint, dass die Redereien dies als Gehaltszulage einrechnen. Wer eine weite Reise macht, der soll auch kräftig zahlen. Eine einfache und durchaus nachvollziehbare Denkweise. Freilich muss man gerechterweise auch sagen, dass niemand gezwungen wird, die Trinkgelder in der vorgeschlagenen Höhe zu geben. Wer geizig bleiben will, kann dies ohne Einbußen oder schlechtem Gewissen tun. Außerdem ist es nun auch wahr, dass all diese Menschen, die täglich für uns ihre Dienste tun, froh wären,  nur einen Bruchteil unseres Reisebudgets zu besitzen. Jede Medaille hat nun mal zwei Seiten.

Die Burg ist faszinierend und eigentlich eine restaurierte Ruine, prächtig geeignet für ein Mittelalterspektakel mit Bühnen. Verwinkelte Gänge und Ausstellungsräume, sowie der umgreifenden Blick auf die Donau geben dem Ganzen ein unnachahmliches Ambiente. Wir sehen gleichzeitig die Ferne und die Nähe und sind immer wieder erstaunt über die grandiose Weite der hügeligen Landschaft. Das Donauknie, eine kleine Absonderlichkeit im Verlaufe der Donau, präsentiert sich links unterhalb des Flusses im sanften Schwung. Ich durcheile die Burg um keinen Winkel zu verpassen. Sylvia kommentiert dies mit einer spöttischen Bemerkung über die mir eigene Hektik. Ich selbst bin mir dieser Hektik nicht bewusst. Noch mehr Ruhe und ich wär tot. Treppauf und treppab spür ich das Alter der Steine unter meinen Füßen und möchte für einen Moment die Gewandung damaliger Zeit tragen  und auch sanft ein wenig das Flair des Burgtreibens spüren, wissend, dass mich dann doch diese Zeit schrecken würde. Nach diesem Eindruck, den ich tief in mir aufnehme, spür ich schon im nächsten Augenblick das Rütteln des Busses und hole tief Luft.

 

 

Bratislava

 

Bratislava breitet seine Arme aus und wir ankern vor der Brücke mit dem charakteristischen Pylon. Hoch oben an seiner Spitze hat ein Ufo festmacht. Es ist ein Restaurant. Gleich gegenüber reckt stolz die markante Burg ihre vier Türme in den Himmel, von der Bevölkerung respektlos „umgekehrter Tisch“ genannt.  Die Stadt, Hauptstadt der Slowakei, war früher Krönungsstadt der ungarischen Herrscher. Immerhin 11 von ihnen bekamen ihr gottgewolltes Amt in der Krönungskirche verliehen, einschließlich Maria Theresia. Die Innenstadt ist anheimelnd und hat die triste Farbgebung vergangener Regimes überstanden. Interessant sind auch die Bronzeplastiken, verteilt über die gesamte Altstadt. Da lugt ein Bronzepaparazzi scheinbar blitzschnell um die Ecke und schießt mit langem Teleobjektiv ein Foto, Napoleon schaut jedem wie von ungefähr an einer Bank über die Schulter, da hinten lugt ein Arbeiter aus einem Gully, wohl den Frauen unter die Röcke, und grinst übers ganze Gesicht. Er hat sein eigenes Verkehrsschild; „Man at work“. Das ist mehr als originell. Selbst unser Halle an der Saale hat inzwischen einige Figuren in verschiedenen Farben, die eilenden Passanten nachempfunden wurden.

Endlich finde ich einen Souvenirladen mit meinen geliebten Marionetten. Ich würde gern mehrere kaufen, aber Sylvia bremst mich. Sie hat ja recht, aber das muss ich ja nicht zugeben. Ich entscheide mich für eine Figur, die ich insgeheim das „schlechte Gewissen“ nenne, weil es mit dem Geld der Schwaben bezahlt wird. Na gut, ich habe mich angeboten, den Urlaubsfilm zu gestalten, aber dafür einen Vorschuss von 50 Euro zu bekommen, ist mir peinlich, obwohl ich zugeben muss, dass es mir auch schmeichelt.

Die Verkäuferin ist ein Verpackungsgenie; jung und desorientiert. Ganze 15 Minuten sucht sie nach einem geeigneten Karton. Ich bin schon versucht die Figur einfach zu schnappen, zu bezahlen und ohne Verpackung zu gehen, da hat sie  endlich einen Pappkarton gefunden. Vorsichtig wird die Marionette, die einen Landstreicher darstellt, mit viel Papier erstickt und das Ganze dann bedächtig zugeklebt, mit schönen maßgenauen Streifen. Diese Prozedur bringt mich unweigerlich in Wallung. Ich überlege krampfhaft, was wohl geschieht, wenn ich noch eine Figur kaufe. Liebevoll sehe ich Sylvia an, die mir solche Katastrophe mit einem resoluten „Brauchen wir nicht“ schon beim Eintritt ins Geschäft ersparte. Die Beute triumphierend in der Hand schließen wir uns wieder unserer Gruppe an, die auf Bänken ihre Pause machen. Unser kleiner Trip in die restliche Altstadt wird auf dem Platz vor dem Regierungsgebäude beendet.

Auf dem Schiff herrscht Aufbruchsstimmung. Viele sind schon mit ihren Gedanken zu Hause und bestürmen unseren Bordlautsprecher mit Fragen nach dem Wie-und-Was der Abfahrt in Passau. Geduldig beantwortet er wie immer alle Fragen, wiederholt, erklärt und hat dann noch eine witzige Bemerkung und ein Lächeln parat. Kein Job für einen Choleriker. Vielleicht hat er einen Punchingball in der Kabine, wer weiß das schon.

Am Abend genehmigen wir uns vor dem Folkloreabend noch einen Drink in Tamaras Heckbar. Ich habe diese unaufdringliche, blonde Ukrainerin in mein Herz geschlossen. Manch angenehme Minute verbrachte ich mit ihr bei einem Plausch und natürlich war sie zu mir mindestens genauso nett, wie zu den anderen Touris. Trotzdem mag ich sie  besonders und Sylvia verewigt uns auf einem Foto. Tamara ist nicht einmal eine besondere Schönheit, aber ihr rundliches Gesicht, ihre Figur, das ganze Drum und Dran erinnert mich bei ihr an meine geliebten russischen Märchen. Sie hat für jeden einen sehr sympathisches Lächeln und ihr sieht man nie an, wie sie sich wirklich fühlt. Dagegen ist die Kellnerin der Schwaben ein russisches, pardon ukrainisches, Vollblutweib. Sage zu einer Ukrainerin nie Russin, so wie du einen Sachsen schlecht Bayer nennen kannst. Ihr Gesicht zeigt stets ihre Stimmung an und man spürt deutlich ihr feuriges Temperament, das manchmal ein wenig mit ihr durchgeht. Ljudmilla beweist am Abend beim Bordprogramm ihr Talent zum Tanzen in typischer russischer Tracht (ich habe es schon wieder gesagt – russisch). Die Talente sind dünn gesät auf dem Schiff. Sie beschränken sich auf die Tänzerin, auf Dimitrij, der mit selbstgeschriebenen seichten russischen und rumänischen Liedern uns beglückt, sowie einem Mechaniker, der Kalinka singen kann. Dazwischen hüpft noch eine Reinigungskraft mit roten Fahnenkleidern an uns vorbei. Ich will nicht überheblich oder gar sarkastisch sein, sie geben sich redlich Mühe uns zu unterhalten. Ich denke, mir steht auch kaum das Recht zu, die Nase zu rümpfen, da ich aus eigener Erfahrung weiß, was es heißt, auf der Bühne zu stehen. Und ich habe dort jede Minute genossen. Mir kommt die Galle hoch, wenn ich die Umstände bedenke, warum ich das nunmehr nicht kann. Unglückliche und für mich unverständliche Umstände haben mich dazu getrieben dieses Hobby zu beenden. Jede Phase meines Körpers erinnert mich an diese Zeit. Es vergehen auch hier auf dem Schiff nur wenige Tage, wo ich nicht an die Ereignisse zurückdenke. Noch ist das so… Darum verdient diese kleine Vorführung, die den Beteiligten auch sichtlich Spaß macht, einfach nur eine gewisse Hochachtung. Nicht jeder hat den Mut sich zu präsentieren und im Zweifelsfalle auch zu blamieren. Immerhin war es mehr Programm als die fiedelnden ungarischen Musiker mit ihrem Münzkorb, der der Musik stets vorauseilte. Zufrieden und auch ein bisschen betütert von Wein und Whisky nimmt uns Morpheus in die Arme.

 

 

Durch die Wachau

 

Wir legen in aller Herrgottsfrühe an Krems an und schon zum Frühstück sind es 22° Celsius. Es wird wie jeden Tag der Reise wieder heiß. Nur ein- oder zweimal spürten wir für kurze Zeit Regentropfen auf der Haut und erlebten sogar ein Gewitter mit heftigem Regen. Das war am Abend zuvor und wir saßen gemütlich mit einem Whisky in der Hand an der Heckbar. Heute ist unser Ruhetag an Bord. Nachdem wir uns klammheimlich mit etwas Reiseproviant für die morgige Heimfahrt eindeckten, sichern wir uns nun Liegeplätze auf dem Sonnendeck. Heute hat ein Schwäble Geburtstag. Reini wird 76 Jahre alt. Rose lässt ihm in der Küche eine Schwarzwälder Kirschtorte backen. Der junge Koch hat so etwas noch nie angefertigt und Rose muss ihm erst das Rezept erklären. Als gelernte Konditorin kennt sie sich damit aus.  Von den Schwaben werde ich Bio genannt, wie sie mir verraten. Das schmeichelt mir ein wenig. Ich gratuliere Reini und wir reiben unsere Bäuche aneinander. Für den Nachmittag habe ich ein Gedicht vorbereitet, dass Rose in Auftrag gab. Ich schrieb den Text schon vor ein paar Tagen auf. Sylvia gefällt es und das ist schon mal ein gutes Zeichen.

Wir sind in der Wachau, Krems bildet sozusagen das Ende dieser malerischen Landschaft. Diesmal machen wir keinen Ausflug, weil wir uns vorgenommen haben, den Urlaub im nächsten Jahr unbedingt an diesem Fleckchen Erde zu verbringen. Hier hat Gott sich etwas ausgeruht und hinterließ wohlwollende Spuren. Von Krems aus passieren wir Dürnstein, die Perle der Wachau mit der Kuenringburg, wo schon Richard Löwenherz nicht ganz freiwillig weilte. Es geht vorbei an Weissenkirchen und seinem Wachsmuseum, weiter flussaufwärts liegt direkt am Ufer Spitz, berühmt durch die Filme von Moser und Hörbiger. In Melk haben wir einen kurzen Halt zur Aufnahme der Ausflügler, die in Krems starteten und die Dörfer durch die Glasscheiben des Busses bewundern durften. Wir hatten derweil einen wunderschönen Blick auf die ufernahen Sehenswürdigkeiten, die von unserem fleißigen Bordlautsprecher kommentiert wurden. Ich genieße diesen Tag und schreibe ausnahmsweise gar nichts. Der Text entsteht erst einen Monat später. Sylvia gönnte sich zwischen dem Blick in die Weite immer wieder ein Bad im Pool.  So vergeht der Tag mit Dösen und die 34 km lange Strecke an der Uferlandschaft der Wachau ist schnell vorbei, als wir uns schon zum Geburtstagskaffe treffen. Reini muss erst geholt werden, fast hätte er seinen Geburtstag verpennt.  Die servierte Torte ist schon ein reiner Augengenuss. Ich deklamiere mein Gedicht und ernte Beifall und ein glückliches Lächeln. Dafür lasse ich mich auch zu einem Stückchen Torte breitschlagen, obwohl sie nun gar nicht so recht mein Fall ist. Der fleißige Koch hat sich ein halbes Bein ab gefreut, als ihm Rose 10 Euro für sein Kunstwerk zusteckte.

Der Rest des Nachmittags besteht aus rein organisatorischen Dingen, Empfang der Banderolen für die Koffer, Terminabsprachen, Bezahlung der Rechnung, fotografieren des Schiffes. Am Abend lädt der Kapitän Anatolij Skopin, sein Hotelmanager Sergej Anissimow und der Kreuzfahrtleiter (Bordlautsprecher) Sönke Börensen zum Abschiedsempfang ein. Nach ein paar netten Worten wird das Galaessen serviert. Es besteht aus Wodka, den ich mir verkneife, gedünsteten Lachsschnitten an Rahmsauce für Sylvia und gegrillte Tournedos vom Rinderfilet an Pfeffersauce für mich. Dazu wird Käse und Tafelobst gereicht. Wir freuen uns auf die Heimreise und genießen diesen letzten Abend zusammen mit unseren Schwaben. Reini lädt alle zu später Stunde in die Bar ein. Wir können trinken, was wir wollen. Ich führe noch meine neu erworbene Marionette vor und rezitiere ein, zwei meiner Nonsensgedichte, die Heiterkeit hervorrufen. Beschaulicher kann der Tag nicht ausklingen.

 

Epilog

 

Alles hat ein Ende und diese Reise auch. Vor Passau müssen wir noch eine Weile in einer Flusskurve ankern, da es verboten ist vor acht Uhr in die Stadt einzufahren. Der Bordlautsprecher ist so früh nicht gewünscht. In Passau selbst geht alles sehr schnell. Wir verabschieden uns von unseren Schwaben sehr herzlich und wissen, dass wir uns im Oktober dann in Stuttgart treffen. Bis dahin habe ich den Reisebericht und den Videofilm geschafft. Unser Busfahrer ist unfreundlich und will nur schnell weg – Richtung Heimat. Mir ist seine Laune egal und wir machen es uns in den Sitzen gemütlich. Ich habe Zeit die ganze Reise an mir vorübergleiten zu lassen, doch meine Gedanken sind schon zu Hause, bei meinen Tieren. Ich denke an mein Hörnchen, den Fischen und Krebsen, den Degus, den Schildkröten, dem Leopardgecko und meinem blinden Kater, der von unserer Nachbarin, genau wie die anderen Tiere auch, liebevoll umsorgt wird. Die Reise hat viele Eindrücke hinterlassen und ich freue mich schon auf die Arbeit an den Reisebeschreibungen, den über 400 Fotos und vielen Videoschnipseln. So bleibt uns ein langer Nachhall.

 

Es heißt ja „Zurück zu den Wurzeln“. Da wollen wir gewissermaßen mit unserer heutigen Fahrt hin. Zum Affenwald nach Sondershausen. Zugegeben jeder einigermaßen normal gebildete Mitteleuropäer weiß, dass wir, genauso wie die Affen heute, von affenähnlichen Vorfahren abstammen und sich die Linien vor Millionen Jahren trennten. Darum ist es biologisch völliger Unsinn zu behaupten, wir stammen von den Affen ab. Aber in der heutigen Zeit, in der jeder Mensch der geborene Virologe ist, wo eine Meinung mehr zählt als jede Wissenschaft, wo der leutselige Biertrinker Corona schon längst unter dem Tisch gesoffen hätte, fällt dieser kleine Fehler wohl nur wenig auf.

Also auf zum Affenwald. Diesmal geht es wie geschmiert und es uns steht auch keine Extrarunde an. Kaum losgefahren, werde ich dezent darauf aufmerksam gemacht, dass ich meine Reisegeschichten nicht so früh in WhatsApp an die Vereinsgruppe posten soll, da unsere lieben Kinder Ferien haben. Ach du liebe Zeit, in einem Song von Herbert Grönemeyer heißt es „Kinder an die Macht“. Der Junge ist weit hinterher. Kinder haben inzwischen alle Macht. Ich beuge mich unterwürfig meinem Schicksal und verspreche Besserung. Der Anschiß lauert jedenfalls überall.

Nachdem Ruhe in die Gemüter getreten ist, sind wir ein paar Automeilen später am Ziel. Weit ist es nicht und eine ruhige Fahrt war es auch. Wir lösen uns unsere Tickets. An der Kasse steht groß der Hinweis, Taschen Rucksäcke und anderes loses Gebaumel im Auto zu lassen. Wir gehen halt zu Affen, die in diesem frei begehbaren Affenwald alles klauen könnten, was für sie von Interesse ist. Sicherheitshalber hat Sylvia ihre alte Brille aufgesetzt, falls die Biester auf die Idee kommen, ihre Welt mal scharf zu sehen.

Als erstes betreten wir das Berberaffenland. „Der Berberaffe (Macaca sylvanus), auch Magot genannt, ist eine Makakenart aus der Familie der Meerkatzenverwandten. Er ist vor allem dafür bekannt, dass er außer dem Menschen die einzige freilebende Primatenart Europas ist“, heißt es in Wikipedia. Diese 55 – 63 Zentimeter großen Tierchen sitzen am Wegesrand und lassen sich von uns nicht beeindrucken. Sie wissen wohl, dass sie eigentlich vom Aussterben bedroht sind und ihnen hier von den Touristen keine Gefahr droht. Ein junger Mann filmt ein Männchen dicht vor ihm, dass genüsslich an seinem kleinen „Affen“ spielt. Der Typ ist ganz aufgeregt. Solch eine Schweinerei hat er noch nie gesehen. Sylvia geht diese Afferei auf den Nerv und sie erklärt dem Typ, dass das tierisch gesehen völlig in Ordnung geht. Seine Freundin kriegt sich nicht mehr ein und quietscht vergnügt. Mein Gott, müssen die interessante Bettgeschichten haben! Später sehen wir das sehr junge Pärchen mit einem Audi Q4 wegfahren. Ich sinniere verzweifelt, woran mich das erinnert.

Einige Zeit nach dem Männchen mit dem Männchen sehen wir am Wegesrand eine Berberaffenfamilie liegen. Das Männchen laust das Weibchen und die hat ein Junges im Arm. Jetzt kriegt sich Sylvia nicht mehr ein und ich muss sie mit dieser Familie fotografieren. Gut, dass sie ein leuchtend rotes Shirt trägt. Ich meine wegen der Unterscheidbarkeit. Übrigens geht es bei dem Lausen nur sekundär um Fellpflege, es ist primär eine Kommunikationsart und dient eher der Vertrauensbildung.

In der nächsten Affenwaldumzäunung treffen wir auf Kattas und Varis. So nah kamen wir den Tierchen noch nie, in Zoos war immer eine Scheibe oder ein Gitter dazwischen. Kattas sind eine auf der Insel Madagaskar lebende Lemurenart. Dank ihres langen Ringelschwanzes und ihrer hellen Augen sind sie unverwechselbar und gehören zu den bekanntesten Vertretern dieser Primatengruppe. Nicht umsonst spielten sie die Hauptrolle in dem Animationsfilm „Madagascar“.  Leider sind die possierlichen Tierchen in ihrem heutigen Lebensraum ebenfalls gefährdet, genauso wie die Varis. Die Varis sind, wie die Kattas, ebenfalls eine Lemurenart, die unverwechselbar durch ihre Schwarz- Weiß Färbung sind (es gibt auch den roten Vari, der aber hier nicht dabei ist).

Bei dieser Truppe ist gerade Siesta. Wir können sie beobachten, weil ihre „Fressstube“ nicht betretbar ist, aber wir sind ganz nah dran. Eins dieser Tierchen hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Hände der wartenden und schauenden Leute abzulecken, auch mal deren Finger ins Maul zu stecken und darauf rumkauen. Das findet jeder gut und das Tier lässt sich auch streicheln. Die Pflegerin hingegen findet das nicht so gut und tut das auch lautstark kund. Der Katta aber hält meine Hand fest, ich bin völlig unschuldig. Ich wasche meine Hände sozusagen in Kattaspeichelunschuld.

Wir sind zufrieden mit dem Besuch. Das hat sich echt gelohnt. Neben dem Affenwald ist noch eine Rodelbahn, auf die wir verzichten und weiterfahren zum Residenzschloss Sondershausen, das gut 20 Autominuten von uns entfernt liegt.

Sondershausen ist eine kleine niedliche Stadt, bei der das historische Zentrum in wenigen Minuten abgelaufen ist. In der St. Trinitas – Kirche, sie diente einst der Fürstenfamilie Schwarzburg-Sondershausen als Hofkirche, machen wir einen kurzen Halt. Bemerkenswert ist der pompöse Herrschaftsstand, der, so teilt uns ein freundlicher Mann überzeugt mit, dazu diente, sich zu präsentieren. Und schon ist der ehrenamtliche Führer in seinem Element. Es entsteht eine angeregte Geschichtsunterhaltung der besonderen Art, bei der wir viel über die im Krieg arg gebeutelte und auch bombardierte Stadt erfahren. Der gute Mann hat einen Sprachfehler und ich ziehe meinen Hut, dass er mit dieser Behinderung, die er offen zugibt, so etwas leistet. Wir schwärmen beide in Geschichte und als Dankeschön gebe ich ihm 10 €.

Nachdem wir noch die goldglänzende Hey-Orgel mit ihren 2811 Pfeifen von 1680 fotografierten, machen wir uns auf den Weg zum Residenzschloss.  „Die einstige Residenz des Adelshauses Schwarzburg-Sondershausen ist eine eindrucksvolle vierflügelige Schlossanlage mit Bestandteilen aus sieben Jahrhunderten“ heißt es auf der Internetseite. Schon seit 1925 besteht das Schlossmuseum, als noch die Besitzerin darin lebte bis in die 70er Jahre. Im Schlosshof ist ein Zuschauerpodest aufgebaut, da hier auch Theaterstücke angeboten werden. In der Mitte des Schlosshofes befindet sich der eindrucksvolle Herkulesbrunnen.

An der Kasse, wo wir mit viel Liebe eingewiesen werden, bemerkt plötzlich Sylvia den Verlust ihres Handys. Ich habe aber nur meines in der Hosentasche. Sie ist ganz aufgeregt und glaubt, es in der Toilette auf dem Hof liegengelassen zu haben. Während die Kassiererin sich um mich kümmert, mir den Guide erklärt und mich den Rucksack verstauen lässt, beinah sage ich Mutti zu ihr, kommt Sylvia von der Toilette zurück. In ihren Händen hält sie – nichts. Ich bin entsetzt. Sie blickt mir tief in die Augen und sagt fest: „Du hast es“. Mir keiner Schuld bewusst, greife ich in meine Hosentasche und ziehe langsam mein Handy heraus. Nur dummerweise ist es nicht meines, sondern ihres. Mein Handy befindet sich im Auto. Ein hörbares Seufzen durchzieht die Räume des alten Schlosses.

Wir gehen also los zu unserem Rundgang und sind erstaunt. Einmal über den blauen Saal, den barocken Riesensaal, das Steinzimmer und den Stuckfabeln nach Äsop im kleinen Gewölbe. Andererseits über die insgesamt sechs Mitarbeiter, die uns auf Schritt und Tritt folgen, auf Stufen hinweisen, Anweisungen zum Hören unseres Guides geben und uns über Funk beim Betreten der einzelnen Ausstellungsabteilungen geben.  Faszinierend, neben den großartigen Stuckfassaden und Bildern, die teilweise nach Ovid gestaltet sind, finde ich das sogenannte Liebhabertheater. Das ist ein kleines aber sehr schön gestaltetes Theater mit riesigem aufgezogenem, gemaltem Vorhang und wunderschön gestalteter Dekoration. Da mal mitzuspielen!! Mich juckts am ganzen Körper.

So ziehen wir von Raum zu Raum, der Guide begleitet uns und im Schlepptau haben wir die Mitarbeiter. Den Abschluss bildet die riesige „Goldene Kutsche“, einem Sechsspänner, der voller Protz in Frankreich im 17. Jahrhundert gebaut wurde. Das „Dingens“ ist überwältigend, aber nicht sehr bequem, wie uns eine Mitarbeiterin versichert. Wir verzichten auf den Ausflug, auch mangels Pferde, da die hier ausgestellten Pferde mit wunderbarem Zaumzeug aus Leder und kupfernen Ornamenten etwas hölzern sind.

Es geht nun wieder nach Hause, wir haben sehr viel gesehen, noch mehr gehört. Auf dem Rückweg bleiben wir noch bei einer italienischen Eisbar stehen und Sylvia löffelt einen riesigen Eierliköreisbecher, während ich mir ein Crêpe mit Erdbeeren und Eiskugel munden lasse. Sylvia macht ein Foto von mir, was meine beste Freundin über WhatsApp mit den Worten kommentiert: „Das Honigkuchenpferd mit Eierkuchen. Sehr lecker“. Ich habe keine Ahnung, was sie damit meint, bin aber glücklich.

Ich gehöre ja in Halle zur Gruppe der Hallunken, nein, nicht dem Halunken mit einem „l“. Die Hallunken mit zwei „ll“ sind die Zugereisten. Aber mein Herz schlug und schlägt als geborener Halberstädter für den Harz. Und da soll es heute mal hingehen. Zurück zu den Wurzeln gewissermaßen. Diesmal nehmen wir uns den Baumwipfelpfad in Bad Harburg vor. Der Pfad beginnt mit einem Disput über die Route, den ich zwar wegen Gedankenfehler verliere, aber durch das Navi doch richtig fahre. Sylvia schwatzt fröhlich vor sich hin, während ich sinniere und angestrengt darüber nachdenke, wie ich kleine Feierlichkeiten, die noch ausstehen, gestalte. Irgendwann beziehe ich sie in meine Gedankengänge mit ein. Sie wird meine Assistentin und notiert alles fleißig. Bald schon sind wir nach eineinhalb Stunden am Ziel. Das Ziel entpuppt sich zunächst einmal als falscher Ort. Wir sind in einer Hotelanlage. Hier sieht nichts nach Seilbahn oder Baumwipfelpfad aus. Sylvia macht einen auf Kundschafter und eilt in die Rezeption, bei der ihre eine farbige, blonde Mitarbeiterin erklärt, wo es lang geht.

Wir fahren ein Stück vom Ettershaus zurück und nach einer weiteren falschen Abfahrt und einem lautstarken Fluchen finden wir den ersten Parkplatz mit einem verzweifelten Mann, der vergeblich versucht, der Parksäule die begehrte Parkkarte zu entlocken. Die nimmt mit stoischer Gelassenheit sein Geld nicht an.  Ich bin mir nicht sicher, ob er schon lange hier steht und seine grauen Haare von dem defekten Automaten herrühren. Auch die Falten haben sich nicht nur um seine Stirn gelegt. Um dies bei meinen Stoppeln und in meinem Gesicht zu vermeiden, fahren wir kurzerhand einen Parkplatz weiter. Freilich ist das Ergebnis dasselbe. Das Parksäulendingens lässt sich mit Geld nicht beglücken. Die Parksäule steht einfach so rum und scheint irgendwie hämisch zu grinsen. Ich versuche es mit der EC-Karte und voilà ein paar Minuten später sind wir auf dem Weg zur Seilbahn. Man muss nur die richtige „Waffe“ haben.
Natürlich bemerken wir auf halber Strecke, dass unsere Handys im Auto liegen. Ich opfere mich gnädigerweise und hole die blöden Handys, während Sylvia sich schon mal bei der Bergbahn anstellt. Das war eine hervorragende Idee, hat sich doch schon, obwohl noch sehr früh, eine kleine Schlange gebildet. Nach einer halben Stunde sind wir in der Gondel, die in Abteilungen durch Plexiglasscheiben geteilt ist, in der jeweils eine Familie stehen kann. Das heißt wir zwei haben Sitzplätze, sind ja aber auch schon älter als die Gondel selbst.  In der Gondel mit Platz für 18 Personen sind nun 8 Mann plus Gondelfahrer, der sich schlicht Schaffner nennt. Das bärtige Etwas ist ein rechter Witzbold. Ich hab noch keine Lust mitzumischen, muss erst mal noch auftauen.

Nach 3 Minuten Fahrt sind wir auf dem Berg und vor der Ruine der sagenhaften Harzburgruine. Viel ist nicht zu sehen, aber ausgezeichnet beschildert und vor mir erheben sich die mächtigen Mauern. Ich sehe Ritter, Knappen, geschäftiges Treiben und aus dem riesigen Schlosstor kommt ein wunderschönes Burgfräulein und säuselt: „Schau mal, wie dick die Mauern waren.“ Vor mir steht Burgfräulein Sylvia mit Rucksack und grinsendem Gesicht, auf die 3 m dicke Mauer des Rundturms zeigend. Wie doch die Zeit vergeht. Ganz in historischen Fantasien versunken durchstreifen wir die Harzburg und wandern entlang des Baumwipfelpfads, der erst mal ebener Erde beginnt. Das Schild, das den Weg weist, ist bei der Harzburginformationstafel in einer Höhe angebracht, die Zwerge genügen würde und nur 15 x 10 cm groß ist. Hier wurde an Holz gespart.

Wir sind bald an der Schwebebahn angelangt, wo sich auch Wartende drängen. Die luftige Höhe ist mir nicht geheuer und das Quieken der an Seilen befestigten Leute, die zu Tale „schweben“, zeigt mir, dass für mich der befestigte Weg sicherer ist. Nur mein Alter zwickt und zwackt unter den Füßen und an der Hüfte. Ich bin völlig eingerostet. Allein das Quietschen der Gelenke fehlt. Ich sehe mich schon mit dem Rollator den Berg herunterlaufen und durch den unebenen Weg drohen mir die dritten Zähne herauszufallen.  Am Wegesrand sind hier und da Skulpturen aus Holz zu sehen. Eine Bank, die wie ein Blatt aussieht und auch eine hölzerne Hollywoodschaukel, die wir gleich mal okkupieren und Siesta machen. Ein Ehepaar kommt vorbei und bewundert die Schaukel. Ich bemerke, dass ich die Schaukel gerade hier für das Allgemeinwohl hingebaut habe. Es entspinnt sich ein interessantes Gespräch über Holztransporte und dem Bau unter erschwerten Bedingungen. Lachend gehen die beiden weiter. Bald darauf im schönsten Essen, kommt zwei junge Männer vorbei, die wohl der Beatleszeit entsprungen sind mit Kleidung aus zweiter Hand und zotteligem Haar. Sie suchen den Brocken und ich erkläre mit der mir gebotenen pädagogischen Erfahrung, dass der Brocken doch auf der anderen Seite liegt. Sie freuen sich über diese neue geografische Erfahrung. Hier bin ich Lehrer, hier darf ich’s sein.

Der Weg zieht sich hin und wie mir dünkt, in die völlig falsche Richtung. Sylvia versucht mich von der Richtigkeit zu überzeugen, kann mich aber von meinem Unmut nicht abbringen. Die blöden Handys funktionieren nicht und ich bekomme keine Daten. Also fange ich an den Leuten, die uns begegnen Ratschläge zu geben oder mit Gedichten zu beglücken. Da sind zwei beleibte, älter Damen, die verschnaufen. Mit ernster Miene teile ich ihnen mit, dass sie es bald geschafft habe, so in zwei, drei Stunden. Da bleiben die Münder offen und ein entsetztes „Zwei, drei Stunden?“ folgt. Ich kann das Leid nicht sehen und verkürze auf 30 Minuten. Hoffnung zu geben ist meine Stärke, auch wenn der Weg steil bergan angeht und gut 30 Minuten länger für die beiden dauern wird, schon allein wegen ihrer gewichtigen Pfunde.

Da ist das Pärchen, dass sich auf einem Stamm ausruht, dem ich im Vorbeigehen ein Gedicht hin schmettere. „Es sitzt sich gut in Waldesruh, Geschafft ist bald der Weg im Nu“. Sie lachen und sehen nun voller Energie aus. Meine gute Tat habe ich getan und der Herr belohnt mich damit, dass meine Alterserscheinungen wie weggeblasen sind. Bald kommen wir zum richtigen Baumwipfelpfad, da wo auch die Reise der schwebenden Menschen endet. Meine dichterische Ader setzt sich hoch zwischen den Wipfel ungeniert fort und ich ernte allerlei Blicke, deren Deutung ich nicht kommentieren will. „Nun kommen wir von des Berges Gipfel, durch des Baumes Wipfel.“ Das Singen verkneif ich mir, schon jetzt ist Sylvia verdächtig weit hinter mir. Das kann aber auch daran liegen, dass der Eisenweg in ca. 15 m Höhe gesäumt ist mit allerlei Hinguckern, Quizaufgaben, Spielgeräten und vielem mehr rund um die Natur und den Harz. Ich fotografiere viel und sende es auch an meine beste Freundin, die trocken kommentiert: „Das hast du aber mit geschlossenen Augen fotografiert“. Sie kennt meine Höhenangst, die aber hier gar nicht vorhanden ist, da ich die Leute unterhalten muss. Nur wo eine Art Brückenzunge mit durchsichtigem Glas unter den Füßen herausragt, ist meine magische Grenze. Mit einer jungen Frau und ihrem Sohn unterhalte ich mich lieber von Ferne über unsere todesmutigen Partner, die sich vorwagen. Wie mutig die nur sind, aber nicht jeder muss einen Blick riskieren oder seine Adrenalinwerte völlig unnütz in die Höhe schießen lassen. Die junge Frau und ich sind uns zwar unbekannt, aber einig. Wir sind davor ziemlich sicher.   

Zum Schluss erreichen wir die riesige Aussichtsplattform, die uns einen weiten Blick eröffnet auf schöne Landschaft und einige Betonklötze, die man Hotellandschaft schimpft. Der Weg nach unten geht spiralförmig und ist wieder gespickt mit allerlei Dingen zum Schauen und zum Anfassen.

Unten angekommen versucht ein Vater sein Kind durch den Eingang zu schieben: „Du musst dadurch und der Onkel wird dich fotografieren“, sagt er zu dem ängstlichen Mädchen von ca. 3 Jahren. Mit großen Augen schaut sie auf meine Kamera, ich mache eine Fakeaufnahme und siehe da, sie lächelt. Die Mutter warne ich hingegen vor dem Gruseleingang, den sie gleich durchläuft. Es gibt auf dem Weg einen eingebauten schwarzen Gang, in dem beim Betreten tatsächlich ein Gewitter über den Köpfen unmittelbar auftritt. Ich sehe noch die drei vorsichtig im Raum verschwinden. Ich grinse breit und Bad Harzburg hat uns wieder.

Wir geben dem Tag noch mit einem Pfirsicheisbecher einen Abschluss an dem nur drei Autominuten entfernten Radauwasserfall. Der Wasserfall wird noch besucht, fotografiert und nachdem wir unserer touristischen Pflicht Genüge getan haben, lassen wir es uns schmecken. Und genau hier passiert mir wieder mal das, was ich so hasse, aber immer und immer wieder erfahren muss. Die Dämonen des Gastrogewerbes schlagen zu und der Kellner vergisst eine meiner Bestellungen, ein simples Glas mit Milch. Dies „die Bestellung des komischen Typs vergesse ich mal“ Dingens, ist mir schon so oft passiert, dass ich inzwischen mit gerunzelter Stirn förmlich darauf warte. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, bemerkt Sylvia, dass dem Pfirsicheisbecher Melba die Krönung fehlt, nämlich die Himbeersauce. Leider stellt sie es erst am Ende fest, nachdem wir genüsslich Eis und Pfirsiche im Mund zergehen lassen haben. Sie ärgert sich, ich lasse es stoisch über mich ergehen. Bin ich‘s doch gewohnt. Der Kellner wird noch mit sarkastischen Worten und einem Trinkgeld von 40 Cent abgespeist. Er verspricht Besserung und wir geloben es, dies in 30 Jahren nochmal zu testen.

Trotzdem zufrieden, fahren wir aus der alten Heimat in die neue Heimat nach Halle-Neustadt zurück. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt. Ich war wieder mal das, was ich immer noch gerne bin. Ein kleiner, feiner, etwas rundlicher Harzer. Aber wer ist schon perfekt.

Dramatisches

Der Wind heulte gegen die Felswand. Seit Jahrtausenden, seit Jahrmillionen tat er das. Aber die Felswand stand ruhig und unerschütterlich. Der Hass konnte ihr nichts anhaben. Ihr schneebedecktes Haupt glitzerte in der Sonne wie Zuckerwatte. Nichts und niemand konnte sie bezwingen. Sie war wie eine alte Dame, die ihre Jungfräulichkeit eifersüchtig hütete und noch stolz darauf war. Und doch zeigten ihre Risse den alternden, müden Kampf der Felswand gegen die Natur. Manuel lächelte. Er würde diese greisenhaften Falten zu nutzen wissen. Fast zärtlich blickte er zurück auf das schlafende Dorf im Tal. Manuel pumpte sich frische Luft in die Lungen und leckte sich die salzigen Lippen. Bis jetzt war der Aufstieg ein Kinderspiel. Manuels Gesicht zeigte den Ausdruck eines zufriedenen Kindes, das von seiner Mutter Schokolade bekommen hat. Etwa 30 Meter hoch ragte die Felswand in das satte Blau, schätzte er mit einem Blick nach oben. Er würde es schaffen, ganz allein, ohne Seil, mit bloßen Händen. Die Männer in seiner Stammkneipe sagten: “Mach keinen Mist Manu, das Risiko ist zu groß. Bis jetzt hat es noch keiner bis zum Gipfel geschafft, ganz alleine. Alle, die es versucht haben, sind tot. Die Felswand ist stärker, sie lässt sich nicht bezwingen.“ Manuel hatte über die Alten gelacht. Feige waren sie. Er blickte zu seinen Füßen hinunter und glaubte für einen winzigen Augenblick, Blut zwischen den Steinen hindurchsickern zu sehen. Missbilligend schüttelte er den Kopf. “Alles Quatsch, gehen wir weiter”, murmelte er halblaut, “ich schaffe es, ihr werdet sehen.” Er wusste, dass die letzten zehn Meter das Schlimmste waren. Die Felswand war dort verdammt glatt und die Feuchtigkeit verwandelte den Stein in eine algenbedeckte Fläche. Aber er war bereit. Sein Innerstes war bereit. Er blickte noch einmal zum Dorf zurück und setzte seinen Aufstieg fort. Es war der ungleiche Kampf eines kleinen Mannes gegen einen Riesen. Schritt für Schritt tastete sich Manuel mit äußerster Vorsicht vorwärts, hielt inne, suchte den besten Aufstieg, die nächste Kante. Der Wind begann immer stärker an seinem leichten Kombi zu zerren und Manuel hatte das Gefühl, er müsse schreien, ja sogar stöhnen. Ein zufällig vorbeikommender Betrachter würde am Fuße des Berges denken, dass eine Ameise den zerklüfteten Bergrücken hinaufkrabbelt, aber ein zufällig vorbeikommender Betrachter würde Manuel gar nicht bemerken. Immer näher kommt Manuel dem Gipfel, der Wald in der Tiefe flüstert ihm unruhig etwas zu. Noch zwanzig Meter. Er hatte keine Angst und dachte an Marias unsinnige Angst. Schon lange hatte er vor, diese Steilwand zu bezwingen. Aber Maria wollte davon nichts hören. Sie fing sofort an zu weinen. „Tu das nicht“, flehte sie, „denkst du denn gar nicht an mich? Wir bekommen doch ein Kind. Es soll so früh ohne Vater sein.“ Manuel lachte leise in sich hinein, während seine Hände schon den nächsten Felsvorsprung ertasteten. Er hatte Maria geheiratet, weil sie jung, hübsch, voller Weiblichkeit und auch sympathisch war. Aber an eine Ehe aus Liebe mochte er nicht glauben. Immerhin konnte er sich mit ihr sehen lassen und mochte sie deshalb. Das ganze Dorf beneidete ihn um sie. Tatsächlich hatte er vor langer Zeit mit seinem Freund Joszef gewettet, dass sie sich auf der Stelle in ihn, Manuel, verlieben würde. Und er hatte verdammt noch mal gewonnen. Wie immer. Maria war anfangs begeistert von seiner Abenteuerlust. Einmal kletterte er auf eine 15 Meter hohe Tanne, um sie abzusägen. Kurz vor dem Aufprall sprang er ab und rollte sich blitzschnell zur Seite. Er hatte ein paar Schrammen und einen verstauchten Fuß, aber sonst war er ein echter Held. Und Maria liebte ihn noch mehr. Bald hatte er sie so weit, dass er Bedingungen stellen konnte: „Entweder du schläfst mit mir, oder ich hole mir eine andere.“ Maria tat alles, um ihn nicht zu enttäuschen. Die Sonne blendete. Die Haare klebten, der Schweiß lief in kleinen Rinnsalen und der Fels leckte die salzige Flüssigkeit auf. Manuel biss die Zähne zusammen und zog sich weiter nach oben. Plötzlich kam ihm Anna in den Sinn, seine vielleicht einzige wahre Liebe. Sie war eine sanfte, etwas herbe Schönheit, deren Augen in einem seltsamen Blau leuchteten. Aber ausgerechnet sie bekam er nie. Er war der beste Tänzer weit und breit, aber Anna tanzte mit Jonas, diesem dummen, zu dicken Loser, der nie eine Mutprobe machte. „Ich liebe das Leben“, sagte er immer. Aber was wusste er schon vom Leben, vom Mut, von der Ehre. Manuel brauchte die Gefahr, jeder Mensch braucht sie. Nur die Stärksten überleben. Für Anna umrundete er das Schulgebäude im dritten Stock auf dem 25 Zentimeter breiten Sims. Alle blickten bewundernd zu ihm auf, während die Lehrer verzweifelt durcheinander liefen. Aber Anna ließ das kalt. Sie war wohl die Einzige, die ihn keines Blickes würdigte. „Nun, wie war ich?“, stellte er sich ihr nach der Heldentat herausfordernd in den Weg. „Wenn dein Geist so hoch fliegen würde, wäre ich beeindruckt“, erwiderte sie. Es dauerte lange, bis er den Satz verstand, und noch länger, bis er den Inhalt verinnerlicht hatte. Die Worte drangen in sein Herz und vergifteten es. Verbissen kämpfte Manuel gegen den Stein der Felswand, der ihm immer wieder zu entkommen versuchte. Doch es half nichts, Manuel fand immer wieder die alten Falten im zerfurchten Gesicht der alten Jungfrau. Anna. Heute ist sie mit Jonas dem Wal verheiratet, der sich um alles und jeden im Dorf kümmerte, der Kummer hatte. Er, Manuel, brauchte die Hilfe eines solchen Frauenverstehers nicht. Und Anna gründete einen Frauenverein. „Frauen sind zum Vögeln da, verstehst du, zum Vergnügen nach der harten Arbeit“, hörte er die schapsgeraute Stimme seines Vaters, „wir Männer herrschen, die Frauen dienen uns. So war es immer, und so ist es gut. Wir sollten Gottes Welt nicht auf den Kopf stellen.“ Die Mutter gehorchte ihrem Mann bedingungslos. Wenn Manuel etwas wollte, stampfte er mit den Füßen, und die Mutter gab es ihm. Noch 12 Meter. Manuel jubelte innerlich. Unten im Tal schlief das Dorf wie seit Jahrhunderten um diese Zeit. Auch der Berg war daran gewöhnt und ließ zornig Steine rollen, weil ein Menschenkind diese Gewohnheit durchbrach. Manuel konnte gerade noch ausweichen, sonst hätte ihn mancher Stein hart getroffen. Er dachte an Maria, die um diese Zeit in ihr weißes Bett ging. Erst gestern Abend war sie zu ihm gekommen und hatte ihn auf die Stirn geküsst. „Du wirst es nie versuchen, versprich es mir“, ihre Stimme, ihre Lippen, ihre Hände, alles an ihr schien zu bitten. Manuel öffnete ihr wortlos die Bluse. Bereitwillig ließ sie es zu und sah ihm prüfend in die Augen. Ihr sanfter Blick verwirrte ihn für einen Moment, bevor er ihre Brüste sanft küsste. „Ich liebe deinen Körper“, flüsterte er. „Dann geh bitte nicht“, ihre Worte verschluckten seinen Kuss. Manuel trug sie aufs Sofa, schmiegte sich eng an sie, seine Hände fanden den Weg in ihr Mieder…

Für einen Moment schloss er genüsslich die Augen und atmete die raue Bergluft ein. Jetzt erst recht. Er musste ihr beweisen, was noch in ihm steckte. Er würde den Felsen für sie einnehmen, er würde dem alten Berg seine verdammte Jungfräulichkeit entreißen, ein für alle Mal. Für immer. Erstaunt hielt er inne und lauschte seinem Echo. Noch zehn Meter, das letzte Stück. Manuel blickte hinunter zum Dorf. Es jubelt ihm zu. Feierlich schreitet Bürgermeister Jonas auf ihn zu, Maria weint vor Freunden, kniet am Wegesrand nieder… Doch plötzlich murmelt das Dorf unheilvoll: „Für wen? Warum?“ Manuel schüttelt unwillig den Kopf. Was wollen die? Er tut es für sich, für Maria, für sein Kind. Alle würden es um seinen Vater beneiden, schon jetzt, obwohl es noch gar nicht geboren ist. Die letzten 5 Meter. Die Hände schmerzten, jeder Meter kostete immer mehr Kraft, der Wind riss an ihm, als wolle er ihn vom Fels reißen. Sein linker Fuß hatte plötzlich keinen Halt mehr. Manuel stöhnte. Langsam fand er wieder Halt. Die alte Jungfrau war hartnäckig. Er bekam Angst, wahnsinnige Angst. Vorsichtig blickte er die steile Wand hinunter und kniff die Augen zusammen. Bald würde die Nacht vorüber sein und Maria würde aufstehen. Vorsichtig lugte die Sonne schon am Horizont hervor und hielt für einen winzigen Moment erschrocken inne. Niemand sah diesen Augenblick, niemand fühlte ihn, die Welt hatte ihn nicht bemerkt, nur Manuel. Eine unheimliche Sehnsucht nach Wärme überkam ihn, nach der Wärme Marias. Seine Hände zitterten leicht und krallten sich schmutzverkrustet in den erbarmungslos kalten Fels. Immer wieder rutschten sie an den algenbewachsenen Kanten ab. Manuel blickte nach oben und glaubte, in den Himmel klettern zu müssen. Mühsam schob er sich höher, sein Herz schien mit jedem Zentimeter schneller zu schlagen. Die Felsvorsprünge wurden immer kleiner und seine Hände kratzten verzweifelt am Fels.

Seine Kräfte schwanden. Er sah die Männer des Dorfes am Stammtisch sitzen. Sie schüttelten müde ihre Köpfe, die wie Granit aussahen. „Wir haben ihn gewarnt. Jetzt ist er tot.“ Manuel lachte irr. „Aber ich lebe.“ Verzweifelt zerrte er an der Wurzel, die ihn festhielt. Vater fuchtelte mit der Whiskyflasche vor seiner Nase herum: „Mein Junge, du kannst alles erreichen, was du willst. Du bist mein Sohn und kennst keine Angst. Das Volk braucht Helden…“ Die Mutter schluchzte neben ihm, „Du bist ein guter Junge. Der Vater hat recht. Sag mir, was du willst, mein Sohn, sag es mir…” …. Anna ging mit Jonas vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Hinter ihm tauchte Manuels Familie auf, ganz in Schwarz gekleidet. Auf den Schultern der ersten sechs Männer ruhte ein schwarzer Sarg ohne Deckel, und darin lag er, Manuel, auf einem weichen Samtkissen, den Kopf blutüberströmt. „Ich lebe“, schrie Manuel, als plötzlich Maria vor ihm am Hang stand. „Ich liebe dich“, sagte sie und entblößte ihre Brüste. Manuel wollte nach ihr greifen, sich an ihr festhalten. Maria lachte und ließ ihr Kleid fallen… Manuel schloss die Augen. Noch ein Stück, er war fast am Ziel. “Ich hab’s geschafft”, schrie er aus voller Kehle und spürte den Fall ins Bodenlose. Es beruhigte ihn. Er hörte sein Echo und spürte einen leichten Schlag, der seltsam leicht durch seinen Körper zuckte, dann tauchte er in tiefes Weiß…

Ein dumpfer Schlag schreckte die Eidechse auf und Staub wirbelte über sie hinweg. Noch bevor sie ganz verschwunden war, sickerte Blut zwischen den Steinen hervor. Der alte Adler betrachtete zufrieden sein Revier, in dem alles wieder in Ordnung war, und schmiegte sich an die alte Jungfrau in seinem Horst. Das Blut, das er roch, verwirrte ihn so hoch oben. Im Tal erwachte langsam das Dorf.

Am Himmel flog ein Adler und ließ seine majestätischen Schwingen ungläubig über die Landschaft gleiten. Er hatte in seinem Leben schon viel gesehen, aber noch nie einen kleinen Menschen, der an einem Stein klebte. Er roch die Angst und schien sich in der Rolle des Beobachters zu gefallen, die alte Jungfrau bot ihm Sicherheit, Nahrung und jetzt auch noch Vergnügen.

Für einen Moment schien Manuel den Flügelschlag des alten Adlers zu spüren und glaubte, in dem heiseren Schrei ein höhnisches Lachen zu hören. Ihm wurde schwindelig. Noch ein Meter, noch ein verdammter Meter. Jeder Zentimeter wurde zur Qual, die Risse in seinen erschlafften Muskeln, die scharfen Kanten, die in seine Haut schnitten. Manuel verfluchte sein waghalsiges Unternehmen, er verfluchte die Felswand, diese alte Jungfer, er verfluchte die Mutter, die ihn verwöhnte, er verfluchte den Vater, der ihm im Suff Ratschläge gab. Und Maria liebte ihn. Langsam glitten seine Hände über den Rand, fanden Halt an einer Wurzel. Manuel musste stehen bleiben, weil ihm die Kraft fehlte, sich hochzuziehen. Mit äußerster Anstrengung versuchte er, mit den Füßen Halt zu finden. Er wollte nur einen Moment ausruhen, einen winzigen Moment. Er fand einen Vorsprung unter seinen Füßen und konnte über den Rand schauen. Hinter einer verschwindenden Nebelwand sah er Maria in ihrem weißen Bett liegen, die Beine an die Brust gezogen. Ein Arzt stand vor ihr und drehte sich zu ihm um: „Sieh, das ist dein tapferer Vater. Schau ihn an und schrei. Schrei nach ihm, schrei um dein Leben.“ Manuel schrie, seine Stimme überschlug sich: „Maria, hier bin ich. Er hat einen Vater. Ich lebe, ich bin nicht tot.“ Tot, tot, hallte es durch das Tal. Der alte Adler wandte sich erschrocken ab. Maria sah Manuel mit erloschenem Blick an: „Manuel, wo bist du?“ „Hier, hier“, schluchzte Manuel.

Ja, er liebte seine Eltern, auch wenn sie manchmal mit ihm schimpften. Er war drei Jahre alt und gerade in den Kindergarten gekommen. Oft holte ihn der Papa ab, mit dem Fahrrad. Das waren die schönsten Tage. Da war der Junge ein kühner Fahrradkapitän, viel schneller als die anderen. Auch die Ampeln kannte er schon. “Bei Rot bleibst du stehen, bei Grün darfst du fahren”, hatte ihm der Papa immer erklärt.

Oft machte der Vater mit seinem Sohn einen Umweg, dort hinten bei den Bahngleisen. Manchmal schauten sie staunend auf die große schwarze Lokomotive, die viele Waggons zog. Fremde Menschen saßen darin und winkten den beiden Radfahrern zu. Begeistert ruderten Vater und Sohn mit beiden Armen zurück. Dann fuhren sie weiter, so schnell wie der Wind, dass die Haare nur so flogen. Es war so schön, mit Papa zu fahren. Wenn sie am großen Konsum vorbeikamen, kauften sie sich etwas. Der Vati – ein Bier, weil er schon groß war, eben ein richtiger Vati, und für den Sohn eine Limonade. Sie prosteten sich zu und der Vater stupste den kleinen Jungen auf die Nase und sagte: “Das machen die Arbeiter immer so“. Dann setzte der kleine Junge die große Eisenbahnermütze auf, die ihm bis über die Ohren reichte. “Ich werde auch ein richtiger Eisenbahner, so wie du.“ Beide lachten. Es war das helle Lachen einer Lerche und das dunkle Lachen eines Hirsches, wenn er röhrt. Es war das Lachen von Vater und Sohn.

Und dann gingen sie nach Hause zur Mama. Der Vater legte sich auf das Sofa und schlief ein, denn er war müde von der schweren Arbeit. Der kleine Junge ging mit seiner Kutsche und den zwei hölzernen Schimmeln auf die Wiese spielen. Er war der Kutscher und fuhr durch die Pusteblumen. Wenn die Sonne seine Nase kitzelte, musste er niesen. Oft wollte der Junge den goldgelben Eierkuchen haben. Aber das geht nicht, sagte die Mutter, die Sonne ist für alle Kinder da. Den Kindern, zu denen das Sandmännchen jeden Tag kam, wollte er die Sonne nicht wegnehmen. Alles war so schön und lustig, vor allem die kleinen roten Käfer mit den schwarzen Punkten, die so lustig über seine Finger krabbelten.

Eines Tages holte Papa ihn wieder ab. Aber diesmal machte er keine Umwege, keine Eisenbahn, kein Eis, keine Limo, sie fuhren schnell und leise nach Hause. Sonst hatten sie immer über die Radfahrer gelacht, die zurückblieben, sonst. … Es war plötzlich ganz anders als sonst.

Zu Hause durfte er nicht mehr auf den Hof, mit seinem Schimmelwagen, als Kutscher. Der kleine Junge sollte in der Küche spielen, aber er hatte keine Lust mehr. Was war nur mit Mama und Papa los? Heute hatten sie sich nicht einmal zur Begrüßung geküsst. Am Vorhang krabbelte ein Marienkäfer. Neugierig beobachtete der kleine Junge das Insekt. Plötzlich hörte er die Mama rufen und kurz darauf den Papa: „Das ist auch mein Kind“.

„Kinder in die Welt setzen, das kannst du. Aber sich um das Kind kümmern, das kannst du nicht. Nimm ihn mit und dann werde ich sehen, wie ich zurechtkomme.“ Der kleine Junge verstand nicht, warum seine Eltern schimpften. Wenn er etwas angestellt hatte, schimpften sie, aber so? Er stand immer noch am Fenster, als seine Mutter wütend auf ihn zukam. Wütend schrie sie den Papa an, der ihr folgte. Den kleinen Jungen, ihren Sohn, hatte sie vergessen: „Er ist ganz allein mein Junge. Du kannst deine Sachen packen und gehen, den Jungen bekommst du nicht“, schrie die Mutter wütend. „Und wer soll das Geld herbeischaffen?“, entgegnete der Vater, “nur ich. Wir werden sehen, wer den Jungen bekommt. Du erziehst ihn so, wie du bist, herrisch und hinterhältig.“

„Du hast mich betrogen. Meinetwegen kannst du in der Gosse verrotten, verlass mein Haus, der Junge wird dir nicht folgen. Willst du etwas Anständiges aus ihm machen?“ „Das war zu viel!“, keuchte der Vater und holte aus. Schützend schlug die Mutter die Hände über den Kopf, auf den die Schläge nun mit voller Wucht prasselten. Versteinert blickte der kleine Junge auf die herabfallenden Hände, die ihn so oft gestreichelt hatten, auf die wutverzerrten Lippen, die glanzlosen Augen, die sich in den gekrümmten, schreienden Leib der Mutter bohrten. Vergessen waren das Auto, die Lokomotive, die Radfahrer, die Pusteblumen, die Sonne, die Wiesen mit den roten Käfern, das helle Lachen und das tiefe Röhren, die so gut zusammenpassten. Der kleine Junge klammerte sich an die Jacke seines Vaters und rief: “Papa, nicht hauen, Mama aua! Nicht hauen, aua!“

Der Vater zuckte zusammen und schaute verwundert auf den kleinen Jungen, der tapfer mit den Tränen kämpfte und sich immer noch schluchzend an seine Jacke klammerte. Die blassen Lippen flüsterten wieder und wieder, kaum hörbar: “Bitte nicht schlagen. Aua.“ Der kleine Junge schaute flehend auf die Hände seines Vaters, die ihm so oft die Mütze über die Ohren zogen, dass ihm eine Träne zu Boden fiel. Der Vater blickte den kleinen Jungen zärtlich an und hob die Hand, um ihn sanft zu streicheln. Der Sohn zuckte erschrocken zusammen. Schweigend verließ der Vater das Zimmer. Die Mutter drückte den kleinen Jungen weinend an sich.

Der kleine Junge sah, wie der Marienkäfer im Zimmer umherflog und keinen Weg nach draußen fand. Da weinte der Sohn der Eltern, denn er liebte den Marienkäfer von ganzem Herzen, der in diesem Zimmer gefangen war und vielleicht sterben musste – ohne Sonne, ohne Wärme, ohne Liebe.

Er sprach kaum. Ein paar Worte, Mama, Papa, Essen und für andere Dinge erfand Thomas Worte, deren Sinn nur seine Mutter verstand. Es war einfach nichts zu machen, so sehr sie sich auch bemühte. Die Einschulung stand bevor und Martina wusste nicht weiter. Ein Arzt riet ihr, den kleinen Sohn noch ein Jahr zu Hause zu lassen. Sie war von ihrem jetzigen Mann schwanger, aber er schien nicht in der Lage zu sein, solche Familiengespräche zu führen. Tommy war ja auch nicht sein Sohn. Ihr Exmann hingegen war gewalttätig. Sie hatte sich vor mehr als einem Jahr von ihm scheiden lassen, weil er sie, jähzornig wie er war, geschlagen hatte. Ihr Sohn verstand sich gut mit seinem richtigen Vater, im Gegensatz zu Simon, der jetzt bei ihnen wohnte. Er begegnete ihrem fünfjährigen Sohn eher distanziert. Sie erinnerte sich, wie sie kürzlich mit Thommy im Keller Kartoffeln holte, als ihr jetziger Mann Simon auftauchte und etwas suchte. „Simon, da“, zeigte Tommy auf den Schraubenzieher, der auf dem Werkzeugtisch lag. Simon erstarrte, sah Martina an und verließ wortlos mit dem Schraubenzieher den Keller. Martina kniete sich vor ihren Sohn und versuchte sanft mit ihm zu sprechen: „Du sollst ihn nicht mehr Simon nennen. Er ist jetzt dein Vater. Du sagst ab jetzt Papa zu ihm. Hast du verstanden?“ Der Sohn sah sie verständnislos an und schwieg. Er wusste, es war ab jetzt Gesetz. Martina nahm sein Schweigen als Zustimmung. Von da an sprach Tommy überhaupt nicht mehr mit Simon, sondern folgte seiner Mutter auf Schritt und Tritt, selbst auf die Toilette.

Trotz der Warnungen hatte Martina ihren Sohn eingeschult, ohne ein weiteres Jahr verstreichen zu lassen. Inzwischen war ihr zweiter Sohn geboren, und sie hoffte, dass in der Schule unter den vielen Kindern vielleicht der Knoten platzen würde. Simon liebte seinen neugeborenen Sohn sehr und hielt ihn gerne im Arm. Tommy stand dann meist etwas hilflos daneben und schwieg. In der Schule dagegen blühte er auf und wurde innerhalb eines Jahres der beste Leser seiner Klasse. Die Schule machte ihm Spaß und er konnte sich selbst etwas beibringen. Zu Hause war er lange nicht so gesprächig, die Mutter freute sich, dass er wenigstens vernünftig sprach, für Simon war das eher eine Randnotiz. Er hatte Wichtigeres zu tun. Simon war oft auf Montage, da hatte die Mutter viel zu tun. Sie musste in der Waschküche waschen und Tommy musste auf seinen kleinen Bruder aufpassen. Der lag in seinem Himmelbett und mit ihm spielen ging noch nicht. Er lag nur da, griff nach seinen Füßen und sprach kein Wort. „Du musst sprechen, Jonas. Sag etwas“, forderte er das Baby auf. Manchmal versuchte er, ihm etwas vorzulesen, aber Jonas schrie nur. Das machte Tommy wütend. Er hatte wohl den Jähzorn von seinem leiblichen Vater geerbt. In solchen Momenten tat er unverständliche Dinge und schoss mit einer Ballpistole in das Himmelbett des Babys. Er wollte nur, dass Jonas aufhört zu schreien. Wenn die Tischtennisbälle verschossen waren, wusste er nicht einmal, warum er das tat. Einmal fand seine Mutter einen solchen Plastikball und stellte ihn zur Rede. Tommy verstummte daraufhin und das Babybett blieb im Schlafzimmer der Eltern. Tommy war sich seiner Schuld bewusst, aber er konnte sich sein Verhalten nicht erklären. Am liebsten wäre er weggelaufen. Er spürte, wie die Liebe langsam aus dem Haus wich.

Martina war eines Tages bei ihrer Mutter, als es dort klingelte. Zwei Männer standen vor der Tür.

Der eine war ihr Nachbar. Sie war so überrascht, dass sie nicht einmal grüßen konnte. Schließlich war es eine ganz schöne Strecke, die sie selbst mit dem Fahrrad in 20 Minten fuhr. Außerdem war es kurz nach 21 Uhr. „Martina“, ihr Nachbar wirkte etwas bedrückt, „dein Sohn ist beim Pförtner im Maschinenbau“. Martina verstand nichts. Tommy konnte das Haus nicht verlassen, sie hatte die Tür abgeschlossen. Er sollte ab und zu nach seinem kleinen Bruder sehen. Das hatte sie schon oft so gemacht. Tommy lag dann im Bett und las. Er las meistens Bücher auf einmal und war verrückt nach Büchern. Aber wie kam er zu Maschinenbau, der zwar nur ein paar 100 Meter entfernt war, aber zu dem er sonst keine

keine Beziehung hatte. „Martina“, der Mann griff ihr auf die Schulter, „deinen Sohn haben wir im Nachthemd vor eurer Wohnung aufgegriffen. Er ist aus dem Badfenster gesprungen. Im Nachthemd!“ „Woher wusstet ihr, wo ich bin?“, fragte sie völlig verwirrt und zog sich eilig ihren Mantel über. „Von Tommy“, sagte der andere Mann, „Gut, dass ihr im Erdgeschoß wohnt und nicht mehr passiert ist.“ „Wie geht es ihm?“, fragte Martina besorgt. „Er ist wie in Trance kannte aber die Adresse seiner Oma, sagt aber sonst nicht, wusste nicht warum er das tat.“ „Wir fahren mit meinem Trabbi“, entschied der andere Mann, „Tommy flüstert nur immer etwas, was wie Bootsmann klingt. Wissen Sie, was er meint?“ Martina schüttelte den Kopf, mit einem Bootsmann hatten sie nun wirklich nichts zu tun.

 

Endlich hatte Martina Tommy zu Bett gebracht. Aus dem Jungen war nichts herauszubringen. Es war, als wüsste er nicht einmal, was geschehen war. Als sie ihm das offene Badfenster zeigte und fragte, warum er gesprungen sei, sagte er nur kopfschüttelnd das er nicht gesprungen sei. Er hatte wohl nur geträumt. In seinem Zimmer lagen zwei Bücher herum. Einmal ein Trompeterbuch und ein kleineres mit dem Titel „Bootsmann auf der Scholle“. Es war eine Geschichte über einen kleinen Hund, der durch einen Zufall auf eine Eisscholle geriet und wegtrieb, wie Martina bis zur Hälfte des dünnen Buches las. Albträume, dachte sie und beschloss, das Lesen ihres Sohns zu beschränken. Das Bootsmann Buch versteckte sie vor ihm. Martina musste das Buch nicht zu Ende lesen, sie war überzeugt zu wissen, was geschehen war.

54 Jahre später bekam Tommy das Büchlein von Freunden wieder geschenkt. Er las es noch einmal und verstand die Freude des kleinen Hundes, der auf seiner Scholle dahintrieb und dann in die Arme von Freunden sprang, die gemeinsam nach ihm suchten. Tommy legte das Buch zurück und erinnerte sich an seine vielen Sprünge im Leben. Es waren Sprünge, die ihn oft zurückwarfen. Seine eigene Scholle schmolz mit den Jahren, ohne das er ankommen würde. Vielleicht sollte er noch einen Sprung wagen…

Es war in den letzten Monaten dieses schrecklichen Krieges. Ganze Städte wurden in Schutt und Asche gelegt und die entmenschte Erde röchelte aus ihren Wunden. Schlimmer als jedes Raubtier zerfetzte der Mensch sich selbst und bearbeitete mit einer seltsamen bestialischen Freude seine eigenen Artgenossen. Gegen sich selbst aber war der Mensch nackt und hilflos. – Und doch gab es immer wieder Lichtgestalten, die ihr menschliches Antlitz beibehielten.

 

Nahe dem Dorfe L. wurde im Februar 1945 ein versprengter Trupp faschistischer SS aufgerieben.

Die sowjetischen Soldaten, die durch den erbitterten Widerstand der SS erhebliche Verluste erlitten, machten nur zwei lebende Gefangene.

Einer der Gefangenen war, der in dieser Gegend als berüchtigter „Totengräber“ bekannt; Oberscharführer Ernst H. Der Andere, ein eher schmächtiges Bürschlein, ein heruntergekommener Gefreiter, schlotterte vor Angst, brachte kaum mehr als ein Stammeln heraus.

Im Quartier des sowjetischen Stabes bereitete ein Sergeant gerade die bei dem gefangenen faschistischen Offizier gefundenen Bilder aus, als Martha B. den Unterstand betrat.

Sie hatte die vor dem Zelt wartenden Gefangenen kaum eines Blickes gewürdigt und bemerkte deshalb auch nicht die verächtlichen Züge des Oberscharführers. 1938 war sie in die Sowjetunion emigriert, nachdem die Gestapo ihren gerade erst 18-jährigen Sohn verhaften ließ und folterte. Einmal sah sie ihn noch ganz kurz und in ihr prägte sich sein geschwollenes, blutunterlaufenes Gesicht ein. Einige Tage später erklärte ihr ein pausbäckiges Beamtengesicht höhnisch, ihr Sohn sei auf der Flucht erschossen worden sei. Marthas Entschluss stand in diesem Moment fest und auf gefahrvollen Wegen gelang ihr die Flucht nach Russland. Dort meldete sie sich bald darauf bei der Roten Armee und sorgte fortan als Krankenschwester für die Verwundeten. Sie hatte die übelsten Wunden gesehen und sehnte sich nach ihrer Heimat, ihrer hoffentlich noch lebenden Familie.

 

„Grauenhaft“, sagte Sergeant Pawel Petrowitsch gerade.

„Was ist grauenhaft?“, fragte Martha besorgt, auf Russisch, einer Sprache, die sie inzwischen perfekt beherrschte.

„Alles, was wir um uns herum an Leiden sehen, aber das hier …“, Pawel Petrowitsch tippte energisch auf die Fotos, „…das hier besonders.“

Martha kam näher und betrachtete die Bilder aufmerksam. Plötzlich ging in der Frau eine seltsame Veränderung vor sich. Die ansonsten vitale, stolz aufgerichtete Frau, sackte regelrecht in sich zusammen, ihre Lippen pressten sich zu einem schmalen Spalt fest aufeinander, sodass mit einem Mal alles Blut aus ihnen wich. Martha B. wurde blass und ihre Hände begannen fast unmerklich fast zu zittern. Pawel Petrowitsch konnte im letzten Moment die wankende Frau auffangen: “Masha, was ist mit dir, ist dir nicht gut.“ Er versuchte ihr die Bilder wegzunehmen, doch Martha klammerte sich daran fest und schrie den helfenden Sergeanten an: „Lass mich in Ruhe.“ Sie riss sich los und setze sich auf einen Stuhl, um die Bilder noch einmal zu betrachten. Schweigend blieb Pawel Petrowitsch neben ihr stehen. Dieser Mann, der in Schlachten mutig vorne wegstürmte, der mit bloßer Faust einen Mann töten konnte, dieser Mann war angesichts der kleinen kauernden Frau verwirrt und völlig hilflos.

Die Bilder waren in einem KZ gemacht worden. Sie zeigten einen jungen SS-Mann, eben jenen Oberscharführer, der lächelnd mit der MPI in der Hand vor einer Reihe nackter Frauen und Kinder stand. Das nächste Bild zeigte den Moment der Exekution. Eine Frau sank zu Boden, verzweifelt gestützt von dem kleinen Mädchen neben ihr. Die danebenstehende Frau umklammerte ein Stoffbündel. Das dritte Bild zeigte die Folterung einer jungen Frau; an den Brustwarzen waren mit Nadeln dünne Drähte befestigt. Sie schien entsetzlich zu schreien, die Augen waren irr verdreht. Es waren entsetzliche Bilder von Vergewaltigungen, Erhängen und der ganzen Palette menschlicher Leiden, die selbst die Hölle sich nicht ausdenken könnte. Das Schlimmste aber war, das auf jedem Bild der lächelnde junge Mann zu sehen war.

Martha betrachtete immer und immer wieder die Bilder. In ein Foto vertiefte sie sich besonders.

Es zeigte den jungen Mann vor der Leiche einer schwangeren Frau, den Fuß auf den angeschwollenen Bauch gesetzt. Tränen rannen über Marthas Gesicht. Plötzlich stand sie ruckartig auf, ging auf Pawel Petrowitsch zu, „Von wem sind die Bilder?“, sie blickte den Sergeanten fragend an. „Von dem Gefangenen, dem Oberscharführer. Er ist der Offizier auf den Bildern.“ Für einen Moment schloss Martha die Augen, sank auf die Knie und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen. Pawel Petrowitsch beugte sich zu der schluchzenden Frau hinunter und flüsterte betroffen ihren Spitznamen: “Manuschka, Manuschka.“ Als Martha in endlich anschaute, prallte er unwillkürlich zurück, ihr Gesicht war um Jahre gealtert und ihre ohnehin schon grauen Haare schienen weiß wie Schnee. Martha erhob sich schwer und ging stumm aus dem Unterstand in ihr Zelt. Dort ergriff sie ruhig ihre MPI, die sie inmitten der Verwundeten nur wenig brauchte. Mit langsamen Bewegungen lud sie die Waffe und hängte sie sich um. „Ich muss ihn vernichten. Das bin ich IHM schuldig“, murmelte sie in deutschen Worten vor sich hin.

 

In der Ecke des Gefangenenbunkers kauerte Oberscharführer Ernst H. Er wusste, dass er eigentlich tot war und klammerte sich doch an ein klein wenig Hoffnung. Seine Heimat erschien ihm wie ein fernes Märchenland, von dem er einst hörte, aber nie kennengelernt hatte. Als die alte Frau eintrat, rutschte er auf Knien, seinem letzten bisschen Würde, zu ihr und umklammerte angstvoll wimmernd ihre Beine. Angeekelt schüttelte sie dieses schlotternde Bündel Menschlein von sich. Unbewegt stand Martha in dem Erdbunker und betrachtete starr die vor sich zusammengekrümmte, wimmernde Kreatur. Vor ihren Augen entstand das Bild des desselben Mannes mit der Leiche der schwangeren Frau. „Steh auf“, forderte sie tonlos. Zitternd stand Ernst H. auf. Sie sah ihn durchdringend an. ‚Er erkennt mich nicht‘, dachte sie. ‚Er hat Angst, weiß er auch warum?‘. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Martha B. umklammerte fester ihre MPI.

 

Der Oberscharführer bemerkte dies und sein Gesicht verzog sich weinerlich. „Bitte nicht schießen, ich habe doch nur für mein Land gekämpft.“ Unbeschreibliche Angst machte sich in dem knabenhaften Gesicht breit. „Ich vergebe dir“, murmelte Martha und krümmte den Finger. Die Garben zerfetzten den Körper des Oberscharführers, der sich wie in Ekstase ein letztes Mal aufbäumte und schüttelte. Dann ließ sie die Waffe fallen, kniete neben dem zerschossenen Körper nieder und schickte sich an, die blutverschmierte schwarze Uniform von der Leiche abzureißen. Martha arbeitete wie besessen, bis der fast nackte Leichnam mit zahlreichen Einschusslöchern vor ihr lag. Jetzt packte sie den Leichnam unter die Arme und zerrte ihn ächzend ins Freie. Dort standen schon neugierig einige Sowjetsoldaten mit Pawel Petrowitsch. Er sah sie schweigend und durchdringend an. „Ich bin nicht verrückt“, sagte sie erst deutsch und wiederholte es auf Russisch. „Es ist mein Sohn.“ Pawel Petrowitsch hatte in seinem Kriegsleben viel gesehen, noch mehr gehört und nichts schien diesen Mann noch erschüttern zu können, doch plötzlich fühlte er für einen kurzen Moment  einen Schauer über seinen Rücken laufen  Ungläubig schaute er auf den leblosen Körper, aus dem noch frisches Blut floss. „Der Gefangene – dein Sohn?“, fragte er ungläubig. „Nein, nein“, Martha B. schüttelte energisch den Kopf, „Der Gefangene war ein Mörder. Er hat den Tod verdient. Das hier …“, und sie berührte fast zärtlich das unverletzte Gesicht, „…das ist mein Sohn – und der wurde einst von der Gestapo ermordet. Ich werde ihn eigenhändig begraben.“ Sie beugte sich nieder und drückte ihren Sohn die Augen zu. Pawel Petrowitsch hatte noch nie die Grausamkeit des gesamten Krieges an einem einzigen Ort gesehen.

 

 

Es war einmal ein einsamer Mann, der sich nach Liebe und Zärtlichkeit sehnte. Seit vielen Jahren hatte er keine Berührung mehr erlebt und fühlte sich oft einsam in seiner kleinen Wohnung. Eines Tages entschied er sich, einen Spaziergang im Park zu machen, um etwas frische Luft zu schnappen. 

Dort traf er ein junges Mädchen, das traurig aussah. Nachdem er sie eine Weile beobachtet hatte, sprach er sie schließlich an und fragte, ob alles in Ordnung sei. Das Mädchen erzählte ihm, dass sie gerade ihre Eltern verloren hatte und sich sehr alleine fühlte. 

Der einsame Mann fühlte Mitgefühl für das Mädchen und beschloss, ihr Trost und Unterstützung anzubieten. Mit der Zeit entwickelte sich eine Freundschaft zwischen den beiden, und der Mann begann, ihr von seinen eigenen Sehnsüchten nach Liebe und Nähe zu erzählen. 

Das junge Mädchen, das eine warmherzige und mitfühlende Seele hatte, versprach ihm, ihm die Wärme zu geben, nach der er sich so sehr sehnte. Eines Abends kam sie zu ihm nach Hause, und der Mann hatte alles liebevoll vorbereitet: ein festliches Essen, Kerzenlicht und sanfte Musik. 

Als das Mädchen sich zärtlich um ihn kümmerte und ihm ihre Liebe zeigte, fühlte der alte Mann zum ersten Mal seit Jahren wieder das Gefühl von Geborgenheit und Vertrautheit. Doch als sie sich umarmten und er ihre Nähe spürte, erwachte er plötzlich aus seinem Traum. 

Er lag wieder alleine in seinem Bett, umgeben von Stille und Einsamkeit. Der Schmerz darüber, dass das Glück nur ein kurzer Moment war, überwältigte ihn und erkannte, dass das Leben ihm nicht mehr das bieten konnte, wonach er sich so sehnte – wahre Liebe und echte Zärtlichkeit. 

Traurig und resigniert ließ sich der einsame Mann von seinen Träumen und Illusionen zurück in die Realität führen. Er verstand, dass die Liebe, nach der er sich so sehr sehnte, vielleicht nie mehr zu ihm kommen würde. Doch in seinem Herzen bewahrte er den kostbaren Moment der Wärme und Zärtlichkeit, den ihm das junge Mädchen geschenkt hatte, als ein helles Licht in der Dunkelheit seiner Einsamkeit. 

Er trat aus dem großen, blauen Haus mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. In seiner Tasche klapperten die Autoschlüssel.

“ GX an XZ, GX an XZ. Objekt nimmt Stellung ein. Hologramm starten. Apparate laufen. Ströme werden gemessen. Test läuft. Ende. ”

“ XZ an GX. Gehe auf visuellen Empfang. Ende. ”

Renard klemmte sich hinter das Lenkrad. ‘Jetzt geht es los.’ dachte er böse. ‘Es wird schön sein. All das rote Blut. Tote sind etwas herrliches.’ Er gab Gas und ließ unendlich langsam die Kupplung kommen.

“Ich mache da nicht mehr mit.” Goodrey stand auf und zündete sich eine Zigarette an. “ Die Öffentlichkeit wird davon erfahren.” Eugen Goodrey strich sich mit beiden Händen über das Gesicht und betrachtete seinen Raum. Dicke Schaumgummiwände umgaben ihn, mit Porno Bildern und Poster mit Mord und Totschlag. Er holte eine kleine Ampulle aus der Tasche und stellte sie auf den Tisch. “ Das ist mein Leben” murmelte er leise vor sich hin, um sie im gleichen Augenblick mit einer abrupten Bewegung wieder in seine Tasche zu stecken.

“GX an XZ. Nummer Acht hat negative Position. Bei der nächsten Fahrt eliminieren. ”

Allmählich steigerte der Wagen seine Geschwindigkeit. Unaufhaltsam stieg die Tachonadel. 100,120,140,160,180 Meilen in der Stunde. Die Straße verlief schnurgerade. Renards Erregung wuchs von Minute zu Minute. Bald mussten sie auftauchen. Der Asphalt flimmerte. Er kniff die Augen zusammen und starrte auf die gelbe Linie in der Mitte. So konnte Renard die blauen, kleinen, quaderförmigen Blöcke links und rechts der Straße im Abstand von 1 Meile nicht sehen.

“XZ an GX. Gehirnfrequenz des Probanden steigt auf Maximum. 0.89. Bei 1 rotes Licht. Beginn des Hologramms.”

Renard war glücklich. Endlich, davorn war das Pärchen. Arm in Arm eng umschlungen schlenderten sie nichts ahnend die Straße entlang. ‘Die bring ich um.’ Er riß den Lenker herum und steuerte direkt auf die Beiden zu. Seine Augen blickten starr, der Mund stand halb offen, seine Hände verkrampften sich. Unmerklich und zäh vergingen die Sekunden bis zum Aufprall, der schnell und heftig war. Renard hörte ihn deutlich und sah die Beiden merkwürdig verrenkt durch die Luft fliegen. Er trat mit einem Ruck auf die Bremse. Er wußte, dass er nicht aussteigen konnte. Solange er nicht zurück im blauen Haus war, blieben die Türen geschlossen. Glücklich, wie ein kleines Kind wendete Renard den Wagen und fuhr langsam an den Beiden vorüber. Sie lagen noch immer eng umschlungen in einer Lache voll Blut zusammen. Rebnard hatte sein Ziel erreicht, seine Augen glänzten. Er gab Gas und fuhr entspannt den Weg zurück nach Haus.

Einige Minuten später lösten sich die beiden Körper auf. Die Straße war blank und sauber, als wäre niemals etwas geschehen.

“ GX an XZ. Versuch beendet. Objekt 12, Ankunft in ca. 5 Minuten. Ende. ”

 

Zufrieden kehrte Renard in sein Zimmer zurück und steckte sich eine Zigarette an. Die Tür ging auf und eine nackte Frau stand vor ihm. “ Komm rein Carol. ” forderte Renard sanft. “ Ich habe dir etwas zu erzählen. Es war einfach herrlich.” Die Frau legte sich auf sein Bett und spreizte leicht die Beine. Renard knöpfte sich die Hose auf…

Turner betrachtete fassungslos den Bildschirm. Täuschten ihn seine Sinne? War das nur ein Film oder etwa…? Ungläubig schüttelte er den Kopf. Er war doch nicht wegen eines Films hier. Turner blickte verständnislos den Professor an. “ Was war das denn?” fragte der Journalist.

“ Ein Experiment!” der Professor lächelte gleichmütig. Turner schluckte.

“ Aber was ist mit den zwei toten Menschen?” fragte er erregt. “ Mein lieber Mr. Turner, wir sind doch bitteschön keine Unmenschen. Haben sie schon mal etwas von räumlichen Fotos gehört, so genannten Hologrammen. Nun wir haben die Technik etwas verfeinert. Das Ergebnis konnten sie eben bewundern. ‘Ich glaube ich werde verrückt.’ dachte Turner “ Haben Sie einen Whiskey, um Gottes Willen ich brauche einen Whiskey. ” beschwor er fast den Professor. Dieser erhob sich arrogant lächelnd und ging zu einem Servierwagen. “ Ich sehe, ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig.” Der grauhaarige, stämmige Mann machte eine Pause, goss Scotch in ein Glas und reichte es Turner. “ Sie zittern ja” bemerkte der Professor zufrieden. Lassen Sie uns erst anstoßen, dann erzähle ich Ihnen eine nette kleine Geschichte. ”

Kurz nach meiner Promotion zum Professor für Psychologie bekam ich vom wissenschaftlichen Rat des Pentagons einen bedeutsamen und natürlich geheimen Auftrag. Damals war gerade der Krieg in Vietnam von großem nationalen Interesse. Es wurden immer neuere Waffen entwickeln, die die Vietcong aber nicht sonderlich beeindruckten. Es wurde sogar erwogen, die Atombombe einzusetzen, doch aus Imagegründen verworfen. Aber ich schweife ab.

Meine Forschungsgruppe setzte sich aus Genetiker und Psychologen zusammen. Eine seltsame Kombination, nicht wahr. In der Nevada Wüste entstand eine Viehfarm und darunter in 16m Tiefe unser geheimes Forschungslabor mit dem Projekt “Lucky Fruits” – Glückliche Früchte. Einer meiner Mitarbeiter war dieser Renard, den Sie eben bei seinem Auftritt bewundern durften. Er war damals ein ehrgeiziger, aber auch äußerst skrupelloser Mann. So einen brauchten wir. Wir standen kurz vor der Fertigstellung eines gewissen Mittels zur psychologisch-genetischen Kriegsführung, da lernte er diese verdammte Jane kennen. Sie war klug attraktiv, ehrgeizig, skrupellos, kurz das weibliche Gegenstück zu Renard, nur mit einem Haken. Sie war engagierte Kriegsgegnerin. Sie wickelte ihn einfach um ihren kleinen Finger und vögelte ihm den Verstand raus. Verzeihen Sie diesen vulgären Worte, aber es entsprach den Tatsachen. Renard schrieb Tagebuch und konnte sich Details nicht verkneifen. Wie auch immer, eines Tages musste Renard in einen abgesicherten Bereich. Er vergaß seinen achtlos auf den Schreibtisch hingeworfenen Kittel, den ich für ihn wegräumen wollte. Dabei fiel mir ein Büchlein heraus – sein Tagebuch. Es war in einem solchen Projekt strengstens verboten Tagebuch zu führen und ich gab es unserem Vorgesetzten weiter. Seine Liaison mit dieser Person, die uns gefährlich werden konnte, war mir schon die ganze Zeit ein Dorn im Auge.

Es geschah erst einmal nichts und Renard ging in Urlaub. Als er wieder zurückkam, ahnte niemand was er vorhatte, angeblich hatte er mit Jane Streit und sich von ihr getrennt. Zwei Tage später stand in der Zeitung mit großen Lettern “ Sexy Antikriegsheldin setzte ihrem Leben durch Drogen ein Ende.” Ich las es im Auto auf dem Weg zur Farm. Wir waren noch gut eine Meile entfernt, als wir eine fürchterliche Explosion aus dieser Richtung hörten. Ich weiß weder, wie er es geschafft hat, noch warum er nicht rechtzeitig wegkam, fest steht die Ursache der Explosion war eine von Renard simpel hergestellte TNT Anlage ohne elektrischen Zünder, um den Alarm zu umgehen. Er hatte den Eingang zum Fahrstuhl und das Labor gesprengt. Die Schäden am Fahrstuhl waren relativ gering, hingegen waren die Unterlagen und das gesamte Equipment des Labors vollständig zerstört. Das hergestellte Material, wir nannten es Lucky Fruits Saft” war nicht mehr aufzufinden. Teile davon wurden bei der Explosion zerstäubt. Aus den Trümmern bargen wir 27 Verletzte und Schwerverletzte, unter ihnen Renard, sowie einige Tote. Wir pflegten sie in einem isolierten, abgeschotteten Bereich. Zu unserem Erstaunen gesundeten sie sehr rasch, man konnte förmlich zuschauen, wie die Verletzungen verschwanden. Und dann geschah es, in einer Nacht fielen sie über ein ander her und brachten die Schwächeren um. Am nächsten Morgen sahen wir das Blutbad. Sechs nun vollständig Gesunde blutverschmierte Leiber schliefen ruhig und zufrieden in ihren Betten, während der Raum eine einziger Schlachthof war, es war unbeschreiblich. Einige Wachen übergaben sich sofort.

Zuerst begriffen wir rein gar nichts von dem Geschehen, bis es uns dämmerte. Der Saft war die Lösung. Es wirkte oder besser veränderte die Psychologie des Menschen. Sie empfinden alles Lebendige um sich herum als Bedrohung und haben einen inneren Drang zum Töten. Ansonsten waren sie normal, hatten nur für komplizierte Dinge, wie zum Beispiel Wissenschaften kein Speichergedächtnis mehr. Durch die Zerstäubung der Infektion bekamen sie mehr oder weniger von dem Saft damals ab. Ich begriff, dass wir hier durch Anschlag oder Zufall, wie auch immer, ideale Versuchspersonen hatten und wir beschlossen die Tests auszuweiten. So können wir die Auswirkungen ausgezeichnet kontrollieren.

Zufrieden schnaufte der Professor und schenkte sich einen Martini ein. Turners Gedanken kreiselten. ‘Wieso erzählt er mir das ?’  dachte er. “ Gibt es denn kein Gegenmittel, keine Hoffnung für diese Menschen. “ fragte er erschüttert.” Es sind Mörder.” erwiderte der Professor ungerührt. Sie brachten 21 Menschen um und würden jeden Töten, wenn wir sie nicht isolierten. Sie wären längst schon in der Todeszelle, so aber sind sie unserm Land wenigstens noch von Nutzen.” Turner presste die Lippen zusammen. “ Der Vietnamkrieg ist doch zu Ende, oder?” “ Stimmt, aber der nächste Krieg kommt auch, spätestens, wenn die Ölreserven zu Ende gehen. Und dann bedeuten gute Waffen Macht. Das ist von größtem nationalen Interesse. Freilich haben wir ein Gegenmittel. Wir müssen uns vor unseren eigen Waffen ja schützen können.” Turner richtete sich mit einem Ruck auf. “ Das wird die Welt erfahren, Herr Professor.” Der Professor erhob sich bedächtig und lächelte. “ Glauben Sie im Ernst, ich erzähle Ihnen, der uns schon lange versucht hinter das Geheimnis zu kommen, so einfach mir nichts, dir nichts Projekte mit höchster Geheimhaltungsstufe und sie können hier herausspazieren und losplaudern? Sie haben den Scotch schon ausgetrunken, wie ich sehe. ” Erschrocken wich Turner vor dem süffisanten Lächeln zurück. “ Sie haben… den Saft…” Ihm wurde seltsam zumute. Aus weiter Ferne hörte er den Professor. “ Ja, das war das Mittel. Lucky Fruits. Wir brauchen noch Versuchspersonen und da kommen uns solche Schwätzer gerade recht. Ich musste Sie nur etwas beschäftigen. Dann werde Sie zum Mörder und wissen von nichts mehr. Ihr Persönlichkeit geht verloren. Sie wollen sich nur noch paaren und töten. ” Turner gaffte den Professor irre an, seine Augen begannen sich zu weiten. Er wollte sich auf den Professor stürzen und empfand eine Gier nach Blut. Ihn packten vier Arme und zwei muskelbepackte Männer schleiften ihn in eine Zelle. Auf der Pritsche lag eine nackte Frau. Turner wurde ganz ruhig und begann sich auszuziehen.

Goodrey wußte, gleich musste er an der Reihe sein. Im Bett schlief die arme Cecile. Wie viel Psychopharmaka hatte sie wohl in sich? ‘Bald wirst auch du erlöst sein, armes Mädchen.’ dachte er. Goodrey ging hinaus und stieg in das Auto. “ Ich muss es schaffen, mich von hier befreien. In Gedanken ging er den Fluchtplan durch. Plötzlich bemerkte er, wie sich ein Teil der 3m hohen glatten Mauer um sein Heim bewegte. Eine ihm unbekannte Tür öffnete sich und eine Gestalt löste sich vom Hintergrund und trat auf sein Fahrzeug zu. Bevor Goodrey noch begriff, was geschah, zog die Gestalt einen Polizeirevolver und feuerte auf seinen Kopf. Die Gestalt feuerte die Trommel ab und verschwand. Der Spalt in der Mauer verschloss sich fugenlos.

Der Professor wählte eine Nummer. “ Friendly Farm. Professor Lanley. ”

“ Hier ist die Polizei von Cosrey. Einer ihrer Farmarbeiter wurde tot in seinem Wagen gefunden. Erschossen. Er heißt Eugen Goodrey. ”

 “ Ach der Arme. Er war einer unserer besten Farmer. Haben Sie schon den Täter. ”

“ Nein, aber wir haben eine Vermutung. War bei Ihnen nicht ein Journalist namens Jerome Turner. ”

“ Ja, aber nur kurz, er wirkte etwas überspannt und hat kaum etwas gefragt, war etwas abwesend. Sollte dieser nette., junge Mann… ”

“ Das wissen wir nicht, aber wir fanden auf den Beifahrersitz einen Teil seiner Jounalistenakreditierung und Haare von ihm, laut unserem Labor. Es scheint wohl Streit gegeben zu haben. ”

“ Das ist ja schrecklich…. ”

“ Wir schicken einen Beamten zu Ihnen wegen Goodreys Papiere. ”

“ Ja, natürlich, wenn ich helfen kann. Meine Frau macht gerade Kaffee…”   

  1. – 28.11.1980

Ich, Renate Richau, geborene Meywald, wurde am 20.10.1938 in Taucha bei Leipzig geboren. Es war das Jahr, in dem Hitler den Krieg vorbereitete, dessen Ende ich noch erleben sollte. Fast drei Jahre später, 1941, kam mein Bruder Peter in diese scheinbar noch friedliche Welt. Eine Woche später überfielen deutsche Truppen die Sowjetunion.  Doch in der Haizinger Gasse 5 in Wien, wohin wir nach seiner Geburt zogen, erlebten wir vorerst eine glückliche Kindheit, die ich hauptsächlich in der Wohnung verbrachte. Wenn ich raus durfte, verließ ich trotz Verboten den Hof. Es zog mich einfach hinaus in die Welt oder auch nur zum nahe gelegenen Parkteich. So war ich eines Tages plötzlich verschwunden, als meine Mutter nach mir rief. Eine Nachbarin kam ihr zu Hilfe und fragte: „Suchen Sie Ihre Tochter? Am Teich um die Ecke ist ein kleines Mädchen mit einer weißen Schleife im Haar und einer Puppe im Arm“. Meine Mutter seufzte: „Ja, das ist sie. Sie ist schon wieder weggelaufen. Es sollte nicht das letzte Mal sein. So war es kein Wunder, dass ich noch ein weiteres Mal durch die Straßen lief, bis mich ein Polizist aufgriff und mit aufs Revier nahm. Als mein Vater mich abholen wollte, wollte ich das nicht. „Nein“, protestierte ich, „es ist so schön hier.“ Schließlich waren die Polizisten nicht nur nett, sondern spielten auch mit mir, was ich sehr genoss.

Zu Hause mussten wir durch das Wohnzimmer gehen, das links eine große Flügeltür hatte. Durch diese gelangten wir in unser Kinderzimmer, das zum Spielen viel zu klein war. Immerhin hing am Türrahmen eine Schaukel. Also suchte ich mir zum Entsetzen meiner Eltern einen anderen Spielplatz. Es war die Fensterbank im ersten Stock. Ich schaute mir die Welt von dieser Fensterbank aus an und ließ meine Beine nach außen baumeln. Unser Arzt, ein Nachbar, sah das von der Straße aus und klingelte bei uns. Als meine Mutter öffnete, legte er den Finger auf ihre Lippen: „Seien Sie leise und bleiben Sie hier im Flur“. „Was ist denn los?“, fragte meine Mutter irritiert. Doch schon war der Arzt an ihr vorbei, schlich ins Kinderzimmer und holte mich von der Fensterbank. Wenig später war das Fenster vergittert, mein Lieblingsspielplatz gesichert und mir versperrt. Daraus entwickelte sich bald meine Leidenschaft, Spielsachen aus dem Fenster zu werfen. Es drängte mich nach draußen und ich wollte wohl auch die Aufmerksamkeit der Passanten auf mich ziehen.

Eines Tages kamen meine Eltern aus dem Kino und bemerkten die hell erleuchtete Wohnung. Ratlos fragten sie sich, was wieder geschehen war. Schnell öffneten sie die Tür und fanden mich, meinen Bruder und meine Schwester Gisela, Jahrgang 1943, damals noch ein Baby, friedlich schlafend im Ehebett. Aber was war hier geschehen? Nun, wir waren allein und meine Gisela schrie wie am Spieß. Also nahm ich sie kurzerhand und legte sie in die Ehebetten meiner Eltern. Dann holte ich meinen Bruder, der inzwischen auch durch das Geschrei aufgewacht war.  Ich legte ihn auf den Boden und da er mir zu schwer war, zog ich ihn kurzerhand über den frisch gebohnerten Boden zu meiner Schwester. Er war natürlich ganz schmutzig und das Bett auch. Warum ich meine Schwester nicht einfach in mein Bett gelegt hatte, blieb ein ungelöstes Rätsel? Aber die Welt war nicht immer einfach. Schon gar nicht 1944 in Wien. Es war die Zeit der ständigen Bombenalarme in der österreichischen Hauptstadt. So auch am 10.09.1944, als ein Angriff stattfand. Es gab den üblichen Sirenenalarm und wir mussten in den Luftschutzkeller. Meine Mutter ging mit zwei Kindern auf dem Arm voraus und ich trödelte hinterher. Plötzlich fielen die ersten Bomben. Lärm, Schreie, Explosionen, ich bekam Angst und schrie nach meiner Mutter. Ein Stein traf mich. Ich war kurz benommen und wurde in den Luftschutzkeller gezogen. Er war klein und dunkel, draußen krachte es, Steine flogen gegen die Tür. Nach der Entwarnung konnte die Tür nicht geöffnet werden, weil sie zugeschüttet war. Verzweifelt suchten die Menschen nach einer Lösung und fanden sie – in mir. Ich war klein und passte durch die Öffnung eines zerbrochenen Fensters. Endlich draußen, musste ich viele Steine wegräumen, während mir die Eingeschlossenen durch das Fenster Anweisungen gaben. Irgendwann zwängte sich ein Erwachsener durch den Türspalt und konnte nun auch die anderen befreien. Bald war auch meine Mutter wieder bei mir, und wir gingen nach Hause. Plötzlich wurde mir bewusst, was um mich herum geschehen war. „Hier liegen Menschen“, rief ich erstaunt. Meine Mutter reagierte barsch: „Schau nicht hin, räum die Steine vor unserer Haustür weg.“

In unserer Wohnung erwartete uns das Chaos. Im Schlafzimmer muss eine Bombe eingeschlagen sein. Die Tür hing in den Angeln und die Möbel, oder was davon übrig war, standen im Erdgeschoss. Mama konnte in den Himmel sehen, weil es keine Fenster mehr gab. Einige Möbelstücke schienen überlebt zu haben, zerfielen aber sofort bei Berührung. Nur der Sanitärkasten hing ironischerweise noch an der Schlafzimmerwand, als wäre nie etwas passiert. Im Hof unserer Wohnung lebte eine angekettete große Schildkröte, die wie durch ein Wunder den Bombenhagel an diesem schicksalsschweren Tag überlebt hatte.

Uns blieb nichts anderes übrig, als eine neue Bleibe zu suchen, und so zogen wir im Herbst 1944 nach Zittau. Mein Vater fand dort eine neue Arbeit und ich musste ihm immer das Mittagessen bringen. Einmal verspätete ich mich und lief einfach durch den Schlagbaum. Ich wusste nicht, wie gefährlich das war, denn auf dem Gelände waren auch Häftlinge.

Meinen Eltern war das alles zu unsicher und so verließen wir Zittau schon Anfang 1945 in Richtung Schwerin zu meinem Großvater, der dort eine Waldgaststätte besaß. Zuerst aber gingen wir zwischen zwei Bombenangriffen zu Fuß durch Dresden. Während eines Angriffs wollten wir in einem Luftschutzkeller Schutz suchen, aber eine Frau leitete uns in einen anderen Bunker um. Das war unser Glück, denn der ursprüngliche Bunker wurde getroffen und völlig zerstört. Als wir wieder auf der Straße waren und die Nachricht hörten, bekreuzigte sich meine Mutter, was ich seltsam fand, weil ich das bis dahin nicht kannte. Sie blickte in den Himmel, aus dem die Bomber gerade verschwunden waren, und seufzte: „Gott sei Dank, wir leben noch“. Für uns war es die Hölle. Als einer ihrer Söhne Jahre später in einem Museum Bilder von den Bombennächten betrachtete, sagte er betroffen: „Ich glaube, ich weiß jetzt, was du erlebt hast“.

Wenige Tage nach diesem Inferno waren wir in Halberstadt. Unser Zug wäre nur nach Hannover gefahren, also entschied mein Vater: „Wir bleiben hier.“ Immerhin wohnte mein Onkel Alfred in der Spiegelstraße und wir bekamen eine Unterkunft auf dem Boden. Aber auch hier holten uns die Sirenen und die Bombenangriffe ein. Am 8. April 1945 trafen die Bomben Halberstadt und die ganze Altstadt ging in Flammen auf. Nach dem Fliegeralarm flüchteten wir in die Malachithöhlen, die den Nazis noch als Flugzeugteilewerk gedient hatten.

Später wohnten wir in einer Baracke in der Nähe. Eines Tages kamen amerikanische Soldaten und durchsuchten alles. Sie kamen mit Gewehren, schrien und richteten sie auf meine Mutter. Mein Vater versteckte sich in einem Schrank und wir standen davor. Alle haben geweint.

Nach dem Krieg, im Sommer 1945, bekamen wir eine anderthalbzimmer Wohnung in der Friedensstraße. Jedes Mal, wenn Soldaten vorbeimarschierten, steckte ich meine kleinen Hände durch das Gitter unseres Vorgartens und bettelte um etwas Schokolade. Manchmal bekam ich welche und war unendlich glücklich. Der Krieg war zu Ende, die Sirenen verstummten endlich. In Erinnerung blieb mir eine Efeuranke, die am Haus emporwuchs und mich in dieser Zeit ein wenig begleitete. Ein seltsames Symbol, das mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist.

Im September 1945 wurde ich in das städtische Gymnasium eingeschult. Später wurde daraus die Käthe-Kollwitz-Schule. Aber der Anfang war sehr schwer für mich. Jedes Mal, wenn es klingelte, wollte ich nach Hause laufen, weil ich dachte, es sei Bombenalarm. Meine Mutter musste mich beruhigen und auch die Lehrerin. Sie sagte dann ganz ruhig: „Bleib! Das ist nur das Pausenzeichen.

Langsam kam ich zur Ruhe, auch wenn mich bis heute die Sirenen erschrecken und Erinnerungen wach werden.

Kaum war ich in die Schule gekommen, wurde im September 1945 meine Schwester Erika geboren. Oft musste ich auf sie aufpassen. Eines Tages spielte ich in den Trümmern. Bald war es Zeit, nach Hause zu gehen, als mich auf dem Weg plötzlich meine Spielkameradin anrempelte und fragte: „Hattest du nicht vorhin einen Kinderwagen bei dir?“ Erschrocken rannte ich zurück und holte ihn. Ich war unbeschreiblich glücklich, alles war gut. Der Frieden hatte mich eingeholt und mit ihm auch ein wenig Sorglosigkeit.

Im Oktober 1945 fuhr ich mit meiner Mutter nach Zittau, um unsere Möbel zu holen. Wir mussten zur Polizei, um die Erlaubnis zu bekommen, die Wohnung zu betreten. Ein Polizist begleitete uns zur Wohnung und befahl der Mieterin, uns einzulassen. Als sich die Tür öffnete und ich das Wohnzimmer sah, rief ich: “Oh, unsere Wohnung! Oh, unsere Wohnung“. So war die Sache schnell geklärt und meine Mutter konnte alles Nötige in die Wege leiten. Es war der 20. Oktober und ich saß inzwischen im Hotel. Mir standen die Tränen in den Augen. Jemand fragte mich, was los sei. Ich schluchzte und erzählte, dass ich heute Geburtstag hätte, meine Mutter beschäftigt sei und ich kein Geschenk bekäme. Man hatte Mitleid mit mir und gab mir eine Cola. Meine kleine Welt war wieder in Ordnung.

Die nächste Wohnung war dann in der Rudolf-Breitscheid-Str. 12. Dort hatten wir eine Art Flachdach mit Kaninchen. Zusammen mit Peter, meinem jüngeren Bruder, musste ich die Tiere oft füttern. Doch einmal vergaßen wir, die Stalltüren zu schließen, und unser Vater stand vor den vielen freilaufenden Kaninchen. Das hatte zu unserer großen Freude Folgen. Es gab einige Nachkommen. 1948 zogen wir in die Kantstraße. In der Nähe war das Sommerbad und ich entdeckte meine Liebe zum Schwimmen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wir Kinder haben den Krieg trotz Bomben überlebt, nicht zuletzt dank meiner Mutter, die leider 1972 viel zu früh verstarb. Ich erinnere mich gerne und mit Hochachtung an sie.

Text: Renate Richau (meine Mutter)

Es war schön bei ihr zu liegen. Seine Finger glitten über ihre Haut und er verspürte ein leichtes Beben auf ihrem Körper. Ihre Atemzüge waren ruhig, nur manchmal zuckte sie ganz leicht zusammen. Er küsste sie leicht auf die Lippen, schmiegte sich eng an sie, schloss die Augen und träumte…

… sich auf eine große Wiese. Die Kleider, den moralischen Abstand in einer unmoralischen Welt hatten sie längst abgelegt, um nur sich zu spüren und den leicht säuselnden Wind. Alles war einfach nur wunderbar. Er glaubte, sie habe den Duft der Blumen, die hier in üppiger Pracht wuchsen, angenommen. Sie sah ihn an, mit ihren leuchtend blauen Augen und meinte in seinen Augen einen besonderen Glanz wahrzunehmen, einen Glanz den nur Verliebte wahrnehmen können. Was waren alle Worte gegen diese Augen. Sie standen auf, umarmten sich und liefen lachend über die Wiese. Ihre Wiese. Sie drehten sich und der Wald rauschte im Hintergrund am Rand ihrer Wiese an ihnen vorbei. Erleichternd und voller Liebestaumel sanken sie ins Gras. Ihre Körper verschmolzen mit der Natur, mit sich selbst…

 

Die Kleider lagen immer noch abseits, als sie aus sich zurückkehrten. Ohne ein Wort zu sagen, legten sie die Fetzen der Prüderie wieder an. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er in der Uniform der NVA steckte. Und mit einem Mal glaubte er den Glanz aus ihren Augen weichen zu sehen. Er erfasste ihre Hände, doch sie zog sie zurück. Ohnmächtige Schauer einer aufkommenden Angst überfielen ihn. Wo war ihre weiche Haut? Sie entfernte sich langsam, ging auf den Weg zu, weg von ihrer Wiese. Er konnte ihr nicht folgen. Ihm war als sei die Uniform fest mit ihm und der Erde verwachsen. Er vermochte sich nicht zu rühren. Flehend streckte er die Hände nach ihr aus. War es denn seine Schuld? War ihr seine Liebe nicht genug. War sie es nicht wert, die eineinhalb Jahre zu überstehen? Kann denn Liebe nicht einfach nur ehrlich sein? Und dann sah er den ANDEREN. Sie hakte sich bei ihm ein. Frei wie ein Vogel, flog sie davon ins Leben. Er wand sich, wollte schreien, konnte es nicht und hemmungslos flossen seine Tränen, dort, – wo sie eben noch lagen, wo das niedergedrückte Gras noch ihre Konturen erahnen ließ. Er sank zurück in Erinnerungen, in seine Sehnsüchte, einsam, allein und voll Zorn über den Zwang der Uniform und…

 

…er erwachte schweißgebadet. „Was ist mit dir?“, flüsterte sie. Er erzählte von seinem Traum. „Ich brauche dich doch“, sagte sie sanft. „Es ist spät, du musst jetzt gehen.“ Widerwillig streifte er sich die Uniform über, wohl wissend, dass er in zwei Stunden in seiner harten Pritsche das Schnarchen seiner Kameraden anhören musste, seine Einsamkeit verfluchend…

Essay

Es ist mehr oder weniger bekannt, dass ich in meiner Freizeit viel fotografiere. Für meine Lexika sind das Gebäude, Straßen, Kunstwerke usw., für meinen Verein mittelalterliche Orte, Theaterstücke, unseren Salzwinkel. Niemand stört sich daran, manche interessiert es, manche nicht, so ist das Leben in seiner Vielfältigkeit. Aber auch die Modelfotografie hat es mir angetan und ich habe mich da schon durch einige Sujets fotografiert, ob Porträt, Mode oder sogar Dessous- und Aktfotografie. Letzteres ist zwar nicht jedem bekannt, aber es gehört bei diesem Thema der Aufschrei: „Was Akt?“ wohl immer dazu.  Kaum einer, ich glaube aber eher keiner von meinen Kollegen hat je „solche“ Bilder gesehen und ich weiß sehr wohl, warum das auch in Zukunft nicht sein wird. Für die einen ist es moralisch nicht sauber, die anderen wollen mit so komischen Sachen nichts zu tun haben und manche Frauen denken wohl an Sodom und Gomorrha, andere fühlen sich bei dem Gedanken nicht wohl und schlimmer noch, einfach nur angebaggert. Es ist halt ein delikates Thema. Das diese Art von Fotografie seine Schattenseiten hat, ist unbestreitbar und das meine Figur zusammen mit nackten Frauen seltsame Assoziationen weckt, damit muss ich leben.

Mit Sinnlichkeit oder Erotik hat das alles hinter der Kamera eigentlich gar nichts zu tun. Man kann versuchen, das glaubhaft zu versichern. Es bringt aber nichts, weil sich so etwas niemand vorstellen kann. Männer rollen mit den Augen, weil sie „wissen“, was da läuft. Frauen rollen mit den Augen, weil sie glauben, was da läuft. Es „rollen“ eigentlich nur Körperflüssigkeiten – nämlich in Form von Schweiß, vom Scheinwerfer oder dem ständigen Umstellen des Lichtes. Von den Bildern wird keiner etwas im Internet finden, weil ich erstens Verträge habe, zweitens die Models bestimmen, was ich zeigen darf. Außerdem bin ich noch dazu Lehrer, da ist so etwas fehl am Platz, eben wegen vieler Kollegen, die mehr Fantasie als ich haben oder Schülern, die dies sehen könnten. Das wäre noch fataler. Also bleiben die Bilder Privat oder wandern in Ausstellungen weitab von Halle, wo ich so manchen Preis abfasste. Selbst bei harmlosen Dessousfotos bin ich vorsichtig geworden. Ich bin es leid, immer wieder dasselbe dumme Gequatsche oder die dieselben blöden Witze zu hören.

Manchmal bleibt mir aber bei einigen Absurditäten der Mund einfach nur offen stehen. So hatte ich mit einer Kollegin mal einige Wochen lang Aufsicht. Wir haben auch ein wenig geschwatzt und ich sprach über meine Hobbys, die halt vielfältig sind, unter anderem auch über die Fotografie. Ich zeigte ihr normale Modelbilder (also für mich waren sie normal) und sie zeigte sich interessiert an dem Thema. Als Model kam sie mir nicht mal annähernd in den Sinn, nicht weil sie nicht hübsch war (eigentlich weiß ich nicht so recht, was das heißt), sondern weil ich keine Frauen auf der Straße und erst recht nicht auf der Arbeit anquatsche. Geht gar nicht! Es war also nur ein Gespräch, um die Zeit totzuschlagen.  Bald darauf übernahm sie eine andere Pausenaufsicht. Ich vergaß unsere Gespräche, selbst der Name war mir nicht mehr geläufig, da wir uns so gut wie gar nicht über den Weg liefen.

Ein paar Monate später waren die Kollegen auf Weiterbildung. Dort bekam ich den Auftrag alle Kollegen zu fotografieren für eine Übersichtsseite im Lehrerzimmer. Ich zeigte natürlich vorher jedem ein Bild, um eine Vorstellung vom Endergebnis zu geben. Eine Kollegin fehlte mir irgendwann noch. Ich entdeckte sie, ging auf sie zu und sagte: „Ich zeige dir ein Bild, damit du sehen kannst, wie es im Endeffekt aussehen soll.“ Sie erstarrte und zeigte sich zutiefst bestürzt. Ich war verwirrt, hatte ich etwas Falsches gesagt? Plötzlich löste sie sich aus ihrer Erstarrung, holte tief Luft und rief verzweifelt: „Aber bitte kein Aktbild!!!“

Ich war völlig konsterniert oder im falschen Film. Was war das denn? Jetzt wurde mir auch bewusst, dass es eben jene Kollegin war, mit der ich die Pausenaufsicht vor Monaten zusammen machte. Schlagartig wurde mir klar, was da wohl im Kollegium rumgegangen sein musste. Ich war fassungslos. Ich fand kaum Worte, sagte etwas von Porträtfotografie und Auftrag, machte mein Foto und sprach nie wieder ein Wort mit mir. Wofür hielt sie mich denn? Ich nahm mir vor nie wieder mit jemanden, der keine Ahnung hatte über dieses Thema „Aktfotografie“ auch nur annähernd zu schwatzen.

Ich mache auch Modelfotografie, mehr muss niemand wissen.  Man kann über alles reden, über Krieg, Mord und Totschlag, Frauen, eklige Witze erzählen, aber die Aktfotografie ist immer noch die höchste Unmoral. Welch seltsame Welt.

„Mächtig, gewaltig Egon“, war wohl der markanteste Spruch von Benny aus der Olsenbande. Genau diese Worte fielen mir ein, als ich vor dem Kölner Dom stand, meinen Kopf in den Hals legte und dachte, dass diese Unendlichkeit der Türme nie aufhört. Dass die Bautätigkeit mit 300 Jahre Unterbrechung insgesamt 800 Jahre dauerte, ist dann auch verständlich. Dass Menschen sich so etwas ausdachten, um den Schöpfer nahezukommen, ist einerseits ihrem Glauben zuzuordnen, andererseits hat es auch etwas von Größenwahn. Mit welchen Mitteln sie damals arbeiteten und trotzdem beachtliches bauen konnten, ist schier unverständlich. Aber Glauben versetzt Berge. In diesem Fall Teile des Donnerbergs, wo das Material des Domes herangeschafft wurde und die die Menschenhand so kunstvoll umwandelte. Und das alles nur, um dem Weltenschöpfer zu gefallen, der seinen Sohn in die vorderste Reihe schickte, um die Sünden der Menschen auf sich zu nehmen. Doch dies ist eine Last, die dem vielfachen des Domgewichtes übersteigt. Gerade in unserer Zeit, in der die Welt mehr hechelt, als noch normal atmet, wo Territorialansprüche uns langsam, aber sicher in die Steinzeit zurückbomben. Das hatten wir alles schon und scheinbar nichts daraus gelernt. Das Ganze geschieht noch unter den Augen des Schöpfers, der entweder müde oder blind ist. Laut Bibel hat er schon wegen weniger Frevel in die Geschichte der Menschheit eingegriffen. Bauwerke, Dome hat er genug, von der Menschheit scheinbar auch. So ist der Dom stolze leere Hülle, wo Menschen vor Altären knien, ihre Sorgen mitteilen und letztlich doch allein mit den Sorgen klarkommen müssen. Keine noch so hohe Kirche hilft.

 

Der Dom hat es in sich und auch um das Objekt drumherum gibt es beachtenswerte Feinheiten an Portalen, die Künstler schufen. Faszinierend sind auch Dinge, die man nicht sieht, wie zum Beispiel die 1000 Tonnen geschätzte Biomasse, die auf dem Dom lagert oder sich in Nischen ausbreitet, sei es als Farn, Pilz oder Moos. Man kann sich an den Details gar nicht satt lesen oder auch satt sehen, sofern man geschichtsinteressiert ist. Wenn nicht, ist das Auge zumindest fasziniert. Im Inneren des Dom erschlägt einen die schiere Höhe. Kann es noch höher gehen? Schließlich hatte der Turmbau zu Babel die Menschheit sprachlich entzweit, nach der alten biblischen Legende. Allenthalben sind geschnitzte Altäre zu sehen, die sich alle um kirchliche Themen bemühen, in deren Mittelpunkt immer wieder die Kreuzigung Jesu steht.

 

Immerhin hält sich diese Legende seit 2000 Jahren in der 2000-jährigen Stadt und weit darüber hinaus, die einst als römische Kolonie mit einem Durchmesser von einem Kilometer gegründet wurde. Reste davon gibt ist immer noch. Und sei es nur die der römischen Hafenstraße auf der Südseite des Domes zum Rhein herunter. Dass sie weder Hafenstraße war oder sein konnte (es gab damals keinen Hafen dort am Rhein), dass sie um sechs Meter nach Süden versetzt wurde, weil das unterirdische Domparkhaus gebaut wurde und dass selbst die verlegten Basaltstein nicht dem Original der einstigen echten Römerstraße entsprechen (Beim Bergen der Straße wurden die Blöcke mit Kreide nummeriert. Dumm nur, dass Regen Kreide abwäscht.), ist eben auch Teil einer gewissen Legendenbildung, wie die von Jesus. Aber man glaubt(e) daran, weil es schlicht und einfach der Hoffnung entspricht. Insofern kann man fast die Geschichte von Jesu als eine Art Placebo für die Träume der Menschen bezeichnen. Natürlich ist es Häresie und Ketzerei und vor 500 Jahren sind genug Leute verbrannt worden, denen dies unterstellt wurde. Und Gott sah zu, die Dome wuchsen, die Macht der Kirchenfürsten vorher und nachher auch. Kirche war allgegenwärtig und bestimmte das Leben in all seinen Facetten.

 

Heute ruhen die Erzbischöfe friedlich vereint in ihren Sarkophagen und lauschen, wenn vielleicht nicht Gott, so aber dem Kamera klicken der Touristen, die staunenden Auges durch die 140 m lange Kirche mehr oder weniger andachtsvoll schlendern. Ob manchem Bischof die Ehre zustand oder zusteht, im Kölner Dom begraben zu sein, ist ob ihres Lebensstils eher zweifelhaft. Wie eben der von Erzbischof Ernst von Bayern (1554-1612). Seine Neigungen gehörten einem guten Essen, der Jagd und den zahlreichen Liebesaffären. Für jede Klatschspalte wäre er heute genüssliches Opfer von Gottes Gnaden. Dieses Leben führte ihn nach dem Tod in einen Sarkophag dicht am Dreikönigsschrein, wo die Gebeine der ersten Könige ruhen (sollen), die bei der Geburt Jesu anwesend waren. Der Schrein ist wohl zu klein für ein Umdrehen der Könige.

 

Je länger man als Ungläubiger durch den Dom beeindruckt wandelt, staunt man bei der Beschäftigung mit biblischen Kunstwerken über das biblische Ausmaß der gottlosen Verfehlungen der Kirche, die doch immer wieder Leute zu noch mehr Andacht führten. So fallen mir in der Bewunderung der großartigen Leistungen immer wieder Worte wie Hexenverbrennung, Schulden, Ablass, Folter, Inquisition, Kindesmissbrauch, Liebesaffären ein, die alle unter dem Dach der Kirche und unter den Augen Gottes geschahen. Was haben Menschen unfassbar aufgrund des Glaubens leiden müssen, wie viele Glaubenskriege gab und gibt es noch, weil jeder seinen schweigenden Gott für den richtigen hält. Das ins Verhältnis zum Kölner Dom zu setzen, lässt diesen auf einmal winzig erscheinen. Persönlich ist der Dom für mich eher ein Mahnmal. Für den jungen Mann, der kniend vor dem Altar im Dom betete, ist er wohl Ehrfurcht vor dem Schöpfer.

 

Ich bin beeindruckt von der schieren Größe dieser Kathedrale, von den Figuren, die diese Kirche an den Portalen bewachen, von den bunten Glasscheiben, den vielen Kunstwerken innerhalb der Kirche, dem goldenen Schrein der Heiligen Drei Könige (die in Mailand gestohlen wurden im 12. Jahrhundert), aber auch zutiefst bedrückt, dass der Glaube (der friedlich sein sollte) immer noch Kämpfe bis zum letzten Tropfen provoziert. Jesus ist längst ausgeblutet. Der Dom steht.

 

Die Halloren, als Salzwirker von Halle, spielen eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Salzgewinnung und -verarbeitung in Deutschland. Die Salzwirker, auch bekannt als Salzkocher oder Salzsieder, waren Mitglieder einer Bruderschaft, die für die Herstellung von Salz zuständig waren. Die Halloren genossen in Halle besondere Privilegien und Rechte, die ihren Status innerhalb der Gesellschaft hervorhoben. 

Die Geschichte der Halloren reicht bis ins Mittelalter zurück, als das Salz noch als “weißes Gold” bezeichnet wurde und einen bedeutenden Handelsartikel darstellte. Die Halloren waren für die Verarbeitung des Salzes zuständig, von der Gewinnung in den Salinen bis zur Veredelung in den Salzkammern. Durch ihre Arbeit trugen die Halloren maßgeblich zum Wohlstand der Stadt Halle bei und erlangten dadurch einen hohen gesellschaftlichen Status. 

Die Privilegien der Halloren umfassten verschiedene Aspekte ihres Berufsstandes. Zum einen genossen sie steuerliche Vorteile und wurden von bestimmten Abgaben befreit. Dies trug dazu bei, dass die Halloren ein vergleichsweise wohlhabendes Leben führen konnten. Darüber hinaus hatten sie eigene Gerichtsbarkeit und eine eigene Bruderschaftsordnung, die ihre Rechte und Pflichten regelte. 

Ein weiteres Privileg der Halloren war ihr spezieller Status als Zunftmitglieder. Als Teil einer geschlossenen Berufsgruppe genossen sie eine gewisse soziale Absicherung und Solidarität untereinander. Dies war besonders in einer Zeit wichtig, in der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände oft schwer waren und gegenseitige Unterstützung von großer Bedeutung. 

Insgesamt kann man sagen, dass die Halloren als Salzwirker von Halle eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Salzproduktion in Deutschland spielten und durch ihre Privilegien und Rechte einen besonderen Status innerhalb der Gesellschaft genossen. Ihre Arbeit und ihr Engagement trugen nicht nur zur wirtschaftlichen Entwicklung von Halle bei, sondern prägten auch die kulturelle Identität der Stadt und ihrer Bewohner. 

Halberstadt, eine charmante Stadt im Herzen Deutschlands, ist nicht nur für ihre malerische Landschaft und historische Architektur bekannt, sondern auch als das Tor zum Harz. Mit seiner reichen Geschichte und seiner Nähe zum Harzgebirge bietet Halberstadt Besuchern eine Vielzahl von kulturellen und natürlichen Sehenswürdigkeiten. 

Die Geschichte von Halberstadt reicht bis ins 9. Jahrhundert zurück, als die Stadt erstmals als Bischofssitz gegründet wurde. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich Halberstadt zu einem bedeutenden Handelszentrum, was noch heute in der gut erhaltenen Altstadt mit ihren historischen Gebäuden und engen Gassen zu erkennen ist. Besucher können auf den Spuren der Vergangenheit wandeln und die prächtige St. Stephanus-Kirche, den imposanten Dom und das Fachwerkensemble bewundern. 

Doch Halberstadt hat nicht nur kulturell, sondern auch landschaftlich einiges zu bieten. Als Tor zum Harzgebirge ist die Stadt ein idealer Ausgangspunkt für Wanderungen, Radtouren und Ausflüge in die Natur. Der Harz lockt mit dichten Wäldern, rauschenden Bächen und atemberaubenden Aussichtspunkten, die Naturliebhaber und Outdoor-Enthusiasten gleichermaßen begeistern. 

Neben seiner Geschichte und seiner natürlichen Schönheit hat Halberstadt auch eine lebendige Kulturszene zu bieten. Das John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt in der Burchardikirche zieht Musikliebhaber aus der ganzen Welt an, während das Kunstmuseum mit wechselnden Ausstellungen zeitgenössischer Kunst begeistert. Darüber hinaus locken regelmäßige Veranstaltungen wie Stadtfeste, Märkte und Konzerte Einheimische und Touristen gleichermaßen an. 

In Halberstadt, dem Tor zum Harz, treffen Geschichte, Natur und Kultur aufeinander und schaffen ein einzigartiges Erlebnis für Besucher jeden Alters. Ob man die historischen Sehenswürdigkeiten erkundet, sich in der Natur entspannt oder das kulturelle Angebot genießt – Halberstadt hat für jeden etwas zu bieten und ist definitiv eine Reise wert. 

Halle an der Saale ist eine faszinierende Stadt in der Mitte Deutschlands, die für ihr reiches kulturelles Erbe und ihre lange Geschichte bekannt ist. Eine der traditionsreichen Wirtschaftszweige, die eng mit der Stadt verbunden ist, ist das Salzhandwerk. 

Die Geschichte des Salzhandwerks in Halle reicht weit zurück bis in die Antike. Bereits die Kelten und Germanen nutzten die salzhaltigen Quellen im heutigen Stadtgebiet zur Salzgewinnung. Später etablierte sich Halle als bedeutendes Zentrum des Salzhandels im Heiligen Römischen Reich. Das “Weiße Gold” war ein begehrtes Gut, das nicht nur als Konservierungsmittel, sondern auch zur Währung und zur medizinischen Behandlung genutzt wurde. 

Die Salzgewinnung erfolgte in Halle vor allem durch das sogenannte Siedesalzverfahren. Dabei wurde das Salzwasser aus den Quellen in großen Pfannen über offenen Feuern eingedampft, bis das reine Salz zurückblieb. Diese aufwändige Prozedur erforderte viel Geschick und Erfahrung, und die Salzsieder galten als angesehene Handwerker in der Stadt. 

Das Salzhandwerk prägte nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Kultur und das Stadtbild von Halle. Die Salzstraße, eine wichtige Handelsroute für Salztransporte, führte durch die Stadt und sorgte für einen regen Austausch mit anderen Regionen. Noch heute zeugen zahlreiche historische Gebäude und Denkmäler von der Bedeutung des Salzhandwerks für Halle. 

Heute ist das Salzhandwerk in Halle zwar nicht mehr so präsent wie früher, aber die Geschichte und Tradition werden in Museen und Veranstaltungen lebendig gehalten. Besucher können die alten Salzsiedehäuser besichtigen und mehr über die Bedeutung des Salzhandwerks für die Stadt erfahren. 

Insgesamt ist das Salzhandwerk ein wichtiger Teil der Geschichte und Identität von Halle an der Saale. Die lange Tradition und die vielfältigen Einflüsse haben die Stadt geprägt und machen sie zu einem spannenden Ort, der Besucher aus aller Welt anzieht. 

Halloween, für manche der Tag, für mich ein ganz normaler Tag.  Mich gruselt es weder, noch habe ich Lust mir blutige Messer durch den Kopf zu jagen und auszusehen wie ein Untoter. Aber immerhin stelle ich mich dem Brauch „Süßes oder Saures“ zu geben und habe ein Körbchen im Flur stehen, indem sich diverse Kariesmonster verbergen. Das Halloween auch noch identisch mit dem Reformationstag ist, ist ein Glücksumstand für diejenigen, die in einigen Bundesländern an diesem Tag arbeiten müssten. Da kann man kurz morgens an Luther denken und sich abends gruseln. Bei einem Glas Bier oder schärferen Sachen. Eigentlich war das Halloweenfest ein irisch-keltischer Brauch und das Lutherfest gedachte der großartigen Reformbewegung, die in Halle Kardinal Albrecht rausjagte und die Kirche förmlich auf den Kopf oder auf die Beine stellte, je nach Ansicht. So ist mir die Historie an diesem Tag weitaus wichtiger und sie lehrt in weiten Teilen auch das Gruseln, da brauch ich keine hohlen Kürbisse. Also sitz ich vor meinem Computer, arbeite an meinem Geschichtsbuch und warte auf das Klingeln und den kleinen Monsterchen, die in den letzten Jahren sich immer weniger einkleiden und nur noch auf Süßigkeiten aus sind. Das führt dann auch mal zu handfesten Auseinandersetzungen im Treppenhaus. Dieser Moment treibt mir regelmäßig die Tränen in die Augen, vor Lachen. Die meisten kleinen Besucher wissen dann auch nichts über die Bedeutung des Festes und sind der festen Meinung, es ist ein amerikanisches Fest. Sei es drum, ich habe ja Süßigkeiten genug.

Endlich klingelt es. Ich öffne die Tür und bin überrascht. 5 wunderschön gruselig gekleidete und geschminkte Kinder stehen vor meiner Tür und singen mir ein Halloweenlied. Das haut mich um. Ich frage ein Menschlein im Zombiekostüm, was es mit Halloween auf sich hat und es erklärt mir mit einem Akzent, woher das Fest stammt und das der Brauch die Geister vertreiben soll und der Tag zwischen 31.10. und 01.11 schon seit den Druiden mystisch gewesen ist. Sogleich erklärt mir das nächste Kind die Sage von Jack O. einem Betrüger und Säufer, der weder im Himmel noch in der Hölle willkommen war und aus Mitleid vom Teufel eine Kürbislampe bekommen hatte um die Geister zwischen Himmel und Hölle zu vertreiben.  So hat der unnütze Typ noch eine nützliche Aufgabe bekommen.

Meine Kinnlade ist vor Überraschung heruntergeklappt und ich hole tief Luft. Ich gucke mich um und suche nach der versteckten Kamera oder bin ich gar im falschen Film oder schlimmer noch im falschen Land? Doch schon stimmen die Monsterchen ein Lied von Luther an, dass er seinen eigenen Kindern einst sang. „Gelobet sei’s du Jesu Christ“. Am Ende klärt mich das Kind mit riesigen geschminkten Narben und einem blutigen Tuch über den Schultern und einer Zaubermütze über Luther und seine Reformen auf. Gott im Himmel, wo kommen denn die Wänster her? Ich bin hin und her gerissen, sowas habe ich noch nicht erlebt. Ich habe mich also in meiner Einschätzung der heutigen Jugend geirrt, es gibt doch noch wissende Kinder. Mit Deutschland geht es nicht nur bergab.  Überglücklich verteile ich mit vollen Händen Süßigkeiten und bin eigentlich nur noch sprachlos. Befriedigt mache ich dir Tür zu und kann die Situation einfach noch nicht fassen.

„Es klingelt, gehst du mal ran“, ruft meine Frau aus der Küche. Wie schon wieder? Ich hab mich doch gerade hingesetzt und fühle mich seltsam müde. Im Flur steht der Korb mit Süßigkeiten, wieder randvoll gefüllt. Das hat wohl meine Frau gemacht. Erwartungsfreudig öffne ich die Tür und schrecke zurück. Mir schallt ein „Süßes oder Saures“ im Befehlston aus Kindermündern entgegen, die in normaler Alltagskleidung stecken. Das einzig Gruselige ist der Blick, der mir entgegenschlägt. Demonstrativ hält mir ein Kind seinen Korb entgegen. „Und was bedeutet Halloween?“, säusele ich freundlich fragend. „Wir wollen Süßes, sonst gibt’s Saures“, knurrt ein nettes Kindlein mit Schokolade um den Mund und setzt hinzu „Alter, woher soll ich die Scheiße wissen?“ Aha, ich bin wieder in Deutschland, in der Großstadt angelangt. Die vertrauten Umgangsformen aus Facebook schlagen mir entgegen. Ich knalle endlich wutentbrannt, also wie gewohnt an dieser Stelle, die Tür zu und höre die ebenfalls zuvor vermissten Tritte gegen meine Tür. Meine Frau guckt um die Ecke. „Na, wieder unzufrieden mit der heutigen Kultur?“ „Ach was“, entgegne ich, „das ist wie gewohnt. Aber es war das krasse Gegenteil von denen Kindchen davor.“ Meine Frau schüttelt den Kopf: „Da hast du wohl geträumt, bist am Schreibtisch eingeschlafen. Das waren eben die Ersten, die klingelten.“ Ich schaue auf den vollen Süßigkeitenkorb, lausche den sich entfernenden und laut schimpfenden Kindern nach und denke an Heine. „Denk ich Deutschland auch am Tag, ist’s ein Grauen ohne Frag, denk ich an Deutschland in der Nacht, hat’s mir einen guten Traum gebracht.“

Ich geh zurück an meinen Computer und log mich in Facebook ein. Unter meinem Eintrag zu dem Halloweenbild meiner Katze, die mit riesiger Zipfelmütze neben erleuchteten Kürbisköpfen auf einen Tisch sitzt, prangt ein Kommentar: „Eh, wer solche Tiere zu einem Fotoshooting zwingt und denen eine Mütze aufsetzt, sollte selbst gequält werden.“ 

Woher soll der gute Mann auch wissen, dass es ein Photoshop Bild ist und im Original meine Katze auf einem Katzenbaum sitzt. Schließlich darf jeder seine Meinung haben und seinen Anstand. Halloween ist irgendwie jeden Tag

 

Nacktheit ist ein grundlegendes Element der menschlichen Existenz, das oft kontrovers diskutiert wird. In unserer Gesellschaft wird Nacktheit oft mit Scham, Tabus und Verletzlichkeit in Verbindung gebracht. Doch wenn wir genauer hinsehen, können wir erkennen, dass Nacktheit auch eine Form der Natürlichkeit und Freiheit darstellt.

Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass Nacktheit ein natürlicher Zustand des menschlichen Körpers ist. Unser Körper ist dazu bestimmt, nackt zu sein, und dies ist ein wesentlicher Teil unserer biologischen und evolutionären Entwicklung. Die Haut, die größte äußere Organs unseres Körpers, spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation unserer Körpertemperatur und ermöglicht es uns, die Welt um uns herum zu spüren und zu erleben. Indem wir nackt sind, können wir unsere natürliche Umgebung unmittelbarer wahrnehmen und unsere Beziehung zur Natur vertiefen.

Nacktheit kann auch ein Ausdruck von Freiheit und Selbstakzeptanz sein. Sich nackt zu zeigen erfordert Mut und Selbstbewusstsein, da wir uns in unserer Verletzlichkeit präsentieren. Doch gleichzeitig kann Nacktheit ein Gefühl von Befreiung und Ehrlichkeit vermitteln. Wenn wir unseren Körper akzeptieren und lieben, wie er ist, können wir ein tiefes Gefühl von Frieden und Zufriedenheit in uns selbst finden.

Darüber hinaus kann Nacktheit auch ein Mittel der Selbstreflexion und Selbstfindung sein. Indem wir uns nackt zeigen, können wir unseren Körper und uns selbst auf eine neue Art und Weise erfahren. Wir können unsere Einzigartigkeit und Schönheit erkennen, unabhängig von gesellschaftlichen Normen und Erwartungen. Nacktheit ermöglicht es uns, tief in uns selbst einzutauchen und unser wahres Wesen zu erkennen.

In unserer modernen Gesellschaft, die von Perfektionismus und Körperidealismus geprägt ist, kann Nacktheit eine Form des Protests gegen diese Normen darstellen. Indem wir uns nackt zeigen und unsere natürliche Schönheit feiern, können wir dazu beitragen, die Akzeptanz und Wertschätzung von Vielfalt und Individualität zu fördern. Nacktheit kann uns daran erinnern, dass wir alle gleichzeitig einzigartig und verbunden sind.

Insgesamt können wir festhalten, dass Nacktheit mehr ist als nur das Entblößen des Körpers. Es ist eine natürliche, kraftvolle und befreiende Form der Selbstausdruck und Selbstliebe. Indem wir Nacktheit als eine Natürlichkeit akzeptieren und schätzen, können wir zu einem tieferen Verständnis von uns selbst und der Welt um uns herum gelangen. Lasst uns also den Mut finden, unsere Verschiedenheit und Schönheit zu feiern und die Nacktheit als eine Quelle der Freiheit und Freude zu umarmen.

Fiktives aus Halle (Saale)

In der kleinen Salzstadt, wo die Straßen nach frisch gebackenem Brot dufteten und die Einwohner eine seltsame Vorliebe für alles Salzige hatten, war der Salzstadtclan bekannt für seine schrägen Aktivitäten. Vorsitzender Micha, ein lebhafter Mann mit einer Vorliebe für bunte Socken, hatte die grandiose Idee, die Mitgliederzahl seines Vereins zu erhöhen. „Wir brauchen frischen Wind!“, rief er eines Morgens in das leere Vereinszimmer, wo nur ein paar alte Salzstreuer und ein vergilbtes Plakat von der letzten Weihnachtsfeier herumstanden. „Lasst uns einen Rekrutierungstag organisieren!“

Am großen Tag hatte Micha alles vorbereitet. Auf dem Stadtplatz prangte ein großes Banner mit der Aufschrift „Werde Teil des Salzstadtclans – Wir sind salzig, aber nie langweilig!“ Darüber hinaus hatte er einen riesigen Topf voll Salzwasser aufgestellt, um die Leute mit einer kleinen Verkostung zu locken. Die ersten Passanten waren skeptisch. „Was ist das für ein Verein?“, fragte eine alte Dame mit einer Katze auf dem Arm.

„Wir sind der Salzstadtclan e.V.! Wir treffen uns einmal im Monat, um die besten Salzrezepte auszutauschen und zusammen zu lachen“, erklärte Micha mit einem breiten Grinsen. Die Dame schaute skeptisch, während ihre Katze den Topf mit dem Salzwasser beschnüffelte. „Das klingt… salzig. Aber was macht ihr noch?“

„Nun, wir veranstalten auch Wettbewerbe! Letztes Mal hatten wir den ‚Schnellsten-Salzstreuer-Wettbewerb‘ – Sie hätten die Gesichter der Teilnehmer sehen sollen!“, fügte Micha hinzu. Langsam, aber sicher sammelten sich ein paar Schaulustige. Micha schüttete ein wenig Salzwasser in kleine Gläser. „Möchten Sie probieren?“

Ein junger Mann, der gerade sein Eis schleckte, nahm mutig einen Schluck. „Das schmeckt… ja, salzig. Was bringt es mir, Mitglied zu werden?“ „Sie bekommen den exklusiven Zugang zu unserem Geheimrezept für die perfekte Salzbrezel!“ rief Micha begeistert. Die Menschen begannen zu lachen, und als Micha mit einer verzweifelten Geste seine bunten Socken präsentierte, die im grellen Sonnenlicht leuchteten, konnte niemand mehr widerstehen. „Sehen Sie diese Socken? Nur Mitglieder dürfen sie tragen!“ Einige schüttelten den Kopf, andere schauten interessiert. Schließlich meldete sich ein älterer Herr: „Ich habe schon mein ganzes Leben lang nach einer Möglichkeit gesucht, meine Leidenschaft für Salz zu teilen!“ Mit einem Aufschrei der Freude zogen Micha und die ersten neuen Mitglieder einen Vertrag aus einer alten Kiste, die einst die Preise des Vereins aufbewahrt hatte. „Willkommen im Salzstadtclan!“ Der Rekrutierungstag endete mit einem salzigen Fest, und Micha war erleichtert. Er hatte nicht nur neue Mitglieder gewonnen, sondern auch viele Lacher und ein paar neue Sockenfreunde.

Als die Sonne unterging, standen sie zusammen und prosteten mit Gläsern voll Salzwasser – eine Tradition, die in der Salzstadt Halle (Saale) nie enden sollte.

Es war im mittelalterlichen Halle an der Saale, wo Salzarbeiter ihr hart verdientes Salz gewannen und es an Händler verkauften, die es dann auf Märkten weiterverkauften. Einer dieser Salzarbeiter war Heinrich, bekannt für seine Schlauheit und listigen Tricks. Eines Tages kam ein arroganter mittelalterlicher Salzkaufmann in die Stadt und wollte eine besonders große Menge Salz kaufen, um es zu einem niedrigen Preis zu erwerben und mit hohem Gewinn zu verkaufen. Der Kaufmann dachte, er könnte Heinrich übervorteilen und ihm das Salz zu einem Spottpreis abnehmen. 

 Heinrich, der die Absichten des Kaufmanns durchschaute, spielte mit und stimmte einem niedrigen Preis zu. Der Kaufmann war zufrieden und dachte, er hätte einen guten Deal gemacht. Doch Heinrich hatte einen Plan. Er lud den Kaufmann zu einem Tisch ein, an dem bereits mehrere Salzsäcke standen. Als der Kaufmann das Geld zählen wollte, fing Heinrich an, eine Geschichte zu erzählen, die den Kaufmann fesselte und ablenkte. Währenddessen tauschte Heinrich geschickt einige Säcke mit minderwertigem Salz aus, die er mit einem Trick präpariert hatte. Als der Kaufmann endlich das Geld zählen wollte, wurden die Säcke mit dem minderwertigen Salz herausgeholt. 

Der Kaufmann war wütend und beschuldigte Heinrich des Betrugs. Doch Heinrich wies darauf hin, dass sie einen Preis vereinbart hatten, der für genau dieses minderwertige Salz galt. Der Kaufmann stand sprachlos da, während Heinrich lachend das restliche Salz zurückbehielt. Von diesem Tag an war Heinrich als der listige Salzarbeiter bekannt, der es wagte, den arroganten Salzkaufmann auszutricksen. Sein Ruf verbreitete sich in der Stadt und die Menschen bewunderten seine Schlauheit und seinen Mut, sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren. 

Es war im mittelalterlichen Halle an der Saale, wo Salzarbeiter ihr hart verdientes Salz gewannen und es an Händler verkauften, die es dann auf Märkten weiterverkauften. Einer dieser Salzarbeiter war Heinrich, bekannt für seine Schlauheit und listigen Tricks. 

Eines Tages kam ein arroganter mittelalterlicher Salzkaufmann in die Stadt und wollte eine besonders große Menge Salz kaufen, um es zu einem niedrigen Preis zu erwerben und mit hohem Gewinn zu verkaufen. Der Kaufmann dachte, er könnte Heinrich übervorteilen und ihm das Salz zu einem Spottpreis abnehmen. 

Heinrich, der die Absichten des Kaufmanns durchschaute, spielte mit und stimmte einem niedrigen Preis zu. Der Kaufmann war zufrieden und dachte, er hätte einen guten Deal gemacht. Doch Heinrich hatte einen Plan. Er lud den Kaufmann zu einem Tisch ein, an dem bereits mehrere Salzsäcke standen. 

Als der Kaufmann das Geld zählen wollte, fing Heinrich an, eine Geschichte zu erzählen, die den Kaufmann fesselte und ablenkte. Währenddessen tauschte Heinrich geschickt einige Säcke mit minderwertigem Salz aus, die er mit einem Trick präpariert hatte. Als der Kaufmann endlich das Geld zählen wollte, wurden die Säcke mit dem minderwertigen Salz herausgeholt. 

Der Kaufmann war wütend und beschuldigte Heinrich des Betrugs. Doch Heinrich wies darauf hin, dass sie einen Preis vereinbart hatten, der für genau dieses minderwertige Salz galt. Der Kaufmann stand sprachlos da, während Heinrich lachend das restliche Salz zurückbehielt. 

Von diesem Tag an war Heinrich als der listige Salzarbeiter bekannt, der es wagte, den arroganten Salzkaufmann auszutricksen. Sein Ruf verbreitete sich in der Stadt und die Menschen bewunderten seine Schlauheit und seinen Mut, sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren. 

Lustiges

Darf ich vorstellen Lothar. Ein rundlicher Typ, ein fantasievoller Typ, dem es immer wieder gelingt, in den Himmel aufzusteigen und eine Bruchlandung auf dem Boden zu machen. Bildlich gesprochen. Lothar wachsen manchmal eine Art Engelsflügel, die für andere Menschen wunderbar und praktisch sind. Ein wenig zupfen hier, ein wenig zupfen da und schon kann Lothar ein wenig steigen, aber auch schnell fallen. Bildlich gesprochen. Lothar macht bei einem Kreativverein mit. Dort gibt es so etwas wie aktive Freizeitgestaltung, also ein wenig hier und etwas da. Und da gerade keine so richtige Jahreszeit ist, sondern Corona, machen alle nicht viel. Verheiratet ist Lothar auch, schon seit Urzeiten. Mit seiner Frau und nicht ganz so lange mit Helena, seinem Computer. Und Lothar hat Ideen, ganze Wagenladungen voll. Die meisten liegen irgendwo herum und verbringen ihren Lebensabend in Schubladen oder lümmeln sich auf der Festplatte. Einige Ideen macht er mit der erwähnten Truppe. Die müssen sich die ganzen Sachen anhören, sind dafür oder verdrehen die Augen, stimmen lächelnd zu und lassen ihn machen oder helfen mit. So lebt es sich ganz gut in der Truppe. Das hätte bis zum Ende aller Tage weitergehen können, wenn Lothars Kopf nicht wieder mal so eine komische Idee ausgebrütet hätte, die verwegener war, als der sagenumwobene Ikarus. Der kam bekanntlich der Sonne zu nah und stürzte.

Daran dachte Lothar nicht beim Brüten, also beim Brüten der Idee. Immerhin die Weihnachtszeit stand kurz bevor und durch die erwähnte Pandemie war draußen nichts los, außer den vereinzelten Menschen mit Maske. Also dachte sich Lothar mal einen besonderen Weihnachtskalender aus. Er wollte jeden Tag per Internet ein Rätsel der Truppe schicken, die die Mitglieder lösen konnten. Dabei sollte es Punkte geben und am Ende für den Sieger eine Überraschung. Er überschlief die Sache, fand die Idee gut und hatte keine Ahnung von dem, was ihm bevorstand. Aber das wissen Menschen, die erst ein laues Lüftchen spüren auch nicht, wenn ihnen kurz darauf ein Sturm um die Ohren bläst und sie noch ein wenig später ihr Häuschen im Wirbelsturm verschwinden sehen. Nun ja, ein Wirbelsturm sollte es nicht werden, eine Katastrophe schon. Aber das wusste Lothar noch nicht und seine Truppe war guter Dinge, als sie von dem Plan erfuhren. Rätseln, Punkte, Klasse Idee. Also ging Lother frisch, fromm, fröhlich und frei ans Werk, programmierte über seine Internetseite das erste Rätsel, klopfte sich auf die Schulter und war zufrieden.
Bevor wir mit der Geschichte weitergehen, sollte der geneigte Leser wissen, dass Lothars Truppe aus seiner Frau besteht, also die, mit der er seit Urzeiten verheiratet ist und einer zusammengewürfelten Patchworkfamilie samt Anhang und Freunde. Also wie ein Clan im Fernsehen, aber weder schottisch noch arabisch. Schon deswegen begann ein laues Lüftchen zu wehen, aber noch spürte es keiner.

So öffnete sich am ersten Dezember das erste Türchen und alle machten sich ans Werk, um zu rätseln und ihre Punkte zu sammeln. Aber kaum geöffnet ging es schon los. Das Rätsel hatte mit Lothar zu tun und noch ganz leise und zart kam ein Pflänzchen ans Tageslicht, das den wunderschönen Namen „Bedenken“ hatte. Wie konnte man auch etwas übers Leben wissen und die 10 Fragen lösen? Trotzdem versuchten sich die Kreativen des Kreativvereins. Es war erst einmal für die nächsten Tage eine Art Beschäftigung, man rätselte so vor sich hin. Lothar konnte sich seine Flügel wachsen lassen und sonnte sich im strahlenden Lichte seiner Fantasie. Doch wie das so ist mit zarten Pflänzchen, sie wachsen heran. Im Laufe der nächsten Tage bekam er verdächtige Hinweise, wie er doch dieses oder jenes besser machen könnte. Außerdem ginge es gar nicht, dass er plötzlich auch mal Sonderpunkte irgendjemand gab. War das denn rechtens? In der Patchworkfamilie fing man an, vom Einzelnen zu einem ausgemachten Clanverhalten überzugehen. Man nannte die gegenseitige Hilfe. Das war anfangs gar nicht immer gleich klar. Eine der Frauen arbeitet mit ihrer Tochter zusammen, die plötzlich ein wenig aufmuckte, weil sie ein Rätsel eigentlich alleine löste und die Mutter die Punkte einheimste. Doch irgendwie, mit welchen Mittel auch immer, einigten beide sich und liefen fortan als Team. Lothar grinste ob diesem Treiben und merkte gar nicht, dass aus dem lauen Lüftchen jetzt etwas Wind wurde.
Seine Frau, begann schon ein wenig zu meutern: „Die lösen alles zusammen. Ich mache es alleine.“ Eine WhatsApp erreichte ihn, wo sich über die Dissonanz der Punktevergabe ausgelassen wurde. Das Pflänzchen „Bedenken“ bekam langsam einen Stamm. An den folgenden Tagen wurden die Rätsel gelöst, die WhatsApp Nachrichten mehr und man griff aktiv in die Punktevergabe ein. Der Wind entwickelte sich zunehmend. Aus der Rätselei begann bitterer Ernst zu werden, doch noch hatte Lothar die Kontrolle. Doch zunehmend musste er seine Engelsflügel beschützen, die ein wenig weniger zu wachsen schienen.

Lothar stand morgens vor dem Hahnenkrähen auf und suchte sich überall die Rätsel heraus, kaufte sich sogar ein Buch, denn die Truppe kämpfte verbissen um ihre Punkte, benutzte das Internet, beriet sich, lamentierte über schwere Rätsel, eine konnte nicht zur Arbeit gehen, Zeit hatte ohnehin keiner, und überhaupt war es viel zu viel Text. Manchmal dachte sich Lothar 10 Fragen auf einmal auf und man hörte das Stöhnen, ob dieser gewaltigen Menge durch das ganze Dorf.  Zwischendurch wurde für einen Moment ein anderes Rätsel auf WhatsApp mit in die Truppe eingeschoben, an dem sich der Clan untereinander etwas verbiss. Man konnte sich nicht einigen, ob das richtige nun falsch oder das falsche richtig war oder das Richtige nur falsch formuliert war. Es war verwirrend. In der WhatsApp-Gruppe wurden Informationen ausgetauscht jeder gab seinen Kommentar und die, die nicht weiterwussten, gaben irgendwelche Smileys. Kurzum, die Kommentare wurden verbissener, jeder wollte ein wenig und insbesondere sowieso recht haben. Der Sturm begann verdächtig größer zu werden, der Himmel zog sich mit Wolken zu. Lothars Federn lösten sich langsam aber sicher auf. Jetzt begann sich in Lothar Widerstand zu regen. Er versuchte zu beweisen, was nicht bewiesen werden sollte und ein scharfer Wind blies ihm um die Ohren. In wissenschaftlichen Kreisen nennt man das Altersstarrsinn. Damit war er ja jedoch nicht alleine.

Des Weiteren bemerkte er, dass man sich nicht nur untereinander austauschte, sondern gleich mal die Lösung eines anderen präsentierte. Die zu vergebenen Punkte gerieten in höchste Gefahr. Sein weihnachtliches Leben war plötzlich bedroht. Das konnte sich Lothar nicht bieten lassen. Schließlich war er der ausschließliche Punkteschiedsrichter. Dieses gnadenlose Vergehen ließ nun auch den Clan bröckeln. Es war zwar nur ein Spiel, aber mittlerweile hing daran die Stabilität der Truppe, des Weihnachtsfests und vielleicht der ganzen Welt dran. Verbissen arbeitete Lothar weiter an seinen Rätseleien, es ging langsam aber sicher auf das letzte Türchen zu. Mit den Lösungen der Truppe kamen immer weitere Beschwerde-nachrichten. Er solle doch nicht so lange Rätsel machen, es sind Kinder dabei, die nicht so viel wissen können, man kann mit dem Zeug doch nicht seinen ganzen Tag verbringen und überhaupt, die Punktevergabe sei eigentlich ganz mies. Lothar schrieb darauf einen langen Text, den ohnehin keiner las, weil er eben viel zu lang war und niemand den tieferen Sinn verstand, geschweige denn seinen ausgeklügelten pädagogischen Ansatz.
Schließlich ging es um den Spaß des ganzen Kreativvereins und nicht um seine Reflexionen, Gedanken und schon gar nicht um sein alleiniges Vergnügen. So weit kommt es noch. Das musste mal gesagt werden. Letztendlich sollte Lothar als Macher nun wirklich auch ein wenig Kritik verstehen. Seine Rätsel sind jedoch mal zu schwierig oder zu groß oder zu leicht oder man kennt sie, wie auch immer und welcher Tag nun gerade war. Basta!

Der Himmel verdunkelte sich, der Sturm kam näher. Lothars Frau hatte plötzlich keine Lust mehr, einige andere hatten keinen Bock auf die weiteren Rätsel, wiederum andere zerpflückten seine Rätsel, stellten die Antworten infrage und drohten offen mit der Verweigerung des Weihnachtsfests.
Aus Lothars Flügel begannen sich weitere Federn zu lösen, aus der Pflanze „Bedenken“ war ein beachtlicher Baum geworden, der nahende Wirbelsturm stand unmittelbar bevor.
Lothar saß weiter mit grimmigem Gesicht vor Helena, hämmerte die nächsten Rätsel hinein und war sich sicher, wieder einiges falsch zu machen. Seine Truppe faselte etwas von „er solle nicht alles auf sich beziehen und endlich die Punkte besser vergeben“. Inzwischen machte der Clan alles gemeinsam und alle bekamen dieselben Punkte. Das Kampfniveau des Einzelnen sank auf null. Schließlich ist man eine Familie und hilft sich, wie beim Abwasch und beim Reinemachen. Einer führt aus und die anderen schauen zu und freuen sich ihres Lebens. Lothar trug schon apathisch beim Einreichen der Lösung eines Einzelnen, für alle, die Punkte mit ein und musste sich nicht die Mühe des Kontrollierens machen. Die WhatsApp Nachrichten nahm er nicht zur Kenntnis, er rasierte sich kaum noch und jedes Türchen kostet ihm inzwischen ein, zwei oder mehr Kräuter.

Lothars Frau wurde es indes zu viel. Sie zog aus, wollte gemütliche Weihnachten haben. Zu ihrer Mutter, die Lothar ohnehin schon ein ewiges Rätsel war, sodass für ihn keine neue Situation bestand. Rätsel ist schließlich Rätsel.

Das letzte Türchen hatte er inzwischen programmiert, als der Wirbelsturm mit Macht zuschlug. Es war einen Tag vor Weihnachten und er streute sein letztes romantisches Rätsel unter die Truppe. Mit verheerenden Folgen. Ob er denn nicht wüsste, dass man zu Weihnachten so viel zu tun hätte, ob denn so ein großes Rätsel sein müsse, ob den Weihnachten nicht ein besinnlich ist, statt eines Rätsels, dass niemand lösen könne, ob denn das Rätsel so schwer sein müsse, dass alle sich die Gehirnwindungen verengten und die Weihnachtsgans im Ofen verschmorte. Das wäre doch ohnehin nur Quatsch, maulte die eine, die andere schrie, weil sie zu wenig Punkte hatte, obwohl man doch alles zusammen machte und überhaupt war die Idee nur eine Zeitverschwendung. Natürlich hatte man dies alles nicht so gemeint und nur der Stress war daran schuld.

Lothar nahm dies alles sehr sachlich zur Kenntnis. Er kippte die Milch für den Weihnachtsmann in den Ausguss, räumte die Wohnung ein wenig auf, schaltet Helena ab, nicht ohne den Bildschirm mit einem Lächeln zu streicheln und eine letzte WhatsApp an alle zuschicken.
„Des Rätsels Ende hab‘ ich nicht geschafft.“ Dann schnallte er seine Flügel ab, dachte daran, wie er als kleiner Junge mal aus dem Fenster in Parttere sprang, stellte sich auf die Fensterbank und sprang wieder mal, diesmal aus dem fünften Stock.

Seine Truppe las seine WhatsApp, erinnerte sich der vielen Rätsel, die doch eigentlich so schlecht nicht waren und irgendwie ein wenig Spaß gemacht hatten. Lothars Selbstmitleid wurde belächelt, man ja gewohnt. Die Truppe beschloss sich dem Weihnachtsfest in der Familie zu widmen, dass wie jedes Jahr voll mit guten Vorsätzen, vielen Puten und Enten war, lustigen Gesprächen und freute sich der Dinge, die kommen oder schon vergangen war. Dass plötzlich überall Federn auftauchten, war eigentlich komisch, aber wer weiß schon, was in der Welt passiert.

Lothars Flug war kurz. Er wunderte sich, dass er den Aufprall nicht fühlte. Wie sollte das auch gehen? Schließlich war er ja tot. Seltsam fühlte sich nur so ein komischer Druck auf seinem Bauch an. Da waren auch noch die Haare in seinem Gesicht, die nicht ihm gehörten. Er schreckte hoch und sah Cameo, seinen Kater, der ihn anmauzte. Irritiert blickte er sich um. Es sah weder nach den berühmten Himmeln voller Geigen, noch nach der Hölle mit Fegefeuer aus. Die Tür öffnete sich. Seine Frau stand im Schlafzimmer. „Los aufstehen, Frühstück ist fertig. Du musst das erste Rätsel noch machen.“ Lothar sah auf die Uhr an der Wand. Dort prangte in digitaler Leuchtschrift: 01.12.2020 6:25 Uhr. Das Telefon an seinem Kopfende meldete sich mit der „Jingle Bells“ Melodie, das Erkennungszeichen für die Truppe. In den WhatsApp Nachrichten kam die Meldung: „Wir sind gespannt auf die Rätsel.“

Lothars Frau öffnete das Fenster und ein ganz feiner Wind blies Lothar ins Gesicht. Von irgendwoher trieb eine Feder am Fenster vorbei.

Vom Gähnen am Morgen gerade befreit sitzen wir am Frühstückstisch und machen uns mit wohlfeinen Brötchen für den Tag und die nächsten Aktionen in unserem Urlaub bereit. Unsere Vorhaben haben wir nach einem fein ausgeklügelten Wettervorhersagesystem geplant, sodass uns das Wetter gar nichts kann, anstatt wie andere, die wegen Wetter gar nichts (machen) können. Schließlich haben wir die Technik in Form von Apps und somit mindestens drei Wettervorhersagen nach wissenschaftlichen Daten. Da kann eigentlich nichts schiefgehen. Denken wir. Aber bis jetzt lässt sich die Sache ja gut an. Das Frühstück schmeckt und liegt noch ein wenig im Magen, als wir uns auf den Weg zur Ursprungsalm machen. Ich kenne den Weg, waren wir doch schon einmal dort. Ich freue mich auf die dreizehn Kehren auf den letzten 3 km und Sylvia denkt mit einigen Gänsehautgefühlen an meine allzu rasante Fahrweise. Bei solchen Kehren lege ich mir eine Rockerkluft in Gedanken zu und sehe aus wie eine Mischung aus Hells Angels und Dwayne Johnson mit Bauchansatz. Da geht es voll nach vorne los und in die Kurven. Ich weiß nicht welchen Gott meine Frau angefleht hat, aber die Hells Angels Kluft zerbröselt angesichts des vor uns dahin schleichenden Busses und mein Bauch ploppt heraus. Wie langweilig. Aus rasanten Kurven wird ein bemitleidenswertes Kinderkarussell.

So kommen wir ohne Schrammen auf der Ursprungsalm an und uns erwartet eine wunderschöne Landschaft im Nebel. Nun gut, wir erinnern uns der Bilder von damals und ich schieße schon mal ein paar Bilder von den Holzhütten, die in einem Heidi Film die Heimat des Almöhi bildeten. Das ist hier nicht irgendeine Alm, sondern eine Hollywood Alm mit echten hohen Berge, die das gesamte Areal der Alm faktisch einschließen. Fotografisch ist der Weg hierher allemal wert, wenn man wie ich mit guten Fotoapparaten ausgerüstet ist. Dumm nur, wenn man nach einer guten Weile Wanderung feststellt, dass in der Kamera gar kein SD – Karte ist. Die liegt im Auto. Da ist dann erst mal Ärger angesagt und ein Vortrag meiner Frau über die Bedeutung der ordnungsmäßigen Vorbereitung auf die Tour und natürlich auch mit der Ermahnung immer wieder nachzuschauen. Sie tönt noch etwas von: „Ich habe dich gefragt“, was ich zwar mit „Habe ich gemacht erwiderte“, aber schon in Gedanken woanders war. Künstler geben sich nicht mit Kleinigkeiten ab. So muss ich, anstatt meiner Superkamera nun doch die Handykamera einsetzen, was ausnahmsweise mal eine Kleinigkeit bedeutet. Künstler sind auch anpassungsfähig.

Der Weg ist wunderschön und wir haben gar keine Zeit den Rundwanderweg zu Ende zu gehen. Der Himmel reißt auf und die gesamte wilde Schönheit mit dem kleinen Dorf, wo die Hütten als Unterkunft für Gäste genutzt werden, liegt vor uns. Es ist einfach atemberaubend. Der Nebel lichtet sich völlig und wir sehen die riesigen Berge mit Schneemützen und gewaltigen Narben, Vorsprüngen und Felsen. Ein kleines Flüsschen schlängelt sich munter durch die Alm, ergießt sich in einen kleinen See, um dann kraftvoll ins Tal zu plätschern. Almblumen locken Schmetterlinge an und wir machen an einem Felsen eine ausgiebige Pause. Eigentlich wollen wir gar nicht zurück, doch die Zeit drängt, schließlich haben wir noch etwas vor. Beim Almwirt gönnt sich Sylvia eine Buttermilch und ich eine Erdbeermilch und wir schmecken noch den Namen der Kuh und spüren die frischen Erdbeeren, die handgepresst einen besonderen Geschmack geben. Da kommt keine Lidl-pasteurisierte Milch im Tetrapak mit. Hier ist die Natur noch rein, so scheint es und unbezahlbar. Das gilt zwar auch für die Milch, die mit sechs Euro zu Buche schlägt, aber dafür ursprünglich ist.

Schon geht es im Auto zum Dachstein. Die Zeit sitzt uns im Nacken, muss man sich für diese Gondelfahrt auf 3000 m Höhe anmelden, sonst geht gar nichts. Nach einer Stunde sind wir da und müssen mit dem Shuttle zur Talstation. Gott sei Dank ist das alles in der Sommercart mit drin. Die Gondelfahrt samt Shuttle würde sonst mit 47,50 € pro Person zu Buche schlagen. Nach einer weiteren Stunde sind wir per Gondel angekommen und wir sehen – nichts. Dichter Nebel hüllt alles ein und die Sicht ist gleich null. Wir waren schon mal hier und da war eine fantastische Sicht. Die Fotos kann ich denn genauso gut verwenden. Sonst hätte ich mich geärgert. Wir müssen schließlich drei Stunden hier zubringen, da auch die Abfahrt angemeldet werden muss. Immerhin hat der Dachstein noch eine Attraktion, die nebelfrei ist. Das ist die Eishöhle. Die Hängebrücke zur Eishöhle machte mir diesmal keine Sorgen wegen meiner Höhenangst. Es gab keine Sicht zum ängstlich werden. Die Brücke und die Eishöhle schlagen mit 10 € je Person in das Portemanie und sind nicht Bestandteil der Sommercard. Doch auch hier ist warten angesagt und verkürzt immerhin unseren dreistündigen Aufenthalt auf dem Dachstein. Nach einer guten Dreiviertelstunde sind wir im Eispalast, der sechs Meter unter dem Gletscher liegt und in dem zahlreiche Eisskulpturen hinter Fenstern in einem Farbenspiel gezeigt werden. Doch auch hier schlägt der Klimawandel zu. Laut Experten wird es den Eispalast in zwanzig Jahren nicht mehr geben und überall sehen wir es von den Wänden tropfen. Auf den Boden bilden sich große Pfützen und der in Eis gehauene Männeken Piss geht inzwischen als “Frau-ecken” Piss durch. Vierzig Mann dürfen gleichzeitig im Eispalast sein, sonst würde die Körperwärme der Touristen noch mehr Schmelzwasser bilden und die Skulpturen zum Zerschmelzen bringen. Der Akt einer Frau ist nur mit Mühe noch als solcher zu erkennen, eher gleicht die gute Frau einer Hügellandschaft zum Lutschen, was jetzt weniger erotisch, als bedauerlich ist. So hinterlässt der Eispalast ein ungutes Gefühl auf das, was uns noch an Wetter und Klimawandel erwartet. Kaum einer der Touristen bemerkt, das der gesamte Gletscher des Eispalastes mit weißen Decken abgedeckt ist um ein zu schnelles Wegschmelzen zu verhindern. Aufhalten lässt sich das Ganze zwar nicht, höchsten ein wenig verlängern.

Nach dem Eispalast und einigen weiteren Naturschutzgedanken halten und die Alpendohlen in Atem. Die aufdringlichen Vögel, äußerst intelligent, wissen schon die lieben Menschen zu schätzen, die unbedachterweise füttern, viel zu viel, viel zu oft, viel zu gut. Ohne den Menschen würden die armen Tierchen verhungern. Nun mein Biologenherz schreit danach den Menschen mal die Meinung zu sagen, aber mein Tierliebhaberherz ist stärker und so füttere ich mit. Eine der Dohlen lässt sich auf mein Spiel ein, nickt, wenn ich den Krümel schwenke und fängt den Wurf geschickt auf. Mein Liebling kommt näher und nimmt die Futterstücke aus der Hand. Damit bin ich der geborene Dohlenflüsterer. Die geselligen Rabenvögel bieten mir ihre Porträts für schöne Fotoschnappschüsse an.

Irgendwie und irgendwann ist unsere Zeit aufgebraucht und wir sind wieder zu Hause in unserem Hotel. Und hier beginnt ein Drama. Trommelwirbel. Täterätä, das Drama beginnt mit dem Parkplatz unter dem Hotel. Es ist kein Parkplatz frei und wir haben auf unseren Stellplatzzettel für 8 € am Tag einen Plan für einen weiteren Parkplatz namens P3 in der Nähe.
Die erste Runde dorthin erscheint einfach. Die Straße entlang, in den Kreisverkehr, die Erzherzog-Johann-Str. entlang, rechts in die Rathausstr. einbiegen, voilà der Parkplatz. Daraus wird aber nichts. Es ist kein Parkplatz da, schlimmer noch, hier darf man gar nicht einbiegen. Das Drama nimmt seinen Lauf. Falsche Straße, kein Parkplatz, das Ganze zurück, die Navigation im Handy dreht sich wild. Wir sind falsch, sagt die unerbittliche Stimme, was sonst. Erzherzog-Johann-Str. tönt es aus der Navigation, da soll der Parkplatz sein. Doch nirgends der Hinweis P3. Auf dem einzigen Parkplatz, den wir finden, stehen Bezahlautomaten herum. Zurück ins Auto, die nächste Runde. Den Kreisverkehr kennen wir schon. Ich werde wütend. Wir sind plötzlich irgendwo in Schladming verschollen, eingeklemmt in einer unbekannten Straße. Der Navigator streikt, meine Frau auch. Sie kommt mit dem iPhone nicht klar. Wir finden zurück zur Erzherzog-Johann-Str., nur das Hotel scheint verschwunden. Zum zigsten Mal fahren wir im Kreisverkehr. Drei weitere Runden gedreht, ich schreie Hilfe, meine Frau auch.

Die Leute auf den Fußwegen schauen entsetzt, einige haben mein Auto schon öfters in den letzten dreißig Minuten gesehen. Aus dem Auto hören sie einen nach dem Weg schreien, die andere verfluchte die Iphones der Welt. Das Auto kreist, die Navigation erzählt von der Erzherzog-Johann-Str., wir können es nicht mehr hören, landen wieder auf den falschen Parkplatz, hochrot im Gesicht. Wir sehen uns schon im Auto übernachten und finden doch noch zum Hotel zurück. Erbost mache ich an der Rezeption den jungen Mann fertig. Der versucht mir geduldig auseinanderzusetzen, dass unser falscher Parkplatz, auf den wir schon dreimal landeten, der richtige ist. Also steige ich ins Auto zurück, mache meiner Frau die Sachlage klar und wir kreisen zum achten Mal im Kreisverkehr, fahren zum siebten Mal die Erzherzogstr. entlang und finden uns zum vierten Mal auf den falschen richtigen Parkplatz ein, den unser Navi P5 nennt, der aber P3 heißt, was keiner weiß, außer der Rezeption im Hotel. Die haben den Platz noch nicht lange, früher war der Kundenparkplatz dem Hotel gegenüber, aber da wird gebaut. Eigentlich haben wir für den 800 m langen Weg ca. 4 km gefahren und nur schlappe 50 Minuten gebraucht.

 

Gut, dass es Abendbrot gibt. Zu meiner Freude sehe ich dort etwas wahnsinnig Aufregendes. Eine einsame teuer aussehende Milchflasche, auf der 7,5 % steht. Ich mag fettige Milch, wundere mich das nur eine Flasche hier steht und gieße mir zwei Fingerbreit ein. Meine Frau schüttelt ungläubig den Kopf, ob dieser Sensation und bricht auf dem Rückweg ins Zimmer in Gelächter aus. Natürlich hat sie die vermeintliche Milchflasche mit dem besonderen Fettgehalt untersucht und festgestellt, dass es sich um Kondensmilch handelt. Aha. Nun denn, dann war es halt sehr schmackhafte Kondensmilch. Nach der Parkplatzsuche kann man sich doch mal irren.

Ich hole mir schlussendlich noch einen Gintonic, was mit der getrunkenen Milch gar nicht gut kommt. Nach vier Magensodbrenntabletten schlafe endlich gut, träume vom Kreisverkehr, den ich unendlich umrunde, Milch aus den Eutern von Kühen und Kameras, die keine SD-Karten brauchen. Alles in allem ein guter Tag, ein Urlaubstag, wie er im Buche steht.

 

Da ich demnächst Fotoshootings plane, hatte ich heute den Tag genutzt, meine umfangreiche technische Fotoausrüstung zu überprüfen. Neu in meiner Sammlung ist ein synchroner Zweitauslöser für Blitze mit Aufhellungsschirm. Außer das der Schirm ständig aufschnappte, aufgrund einer Fehlfunktion, ich nach dem dritten Fluch den Aufsteckmechanismus des Blitzes endlich begriff, mir bei der ganzen Schrauberei den Finger klemmte, mit einem Bein in der Fotolampe hängenblieb, sie aber noch retten konnte, der Blitz leere Batterien hatte, ich ihn falsch herum montiert, die verdammte Fotolampe noch einmal drohte umzukippen, die Kamera plötzlich weg war (ich hatte ein Tuch drüber gedeckt), und ich die Zimmer fluchend nach ihr durchsuchte, die Fotolampe zum dritten Mal zu stürzen drohte, geschah eigentlich nichts Bedeutendes, was man aufschreiben könnte.

Endlich stand alles zur Probe bereit. Ich wählte auf unserem Eichentisch ein geschnitztes Motiv und wollte mit Blitz fotografieren, dabei sollte der Synchronblitz ebenfalls auslösen und der Aufhellschirm das Licht verteilen. Da geschah es, das Marlow, einer meiner Katzen im Weg vor dem Motiv stand. Ich wollte ihn verscheuchen, beugte mich nach vorn, geriet aus dem Gleichgewicht, wollte die Kamera beschützen, verdrehte die Hand, das die Kamera zu mir zeigte und löste aus Versehen aus, den Kamerablitz und den Zweitblitz und beide in die Augen. Getroffen von dem doppelten Lichtschlag, wollte ich aufstehen und vergaß, dass ich durch den Fall mittlerweile unter einem schweren Eichentisch saß. Der Schlag war für meinen Kopf erschütternd. Ich taumelte nach hinten und setzte mich auf den Schwanz des andren schwarzen Katers – Milow. Der jaulte auf und jagte davon, nicht ohne die Fotolampe umzureißen. Sie zersplitterte. Kruzitürken noch mal, ich brauche dringend ein chinesisches Rezept für Katzen und eine neue Fotolampe.

Ich bin gerade dabei mich fertigzumachen. Schließlich habe ich heute eine wichtige Aufgabe und muss die elfjährige Tochter einer Freundin von der Schule abholen, um mit ihr ein wenig zu üben, wie fast jeden Dienstag. Als Lehrer ist man zwar nicht beliebt, aber in diesem Fall doch sehr willkommen. Ich bin noch am Überlegen, was ich mitnehmen muss, als das Handy klingelt. Genanntes Wunderwerk der Natur, von ihrer Mutter auch Prinzessin genannt, war am Apparat und fragte, wo ich denn bleibe, sie warte ja schon. Ich schaue verdutzt zur Uhr und bemerke süffisant, dass ich im Zeitlimit bin. Sie versteht das Wort Zeitlimit nicht und ist von der Warterei genervt. Nun gut, im Moment steht das arme Mädchen schon fünf Minuten vor der Schule und vergisst, dass meine maximale Stehzeit beim Abholen schon mal locker 40 Minuten betrug. Ich habe keine Zeit ihr das Vorzutragen und versichere in 10 Minuten da zu sein. Das gelingt auch, ein bisschen bei dunkelgelb über die Ampel, ein wenig die Geschwindigkeit höher und einen Bus etwas seltsam umrunden. Kleinigkeiten eben, um ein paar Sekunden schneller da zu sein. Nichts ist schlimmer als der strafende Blick einer Elfjährigen. Nach dem Einladen kommt der übliche Smalltalk, wo ich die Wehwehchen und den groben Tagesablauf der Heldin erfahre.

Zu Hause geht es an die Mathe Hausaufgaben. „Ich brauche deine Hilfe.“, säuselt sie. Übersetzt bedeutet das so viel wie; ich habe keine Ahnung und es wäre ganz nett, wenn du alles löst. Ich kehre den Lehrer heraus und lass sie allein rechnen. Die Heldin ist heute sehr gut drauf, mal quietschend unter den Tisch verschwunden, mal dann zappelnd sich ein wenig auf dem Stuhl drehend, um letztendlich aber die kleinen Kopfrechenaufgaben falsch zu rechnen. Ich versuche sie sanft an ihre schulische Pflicht zu erinnern und erschrecke sie mit der Drohung schlechter Zensuren. Ihre Mutter ist Gott sei Dank nicht da, sonst würde ich mir Vorträge über die Seele ihres Kinds anhören und dass man Kinder nicht unter Druck setzen sollte. Sie meint es ja gut, aber es ist schwierig, Freund und Lehrer, liebevoll und lehrend, bestimmend und nachgebend zu sein. So komme ich hier und da zu der unpädagogischen Einschätzung, dass ohne mein Wissen gar nichts mehr läuft und gebe die Lösung viel zu früh preis, um die Sache abzukürzen. Unsere Heldin hat heute wenig Lust und nutzt jeden Freiraum, den ich lasse, erbarmungslos aus, um meine Nerven zu strapazieren. Um die schriftlichen Aufgaben zu lösen, versucht sie perfekt zu sein, da wird sogar auf dem Schmierzettel gekillert, radiert und gnadenlos bis zum Ende gerechnet, obwohl das Ergebnis offensichtlich ist. So zieht sich eine 20 Minuten Aufgabe bis zu einer Stunde hin, wobei alle Utensilien benutzt werden, die es gibt und die eigentlich gar nicht nötig wären. Die Rechnerei wird begleitet durch stimmliche und körperliche Einlagen, die zwar einen Hauch von Kunst und Sportlichkeit geben, aber meine Geduld auf eine harte Probe stellen. Endlich hat sie Mathe geschafft und ist heilfroh. Aus einer fiesen Laune heraus zeige ich ihr einen Rechenzettel, wo so viele Übungsaufgaben draufstehen, dass ihr Blick starr wird. Das Grauen hat einen Namen – nämlich meinen. Ich versichere, dass nicht alles heute sein muss und sie erzählt mir von ihren Krankheiten, die sie gerade vor kurzem durchlebte. Nachdem ich ihre Medikamente und die Wirkung bis ins letzte kennenlernte, wenden wir uns dem Thema Spielen zu. Früher spielte man zu zweit, baute Burgen oder holte sich Spielzeug heraus, vom Kaufladen bis zur Eisenbahnanlage. Das ist heute ganz anders. Das Spielzeug war mein Computer, ich wurde mit denselben in ein anderes Zimmer bugsiert, bekam Kopfhörer mit Mikrofon an die Ohren geschraubt, die Tür wurde geschlossen und dann ging die Klötzchenbauerei los. Das Ganze nennt sich Minecraft und treibt mich seit 10 Monaten in den Wahnsinn. Minecraft ist ein Spiel, das weltweit Millionen in den Bann zieht. Aus Klötzchen mit unterschiedlichen Texturen werden Welten erschaffen mit Bäumen, Häusern, Bergen und Figuren. Selbst die Sonne besteht aus viereckeigen Klötzen und ebenso die Tiere, Monster und der Spieler. Man kann diesen Welten unendlich viele Mods (Autos, Accessoires, Möbel), die andere Spieler erstellt haben hinzufügen und so ziemlich alles modifizieren. Diese enorme Vielfalt ist kreativ, für mich eher aufgrund der Klötzenoptik grauenhaft. Unsere Heldin spielt nicht nur stundenlang mit wachsender Begeisterung, sondern schaut zudem wie gebannt die Filme über Minecraft in YouTube an, wo Spieler ihre Welten zeigen. Und natürlich will sie auch all die Accessoires haben, die dort gezeigt werden. Das stellt mich vor ungeahnten Herausforderungen, bei denen Mathe eigentlich ein Klacks ist. Das eine ist aber die Computereinrichtung, stundenlanges recherchieren, rumexperimentieren, das enttäuschte Gesicht der Kleinen, wenn ich etwas nicht hinkriege, die Einrichtung von Minecraft und anderen Details, das andere ist das Spiel, wo sie mir höchst unsensibel zeigt, was die sprichwörtliche Harke ist. Wir spielen ein Minispiel (also eine Welt, die von jemanden erstellt wurde). Sie ist voller Rätsel und besteht aus Lava, in der man zu verbrennen droht, findet man nicht den richtigen Weg. Erstmal begreife ich schon mal die Rätsel nicht, ich armes Computergenie. Doch bevor ich mich überhaupt einigermaßen zurechtfinde, hat sie schon die Hälfte der Rätsel gelöst. Ich höre sie schreiend juchzen, während ich ständig in irgendwelcher Lava versinke und getötet werde. Jedes Mal beginne ich von vorn, während sie ihre Rätsel komplettiert.

Ab und an kommt sie ins Zimmer gestürmt, haut auf den Tasten rum und zeigt mir wie es geht, wenn ich keinen Durchblick mehr habe. Das geht so schnell, dass ich kaum ein Wort mit ihr wechseln kann. Muss ich auch nicht, wir sind ja gleich darauf über Skype wieder miteinander verbunden und das über vier Meter Luftlinie. Endlich habe ich die Welt gecheckt und mich auch nicht von den stimmlichen Einlagen, die vom Singen über fauchen, kreischen, knurren, schrillen Tönen und seltsamen Geräuschen ein weites Repertoire haben, stören lassen. Jetzt kann es losgehen. Da plötzlich kommt der unwiderrufliche Befehl, ich möchte bitte die Welt ändern. Da ich in einem anderen Zimmer sitze, stelle ich für einen kleinen Wutausbruch das Mikrofon leiser und die Welt in Minecraft um.

Unsere gemeinsame Welt kenne ich gut. Das nützt mir nur wenig und so bekomme ich über Skype eine Führung durch ihr kleines Dorf mit Belehrungen, Ermahnungen und Forderungen. Fleißig sage ich ja und darf endlich an meinem Chaos weiterbauen. Ich habe Ruhe, wenn man von den genannten künstlerischen Einlagen absieht. Im Moment schimpft sie mit einem imaginären Dorfbewohner, dann besucht sie mich blitzschnell mit ihrer Figur, (keine Ahnung wie das ging), amüsiert sich köstlich, wenn sie mein Licht zerstört und ich deshalb aus der Welt falle.

Während meine Welten eher chaotisch und vom Urtrieb der Fantasy gelenkt sind, kommt bei ihr der saubere Deutsche heraus; mit gepflegten Gärten und einer Vielzahl von Aufgaben die ich lösen soll. Dazu muss ich eine Unmasse von Regeln über mich ergehen lassen, die ich weder verstehe noch behalten kann. Sicherheitshalber hat sie ihre Welt mit Schildern übersät, wo draufsteht, wer der Boss ist. Rechtschreibfehler zu korrigieren ist genauso sinnlos, wie einen Löwen mit bloßen Händen einzufangen, ihr „blühhender Weg“ muss mit zwei „H>“ geschrieben werden. Das ist ihre Welt, Lehrer hin oder her. Ich halte den Mund und nehme es hin.

Endlich kommt ihre Mutter und befreit mich aus dem Spielgefängnis, indem es mir, ich gebe es ungern zu, auch ein wenig gefällt.

Die Heldin verzieht sich in ihr Zimmer, um mit anderen weiterzuspielen, natürlich auch über Internet. Mit ihrer Mutter will ich die verbliebene Stunde noch einiges besprechen, was sich letztendlich als unmögliches Unterfangen herausstellt, da unsere Heldin keine Gnade kennt. Ständig steht sie neben uns, unterbricht durch laute Mutti Rufe oder mit ihrem Tablett unser mühseliges Unterfangen, auch nur irgendetwas zu Ende zu besprechen. Die Kontrolle einer einzigen Interseite zieht sich länger hin, als die Mathe Aufgabe selbst. Ich gebe der Fertigstellung unserer Projekte in Gedanken ein paar Jahre mehr als eingeplant.

Als ich gehe, schaut mich die Mutter an und sagte so etwas wie: „So ist das jeden Tag bei mir.“, was so viel bedeutet wie, du hast es gut. Nun ja, tatsächlich aber würde sie um nichts in der Welt tauschen und auch das gebe ich ungern zu. So langsam habe ich mich dran gewöhnt. Meine Couch zu Hause weiß das ein wenig später auch zu schätzen.

Es war an einem sonnigen Morgen, als Micha beschloss, sich ein hartgekochtes Ei zum Frühstück zu machen. Doch als er das Ei schälte, rutschte es unglücklicherweise aus seinen Händen und fiel zu Boden, zerbrochen in tausend Stücke. Panisch sah er sich um und bemerkte erleichtert, dass seine Frau nichts davon mitbekommen hatte. Ohne zu zögern, entsorgte er die Überreste des Eis.

Doch gerade als Micha sich wieder beruhigt hatte, wandte sich seine Frau ihm zu und fragte: “Wo ist das Ei, das du gerade essen wolltest?” Micha schluckte schwer und stammelte eine Ausrede, dass das Ei leider kaputt gegangen sei. Seine Frau sah ihn mit einem skeptischen Blick an und warf ihm vor, dass er die Lebensmittel verschwendet und nicht sorgsam damit umgegangen sei.

Von Schuldgefühlen geplagt und in Eile, um das Vertrauen seiner Frau zurückzugewinnen, beschloss Micha, das Ei aus dem Mülleimer zu holen und es trotz allem zuzubereiten. Mit zitternden Händen setzte er das Ei auf den Zeller und bereitete es zu, während seine Frau fassungslos zuschaute.

Als das Ei schließlich fertig war, reichte er es seiner Frau mit einem zögerlichen Lächeln. Doch anstatt sich zu freuen, war sie entsetzt über seine Handlungen und konnte nicht fassen, dass er das Ei wieder aus dem Müll geholt hatte. Micha sah sie mit Reue in den Augen an und versprach, in Zukunft besser auf seine Handlungen zu achten.

Und so endete die Geschichte von Micha und dem Ei, als Lektion darüber, dass, egal was du tust, es schwierig ist, einer Frau es recht zu machen.

Nachdenkliches

Einmal vor langer Zeit, in einem friedlichen Dorf am Rande des Waldes, gab es eine Gruppe von Menschen, die ein harmonisches Leben führten. In ihrem Dorf war es üblich, sich frei und ungezwungen zu bewegen, ganz ohne Kleidung. Für sie war Nacktheit eine Natürlichkeit, eine Verkörperung ihrer Freiheit und Verbundenheit mit der Natur.

Die Menschen in diesem Dorf lebten im Einklang mit den Jahreszeiten und den Rhythmen der Natur. Sie badeten im Fluss, tanzten unter dem klaren Sternenhimmel und genossen die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Sie fühlten sich frei und lebendig in ihrer Nacktheit und empfanden keinerlei Scham oder Verlegenheit.

Eines Tages tauchte ein reisender Händler im Dorf auf und war verwundert über die Offenheit und Freizügigkeit der Bewohner. Er versuchte, sie zu überzeugen, dass es nicht angemessen sei, sich nackt zu zeigen und dass sie Kleidung tragen sollten, um anständig zu wirken.

Doch die Dorfbewohner ließen sich nicht beirren. Sie erklärten dem Händler, dass Nacktheit für sie eine Form der Ehrlichkeit, Authentizität und Freiheit darstellte und dass sie sich nicht verstellen oder verbergen wollten.

Der Händler verließ das Dorf schließlich, aber die Menschen in ihrem Dorf blieben bei ihrer Überzeugung und lebten weiterhin in ihrer Natürlichkeit und Freiheit. Sie schätzten die Schönheit ihres eigenen Körpers und respektierten die Körperlichkeit ihrer Mitmenschen, ohne Vorurteile oder Scham.

Und so lebten sie glücklich und zufrieden, eingebettet in die Natur und getragen von der Gewissheit, dass Nacktheit eine Natürlichkeit ist, die ihre Gemeinschaft stärkte und ihre Herzen vereinte.

Inmitten der im Nebel gehüllten Straßen einer kleinen Stadt lebte ein Mann mit einem Herzen so groß wie die Unendlichkeit selbst. Sein wichtigstes Besitztum war eine feingliedrige Kette, an der ein kleiner Engel baumelte, ein Erbstück seiner verstorbenen Mutter. Abendliche Spaziergänge waren seine Zuflucht, ein Moment der Stille in der Eile des Lebens.

Eines kalten Winterabends, als der Wind durch die leeren Straßen pfiff, entdeckte er am Rande des Weges ein Häufchen Elend. Eine Katze, so zerzaust und zerbrechlich, dass sie kaum mehr war als ein Schatten im Mondschein. Ihr Fell war matt und die Augen fast ohne Glanz. Ohne zu zögern, nahm er das schwache Tier in seine Arme, wärmte es mit seiner eigenen Körperwärme und trug es nach Hause.

Mit Hingabe und einer Liebe, die aus den tiefsten Quellen seines Herzens sprudelte, pflegte der Mann die verletzte Seele. Tag und Nacht, ohne eine Spur von Müdigkeit, wachte er über sie, fütterte sie mit der Geduld eines Heiligen und sah zu, wie sie langsam zu Kräften kam. Die Katze, die sich allmählich erholt hatte, wich nicht mehr von seiner Seite. Wohin er auch ging, sie folgte ihm wie ein treuer Schatten, und eine tiefe, unzertrennliche Bindung entstand zwischen ihnen.

Die Monate vergingen, und der Mann widmete jede freie Minute seinem neuen Gefährten. Doch das Schicksal, so unberechenbar und grausam es manchmal sein kann, schlug ohne Vorwarnung zu. Der Mann erkrankte schwer, so sehr, dass jede Hoffnung auf Genesung wie ein Stern im Morgengrauen verblasste. Er wusste, dass seine Zeit gekommen war, legte sich in sein Bett zum letzten Schlaf, die Katze eng an seine Brust geschmiegt. In seinen letzten Momenten fühlte er nicht Einsamkeit, sondern eine tiefe Zufriedenheit, zu wissen, dass er in dieser Welt etwas Gutes hinterlassen hatte.

Als eine Nachbarin, besorgt über die Stille, die das Haus nun umgab, den Raum betrat, fand sie den Mann friedlich entschlafen, die Katze jedoch war verschwunden. Als hätte sie ihren Zweck erfüllt, war sie in die Unendlichkeit entwichen, vielleicht um einem anderen einsamen Herzen Trost und Freude zu schenken.

Ein paar Tage später, nicht weit entfernt von dem tragischen Ereignis, fand eine Spaziergängerin am Wegesrand eine Katze mit einer niedlichen Engelskette um den Hals. Trotz der Rauheit des Lebens, die das Fell des Tieres verunstaltet hatte, spürte die Frau sofort eine unwiderstehliche Verbindung. Ohne zu zögern, nahm sie die Katze in ihre Arme und versprach, sie zu beschützen. So beginnt eine neue Geschichte, ein neues Kapitel der Liebe und des Miteinanders, verbunden durch das zarte Band der Fürsorge. Ein Zyklus des Lebens, der sich immer wieder erneuert, getragen von der Hoffnung.

Es war einmal ein Schüler namens Max, der sich über das Lesen lustig machte und stolz darauf war, noch nie ein Buch besessen zu haben. Er dachte, dass es langweilig sei und dass er alles, was er wissen musste, im Internet finden konnte.

Eines Tages entdeckte Max jedoch ein altes, zerfleddertes Buch in einem versteckten Winkel der Schule. Anstatt es wegzuschmeißen, wurde seine Neugier geweckt und er begann, darin zu blättern. Zu seiner Überraschung enthielt das Buch wunderschöne Zeichnungen von Weihnachten, die ihn faszinierten.

Als Max weiterblätterte, begannen plötzlich Buchstaben und Sätze auf den Seiten zu erscheinen, als ob sie lebendig würden. Er konnte nicht aufhören zu lesen, da die Magie des Buches ihn in seinen Bann zog. Das Buch verwandelte sich vor seinen Augen und wurde wie neu.

Voller Staunen darüber, was er entdeckt hatte, beschloss Max, das Buch seinen Mitschülern vorzustellen. Zu seiner Überraschung erkannten sie den Wert des Lesens und die Schönheit der Bücher. Das Buch inspirierte sie dazu, sich auf Abenteuer der Fantasie einzulassen und neue Welten zu entdecken.

Max lernte, dass Bücher eine unglaubliche Kraft haben, die Menschen verbinden und die Fantasie beflügeln kann. Von diesem Tag an war er nicht mehr der Schüler, der sich über das Lesen lustig machte, sondern ein Botschafter der Magie der Bücher in seiner Schule.

Es war ein kalter Herbsttag in der kleinen Stadt. Herr Mueller, ein älterer Mann, der sein ganzes Leben lang in einem kleinen Haus am Stadtrand verbracht hatte, fühlte sich einsam und verloren. Seine Frau war vor einigen Jahren gestorben, seine Kinder lebten weit entfernt, und er hatte das Gefühl, dass ihm alles, was einst bedeutungsvoll gewesen war, verloren gegangen war.

An einem dieser trüben Tage hörte Herr Mueller ein leises Miauen vor seiner Haustür. Neugierig öffnete er die Tür und sah eine kleine, verängstigte Katze, die sich vor Kälte zitternd auf seinem Fußabtreter zusammengerollt hatte. Sein Herz schmerzte bei dem Anblick des einsamen Tieres, das genauso verloren schien wie er selbst.

Herr Mueller nahm die Katze vorsichtig auf und brachte sie ins Haus, wo er sie mit Wasser und etwas Futter versorgte. Die Katze schien ihm dankbar zu sein und begann, um seine Beine zu streichen und auf seinem Schoß zu schnurren. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte Herr Mueller eine warme Berührung der Dankbarkeit und Zuneigung, die ihm so gefehlt hatte.

In den folgenden Tagen entwickelte sich eine besondere Bindung zwischen Herrn Mueller und der kleinen Katze. Sie folgte ihm überallhin und brachte ihm Freude und Trost in seinen einsamen Stunden. Die Katze schien zu wissen, wie sie ihren Lebensmut zurückgeben konnte, und Herr Mueller fühlte sich langsam wieder lebendig und voller Energie.

Mit der Zeit erkannte Herr Mueller, dass die kleine Katze ihm nicht nur Gesellschaft und Liebe schenkte, sondern ihm auch zeigte, dass das Leben noch so viel zu bieten hatte, wenn man bereit war, die Tür für neue Möglichkeiten zu öffnen. Zusammen erkundeten sie die Welt um sie herum und genossen die einfachen Freuden des Lebens.

Und so fanden Herr Mueller und die junge Katze einen neuen Lebensmut in ihrer gemeinsamen Freundschaft und zeigten, dass man nie zu alt ist, um wieder Freude und Hoffnung zu finden.

Ich ging wie immer in dieses Geschäft. Dort gab mir der alte Blumenhändler die schönsten Blumen. Es war wie ein Wunder. Er saß inmitten dieser wunderbaren Blumen und ich konnte nicht verstehen, warum er sie weggab. Sie waren einfach zu schön, um sie einem Fremden zu geben. Jede Pflanze schien eine Ewigkeit zu halten, er hatte eine sichere und liebevolle Hand für die Blumen.  Aber heute wollte ich ihn fragen. Fragen, warum er lächelte, wenn er die Blumen verschenkte. Sonst machte er ein freundliches, aber trauriges Gesicht. Ich wählte eine besonders schöne Blume aus. „Sie werden sie lieben“, sagte er und lächelte. „Sie ist mein ganzer Stolz, ich liebe sie sehr. Wenn etwas ist, sagen Sie es mir. Ich werde sie wieder gesund pflegen.“ Ich war gerührt. Er hatte sie mir einfach gegeben, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, und ich sah ihm an, dass er dieses Exemplar besonders liebte. „Aber ich kann doch nicht…“, protestierte ich schwach. „Doch, das können Sie. Sie sind der Richtige dafür, glauben Sie mir. Ich sehe es in Ihren Augen. Pflegen Sie diese Blume, nicht zu viel, nicht zu heftig.“  Der alte Florist wandte sich ab. „Sagen Sie“, fragte ich, „warum lächeln Sie nur, wenn Sie eine Blüte abgeben? Ich beneide Sie um jede einzelne Blüte, und Sie geben mir Ihre schönste.“  Da wurde der alte Mann nachdenklich und sagte: „Ja, bei mir fühlen sich alle diese Blumen sehr wohl, sie vertrauen meinen Händen, sie vertrauen meiner Pflege, ich besorge Ihnen, was Sie brauchen, aber ich muss jede einzelne abgeben.“ „Aber warum?“ fragte ich verzweifelt. Der alte Mann nahm eine Blüte und winkte mich zu sich. „Lassen Sie Ihre Blüte einen Moment hier und kommen Sie mit.“ Ich steckte meine Blume in eine Vase auf dem Boden und folgte ihm neugierig.

Ein paar Treppen höher waren wir in ihrer Wohnung. Sie war ganz nett, aber ich spürte, dass etwas fehlte. Es gab keine einzige Blume. Der Alte ging zu einem Schrank, holte eine Vase heraus und stellte eine mitgenommene Blume hinein. Er goss Wasser hinein und nahm das Pulver, mit dem er im Laden seine wunderbaren Blumen pflegte. Und dann geschah das Unglaubliche. Die Blume öffnete sich kurz und als ob sie sich vor ihm erschreckt hätte, ließ sie augenblicklich alle Blütenblätter fallen und knickte ein.  „Sehen Sie“, sagte der Alte und lächelte. Ich habe die Gabe, Blumen zu züchten, aber sobald ich sie mit mir teilen will, gehen sie ein. Nichts auf dieser Welt ist vollkommen. Ich bin nur perfekt als Freund der Blumen, Sie sind perfekt als Besitzer. Das ist unser Schicksal.“ „Hatten Sie noch nie eine eigene Blume?“, fragte ich bestürzt. „Doch, aber das ist lange her, und sie ist auch eingegangen“, seine Stimme klang belegt. „Nicht traurig sein, junger Freund. Mir geht es nicht wirklich schlecht.“

Als ich einen Augenblick später mit meiner Blume auf die Straße trat, wusste ich, dass ich noch viele Blumen haben wollte, in meinem Zimmer, und dass ich diesen seltsamen Mann nicht vergessen würde. Ich lächelte.

Es war schön bei ihr zu liegen. Seine Finger glitten über ihre Haut und er verspürte ein leichtes Beben auf ihrem Körper. Ihre Atemzüge waren ruhig, nur manchmal zuckte sie ganz leicht zusammen. Er küsste sie leicht auf die Lippen, schmiegte sich eng an sie, schloss die Augen und träumte…

… sich auf eine große Wiese. Die Kleider, den moralischen Abstand in einer unmoralischen Welt hatten sie längst abgelegt, um nur sich zu spüren und den leicht säuselnden Wind. Alles war einfach nur wunderbar. Er glaubte, sie habe den Duft der Blumen, die hier in üppiger Pracht wuchsen, angenommen. Sie sah ihn an, mit ihren leuchtend blauen Augen und meinte in seinen Augen einen besonderen Glanz wahrzunehmen, einen Glanz den nur Verliebte wahrnehmen können. Was waren alle Worte gegen diese Augen. Sie standen auf, umarmten sich und liefen lachend über die Wiese. Ihre Wiese. Sie drehten sich und der Wald rauschte im Hintergrund am Rand ihrer Wiese an ihnen vorbei. Erleichternd und voller Liebestaumel sanken sie ins Gras. Ihre Körper verschmolzen mit der Natur, mit sich selbst…

Die Kleider lagen immer noch abseits, als sie aus sich zurückkehrten. Ohne ein Wort zu sagen, legten sie die Fetzen der Prüderie wieder an. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er in der Uniform der NVA steckte. Und mit einem Mal glaubte er den Glanz aus ihren Augen weichen zu sehen. Er erfasste ihre Hände, doch sie zog sie zurück. Ohnmächtige Schauer einer aufkommenden Angst überfielen ihn. Wo war ihre weiche Haut? Sie entfernte sich langsam, ging auf den Weg zu, weg von ihrer Wiese. Er konnte ihr nicht folgen. Ihm war als sei die Uniform fest mit ihm und der Erde verwachsen. Er vermochte sich nicht zu rühren. Flehend streckte er die Hände nach ihr aus. War es denn seine Schuld? War ihr seine Liebe nicht genug. War sie es nicht wert, die eineinhalb Jahre zu überstehen? Kann denn Liebe nicht einfach nur ehrlich sein? Und dann sah er den ANDEREN. Sie hakte sich bei ihm ein. Frei wie ein Vogel, flog sie davon ins Leben. Er wand sich, wollte schreien, konnte es nicht und hemmungslos flossen seine Tränen, dort, – wo sie eben noch lagen, wo das niedergedrückte Gras noch ihre Konturen erahnen ließ. Er sank zurück in Erinnerungen, in seine Sehnsüchte, einsam, allein und voll Zorn über den Zwang der Uniform und…

…er erwachte schweißgebadet. „Was ist mit dir?“, flüsterte sie. Er erzählte von seinem Traum. „Ich brauche dich doch“, sagte sie sanft. „Es ist spät, du musst jetzt gehen.“ Widerwillig streifte er sich die Uniform über, wohl wissend, dass er in zwei Stunden in seiner harten Pritsche das Schnarchen seiner Kameraden anhören musste, seine Einsamkeit verfluchend…

Audiodatei “Der Traum”

Sprecherin: Sandy Wohlleben (www.sandywohlleben.com)

 

 

Er sprach kaum. Ein paar Worte, Mama, Papa, Essen und für andere Dinge erfand Thomas Worte, deren Sinn nur seine Mutter verstand. Es war einfach nichts zu machen, so sehr sie sich auch bemühte. Die Einschulung stand bevor und Martina wusste nicht weiter. Ein Arzt riet ihr, den kleinen Sohn noch ein Jahr zu Hause zu lassen. Sie war von ihrem jetzigen Mann schwanger, aber er schien nicht in der Lage zu sein, solche Familiengespräche zu führen. Tommy war ja auch nicht sein Sohn. Ihr Exmann hingegen war gewalttätig. Sie hatte sich vor mehr als einem Jahr von ihm scheiden lassen, weil er sie, jähzornig wie er war, geschlagen hatte. Ihr Sohn verstand sich gut mit seinem richtigen Vater, im Gegensatz zu Simon, der jetzt bei ihnen wohnte. Er begegnete ihrem fünfjährigen Sohn eher distanziert. Sie erinnerte sich, wie sie kürzlich mit Thommy im Keller Kartoffeln holte, als ihr jetziger Mann Simon auftauchte und etwas suchte. „Simon, da“, zeigte Tommy auf den Schraubenzieher, der auf dem Werkzeugtisch lag. Simon erstarrte, sah Martina an und verließ wortlos mit dem Schraubenzieher den Keller. Martina kniete sich vor ihren Sohn und versuchte sanft mit ihm zu sprechen: „Du sollst ihn nicht mehr Simon nennen. Er ist jetzt dein Vater. Du sagst ab jetzt Papa zu ihm. Hast du verstanden?“ Der Sohn sah sie verständnislos an und schwieg. Er wusste, es war ab jetzt Gesetz. Martina nahm sein Schweigen als Zustimmung. Von da an sprach Tommy überhaupt nicht mehr mit Simon, sondern folgte seiner Mutter auf Schritt und Tritt, selbst auf die Toilette.

Trotz der Warnungen hatte Martina ihren Sohn eingeschult, ohne ein weiteres Jahr verstreichen zu lassen. Inzwischen war ihr zweiter Sohn geboren, und sie hoffte, dass in der Schule unter den vielen Kindern vielleicht der Knoten platzen würde. Simon liebte seinen neugeborenen Sohn sehr und hielt ihn gerne im Arm. Tommy stand dann meist etwas hilflos daneben und schwieg. In der Schule dagegen blühte er auf und wurde innerhalb eines Jahres der beste Leser seiner Klasse. Die Schule machte ihm Spaß und er konnte sich selbst etwas beibringen. Zu Hause war er lange nicht so gesprächig, die Mutter freute sich, dass er wenigstens vernünftig sprach, für Simon war das eher eine Randnotiz. Er hatte Wichtigeres zu tun. Simon war oft auf Montage, da hatte die Mutter viel zu tun. Sie musste in der Waschküche waschen und Tommy musste auf seinen kleinen Bruder aufpassen. Der lag in seinem Himmelbett und mit ihm spielen ging noch nicht. Er lag nur da, griff nach seinen Füßen und sprach kein Wort. „Du musst sprechen, Jonas. Sag etwas“, forderte er das Baby auf. Manchmal versuchte er, ihm etwas vorzulesen, aber Jonas schrie nur. Das machte Tommy wütend. Er hatte wohl den Jähzorn von seinem leiblichen Vater geerbt. In solchen Momenten tat er unverständliche Dinge und schoss mit einer Ballpistole in das Himmelbett des Babys. Er wollte nur, dass Jonas aufhört zu schreien. Wenn die Tischtennisbälle verschossen waren, wusste er nicht einmal, warum er das tat. Einmal fand seine Mutter einen solchen Plastikball und stellte ihn zur Rede. Tommy verstummte daraufhin und das Babybett blieb im Schlafzimmer der Eltern. Tommy war sich seiner Schuld bewusst, aber er konnte sich sein Verhalten nicht erklären. Am liebsten wäre er weggelaufen. Er spürte, wie die Liebe langsam aus dem Haus wich.

Martina war eines Tages bei ihrer Mutter, als es dort klingelte. Zwei Männer standen vor der Tür.

Der eine war ihr Nachbar. Sie war so überrascht, dass sie nicht einmal grüßen konnte. Schließlich war es eine ganz schöne Strecke, die sie selbst mit dem Fahrrad in 20 Minten fuhr. Außerdem war es kurz nach 21 Uhr. „Martina“, ihr Nachbar wirkte etwas bedrückt, „dein Sohn ist beim Pförtner im Maschinenbau“. Martina verstand nichts. Tommy konnte das Haus nicht verlassen, sie hatte die Tür abgeschlossen. Er sollte ab und zu nach seinem kleinen Bruder sehen. Das hatte sie schon oft so gemacht. Tommy lag dann im Bett und las. Er las meistens Bücher auf einmal und war verrückt nach Büchern. Aber wie kam er zu Maschinenbau, der zwar nur ein paar 100 Meter entfernt war, aber zu dem er sonst keine

keine Beziehung hatte. „Martina“, der Mann griff ihr auf die Schulter, „deinen Sohn haben wir im Nachthemd vor eurer Wohnung aufgegriffen. Er ist aus dem Badfenster gesprungen. Im Nachthemd!“ „Woher wusstet ihr, wo ich bin?“, fragte sie völlig verwirrt und zog sich eilig ihren Mantel über. „Von Tommy“, sagte der andere Mann, „Gut, dass ihr im Erdgeschoß wohnt und nicht mehr passiert ist.“ „Wie geht es ihm?“, fragte Martina besorgt. „Er ist wie in Trance kannte aber die Adresse seiner Oma, sagt aber sonst nicht, wusste nicht warum er das tat.“ „Wir fahren mit meinem Trabbi“, entschied der andere Mann, „Tommy flüstert nur immer etwas, was wie Bootsmann klingt. Wissen Sie, was er meint?“ Martina schüttelte den Kopf, mit einem Bootsmann hatten sie nun wirklich nichts zu tun.

 

Endlich hatte Martina Tommy zu Bett gebracht. Aus dem Jungen war nichts herauszubringen. Es war, als wüsste er nicht einmal, was geschehen war. Als sie ihm das offene Badfenster zeigte und fragte, warum er gesprungen sei, sagte er nur kopfschüttelnd das er nicht gesprungen sei. Er hatte wohl nur geträumt. In seinem Zimmer lagen zwei Bücher herum. Einmal ein Trompeterbuch und ein kleineres mit dem Titel „Bootsmann auf der Scholle“. Es war eine Geschichte über einen kleinen Hund, der durch einen Zufall auf eine Eisscholle geriet und wegtrieb, wie Martina bis zur Hälfte des dünnen Buches las. Albträume, dachte sie und beschloss, das Lesen ihres Sohns zu beschränken. Das Bootsmann Buch versteckte sie vor ihm. Martina musste das Buch nicht zu Ende lesen, sie war überzeugt zu wissen, was geschehen war.

54 Jahre später bekam Tommy das Büchlein von Freunden wieder geschenkt. Er las es noch einmal und verstand die Freude des kleinen Hundes, der auf seiner Scholle dahintrieb und dann in die Arme von Freunden sprang, die gemeinsam nach ihm suchten. Tommy legte das Buch zurück und erinnerte sich an seine vielen Sprünge im Leben. Es waren Sprünge, die ihn oft zurückwarfen. Seine eigene Scholle schmolz mit den Jahren, ohne das er ankommen würde. Vielleicht sollte er noch einen Sprung wagen…

 

Es war an einem stürmischen Abend, als Kai in sein Auto stieg und sich auf den Weg nach Hause machte. Gedankenverloren und erschöpft von einem langen Arbeitstag, nahm er mit müden Augen das Lenkrad in die Hand und fuhr los. Doch dann geschah das Unfassbare – in einem kurzen Moment der Unachtsamkeit verlor er die Kontrolle über sein Fahrzeug und prallte mit großer Wucht gegen einen Baum.

Als Kai langsam wieder zu Bewusstsein kam, spürte er sofort, dass er nicht allein war. Um ihn herum schien eine unsichtbare Präsenz zu sein, die ihn umgab und beschützte. Er fühlte sich seltsam geborgen und sicher, obwohl die Situation alles andere als rosig aussah.

Die Rettungskräfte trafen ein und brachten Kai ins Krankenhaus. Die Ärzte begannen sofort mit den Untersuchungen, um seine Verletzungen festzustellen. Doch zu ihrer Überraschung entdeckten sie etwas, das weit über Kais Unfall hinausging – Schwerwiegende Krankheiten, die unentdeckt geblieben wären und die sein Leben in Gefahr gebracht hätten.

Kai war geschockt von der Diagnose und diesen unerwarteten Wendung, doch gleichzeitig fühlte er eine tiefe Dankbarkeit. Der Unfall, den er selbst verschuldet hatte, brachte ihm nicht nur physische Verletzungen, sondern auch die Chance auf ein neues Leben. Mit der Unterstützung seiner Schutzengel überwand er nicht nur die körperlichen Herausforderungen, sondern auch die schweren Krankheiten, die ihn beinahe umgebracht hätten und von denen er bis zum Unfall gar nichts wusste..

Aus diesem einschneidenden Erlebnis schöpfte Kai eine neue Perspektive und entdeckte die Wertschätzung für das Leben in all seinen Facetten. Er entschied sich, jeden Tag bewusster zu leben, seine Gesundheit zu schätzen und anderen Menschen mit mehr Mitgefühl zu begegnen.

So begann Kai ein neues Kapitel in seinem Leben – ein Kapitel voller Dankbarkeit, Hoffnung und dem Bewusstsein, dass selbst in den dunkelsten Momenten des Lebens ein Licht des Schutzes und der Neugeburt scheinen kann. Und der Mann, der einen selbstverschuldeten schweren Autounfall mit vielen Schutzengeln hatte, fand in dieser Erfahrung den Anfang eines neuen und erfüllten Lebenswegs.

Es war im mittelalterlichen Halle an der Saale, wo Salzarbeiter ihr hart verdientes Salz gewannen und es an Händler verkauften, die es dann auf Märkten weiterverkauften. Einer dieser Salzarbeiter war Heinrich, bekannt für seine Schlauheit und listigen Tricks. 

Eines Tages kam ein arroganter mittelalterlicher Salzkaufmann in die Stadt und wollte eine besonders große Menge Salz kaufen, um es zu einem niedrigen Preis zu erwerben und mit hohem Gewinn zu verkaufen. Der Kaufmann dachte, er könnte Heinrich übervorteilen und ihm das Salz zu einem Spottpreis abnehmen. 

Heinrich, der die Absichten des Kaufmanns durchschaute, spielte mit und stimmte einem niedrigen Preis zu. Der Kaufmann war zufrieden und dachte, er hätte einen guten Deal gemacht. Doch Heinrich hatte einen Plan. Er lud den Kaufmann zu einem Tisch ein, an dem bereits mehrere Salzsäcke standen. 

Als der Kaufmann das Geld zählen wollte, fing Heinrich an, eine Geschichte zu erzählen, die den Kaufmann fesselte und ablenkte. Währenddessen tauschte Heinrich geschickt einige Säcke mit minderwertigem Salz aus, die er mit einem Trick präpariert hatte. Als der Kaufmann endlich das Geld zählen wollte, wurden die Säcke mit dem minderwertigen Salz herausgeholt. 

Der Kaufmann war wütend und beschuldigte Heinrich des Betrugs. Doch Heinrich wies darauf hin, dass sie einen Preis vereinbart hatten, der für genau dieses minderwertige Salz galt. Der Kaufmann stand sprachlos da, während Heinrich lachend das restliche Salz zurückbehielt. 

Von diesem Tag an war Heinrich als der listige Salzarbeiter bekannt, der es wagte, den arroganten Salzkaufmann auszutricksen. Sein Ruf verbreitete sich in der Stadt und die Menschen bewunderten seine Schlauheit und seinen Mut, sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren. 

Es war ein warmer Tag, als der Mann, der langsam auf die Rente zusteuerte, seinen täglichen Spaziergang am See genoss. Er dachte an die vergangenen Jahre zurück, an die Zeiten, als er noch aktiv Theater spielte und schöne Frauen fotografierte. Diese Erinnerungen ließen ihn lächeln, aber auch ein wenig wehmütig werden.

Plötzlich tauchte eine junge Frau neben ihm auf. Sie schien voller Energie und sprudelte vor Lebensfreude. Sie erzählte ihm von ihren Abenteuern und Erfahrungen, die sie in fernen Ländern gesammelt hatte. Der Mann war fasziniert von ihrer Erzählung und spürte, wie sein eigenes Leben wieder an Farbe gewann.

Er griff nach seiner Kamera und begann, spontan einige Bilder von der jungen Frau zu machen. Er genoss es, wieder kreativ tätig zu sein und fühlte sich lebendig wie schon lange nicht mehr. Doch dann passierte etwas Seltsames.

Ein Spaziergänger kam vorbei und sagte: “Sie fotografieren aber fleißig den See!” Verwirrt schaute der Mann in die Kamera – und stellte fest, dass keine einzige Aufnahme von der jungen Frau darauf zu sehen war. Es war, als hätte sie nie neben ihm gesessen.

Diese unerklärliche Begebenheit ließ den Mann verstört und verunsichert zurück. Er vermied es fortan, an jenem Platz am See entlang zu spazieren, wo sich die seltsame Begegnung zugetragen hatte. Doch die Erinnerung an die junge Frau und ihre inspirierenden Geschichten begleiteten ihn noch lange Zeit und gaben ihm neue Kraft und Hoffnung für den nächsten Lebensabschnitt.

Ich hatte gestern ein seltsames Erlebnis, dass eigentlich in einer Welt der Handys, What’s up Kommunikation und Facebook-Freunde ohne Ende, völlig nichtssagend ist und vielleicht nicht mal wert ist gelesen zu werden. Unsere Mittelaltergruppe hatte bei einer Wohnungsgesellschaft einen Auftritt. Es ging um Erasmus den Kaufmann, dessen Weihnachtsware gestohlen und  mithilfe der Ritter wiedergefunden wurde. Schlussendlich wurden die zwei Säcke mit den Geschenken der Wohnungsgesellschaft unter die Kinder gebracht. Die Kleinen freuten sich riesig und bekamen eingepackte Pfefferkuchen, Weihnachtsmänner, eben Kleinigkeiten. Ich verteilte die Päckchen mit den Süßigkeiten und Kleinartikeln in Zellophan eingepackt mit meinen Mitspielern  und plötzlich stand dieser Junge vor mir, den Kopf etwas ängstlich gebeugt, die Hand hinhaltend. Ich griff in den Sack und bekam ein kleines Geschenk zu fassen, gab es ihm mit einem Lächeln und einem guten Wort. Auf seinem Gesicht zeichnete sich zu meinem Erstaunen so etwas wie Enttäuschung ab. Er schaute zu den anderen Kindern, die links und rechts neben ihm standen und ihre kleinen Geschenke auspackten. Die Päckchen der anderen Kinder waren deutlich größer als seins. Der kleine Junge, ca. 8 Jahre, schaute kurz auf sein Päckchen und hielt mir die Hand wieder hin. Ich begriff endlich, ihn interessierte nicht der Inhalt, er war von der Größe des Päckchen enttäuscht. Erst wollte ich ihm ein Neues geben, doch dann regte sich in mir Widerstand. Sind denn in einer Gesellschaft nur noch Geschenke wichtig, die teuer, groß und scheinbar wertvoll sind? Ist ein Nintendo mehr wert als ein Bastelset aus Papier? Sind wir dermaßen übersättigt, dass wir in Weihnachten nur ein Geschenkefest sehen und den tiefen Sinn völlig vergessen haben? Ich bin Lehrer und wollte meiner Klasse, in der 15-16-jährige Schüler sitzen, etwas über die Entstehung von Weihnachten und dem Weihnachtsmann erzählen, das war den meisten einfach schon zu nervig. Wir wünschen allen ein besinnliches Fest und halten nur noch die Hand auf. Ich liess in Gedanken all meinen sinnlosen Zorn an diesem einen kleinen Jungen aus, ignorierte ihn, beschenkte weiter die anderen Kinder. Er stand unbeirrt, die gesamte Zeit seine Hand ausgestreckt, fast bettelnd vor mir, in der anderen Hand seine kleine Tüte. Ich werde die bettelnde Hand nicht vergessen. Wie gesagt eine unbedeutende Geschichte, die morgen schon vergessen ist. Weihnachten – ein besinnliches Fest.

Es war einmal ein Mann namens Jonas, der aus bescheidenen Verhältnissen in einer kleinen Stadt stammte. Er arbeitete hart und kämpfte sich seinen Weg nach oben, bis er schließlich zu Wohlstand und Macht gelangte. 

Mit der Zeit begann Jonas, sich von den traditionellen Werten und Bräuchen der Stadt zu entfernen. Er glaubte, dass er über den Gesetzen und Regeln stehen würde, und begann, über die Menschen zu herrschen und zu bestimmen, was geschehen sollte. Sein Einfluss wurde immer größer, und viele Menschen folgten ihm blind. 

Doch eines Tages begannen die Menschen zu erkennen, dass Jonas nicht das Wohl ihres Volkes im Sinn hatte. Sie sahen durch seine Manipulationen und Intrigen hindurch und wandten sich von ihm ab. Sein Machtgefüge begann zu bröckeln, und er wurde wieder zu dem einfachen Mann, der er einmal war. 

Jonas erkannte, dass er seine Wurzeln und die Traditionen seiner Stadt verlassen hatte, um sein eigenes egoistisches Ziel zu verfolgen. Reumütig kehrte er zu seinen Ursprüngen zurück und begann, sein Handeln zu bereuen. Er lernte die Lektion, dass echte Macht nicht durch Manipulation und Unterdrückung entsteht, sondern durch Respekt, Mitgefühl und Aufrichtigkeit. 

Von nun an lebte Jonas ein bescheidenes Leben, in Einklang mit den Menschen um ihn herum, und bemühte sich, durch sein Handeln Gutes zu bewirken. Die Menschen verziehen ihm schließlich und zeigten ihm, dass wahre Macht in der Verbundenheit mit anderen liegt und nicht in der Beherrschung über sie. Jonas hatte seine Lektion gelernt und fand schließlich seinen Frieden als ein Mann, der aus einfachen Verhältnissen stammte und in Demut lebte. 

In einem abgelegenen Dorf lebte ein alter Geschichtenerzähler namens Elias, dessen Stimme sanft, wie der Wind und weise wie ein uralter Baum war. Seit vielen Jahren begeisterte er die Bewohner des Dorfes mit seinen Erzählungen voller Magie, Abenteuer und Fantasie. Seine Geschichten entführten die Zuhörer in ferne Welten, in denen Drachen in den Himmeln kreisten und Elfen im Licht der Sterne tanzten.

Doch im Laufe der Zeit begannen die Menschen sich von Elias abzuwenden. Sie hatten die Magie seiner Worte vergessen und waren stattdessen in die Hektik und Tristesse des Alltags versunken. Sie hörten nicht mehr zu, wenn er auf dem Marktplatz stand und seine Geschichten zum Besten gab. Die Kinder rannten an ihm vorbei, ohne auch nur einen Blick für den alten Mann übrig zu haben.

Mit jedem Tag schwand die Fantasie in den Herzen der Menschen, und die Welt um sie herum wurde grauer und trostloser. Die Farben verblassten, die Vögel sangen nicht mehr und die Sterne am Nachthimmel erloschen. Ohne die Geschichten von Elias verkümmerte die Fantasie und mit ihr die Hoffnung auf eine bessere Welt.

Eines Tages, als Elias an einem verlassenen Lagerfeuer saß und in die leeren Gesichter der Sterne starrte, hörte er plötzlich leise Schritte hinter sich. Er drehte sich um und sah eine kleine Gestalt im Schatten stehen. Es war ein Kind, dessen Augen voller Neugier und Sehnsucht nach Abenteuern glänzten.

Das Kind setzte sich zu Elias und bat ihn, eine seiner Geschichten zu erzählen. Mit zitternder Stimme begann Elias zu erzählen, und langsam färbten sich die Gesichter der Sterne wieder in warmen Farben. Die Fantasie erwachte von Neuem, und die Welt erstrahlte in ihrem alten Glanz.

Das Kind lauschte gebannt den Worten des alten Geschichtenerzählers, und nach und nach gesellten sich immer mehr Menschen um sie herum. Elias’ Geschichten zogen sie alle in ihren Bann, und gemeinsam tauchten sie ein in eine Welt voller Magie und Wunder.

Und so kehrte die Fantasie in das Dorf zurück, die Farben erblühten und die Vögel begannen wieder zu singen. Elias hatte mit seinen Geschichten die Welt gerettet und den Menschen gezeigt, dass die Fantasie niemals sterben darf – solange es jemanden gibt, der bereit ist zuzuhören.

Es war einmal ein Mann namens Jonas, der aus bescheidenen Verhältnissen in einer kleinen Stadt stammte. Er arbeitete hart und kämpfte sich seinen Weg nach oben, bis er schließlich zu Wohlstand und Macht gelangte. 

Mit der Zeit begann Jonas, sich von den traditionellen Werten und Bräuchen der Stadt zu entfernen. Er glaubte, dass er über den Gesetzen und Regeln stehen würde, und begann, über die Menschen zu herrschen und zu bestimmen, was geschehen sollte. Sein Einfluss wurde immer größer, und viele Menschen folgten ihm blind. 

Doch eines Tages begannen die Menschen zu erkennen, dass Jonas nicht das Wohl ihres Volkes im Sinn hatte. Sie sahen durch seine Manipulationen und Intrigen hindurch und wandten sich von ihm ab. Sein Machtgefüge begann zu bröckeln, und er wurde wieder zu dem einfachen Mann, der er einmal war. 

Jonas erkannte, dass er seine Wurzeln und die Traditionen seiner Stadt verlassen hatte, um sein eigenes egoistisches Ziel zu verfolgen. Reumütig kehrte er zu seinen Ursprüngen zurück und begann, sein Handeln zu bereuen. Er lernte die Lektion, dass echte Macht nicht durch Manipulation und Unterdrückung entsteht, sondern durch Respekt, Mitgefühl und Aufrichtigkeit. 

Von nun an lebte Jonas ein bescheidenes Leben, in Einklang mit den Menschen um ihn herum, und bemühte sich, durch sein Handeln Gutes zu bewirken. Die Menschen verziehen ihm schließlich und zeigten ihm, dass wahre Macht in der Verbundenheit mit anderen liegt und nicht in der Beherrschung über sie. Jonas hatte seine Lektion gelernt und fand schließlich seinen Frieden als ein Mann, der aus einfachen Verhältnissen stammte und in Demut lebte. 

Es war ein kalter Herbsttag in der kleinen Stadt. Herr Mueller, ein älterer Mann, der sein ganzes Leben lang in einem kleinen Haus am Stadtrand verbracht hatte, fühlte sich einsam und verloren. Seine Frau war vor einigen Jahren gestorben, seine Kinder lebten weit entfernt, und er hatte das Gefühl, dass ihm alles, was einst bedeutungsvoll gewesen war, verloren gegangen war. 

An einem dieser trüben Tage hörte Herr Mueller ein leises Miauen vor seiner Haustür. Neugierig öffnete er die Tür und sah eine kleine, verängstigte Katze, die sich vor Kälte zitternd auf seinem Fußabtreter zusammengerollt hatte. Sein Herz schmerzte bei dem Anblick des einsamen Tieres, das genauso verloren schien wie er selbst. 

Herr Mueller nahm die Katze vorsichtig auf und brachte sie ins Haus, wo er sie mit Wasser und etwas Futter versorgte. Die Katze schien ihm dankbar zu sein und begann, um seine Beine zu streichen und auf seinem Schoß zu schnurren. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte Herr Mueller eine warme Berührung der Dankbarkeit und Zuneigung, die ihm so gefehlt hatte. 

In den folgenden Tagen entwickelte sich eine besondere Bindung zwischen Herrn Mueller und der kleinen Katze. Sie folgte ihm überallhin und brachte ihm Freude und Trost in seinen einsamen Stunden. Die Katze schien zu wissen, wie sie ihren Lebensmut zurückgeben konnte, und Herr Mueller fühlte sich langsam wieder lebendig und voller Energie. 

Mit der Zeit erkannte Herr Mueller, dass die kleine Katze ihm nicht nur Gesellschaft und Liebe schenkte, sondern ihm auch zeigte, dass das Leben noch so viel zu bieten hatte, wenn man bereit war, die Tür für neue Möglichkeiten zu öffnen. Zusammen erkundeten sie die Welt um sie herum und genossen die einfachen Freuden des Lebens. 

Und so fanden Herr Mueller und die junge Katze einen neuen Lebensmut in ihrer gemeinsamen Freundschaft und zeigten, dass man nie zu alt ist, um wieder Freude und Hoffnung zu finden. 

Mal zum Anfang. Jeder Mensch kann tun und lassen was er will, wenn er sich an gewisse Regeln hält und niemanden belästigt. Ich denke, dies ist oberstes Gesetz und gilt auch für Gastfreundschaft. In der Natur hat sich herausgestellt, dass ein Zuviel immer spürbar wird und der Mensch gegensteuern muss. In der Chemie kann ein Zuviel tödlich sein. Ein Zuviel an Gewitter kann Probleme verursachen. Doch in der Politik scheint diese Regel nicht zu stimmen, da wird aus einem Zuviel ein „Wir schaffen das“. Ich habe während des Studiums mit Ausländern viel zu tun gehabt, mit Peruanern, die dachten der Kommunismus wär in der DDR schon angekommen, einem südafrikanischen Studenten namens Hans, der mit den Finekostläden nicht zurechtkam, alles kaufte und den Restmonat schlichtweg schlief, weil das Geld fehlte, einem Kenianern der sich eine völlig nutzlosen Kühlschrank kaufte, weil er in seinem Dorf damit der größte war, einem gruseligen Kongolaner, der nie lächelte und einen Bodyguard hatte, Afghanen, die eigentlich politische Feinde waren und hier Freunde, einem Vietnamesen, der seine Popel aß, weil er das im Krieg irgendwie gelernt hatte und auch normale Ausländer. Es war schrullig, laut, streitbar, aber irgendwie lustig und ging niemanden auf den Keks. Selbst heute arbeite ich mit einer prima Gruppe junger Syrer zusammen, mit denen ich Filme drehe oder auch Theaterauftritte organisiere. Sie sind Teil eines Mittelaltervereins, dem ich angehöre und ich lerne viel über einen friedlichen Islam, den es auch gibt, so wie sie kein Problem hatten eine Kirche bei uns zu besuchen und mit einem Bischof zu spielen. Aber leider wird diese Lustig oder diese Gemeinsamkeit immer seltener und das Zuviel schleicht sich in unser Leben.

Nun hat Deutschland unbestreitbar viel Schuld vor einem Menschenalter auf sich geladen, wohl aber auch genug gesühnt, ob Reparationszahlungen oder Kniefall vor den polnischen Opfern. Das ist wohl wahr. Auch ist es schlimm, dass es viele Länder gibt, die unter Kriegen unsäglich leiden, warum aber wir die Schuld der Welt auf uns nehmen müssen und dann alle unbesehen zu uns lassen, was glaubt an dem Kuchen, den Trümmerfrauen und Kriegshungernde sich aufgebaut haben, teilhaben zu müssen oder wollen, ist unklar. Und dann tritt noch etwas ein, was jeder ehemalige DDR-Bürger kennt: Besser den Mund halten, als etwas sagen. Ich meine nicht die unangebrachten Meinungen, nicht rassistische oder primitives Grölen, nein, die Meinung von Menschen, die ehrenamtlich arbeiten, zum Beispiel in der Tafel. Ich selbst erlebe das Zuviel fast täglich, höre auf meiner Arbeit immer weniger Deutsch und werde bei der Ausübung meines Jobs einfach mal von verständnislosen Ausländer weggedrängt. Nun das haben auch Deutsche versucht, nur die haben bei einer Zurechtweisung nicht ihre ganze Verwandtschaft geholt. Höhepunkt war ein arabischer Typ, der auf die Frage, warum er kein Spaß verstehe, mir sagte: „Ich wollen kein Spaß von dir, ich dich nicht kennen.“, und das im vollen Ernst. Während eine Malala für Schulbildung in den Kopf geschossen wurde, fragen mich islamische Volksgenossen, wer denn die Scheißbildung erfunden hat. Einer zu mindestens schenkte mir den Koran, darin stehe auf alle Fragen eine Antwort. Die habe ich in der Tat gefunden: ich bin ein Ungläubiger und der gehört bekämpft, egal wo er sind, es sei denn er konvertiert und belügt sich und den Gott. Ich habe kein Problem mit dem Islam, ich habe ein Problem mit dem Zuviel. Ich habe kein Problem mit den Völkern, ich habe ein Problem mit dem Zuviel ihrer Kulturen, die sie nicht bereit sind anzupassen. Ich sag dabei anpassen, nicht aufgeben. Ich habe 38 Jahre gearbeitet, bin nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, muss demnächst einen Monat zu Recht! zu Fuß gehen, weil ich zu schnell fuhr, ein Schild übersah. Es sind nun mal unsere Gesetze so. Akzeptiert, auch wenn es blöd ist. Ich gehöre als braver Steuerzahler zu den weichen Zielen.

Aber ich konnte mir nie einen BMW leisten, hatte nie ein größeres Bündel Scheine in der Hand und habe nie jemanden von hinten zu dritt in den Rücken getreten, nur weil er jemanden angeguckt hat. Die Typen haben ihre Strafe bekommen! Ein paar Stunden Arbeit bei einem der Väter. Der hatte ein russisches Geschäft. Der einzige Deutsche, war der getreten Typ. Die Gerechtigkeit ist blind.  Neid? Natürlich ist das Neid, der Neid das andere die Demokratie besser ausnutzen können und bessere Anwälte haben.

Heute ist nun Ostersonntag, die Widerauferstehung Christus. Mit Deutschland hat er gemein, dass er alle Sünden auf sich genommen hat. Doch weiß ich nicht, ob er mit der Widerauferstehung nicht doch seine Probleme hat. Vielleicht wäre ihm das Zuviel geworden.

Es war der letzte Tag des Jahres, und der alte Mann saß allein in seinem Zimmer, umgeben von Erinnerungen an vergangene Zeiten. Er blickte aus dem Fenster und sah die Menschen fröhlich über die Straßen ziehen, um das neue Jahr zu feiern. Doch für ihn war es ein trauriger Moment, denn er wusste nicht, wie viele neue Jahre er noch erleben würde.

Der alte Mann vermisste die Zeiten, als seine Freunde noch bei ihm waren, als sie gemeinsam gelacht und getanzt hatten. Doch nun waren sie fortgezogen, hatten ihre eigenen Wege eingeschlagen und lebten ihr eigenes Leben, fernab von ihm.

Er kämpfte gegen die körperlichen Beschwerden an, die im Laufe der Jahre immer stärker geworden waren. Jeder Atemzug fiel ihm schwer, doch er ließ sich nicht unterkriegen. Er wusste, dass er stark sein musste, um weiterzumachen.

Die Angst vor dem Unbekannten, vor dem neuen Jahr, lag schwer auf seinen Schultern. Er fragte sich, was ihm noch bleiben würde, wenn alles, was er kannte, immer weiter entfernt war. Die Einsamkeit umgab ihn wie eine dunkle Wolke, die ihn zu erdrücken schien.

Doch trotz all dieser Gedanken und Gefühle blieb eine kleine Flamme der Hoffnung in seinem Herzen. Die Hoffnung, dass er das nächste Sylvester noch erleben und vielleicht doch noch etwas Schönes finden würde, das ihm Freude und Trost spenden konnte.

Und so saß der alte Mann dort, mit einem Hauch von Melancholie in den Augen, aber auch mit einem Funken Zuversicht, der ihn leise flüsterte: “Vielleicht wird das neue Jahr doch noch etwas Gutes für dich bereithalten.”

Es war ein warmer Tag, als der Mann, der langsam auf die Rente zusteuerte, seinen täglichen Spaziergang am See genoss. Er dachte an die vergangenen Jahre zurück, an die Zeiten, als er noch aktiv Theater spielte und schöne Frauen fotografierte. Diese Erinnerungen ließen ihn lächeln, aber auch ein wenig wehmütig werden.

Plötzlich tauchte eine junge Frau neben ihm auf. Sie schien voller Energie und sprudelte vor Lebensfreude. Sie erzählte ihm von ihren Abenteuern und Erfahrungen, die sie in fernen Ländern gesammelt hatte. Der Mann war fasziniert von ihrer Erzählung und spürte, wie sein eigenes Leben wieder an Farbe gewann.

Er griff nach seiner Kamera und begann, spontan einige Bilder von der jungen Frau zu machen. Er genoss es, wieder kreativ tätig zu sein und fühlte sich lebendig wie schon lange nicht mehr. Doch dann passierte etwas Seltsames.

Ein Spaziergänger kam vorbei und sagte: “Sie fotografieren aber fleißig den See!” Verwirrt schaute der Mann in die Kamera – und stellte fest, dass keine einzige Aufnahme von der jungen Frau darauf zu sehen war. Es war, als hätte sie nie neben ihm gesessen.

Diese unerklärliche Begebenheit ließ den Mann verstört und verunsichert zurück. Er vermied es fortan, an jenem Platz am See entlang zu spazieren, wo sich die seltsame Begegnung zugetragen hatte. Doch die Erinnerung an die junge Frau und ihre inspirierenden Geschichten begleiteten ihn noch lange Zeit und gaben ihm neue Kraft und Hoffnung für den nächsten Lebensabschnitt.

Schulgeschichten

Es war Sommer. Es war warm. Die Lehrer der Heinrich-Heine-Schule in Feierlaune. Der Hausmeister grillte, Tische waren aufgebaut, die Ferien standen bevor und man saß zusammen, verabschiedete das Schuljahr, wie man es immer am Ende tat. Der Sekt floss, es wurde geredet, vor sich hingedacht, der Tag war schön. Ich bin nicht so sehr der Feierer, musste mich auch um unseren Minizoo in der Schule kümmern. Dort warteten Hasen, Meerschweinchen, eine Schlange, Papageien, Mäuse, Ratten und Hamster auf ihr Futter. In dieser tierischen Vielfalt war ich Mensch, dort konnte ich sein. Ich war das tierische von zu Hause gewöhnt, hatte doch auch dort allerlei Getier auf dem Balkon und in diversen Terrarien. Es war meine kleine Welt, die es heute so nicht mehr gibt, aber im Kopf noch immer frisch ist. Manchmal hatte man dann auch seine Erlebnisse, ob zu Hause oder in der Schule.

Unser Hausmeister dort war ein lieber Kerl. Den Minizoo betrachtete er mit skeptischem Auge. Das ganze Viehzeug war ihm nie geheuer, der Minizoomann wohl auch nicht. Es gehörte seiner Meinung nicht an die Schule. Er misstraute allem, was nicht mit ihm sprach. Und das traf seiner Meinung nach auf die Tiere zu.

Das wäre nicht so sehr bedeutsam gewesen, wenn bei ihm nicht auch eine gehörige Portion Aberglaube dazugehörte. Nun trug es sich zu, dass unser Minizoopfleger das Wunder der Geburt bei einem seiner Meerschweinchen an diesem Tag entdeckte. Die beiden kleinen Knäuel mussten den Tag zuvor geboren sein, waren trocken und rannten als Nestflüchter eiligst durch die Gegend. Wer solch kleine Knirpse mal sieht und ihre kuschelige Wärme spürt, weiß das Mutter Natur großartiges vollbrachte. Da ich normalerweise ein kommunikativer Mensch bin, wollte ich die beiden Geschwister unbedingt einer Kollegin zeigen, die Tiere sehr mochte. Also nahm ich die Kleinen vorsichtig an mich und brachte sie besagter Kollegin. Sie erschrak sich im ersten Moment ein wenig, als ich ihr die Wollknäuel unter der Nase hielt und juchzte wohl auf. Dann aber leuchteten ihre Augen. „Oh ist das schön“, entfuhr es ihr und sie streichelte sich über den Bauch, der sich schon sichtbar wölbte. Dieses Wunder der Natur teilte sie wohl bald mit der Welt, ebenso wie die Meerschweinmutter. Damit wäre eigentlich die Geschichte schon zu Ende, wenn da nicht unser Hausmeister mit großen Augen die Szene beobachtet hätte. Ich, der Minizootierpfleger ahnte nichts davon, noch weniger von seinen Gedanken und brachte die beiden Meerschweinchen zu ihrer Mutter zurück.

Ich setzte mich zu den Kollegen und sinnierte vor mich hin, als der Hausmeister zu mir trat. Er druckste ein wenig herum. „Warum hast du die Tiere Angela gezeigt?“, fragte er leise, fast im Flüsterton. Ich starrte ihn an. „…weil sie Tiere mag, ein bisschen schwanger ist…“ Sein Gesicht verfinsterte sich: „Eben.“ Ich verstand gar nichts und ließ ein gedehntes „Ja und“, hören. „Na das kannst du doch nicht machen,“ wurde er plötzlich lebhaft. „wenn schwangere Frauen sich vor Ratten erschrecken, bekommen die Kinder ein Mäusefell.“ Mahnend erhob sich sein Zeigefinger. „Das waren Meerschweinchen, keine Ratten und außerdem ist es Aberglaube“. Unser Mystiker ließ sich von meiner Bemerkung nicht beeindrucken und schilderte mir in allen Farben, was alles passieren könnte, wenn man Frauen mit Felltieren erschrickt. Ich war ob seiner plötzlichen Mentalität überrascht. Vor mir sah ich eine zerlumpte Gestaltung aus dem Mittelalter, im Hintergrund waren grollende dunkle Wolken, eine schwarze Katze lief von links nach rechts. „Du spinnst ja“, unterbrach ich seinen Redeschwall. Jäh brach das bedrohliche Bild des Mäusefelluntergangs zusammen und beleidigt zischte er: „Du wirst schon sehen.“

Später brachte die Kollegin ein gesundes Baby zur Welt, ohne Mäusefell. Ich sprach den Hausmeister darauf an und er zuckte nur die Schultern: „Hätte ja sein können.“ Gott war ich froh, dass Mutter Natur ein Einsehen hatte und für diese Kind kein Mäusefell vorgesehen hatte.

Es ist mehr oder weniger bekannt, dass ich in meiner Freizeit viel fotografiere. Für meine Lexika sind das Gebäude, Straßen, Kunstwerke usw., für meinen Verein mittelalterliche Orte, Theaterstücke, unseren Salzwinkel. Niemand stört sich daran, manche interessiert es, manche nicht, so ist das Leben in seiner Vielfältigkeit. Aber auch die Modelfotografie hat es mir angetan und ich habe mich da schon durch einige Sujets fotografiert, ob Porträt, Mode oder sogar Dessous- und Aktfotografie. Letzteres ist zwar nicht jedem bekannt, aber es gehört bei diesem Thema der Aufschrei: „Was Akt?“ wohl immer dazu.  Kaum einer, ich glaube aber eher keiner von meinen Kollegen hat je „solche“ Bilder gesehen und ich weiß sehr wohl, warum das auch in Zukunft nicht sein wird. Für die einen ist es moralisch nicht sauber, die anderen wollen mit so komischen Sachen nichts zu tun haben und manche Frauen denken wohl an Sodom und Gomorrha, andere fühlen sich bei dem Gedanken nicht wohl und schlimmer noch, einfach nur angebaggert. Es ist halt ein delikates Thema. Das diese Art von Fotografie seine Schattenseiten hat, ist unbestreitbar und das meine Figur zusammen mit nackten Frauen seltsame Assoziationen weckt, damit muss ich leben.

Mit Sinnlichkeit oder Erotik hat das alles hinter der Kamera eigentlich gar nichts zu tun. Man kann versuchen, das glaubhaft zu versichern. Es bringt aber nichts, weil sich so etwas niemand vorstellen kann. Männer rollen mit den Augen, weil sie „wissen“, was da läuft. Frauen rollen mit den Augen, weil sie glauben, was da läuft. Es „rollen“ eigentlich nur Körperflüssigkeiten – nämlich in Form von Schweiß, vom Scheinwerfer oder dem ständigen Umstellen des Lichtes. Von den Bildern wird keiner etwas im Internet finden, weil ich erstens Verträge habe, zweitens die Models bestimmen, was ich zeigen darf. Außerdem bin ich noch dazu Lehrer, da ist so etwas fehl am Platz, eben wegen vieler Kollegen, die mehr Fantasie als ich haben oder Schülern, die dies sehen könnten. Das wäre noch fataler. Also bleiben die Bilder Privat oder wandern in Ausstellungen weitab von Halle, wo ich so manchen Preis abfasste. Selbst bei harmlosen Dessousfotos bin ich vorsichtig geworden. Ich bin es leid, immer wieder dasselbe dumme Gequatsche oder die dieselben blöden Witze zu hören.

Manchmal bleibt mir aber bei einigen Absurditäten der Mund einfach nur offen stehen. So hatte ich mit einer Kollegin mal einige Wochen lang Aufsicht. Wir haben auch ein wenig geschwatzt und ich sprach über meine Hobbys, die halt vielfältig sind, unter anderem auch über die Fotografie. Ich zeigte ihr normale Modelbilder (also für mich waren sie normal) und sie zeigte sich interessiert an dem Thema. Als Model kam sie mir nicht mal annähernd in den Sinn, nicht weil sie nicht hübsch war (eigentlich weiß ich nicht so recht, was das heißt), sondern weil ich keine Frauen auf der Straße und erst recht nicht auf der Arbeit anquatsche. Geht gar nicht! Es war also nur ein Gespräch, um die Zeit totzuschlagen.  Bald darauf übernahm sie eine andere Pausenaufsicht. Ich vergaß unsere Gespräche, selbst der Name war mir nicht mehr geläufig, da wir uns so gut wie gar nicht über den Weg liefen.

Ein paar Monate später waren die Kollegen auf Weiterbildung. Dort bekam ich den Auftrag alle Kollegen zu fotografieren für eine Übersichtsseite im Lehrerzimmer. Ich zeigte natürlich vorher jedem ein Bild, um eine Vorstellung vom Endergebnis zu geben. Eine Kollegin fehlte mir irgendwann noch. Ich entdeckte sie, ging auf sie zu und sagte: „Ich zeige dir ein Bild, damit du sehen kannst, wie es im Endeffekt aussehen soll.“ Sie erstarrte und zeigte sich zutiefst bestürzt. Ich war verwirrt, hatte ich etwas Falsches gesagt? Plötzlich löste sie sich aus ihrer Erstarrung, holte tief Luft und rief verzweifelt: „Aber bitte kein Aktbild!!!“

Ich war völlig konsterniert oder im falschen Film. Was war das denn? Jetzt wurde mir auch bewusst, dass es eben jene Kollegin war, mit der ich die Pausenaufsicht vor Monaten zusammen machte. Schlagartig wurde mir klar, was da wohl im Kollegium rumgegangen sein musste. Ich war fassungslos. Ich fand kaum Worte, sagte etwas von Porträtfotografie und Auftrag, machte mein Foto und sprach nie wieder ein Wort mit mir. Wofür hielt sie mich denn? Ich nahm mir vor nie wieder mit jemanden, der keine Ahnung hatte über dieses Thema „Aktfotografie“ auch nur annähernd zu schwatzen.

Ich mache auch Modelfotografie, mehr muss niemand wissen.  Man kann über alles reden, über Krieg, Mord und Totschlag, Frauen, eklige Witze erzählen, aber die Aktfotografie ist immer noch die höchste Unmoral. Welch seltsame Welt.

Tiere haben die Eigenschaft, permanent den Menschen auf seine Intelligenz zu testen. Sie versuchen ständig auszubrechen und finden jede noch so kleine Lücke oder Unachtsamkeit. So geschah dies auch kurz vor Weihnachten in der Heinrich-Heine-Schule. Die Schule hatte einen vielbeachteten Minizoo. Dort gab es unter anderem einen Goldhamster, dem die Natur zwar eine ungewöhnliche Leibesfülle, zu mindestens für einen Goldhamster, gab, dafür aber auch die Fähigkeit sich durch schmale Ritzen zu pressen. Hamster versuchen ständig ihre Heimgrenzen abzulaufen, selbst wenn man ihnen ein Heim von der Größe eines Zimmers baute, laufen sie stets an den Wänden entlang.
Eines Tages, einer jener Tage, an denen alles schiefgeht, hatte ich genug im Minizoo zu tun, füttern, sich beißen lassen, ein Terrarium zerschlagen und einen Wellensittich jagen, also die ganz normalen kleinen „Katastrophen“. Unseren Hamster fütterte ich zuletzt, etwas genervt, durch die schon beschriebenen Umstände und dadurch unachtsam. Ich schloss seine Terrarientür nicht ordnungs-gemäß und ging erschöpft nach Hause.

Mensch weg, Hamster da, zu mindestens in dem Gebäude, das ich Schule nannte. Unser Hamster „grubte“ und zerrte, kratzte, schabte, biss und setzte alle seine von der Natur gegebenen Werkzeuge ein um seine nicht ganz verriegelte Tür zu öffnen. Die Lücke war dann auch gerade groß genug, um sich durchzuzwängen. Wie er das trotz der Leibesfülle anstellte, blieb mir ein Rätsel.
Die Tür des Minizoos war dagegen nur eine geringfügige Herausforderung. Die Zähne geschliffen und sich durchgenagt, durch die Pappwände einer soliden DDR-Schultür, eine Kleinigkeit für unseren Hamster.

Im weiteren Verlauf seiner beginnenden Erkundungsreise wurde die Schule ausführlich begutachtet. Dabei bezwang er sogar einige Stockwerke, eine artistische Meisterleistung. Die Treppenstufen stieg er nicht herab, sondern überwand sie durch todesmutiges Herunterstürzen.
12 heruntergestürzte Stufen später, traf unser Hamster auf den gerade im Haus weilenden Direktor Herrn F. Beide schauten sich an, der Hamster eher gelangweilt, der Direktor etwas verdutzt. Da unser Hamster sich nicht als zulange langweilen wollte, brach er zu neuen Ufern auf. Es wurde im verwehrt durch einen seufzenden Direktor, der seinen Minizoo an der Schule kannte, die Tiere und den „Zoopfleger“ und seine „Katastrophen“. Also nahm er das kleine Pelzknäuel und verstaute es in der direktorialen Anbauwand in seinem Zimmer hinter Glas, da er nicht recht wusste wohin mit Fellknäuel.

Da ein Direktor viel zu tun hat, kam es nun, dass unser Hamster vorübergehend aus seinem Gedächtnis entschwand. Vier Stunden später kamen Eltern zur Elternsprechstunde. Nicht um den Hamster zu besuchen, sondern um mit dem Direktor diverse Probleme zu besprechen. Unser Direktor beantwortete brav alle Fragen und hob gerade zu einer längeren Rhetorik an, als er gewahr wurde, dass die Augen der Eltern aus seinem Blickfeld verschwanden und irritiert auf die Anbauwand starrten. Es dämmerte ihm allmählich, dass die Ursache der verwunderten Gesichter nicht sein Vortrag, sondern der hin- und herlaufende Hamster war. Ein Schuldirektor mit einem Hamster in der Anbauwand war doch etwas seltsam. Also seufzte unser braver Direktor wieder mal, erzählte von den kleinen „Katastrophen“ im Minizoo, den Tieren und dem Minizoopfleger.

Was sich die Eltern bei seinen Ausführungen dachten, ist nicht überliefert. Unser Hamster lebte nach diesem Abenteuer noch zwei Jahre, allerdings in einem speziell abgesicherten Terrarium. Der „Minizoopfleger“ hätte dies auch auf seine Mäuse anwenden sollen, um sich eine seltsame Verwandlung zu ersparen, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Der Schulclub der Heineschule war Anlaufstelle für viele Schüler aus der Umgebung. Dort gab es Spielautomaten, einen Kraftraum, einen Tischtennisraum und eine Art Treffpunkt mit Getränkeausschank. Natürlich gab es nur alkoholfreie Getränke. Man saß gemütlich zusammen, in der Woche meistens bis 16:00 oder 17:00 Uhr. In den großen Pausen war der Schulclub für alle Schüler geöffnet und man verpflegte sich dort.

So auch an diesem Donnerstagnachmittag gegen 17:00 Uhr. Unter den anwesenden Schülern war ein Typ, nennen wir ihn Chris, groß, schlank, gut gebaut und ein echter Mädchenschwarm. Er war in meinen Augen ein arroganter und überheblicher Typ, der meistens mehrere Freundinnen hatte und sie nach Strich und Faden betrog. Man hätte fast eifersüchtig werden können, aber sein Charakter war anerkannt fies. Die Mädels bekamen seine Seitensprünge mit, aber einige schienen ein sehr gutes Kurzzeitgedächtnis zu haben, denn sie vergaßen es kurz darauf und schmachteten ihn wieder an. Aber ich dachte an diesem Tag nicht mehr an ihn, denn ich war mit Aufräumen beschäftigt. Ich wollte endlich nach Hause. Langsam leerte sich der Schulclub und auch Chris ging mit einem Freund, ohne sich zu verabschieden. Aber das kannte ich ja von ihm.

Am nächsten Tag erfuhr ich, dass genau dieser Chris auf der B80 tödlich verunglückt war. Im Schulclub herrschte an diesem Tag Trauer. Die Mädchen weinten sich die Augen aus und beschimpften die Schlampe, die ihn überfahren hatte. Ich erfuhr, dass die Frau betrunken gewesen sein soll und Chris keine Chance hatte zu entkommen. Irgendwann tauchten Leute von der Bildzeitung im Club auf und wollten die Gruppe interviewen. Als sie im Club fotografieren wollten, lehnte ich ab. Sie gingen, aber nicht ohne eine Gruppe Jugendlicher hinter sich zu lassen. Zwei Tage später stand in der Zeitung ein Artikel über den tragischen Tod eines Jugendlichen, der von einer alkoholisierten Frau überfahren worden war. Auf dem Bild über dem Text knieten in großer, fast schreiender Aufmachung einige Mädchen weinend mit Blumen, um sie herum standen seine Freunde. Das besonders traurige Mädchen in der Mitte des Bildes sollte seine Freundin sein, mit der er angeblich Zukunftspläne schmiedete. Ich war erstaunt, denn ich kannte das Mädchen. Die angebliche Freundin war am Tag des Fotoshootings zufällig im Club. Eigentlich mochte sie Chris nicht einmal, weil er ihre Freundin schamlos ausnutzte. Das hatte sie mir ein paar Wochen vorher selbst erzählt. Ein paar andere Typen auf dem Foto mochten Chris überhaupt nicht, weil er ihnen die Mädels ausspannte. Da ich die Bild-Zeitung sowieso nicht mochte und ihre verdrehte Berichterstattung schon am eigenen Leib erfahren hatte, versuchte ich in den nächsten Tagen durch Gespräche herauszufinden, was wirklich passiert war.

Nach und nach ergab sich ein ganz anderes Bild. Chris war nach dem Clubbesuch mit seinem Freund Richtung B80 gelaufen, sie wollten noch etwas abhängen, hatten sich Bier gekauft. Meistens gingen sie zu den Kleinen Teichen. Da sie auf dem Weg dorthin schon einige Biere getrunken hatten, entschloss sich Chris zu einer Mutprobe. Er wollte die B80 nicht über die Brücke überqueren, sondern lief einfach über die Fahrbahn, obwohl Feierabendverkehr herrschte. Die junge Frau am Steuer hatte keine Chance. Sie fuhr die erlaubten 100 Stundenkilometer, war sogar noch darunter, als in der Dämmerung plötzlich ein sich drehender und Bier schwenkender junger Mann auftauchte. Obwohl sie sofort lenkte, wurde Chris schwer getroffen. Er starb wenig später an seinen Verletzungen. Seine Selbstüberschätzung brachte ihm den Tod und der jungen Frau einen Amoklauf durch die Presse. Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch, wurde beschimpft und hatte allein durch den schlecht recherchierten Artikel keine Freude mehr am Leben.

Ich empfand Trauer, aber eigentlich mehr für die Frau, deren Leben zwar weiterging, aber mit großen Schuldgefühlen und falschen Anschuldigungen. Eine Woche später tauchte auch noch die beste Freundin im Schulclub auf und knutschte wild mit einem anderen Zukunftsplan herum. Wer war doch gleich Chris?

 

Unser Minizoo an der Schule existierte von 1987 bis 2009. 1989 kam ich an die Heine Schule und brachte meinen Minizoo mit mehreren Terrarien auf dem Handwagen aus meiner ehemaligen Schule (25. POS, Friedrich-Engel), mit, die heute nur noch ein Parkplatz ist. In dieser Schule war der Biologie Raum mein Reich. Kein Lehrer wollte in diesem Raum Unterricht oder Vertretung machen. Die gesamte Wand neben der Tafel hatte Regale mit Terrarien. Dort gab es Hasen, Meerschweinchen, Ratten, Mäuse. Die machten, was Tiere halt so machen, hoppeln, laufen, springen, quietschen, Möhren raspeln, Brot knuspern und nun ja, es roch nach Tier. Das waren Großstadtkinder und -lehrer nicht gewohnt. Einige Kollegen monierten den Geruch, einige die „ekligen“ Tiere, aber am schlimmsten empfanden die meisten das Gewusel. „Die Schüler gucken nur zu dem Viehzeug… Normaler Unterricht ist nicht möglich. Tiere gehören nicht in die Schule.“ Zu der Zeit ging es nicht um Naturschutz, sondern um die eigenen Bedürfnisse. Wie auch immer, ich setzte mich durch, hatte die Wand, meine Tiere, meine Ruhe und meine eigenen Schüler waren das durchaus gewöhnt. Wir sprachen halt darüber. Es waren fast alles Tiere, die schon ein gewisses Alter auf den Buckel hatten und teilweise ausgesetzt waren. Außerdem hatte ich eine AG „Tierpflege“, so wurde das ganze irgendwie doch toleriert. Beim Umzug in die heutige Heine Schule, war man über die Aufstockung des dortigen Minizoos begeistert. Man hatte schon zwei Jahre zuvor eine eigene Ecke eingerichtet, in die ich mich integrierte. In einen Klassenraum durfte aber kein Terrarium aufgestellt werden. Ein Aquarium konnte ich mir aber nicht verkneifen.

Doch nun zur Geschichte an sich, die sich kurz vor besagtem Umzug abspielte. Meine Mentorin, eine ältere Grundschullehrerin mit fast weißem Haar, die mich aus irgendeinem Grund ins Herz schloss, unterstützte mein Projekt an der alten Friedrich-Engels-Schule, wo ich seit 1985 den Schülern vorgesetzt wurde und besagte AG gründete. Ihre sanfte Art beruhigte mein wildes Ich und den Choleriker in mir. Sie schaffte es schnell mich auf Null zu schrauben, was nicht immer einfach war. Die Welt war halt ungerecht und ich mittendrin. Wie auch immer, passierte es damals, dass meine 8 Mäuse ausbrachen. Ich könnte jetzt behaupten, ich weiß nicht wie es geschah. Aber ich weiß eben auch, dass ich mich leicht ablenken lasse und so manches halt offenblieb. Irgendwas muss man ja mit seinen Schülern gemeinsam haben.

Am nächsten Tag meldeten mir Schüler aufgeregt, dass Mäuse durchs Schulhaus flitzten, so zehn bis zwanzig Stück, wie der Hausmeister meinte. Das war natürlich weit übertrieben, änderte aber nichts daran, dass meine Tierchen eben weg waren. Alle 8 Mäuse, mehr waren es nun mal nicht. Also log ich den Hausmeister wahrheitsgemäß an: „Meine können es nicht sein, ich habe nur acht!“ Aus irgendeinem Grunde glaubte er mir und kontrollierte nicht weiter. Meine Minizooleute hatte ich längst angewiesen, sie sollen heimlich Ausschau halten und die Viecher einfangen und keinem etwas sagen, sonst müsse der Minizoo geschlossen werden. Obwohl das meine zweite Sünde war und ich wieder log, konnte ich mich auf meine Truppe verlassen und sie hatte die ausgebrochene Bagage bald eingefangen. Sie ließen sich die absonderlichsten Sachen einfallen, um den Unterricht zu verlassen und auf Suche zu gehen. Eine musste zum Sekretariat und etwas Dringendes abholen, einem zweiten wurde wahnsinnig schlecht, ein Dritter hatte seine Mutter herbestellt. Ein weiterer hatte eine Maus in seinem Klassenzimmer gesehen, sie sich schnell gegriffen und in seinen Ranzen bugsiert. Eine ganze Mathestunde beschäftigte er sich heimlich mit dem Tierchen in der Tasche und teilte mit ihm sein Frühstücksbrot. Schnell hatten wir alle 7 eingefangen. 7? Ach du liebe Zeit, eine fehlte, eine wunderschöne weiße Maus. Der Hausmeister hatte sie aber inzwischen leider gesehen und verdächtigte mich natürlich. Welch absurde Idee! Ich zeigte ihm das Terrarium an dem stand „8 Mäuse (1,7)“, was bedeutete eine Männchenmaus und sieben Weibchenmäuse wohnten hier. Ich zählte sie ihm vor und da Mäuse sehr schnell sind, konnte ich eine Maus zweimal zählen. Also konnten logischerweise die von ihm gesichtete Maus nicht aus meinem Minizoo stammen. Gut das war die dritte Lüge und ich nahm, die Hölle in Kauf. Doch wo war nur die verflixte weiße Maus?

Inzwischen war Ingrid Z., meine Mentorin, mit ihrer fünften Klasse von einer Wanderung wiedergekommen. Die Kinder standen vor der Klassenraumtür und zappelten ein wenig herum. Mahnend hielt Ingrid den Zeigefinger in die Luft. „Wir müssen jetzt ganz leise in den Raum gehen“, sagte sie in ihrem typischen Grundschullehrerton. „Der Lauteste von euch verwandelt sich nämlich sonst in ein Mäuschen!“, sprachs, machte die Tür auf und starrte auf ihren Lehrertisch, wo eine weiße Maus brav saß und sich putzte.

Ingrid alarmierte mich und ich machte auf den Schreck eine Mäusestunde sehr zur Freude der Kinder. Sie nahm mich später ins Gebet, erzählte mir, dass ich sorgfältiger sein müsse, manche meinen Minizoo nicht so gut fanden und ich nicht all das Gute, was ich tat nicht mit dem Hintern einreißen sollte. Im Prinzip die üblichen Ermahnungen, die mich schon immer begleiteten. Doch bei Ingrid kam noch ein verschmitztes Lächeln hinzu und als ich ging, sagte sie noch: „Aber eigentlich bin ich der Maus dankbar.“ Mein weißes Mäuschen bekam an diesem Tag eine Sonderportion und ich sonnte mich bei diesem versteckten Lob.                       

Eine Delegation der Heinrich-Heine-Schule zu Halle/Saale besuchte im Januar 2011 die tschechische Bruderrepublik, um sich mit den Mysterien der dort ansässigen Erdschweine auseinanderzusetzen. Nachdem sie zu frostiger Stunde artig den Bus erwarteten, streiften sie kurz darauf den Fichtelberg und besetzten denselben. Nach eingehender Begutachtung des Geländes und diverser Getränke beschloss die zitternde Delegation von hinnen zu reisen und im weiteren Verlauf die Tschechei einzunehmen. In dem Städtchen wo die Geliebte Karls des IV. nach einer Nacht fragte: „Karlo wie war i“, zu Deutsch Karlovy Vary, bewunderten wir zuerst das sozialistische Denkmal des steinernen Hotels um hernach diverse Zigarettenstände zu begutachten und uns mit den Feinheiten böhmischer Küche vertraut zu machen. Ab und an ließ auch dieser oder jener ein Och und Ach, ob der schönen Gebäude hören, obwohl das Klappern der Zähne gemeinhin weitaus mehr hörbar war. 40 oder 50 legal erworbene Stangen Zigaretten und Oblaten weiter, kamen wir in Loket an.

Loket ist ein kleiner Ort, der sich in den Ellbogen des Egers eingekuschelt hat. Hier herrschten bei unserer Ankunft minus 5 Grad und ca. 3000 Einwohner. Das war nicht weiter schlimm, weil wir unser eigenes Hotel hatten und unser eigenes Essen. Dies war vor den Bewohnern in einer 3m tiefen Grube geschützt. Aus dem Leben des Schweines erfuhren wir nichts, aber viel bei einem 500 Meter langen Stadtrundgang. Nach diesem kulturhistorischen Genuss wurde das Erdschwein aus der Grube geborgen und unter Applaus zerteilt, um dann erst auf Tellern und dann in Bäuchen verteilt zu werden. Das Erdschwein hatte nur ein kurzes Leben und eine noch geringere Halbwertszeit. Die abschließende Dienstberatung konnte leider nicht zu Ende geführt werden, da der Walzer und andere sehr schöne Schlager den Vortrag durch Becherovka und Bier ersetzten. Trotzdem kamen noch diverse Klassenkonferenzauswertungen zum Tragen. Auch ein Bier und ein Schnaps können einen echten Lehrer nicht verdrängen. Nur der Hausmeister schwieg, er dachte wohl ans Nageln.

Nach der abendlichen Dienstbesprechung und weiteren Trinksprüchen ging es morgens zum gemeinsamen Frühstück. Die Männer servierten ihren Frauen Kaffee und hartgekochte Eier, was diesen sehr gut schmeckte. Das Frühstück verging wie im Fluge und wir machten uns auf den Weg zum Schloss. Inmitten von Gängen und altem Gemäuer wurde uns die mittelalterliche Zucht und Ordnung demonstriert und jeder wunderte sich, warum das nicht mehr der psychologische Ansatz der heutigen Schulpolitik sein sollte. Doch als frischgebackene Erdschweinesser fanden wir die eisernen Werkzeuge der Folterkammer dann doch zu hart, hatten noch ein Rendezvous mit seltenen Porzellanfiguren und dann ein Stelldichein am Bus, der uns belud und gen Heimat transportierte. Unterwegs trafen wir noch auf Franzisbad und diverse „Kleine Feiglinge“ und andere Liköre. In Eger wurde neben einer Stadtbesichtigung die Markthalle mit starkem Euro aufgekauft. Nach dem langsamsten Essen (Bestellzeit 50 Minuten) der Welt verabschiedeten wir uns von Chleb und zogen uns hinter die Grenze zurück. Diverse Schlager und andere Muntermacher mit sehr anregenden Texten wie „Komm unter meine Decke, du Schnecke“ begleiteten uns in die Heimat. Nachdem wir die Schnecke hinter uns gebracht hatten, konnten wir sagen: „Mann eh, war das schön“, stiegen in die Autos und danach zu Hause auf die Couch.

Wenn man sich einen Gärtner vorstellt, erwartet man eigentlich nicht so einen Typen wie Herrn Kieschke. Hemdsärmlig, mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen und drei-Tages Bart nimmt der Mitfünfziger Platz in meinem Büro für ein Interview und schon kurze Zeit später sprudeln im die Worte aus den Mund. Nicht unbedingt wie ein Wasserfall, aber ein stetiges Plätschern ist es schon. Womit wir schon bei seinem Haupt- Lieblings- und Notfallthema sind – dem Wasser. Aber der Reihe nach.

Dieser Herr Kieschke, seines Zeichens alles Mögliche, aber kein Gärtner, ist Lehrer an der Heinrich-Heine-Schule und hat einen Garten übernommen. Er ist ein sogenannter Quereinsteiger und fand, dass es an der Zeit ist, nach seinen vielen Rollen unter anderem als Industriedesigner, mal wieder etwas Anderes zu machen. Dabei ging es ihm nicht (nur) um den Garten an sich, sondern auch um die Herausforderung. Eine Einstellung, die in der heutigen Zeit den Hut ziehen lässt. Also lässt er sich auf das Abenteuer vor einem Neustädter Block in der Nähe der erwähnten Schule ein und legt dort auf einem Platz einen Garten mit Hochbeeten an. Natürlich haben einst die Zeitungen und sogar das Fernsehen über das Projekt, das vor zwei Jahren startete, berichtet. Doch wie das so ist, die Berichte sind euphorisch, allein die Arbeit bleibt. Und so entsteht etwas Grünes im Grünen. Von den umliegenden Mietern zunächst argwöhnisch und dann mit Wohlwollen beobachtet, von der GWG, Papenburg, HA-NEUer, Klöpfer Holz, Raab Karcher, Umweltamt und IBR Herbst unterstützt, entsteht ein eigenes Paradies. Auch die Stadtwerke sind von der Partie und haben ihm einstweilen schon eine Richtlinie fürs Sponsoring gesendet. Nun haart Herr Kieschke gespannt auf das, was nach den Richtlinien kommt, denn zum perfekten Garten Eden fehlt es noch einiges, vor allem aber fehlt Wasser. Derzeit bekommen es die gärtnerbereiten Schüler quer über die Straße aus dem Versorgungskeller der HA-NEUer, wo nur besagter Herr Kieschke reindarf. Er nennt es den sensiblen Bereich. In dem Raum gibt es Technik für die Mieter eines Blocks und da darf nix verstellt werden, sonst hat die Aktion ein Ende – Strom und Wasser auch.

Es ist mühsam die Schläuche bis dahin zu verlegen und dauert seine Zeit, die manchmal nicht da ist. Schüler ja gern helfen, aber eine Unterrichtsstunde ist nicht ewig. Von der Schule ist es zwar nur ein kleiner Weg, der aber trotzdem Zeit kostet. Die Werkzeuge schleppt unser Gärtner noch im Auto mit. Doch Gott sei Dank ist eine Hütte aus Spanplatten im Entstehen. Dort gibt es nach Fertigstellung einen Raum für die Mieter, einen Raum für die Lehrer und einen großen Raum für Werkzeug und Schülereinsatz.

Die Schüler sind seine Garten AG, aber er möchte dieses Projekt auf viele Schultern verteilen und sieht es als offenes Projekt von den 7.- 9. Klassen an. Neben seinem Kollegen Daniel Lopez helfen ihm drei junge Leute von Uni, mit dem Namen Vianne Vogt, Tillmann Dunte und Marco Fleischer.

So hat der nachdenkliche Mann nicht nur Enthusiasmus, sondern auch Träume. Sein Garten, nennen wir ihn mal Heine-Eden sollte sowohl von den Mietern als auch von den Schülern und mehreren Lehrern beackert werden. Denn dieses „Eden“ braucht Hilfe. Der Knöterich macht sich breit und die Erde wird trocken, womit wir schon wieder beim Wasser wären. So ein Wasseranschluss kostet schlappe 5000,- € und ein wenig kommt Thomas, so heißt der gute Mann mit Vornamen, ins Schwärmen, wenn er von seinen weiteren Träumen spricht. Dann denkt er schon mal an computergesteuerte Beregnung am Wochenende oder in den Ferien.

Doch im Moment werden noch mühsam viele Schläuche verlegt, über die Straße zu besagtem Keller. Der hat auch einen Wasserzähler, weil einige Mieter Bedenken hatten, dass der Wasserpreis auf ihre Schultern verlegt wird. Es sind letztendlich zwar nur ein paar Cent, aber das läppert sich halt auch.

Ich besuche den Garten, der inzwischen von einem Staketenzaun umzäunt ist und komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da wächst neben besagten Knöterich einiges; Stachelbeeren, Bohnen, Kartoffeln und zwar „lilane“ und rote wie Thomas den Schülern erklärt. Seine heutige Klasse ist eine DAZ Klasse, die den Garten wässern will und nebenbei für seinen Kunsterziehungsunterricht noch Zeichnungen von den Pflanzen macht. Barfüßig stampfen einige Schüler über den sich bildenden Schlammboden bei der Bewässerung, während andere die Natur kopieren. Eine Kieschke Integration der natürlichen Art, denn die DAZ Klasse ist eine Klasse mit Migranten aus einigen Ländern. So werden dann Wildblumen, Kräuter, blühende Kartoffel und Kornblumen im wahrsten Sinne des Wortes aufs Korn genommen. „Nur das mit dem Wasser ist mein Hauptproblem“, seufzt Thomas Kieschke und schaut in den Himmel der sich allzu blau am Himmel spannt. Es verspricht in nächster Zeit heiß zu werden. Immerhin kann ich ihm 60 Meter Schlauch als Sponsoring geben. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber Thomas lächelt trotzdem unverzagt.

Herr Sauer ist alles andere als sauer, als er auf dem Markt eintrifft und die Mädels sieht.  Mit ihnen soll er zum Schlemmermarkt in Halle an der Saale gemeinsam auf der Bühne kochen. Herr Sauer ist seines Zeichens Koch und die Mädels sind aus der Heinrich Heine Gemeinschaftsschule und haben viel Bock, wie man im jugendlichen Neudeutsch sagt, auf ein wenig Spaß und gemeinsames Kochen. Mit dabei ist Sophie aus dem Neuen Städtischen Gymnasium. Kein Wunder, ist sie doch als Hansemagd Ketlin des Hallischen Hansevereins e.V. diesem oder jenem durch das Hansefest bekannt. Dazu gesellen sich noch zwei Erwachsene. Eine echte Gemeinschaftsarbeit organisiert von der CMF-Eventberatung, dem Hallischen Hanseverein e.V, unter Mitwirkung der Gemeinschaftsschule Heinrich Heine und dokumentiert in Wort und Bild vom MSW-Welten Verlag. Das kann ja nur etwas werden. Heute am Sonntag sind die Temperaturen auch etwas angenehmer als gestern und schon wuseln die fleißigen Helfer in der Kochzeile, die von Micheel dankbarerweise gestellt wurde, herum.

Der Koch hat neben allerlei Grünzeug viel Obst, aber auch Hühnerfleisch mitgebracht, schnallt sich sein Mikrofon um und dirigiert souverän die illustre Runde. So können die Zuschauer an den Biertischen unterhalb der Bühne live die kleine Kochshow miterleben und wissen, wer was und warum zu tun hat. Für den weiten Markt und den symbolträchtigen Türmen Halles haben die Kocheleven nur wenig Sinn und noch weniger Zeit, da sie allerhand zu tun haben, heißt es doch schneiden, schnippeln, braten, dünsten und einiges mehr.  Daniel Sauer hat den Überblick, erklärt knapp, aber immer herzlich, was ein jeder machen soll. Er ist nicht nur begeistert von seiner Mannschaft, sondern meint auch, dass vielmehr Jugendliche kochen sollten. „Viele Ideen kommen erst beim Kochen“, meint er und ist schwupp, schon wieder bei den Mädels, um Anweisungen zu geben. Trixie schneidet die Zwiebeln und verjagt damit den Kameramann, der allzu dicht herankommt und die freiwerdenden Dämpfe gar nicht abkann. Sylvia kümmert sich mit Sophie um den Schinken, Happiness und Josie  schneiden Obst für den Smoothe, Lena ist für den Salat zuständig, Anna-Lena kümmert sich um das Hähnchenfleisch. So köchelt, brutzelt, brät, mixt und rührt die Truppe fast zwei Stunden lang, während unterdessen eine lange Bankreihe vor der Bühne zum Verkosten aufgebaut wird. Die CFM Leute haben einen eigenen Stand und versorgen die Schüler mit Getränken. Es müssen nicht immer Riesenevents mit bekannten Stars sein, auch die kleinen unbekannten Stars haben eine ganze Menge zu bieten. Kochen für Halle eben. Auf dem Schlemmermarkt wird einiges exotisches geboten, unsere Kochkünstler machen ihre Smoothes, Salat, das Hauptgericht und das Süppchen aus heimischen Mitbringsel des Kochs. Ein Hansemitglied bringt sogar persönlich ein Kräutertütlein mit, das sie ein paar Stunden aus ihrem Garten mitgebracht hat. Sie war am Vortag am Kochen beteiligt und hat heute frei, ließ es sich aber nicht nehmen,  mal vorbeizuschauen.  Irgendwann ist auch das letzte Blatt Salat verbraucht und das letzte Stück Fleisch verbraten und es heißt kosten und essen. Viel haben die Mädels gekocht, viel zu viel, da kann man noch etwas für die Familie mitnehmen.

Doch in gemütlicher Runde wird jetzt mit Daniel über das Essen philosophiert und diskutiert. Daniel Sauer mag die viele Cola nicht, die die Mädels trinken und preist ihre Smoothies an, die eigentlich allen gut schmecken. Die Mädels der Gemeinschaftsschule Heinrich Heine und Sophie haben sich gut geschlagen und stellen ihre Speisen dem zuhörenden Publikum vor. Etwas gewöhnungsbedürftig sieht der Burger aus, da die Brötchen tiefschwarz gefärbt sind. Scherzhaft bemerkt der Kameramann, dass seine Frau diese Dinger mal weggeschmissen hat, als er sich daran versuchte. Nur waren seine schwarzen Burger verkohlt. Ein kleiner, aber feiner Unterschied, der geschmackstechnisch zu unterscheiden ist. Nebenbei informiert Daniel noch von seinem Kochbullen Team aus Leipzig, dass nicht nur Catering  und einen Mietkoch anbietet, sondern auch eine Kochschule betreibt. Somit hat er viel mit Jugendlichen zu tun oder besser zu kochen und nennt das Kochen seine Berufung. Erfahrungen hat er auch schon beim Besuch anderer Länder gesammelt und sich deren Kulturen wohl über den Gaumen einverleibt.

So ist es denn ein fröhliches Auseinandergehen und der Koch möchte gern im Kontakt bleiben und wer weiß, vielleicht nimmt er sogar am Kochduell eben jener Heine Schüler teil, die Ende September in einem mittelalterlichen Kochwettbewerb gegen ihre Lehrer antreten wollen. Das wird dann mal etwas Besonderes.

Es war kurz nach der Wende. Das Land krempelte sich um. Alte Strukturen gingen, neue kamen hinzu, es wendete sich unter dem Himmel in Halle-Neustadt an jeder Ecke. Manchmal ganz leise, manchmal auch ziemlich laut. Es war die Zeit, als man Direktoren aus dem Kollegium wählte. So auch Ingo, ein schlaksiger Lehrer, der einen guten Ruf hatte, dem man aber beim ersten Hinsehen eher einen Naturburschen mit Woodstockfeeling ansah. Wie dem auch sei, man machte ihn zum Direktor der Heine Schule. Wir kamen beide gut aus und er förderte meinen Minizoo und auch den Schulclub, der sich im Keller befand und den ich jede Pause und am Nachmittag bis 16.00 Uhr betrieb. Ab und an war er Gast da unten. Wir hatten dort eine Schülerbar, einen Tischtennisraum, einen Kraftsportraum und es trafen sich dort Schüler aus unserer und anderen Schulen. 4 Mädchen und zwei Jungen waren jeden Tag als feste Schulclubmitglieder mit dabei und halfen beim Verkauf oder der Betreuung in den Sporträumen. Das alles gibt es heute nicht mehr, der Schulclub ist heute einem Pausenverkauf gewichen. Alles ist in der Jetztzeit viel organisierter, bürokratischer und lehrerhafter.    

Eines Tages, ich hatte gerade eine Biostunde angefangen, riss Ingo die Tür auf. „Du musst sofort mitkommen, ich habe einen Anruf von Herrn R.“ Herr R. war der Direktor einer Schule im Osten Halle- Neustadts, Nahe der Feuerwache. Unsere Schuler nutzten dort im Fach Wirtschaft die Küche, weil wir selbst keine hatten. Ingo hatte schon eine Vertretung für mich im Schlepptau. Wir liefen eiligst zu seinem Trabant und meine erste Frage war: „Worum geht’s?“ „Die 10d“, zischte er und sein Blick verfinsterte sich. Ich ahnte Schlimmes. In der 10d befanden sich ein Grüppchen von 6-8 Jungen, die stark rechts eingestellt waren und die hatten heute Wirtschaft in der Schule von Herrn R. „Wir müssen die abfangen und zu uns zurückbringen.“

Kaum waren wir angekommen, bot sich uns ein seltsames Bild. Vor der Schule hatten sich mehrere (es waren mindestens 80) Schüler aufgestellt, mit Knüppeln bewaffnet. An verschiedenen Ecken standen Fotografen und warteten auf das, was da kommen würde. Polizei ward nicht gesehen. Ingo bahnte sich einen Weg zum Direktor, der hilflos in der Eingangstür stand und nicht wusste, was er machen sollte. Ich stand vor den Massen und war entsetzt. Die Gesichter sagten nichts Gutes aus. Endlich erblickte ich einen Jungen, den ich vom Schulclub her kannte. Ich ging auf ihn zu. „Worum geht es hier?“ „Die rechte Sau Stephan hat gestern die Mutter von ihm hier“, er deutete auf seinen Nachbarn, „dafür wird er büßen.“ „Wie jetzt zusammengeschlagen?“, bohrte ich. Es stellte sich heraus, dass es tatsächlich am Abend zuvor eine Auseinandersetzung mit der rechten Gruppe gab. Das Zusammenschlagen der Mutter entpuppte sich allerdings als ein nicht gewollter Schlag von Stephan, weil die Frau unvermutet dazwischenging. „Ah ja und deswegen der ganze Pulk mit Knüppeln für einen Mann“, ich konnte mir die Bemerkung nicht verkneifen. Inzwischen hatte sich eine ganze Gruppe um mich und meinen beiden „Gesprächspartnern“ gescharrt, die durcheinanderschrien. „Der hat ja noch seine Faschos mit…Die kriegen eine auf die Labbe… Totschlagen das Gesocks…“ Es herrschte eine brodelnde, gefährliche Stimmung. Jeden Moment konnte auch die Jungensgruppe der 10 d auftauchen. Sie ahnten noch nichts von dem, was hier abging. Ingo kam dazu. „Nun beruhigt euch mal, ihr könnt hier nicht Krieg spielen.“, mahnte er. Vor ihm baute sich ein Typ mit einem riesen Knüppel auf. „Sagt wer?“ Warum ich daraufhin dem Typen den Knüppel wegkickte, weiß ich nicht, aber seltsamerweise wachse ich bei brenzligen Situationen über mich heraus. Das war schon in meiner Jugend so, als mich in der achten Klasse zwei Typen auf den Kicker hatten, mir nachstellten und auch mal ins Gesicht schlugen. Solange ich flüchten konnte war alles gut, bis auf das eine Mal, als sie mich auf dem Schulhof in eine Ecke gegen einen Holzzaun drängelten. Da war kein ausweichen möglich. In meiner aufkommenden Wut, bei der die Angst völlig von mir wich, brach ich eine Latte aus dem Zaun und schlug die Beiden in die Flucht. Dabei hatten sie noch Riesenschwein, da in der Latte noch 80iger Nägel steckten. Zum Glück hielt ich in der Raserei die Latte verkehrt herum. Seit diesem Tag gingen sie mir tunlichst aus dem Weg.

Der Typ, nun ohne Knüppel, starrte mich fassungslos an. Ich schaute ihm lange in die Augen und sagte ganz langsam und ruhig: „So jetzt lässt sich‘s vernünftig reden.“ Dann drehte ich mich zu dem Pulk und rief laut: „Ich schlage vor wir klären das in meinem Schulclub in aller Ruhe. Da kommen die Leute, die es betrifft und du“, ich zeigte auf den knüppellosen Typen, der immer noch vor sich hinstarrte, „dann der Stephan und da kotzen wir uns aus. Das was ihr hier veranstalten wollt, hilft niemanden, ist feige und hat auch bittere Konsequenzen. Und die Reporter“, ich sprach jetzt extra laut, schrie schon fast, „scheren sich keinen Deut um euch, die wollen nur ihre Story. Das ist genauso Schwachsinn.“ Ingo unterstützte mich, hielt auch eine kleine Rede und wir hatten uns nach einigem Hin und Her geeinigt. Der Pulk strömte langsam ins Schulhaus zurück, die Knüppel flogen in die Büsche, die Reporter sahen ein, dass hier nichts mehr zu holen war, als plötzlich unsere rechte Gruppe auftauchte. Ich begab mich sofort zu ihnen. Sie hatten aber die Situation schon gecheckt. ich sagte ihnen, was wir mit den Schülern vereinbart hatten und sie stimmten sichtlich erleichtern zu, natürlich nicht ohne ein paar blöde Bemerkungen über Zecken. Die Sache war erledigt, dachte ich, als plötzlich aus dem Nichts der Achte im Bunde um die Ecke bog und laut schrie: „Nieder mit den Zecken.“ Der Typ war einfach betrunken und kam deshalb zu spät. Mit einem gewaltigen blitzschnellen Lauf, den ich mir selbst nicht zugetraut hätte, lief ich auf den wild gestikulierenden Typen zu, riss ihn zu Boden, nahm ihm am Hals, hob die Faust und flüsterte ihm rasend vor Wut ganz nah ins Gesicht: „Solltest du nur ein Wort sagen, mache ich dich fertig. Atme nicht mal laut“ Seine Gruppe sammelte ihren völlig verwirrten Genossen auf und wir gingen gemeinsam zur Straßenbahn. Ingo hatte mich im Hintergrund abgesichert und ein paar Restschüler die erstaunt die Szene betrachten, auf Abstand gehalten. Meine rechte Gruppe war recht schweigsam und Stephan bezahlte mir die Fahrt zu unserer Schule. Im Schulclub verbrachten wir noch die Restzeit bis zur nächsten Stunde. Ich gab eine Cola aus und man setzte mich von den ganzen Vorfällen am Vortag in Kenntnis. Ich war erleichtert. Erst viel später wurde mir der ganze Ernst der Lage bewusst, als ich schweigsam allein im Schulclub saß und eine rauchte. Ich glaube, ich habe noch die nachfolgende Stunde einfach geschwänzt. Aber das war mir in diesem Moment völlig egal.

Epilog

Zu einer Aussprache kam es im engeren Sinne nie, aber man besuchte mich ab und an. Das war schon seltsam, Zecken (Linke) und Rechte zusammen in einem Gespräch, aber das sollte ich noch des Öfteren erleben.

Tiergeschichten

Das kleine Mädchen ging zum Vogelkäfig, „Hansi komm“. Der Vogel, ein Wellensittich, schaute sie aufmerksam an. Monika öffnete die Käfigtür. Im nächsten Moment flatterte er schon fröhlich schnatternd im Zimmer herum. „Hansi, Hansi, du bist mein bester Freund.“, rief Monika vergnügt. Hansi ließ sich auf der Gardinenstange nieder und beobachtete teilnahmsvoll Monikas wildes Treiben. Er schien es schon zu kennen. Jeden Morgen war sie so aufgeregt, wenn sie ihn sah. Monika streckte den Finger in die Luft. „Komm Hansi, komm“, lockte sie. Gehorsam flog der Vogel auf ihren kleinen Finger. Monika schnalzte vergnügt. Sie stupste Hansi mit der Nase an und strich ihm über das weiche Gefieder. Hansi war ihr bester Freund. Wie oft hatte sie mit ihm geredet. Am liebsten hätte sie ihn überallhin mitgenommen. Aber dann sagte die Mama zu ihr: „Der fliegt dir weg. Auch ein Vogel will frei sein.“ Monika wollte, dass es ihrem gefiederten Freund gut ging. Sie liebte ihn, ohne es sagen zu können.

Hansi saß zusammengesunken auf der Stange. Er war müde. Monika ging mit wehendem Nachthemd zum Käfig. „Gute Nacht, mein kleiner Hansi“, flüsterte sie. „Träum was Schönes von mir oder von deinen vielen bunten Freunden. Flieg mir bitte nie, nie weg.“ Monika faltete ihre kleinen Hände. Ihre Kreuzkette zitterte leicht.

„Guten Morgen“, rief Monika fröhlich, als sie das Zimmer betrat. Aufmerksam hörte sie sich im Zimmer um. Plötzlich vermisste sie das gewohnte Tschilpen ihres Freundes. Schnell lief sie zum Käfig. Hansi lag steif auf dem Boden. Seine Augen waren halb geschlossen. „Hansi, wach auf“, Monika rüttelte an den Gitterstäben. Hastig öffnete sie die Gittertür, nahm den toten Vogel vorsichtig in die Hand und streichelte ihren Freund zärtlich. „Wach auf!“, rief sie mit zitternder Stimme.

„Du bist ja ganz kalt!“, sie hielt ihren erkalteten Körper an ihre heiße Wange. Die Zimmertür ging auf. „Mama“, Monika liefen die Tränen übers Gesicht, „Hansi schläft und wacht nicht mehr auf.“ Die Mutter nahm den Vogel in die Hand. „Hansi wird nie mehr aufwachen. Er ist tot“, sagte sie traurig. Langsam schlich Monika aus dem Zimmer. Tot? War er nicht immer gut zu ihr gewesen? Hatte sie nicht für ihn gebetet? Monika verstand die Welt nicht mehr.

„Papa, ist Hansi jetzt im Himmel bei Opa?“, fragte Monika. „Ja, mein Kind“, sagte der Papa. „Jetzt musst du ihn begraben.“ ‚Das werde ich tun‘, dachte Monika, ‚hoffentlich werden die beiden gute Freunde. Du musst ihm dreimal am Tag Körner geben, Opa”, murmelte die Fünfjährige und blickte zum Himmel. Der Vater lächelte und strich ihr zärtlich übers Haar. Monika legte Hansi auf ein weißes Tuch, nahm eine Schippe und ging mit ihrem toten Freund auf den Hof. Dort schaufelte sie in einer stillen Ecke ein kleines Grab, band aus Stöcken ein Kreuz und steckte es in die Erde. Leise summte sie bei der Arbeit ein Lied. Niemand hörte oder sah sie, außer ihrem Vater, der hinter dem Vorhang seine Tochter wehmütig beobachtete. „Schlaf, Hansi schlaf“, Tränen liefen ihr über das Gesicht. Langsam senkte sie Hansi in das Grab, schüttete es zu und glättete sorgfältig den Hügel. Dabei summte Monika wieder ihr Lied. Nie wieder würde sie so schön mit Hansi spielen können, nie wieder würde er so schön tschilpen und die Wurst stehlen können. Mit dem Vogel begrub Monika auch ein Stück ihres Herzens, ihrer Liebe.

Sie weinte. Aus dem Nachbarhaus erklang leise Musik. Mary Ann sang die Temptations. Sie sangen von Sehnsucht und Liebe. Hätte Monika nur ein Wort verstanden, hätte sie noch mehr geweint. Leise wiegte sie sich im Rhythmus.

Tränen fielen auf den Hügel, ließen Gras über Hansi und das kleine blutrote Stück Herz wachsen, wie so oft über traurige Dinge. Nie würde sie ihn vergessen. Niemals! Gott hatte an diesem Tag Wichtigeres zu tun.

 

Die Blondine wippte bedächtig mit dem Fuß. Sie hat ein niedliches Fußkettchen, dachte Chris und malte sich einige Posen aus, die sie vor seiner Kamera machen würden. Ein Detailfoto des Kettchens mit dem Fuß war schon ausgemacht. „Sagen Sie“, ihr Fuß hörte auf zu wippen, „was ich mich schon die ganze Zeit frage, wo haben Sie ihre ungewöhnliche Narbe auf der Stirn her? Die sieht aus wie ein, ein…“ Chris lächelte, wischte sich unbewusst über die Stirn, spürte den weichen Huckel und fragte gedehnt: „Huufeisen?“ Die Blondine nickte etwas pikiert, es schien ihr peinlich zu sein. Chris winkte ab, „Ach was, das fragt mich jeder. Ich bin mit dem Motorrad gestürzt und dabei habe ich mir diese Blessur geholt. Es ist nichts weiter. Darum nennen mich meine Freunde auch Huffi.“ Chris nahm einen kräftigen Schluck Kaffee, während die Blondine an ihrem Sektglas nippte. Ihr Fuß wippte wieder. Sie machte auf dem Barhocker eine gute Figur. Das Licht im Café war etwas diffus und zauberte auf ihrem Gesicht ein kleines Schattenbild. Chris lachte kurz auf. „Es ist, als ob ich von einem Minipferd getroffen wurde. Nee, im Ernst, ich war allein, als es passierte und in einem abgelegenen Wald. Es dauert ein wenig bis zum Krankenhaus. Deshalb die Narbe.“ Die Blondine nickte zufrieden, mehr wollte sie auch gar nicht wissen. „Gut, dann sind wir uns einig. Ich bekomme 12 Bilder, hier ist die Adresse, wo wir uns zum Outdoor-Shooting treffen.“ Chris nahm den Zettel, während er ihr den TFP Vertrag herüberschob, den sie sogleich studierte. Als er die Adresse sah, erstarrte er. Seine Kehle schnürte sich zu. Genau dort geschah es einst. Chris tauchte tief in seine Gedanken ein und sah alles, als ob es erst gestern war. Gestern vor genau 12 Jahren, als er die Koppel unter dieser Adresse betrat.

Chris betrat durch das große Eisentor die Koppel, die etwas außerhalb des kleinen Dorfes lag. Der Morgen war noch diesig, die Sonne brach glutrot aus dem Osten in den Tag. Die Besitzerin wollte noch jeden Moment nachkommen.  Sie musste Wasser für die Tiere mit ihrem Traktor holen. So konnte er sich umsehen. Irgendwo ganz hinten standen ein paar Wallache, darunter ein sehr großes Tier. Ein Riese, dachte er. Chris hatte keine Ahnung von Tieren, schon gar nicht von Pferden. Wozu sollte er auch etwas über Pferde wissen. Ein Tier wie jedes andere. Schließlich sollte er nur ein paar Fotos für die Besitzerin schießen. Natürlich hatte er ihr gegenüber sein Unwissen verheimlicht, schlimmer noch sich als Pferdekenner ausgegeben. Er wollte ja nicht reiten, noch das Pferd unbedingt anfassen.
Der große Wallach bei der kleinen Herde, schien den Fremden zu bemerken und kam langsam auf Chris zu. Irgendwie wuchs das Tier mit Näherkommen. Chris sah die weißen Haarbüschel, die die Hufen verdeckten. Der mächtige Körper schaukelte gemächlich. Im Gras lag eine vergessene Reitpeitsche, die Chris sich erst mal sicherheitshalber griff. Irgendwie war er wie festgenagelt.

Der Wallach stand plötzlich vor ihm und musterte Chris, der sich in die Peitsche verkrampfte. Das Tor war hinter ihm zu. Er hätte es auch nicht öffnen können, weil es ausladend war. Dazu müsste er erst den Riesen nach hinten wegdrängen. Doch das war bei der schieren Körpermasse unmöglich. Der Wallach schubberte an ihm herum und zog eine Tüte aus seiner Tasche, wo wohl noch Brötchenkrümel vom schnellen Frühstück am Bäcker drin waren. Der Pferdekopf war bedrohlich groß und der Wallach kam ihm viel zu nah und drängelte Chris ans Tor. Er wusste nicht, was er tun sollte, noch hatte er eine Ahnung, was das Tier von ihm wollte. Plötzlich erinnerte er sich an die Reitpeitsche in seiner Hand und schlug heftig zu. Es klatschte auf dem Pferdekörper. Der Wallach sprang hoch, drehte sich um die eigene Achse, erwischte Chris mit dem Hintern und schleuderte ihn zu Boden. Dann galoppierte er davon und blieb im nächsten Moment aber abrupt stehen. Langsam drehte er sich zu Chris und senkte den Kopf, fast so als ob er nachdachte. Mit angehobenem Schwanz und angelegten Ohren musterte er Chris, der wie gelähmt am Boden lag. Der Wallach schnaubte, scharrte kurz auf dem Boden und galoppierte auf Chris zu, dann ging er vor ihm mit den Vorderfüßen hoch. Chris sah die riesigen Hufen auf sich zukommen und spürte eine rasenden Schmerz. „Das wars“, durchzuckte es ihn.

 

Das nächste, was er mitbekam, waren die weißen Lichter im Krankenhaus. „Was ist passiert?“, fragten die Ärzte. Chris erzählte die Geschichte. Die Ärzte schüttelten den Kopf: „Das kann nicht sein, die Tiere wiegen über 800 kg, ihr Körper wäre zermalmt worden. Dagegen waren ihren Wunden geradezu winzig. Außerdem war die Polizei auf der Koppel. Sie sind wohl gestürzt und lagen bewusstlos außerhalb der Koppel.“ Chris erinnerte sich an alles genau. Als er seine Wunden im Spiegel das erste Mal sah, bemerkte er die hufeisenförmige Narbe auf der Stirn und seltsamerweise eine identische Wunde auf der Brust. Es war unerklärlich.  

Das alles war nun 12 Jahre her und er war nie wieder in die Nähe der Koppel gekommen. Chris starrte noch immer auf den Zettel. Es war diese verdammte Adresse von damals, als das mit dem Wallach passierte, was jeder bestritt. „Ist irgendetwas mit der Adresse“, fragte die Blondine besorgt, „Wissen Sie, wo das ist?“ Chris nickte. „Ja, ja, alles gut, sind da noch Pferde drauf?“, fragte er. Die Blondine lachte. „Ach so, wegen der Pferde! Keine Bange, das sind die Tiere meiner Freundin. Die sind zwar riesig, aber sanft. Die tun keinen etwas. Man nennt sie ja auch „Gentle Giants“. „Na da bin ich beruhigt“, log Chris. Die Blondine hörte mit dem Fuß auf zu wippen und schaute Chris besorgt an. „Man, ihre Narbe ist plötzlich rot geschwollen. Sind Sie okay?“ „Alles gut“, winkte Chris ab, „Bei einem schönen Model, bin ich immer etwas aufgeregt.“ Er setzte ein gequältes Lächeln auf. „Freue mich auf morgen“, prostete er ihr lachend zu und fühlte, wie seine Narbe auf der Brust zu jucken begann. 12 Jahre dachte er.

Chris mochte diesen Tag nicht, trotz Blondine. Irgendwie tat er sich schwer zu dieser Adresse zu kommen. Es war auch wie damals, alles so merkwürdig ruhig. Zudem lag noch ein Nebel über der Wiese. Seltsamerweise oder Gott sei Dank war kein Pferd zu sehen, das Tor stand weit offen. Chris atmete tief auf. Irgendwie konnte er seine Gedanken noch nicht recht sortieren. Seine Narben fingen an zu jucken. Das Model war noch nicht da. Die Sonne kam blutrot über den Horizont in den Tag hinein. Chris stellte seine Fototasche ab und holte tief Luft. Er wollte sein Objekt schon mal tauschen, als er plötzlich hinter sich einen Atem aus Nüstern im Nacken spürte. Erschrocken fuhr er herum und blickte in die Augen des Wallachs, dessen Kopf über ihm thronte. Der Riese, die Hufen, durchzuckte es ihn. Ein Blick zum Tor zeigte ihm, dass Fliehen unnütz war. Das Tor war seltsamerweise geschlossen. Er musste sich seinem Schicksal ergeben. Der Wallach fuhr mit seinen weichen Lippen über Chris Gesicht, aus seinen Nüstern kam ein warmer Hauch. Erstaunt stellte Chris fest, dass er einen kleinen Bart hatte, fast wie ein Schnauzer. Die Lippen des Pferdes berührten sanft seine Narbe auf der Stirn. Es war ein angenehmes Gefühl. Die Schnauze verweilte einen Moment an seinem Kopf und stupste ihn dann sanft auf die Brust, da wo die andere Narbe war. Chris streichelte vorsichtig den Hals des Riesen. Im Auge des Wallachs schien er sich ein wenig zu spiegeln. Chris spürte eine unendliche Wärme, die ihn durchströmte. Er schloss die Augen und lehnte seinen Kopf an den Hals des Shires.

„Oh, sie sind schon da!“, winkte die Blondine ihm zu und öffnete das Tor. Chris fuhr mit einem Ruck herum und starrte sie und das Tor etwas entgeistert an. „Sehen Sie, da oben steht der Wallach, ein wahrer Riese, aber keine Angst, er ist ganz sanft.“, zeigte sie in Richtung eines kleinen Hügels auf der Koppel. Chris war verwirrt. War er im Stehen eingeschlafen? Die Blondine kam auf ihn zu und schrie plötzlich auf. Chris zuckte zusammen: „Was ist? Kommt er?“ „Wer kommt?“, die Blondine war sichtlich unsicher und zeigte auf seine Stirn. „Ihre Narbe ist weg!? Haben Sie das noch machen lassen? Ist ja komisch“, sie fuhr mit den Fingern über seine Stirn. „Nichts. Alles glatt“, stellte sie verwundert fest. Chris lächelte gequält: „Jaja, die Wunder der Medizin.“ Die Blondine stellte ihren Rucksack ab. „Erst mal so oder gleich Dessous“, wühlte sie schon im Beutel herum. Chris murmelte: „Erst mal so.“ und ließ sie machen. In der Ferne auf der Anhöhe der Koppel stand der Wallache mit einem angewinkelten Hinterbein. Das Pferd schien kurz zu nicken und wieherte vernehmlich. Chris begriff noch gar nichts, fasste sich an die Stirn und an die Brust. Keine Narbe. Plötzlich schrie die Blondine auf. „Verdammt, hier liegt eine Reitpeitsche.“ Sie zerrte an irgendetwas im Gras.  Chris kam näher, die Reitpeitsche war wohl 12 Jahre im Gras verwachsen. So sah es zu mindestens aus. Sie ließ sich einfach nicht herausreißen. „Ich mach es später“, sagte Chris. Der Wallach ließ aus der Ferne ein Wiehern hören. Chris verstand.

 

 

Mein Name ist Goja. Ich bin eine wunderschöne schwarze Schäferhündin mit ganz lieben Menschen um mich, die mich meistens etwas spät, aber doch ganz gut füttern. Ich kann dann richtig schön winseln und im Gesicht meiner Lieblingsmenschin lecken, die mit 1,60m nur etwas größer ist als ich.

Im Moment kommt immer nach dem Wochenende die Freundeskugel mit Namen Micha, um mit mir spazieren zu gehen. Er freut sich, dass ich bei seinem Anblick nicht vor Freude hochspringe und belle, sondern ganz ruhig bin. Er ist ganz stolz darauf und nennt das Erziehung. Das ist hundemäßig gesehen, etwas dümmlich, weil er ja nicht zu meiner Hausausstattung gehört und mich noch nie gefüttert hat. Nun ja, ich lecke ihm auch mal das Gesicht und er verzieht dieses, als ob er die schönste Art der Begrüßung nicht mag. Menschen, auch kugelrunde, sind komisch. Er quatscht mich erst ein wenig voll und ich warte darauf, dass er die Leine schnappt. Keine Ahnung, was er will, aber wir gehen spazieren. Endlich wieder schnüffeln, wer wo sich wälzte oder seine Spur hinterließ. Da gibt es gute Rüdenspuren und -marken, aber eine Genießerin genießt halt schweigsam. Meine kugelrunde Ausgehhilfe bleibt meist geduldig stehen. Er hat zwar keinen Geruch und kann diese feine Erotik nicht mal annähernd kennen lernen. Menschen sind schon mal arm dran. Micha ist aber lieb, labbert mich voll und will weiter gehen. Ich erlaube es ihm meistens.

Heute geht es aber zu seinem Auto. Ich kenne es schon, hab es schon oft dreckig gemacht, wenn er mich nach einem Spaziergang mit meinem Lieblingsminimenschen, die auch meine Anführerin ist, nach Hause fährt. Er brummelt dann etwas von Dreckspatz, was in Hundesprache eine große Ehre ist. Wir fahren los und sind schon bald da. Gott sei Dank. Spaziergänge im Auto machen sich für meine Größe nicht gut. Da muss man schon die kleinen Selbstgestrickten mitnehmen. Ob das Hunde sind, weiß ich nicht so genau, sie riechen zwar so, machen unheimlich Krach, aber sind sonst so, wie die Evolution es sich nie hätte einfallen lassen. Menschen sind schon komische Gestaltenwandler.

Egal, endlich geht es raus. Kugelrundmicha lässt mich schon bald allein gehen und jammert nach einem winzigen Wegstück über seine Knie, auch sonst ist sein Körper immer ein wenig lädiert. Er brummelt etwas von 2km und ich bin noch nicht mal warm geworden. Wenn er wüsste, was ich alles errieche, hier ein Rüde, der hinter jeder hinterherjagt, dort der Haufen gehört einem Winzling, sie war schon mal trächtig. Interessante Spuren, ich könnte stundenlang weiterlaufen. Micha geht zum Wasser, er nennt es Saale und schaut minutenlang in das dahinrauschende Wasser. Ob er auch von schönen großen Rüden träumt? Ist er eigentlich auch ein Rüde? Wie mein Menschlein riecht er nicht, eher wie ihr Freund, der auch bei uns wohnt. Ist ja auch egal. Ich mag das Wasser, es fließt schön um die Beine und da sind auch silbrige Dinger drin, die man schnell schnappen kann. Außerdem lässt es sich nach den Wassertröpfchen so gut jagen. Micha scheint aber sehr darüber erschrocken zu sein und denkt vielleicht, ich ertrinke oder schlimmeres. Er fordert mich zu sich und da ich eine gute Hündin bin, tu ich ihm den Gefallen. Dafür lobt er mich. „Das hast du fein gemacht.“, sagt er und ich meine, er hat das auch fein gemacht.

Wir gehen noch zu einem Felsen, da geht die Post ab. Er versucht ein Stöckchen wegzuwerfen und denkt, er kann es mir abjagen. Ha, ich renne auf ihn zu, er macht sich noch breiter, als er schon ist, gibt grauenhafte Geräusche von sich, will gefährlich aussehen, was natürlich aus Schäferhundsicht lächerlich ist, aber Spaß macht. Doch zack, bin ich schon an ihm vorbei, er rennt hinter mir her und japst. Das Stöckchen hab ich sicher. Das macht er noch dreimal und jammert jetzt etwas von seinem Herzen. Das Ding dröhnt in meinen Ohren ganz schön laut und ich lass ihn erst mal in Ruhe ausjapsen. Derweil kann ich ja weiter nach den wunderbaren Gerüchen suchen.

Komisch finde ich immer, dass Menschen meine große Hinterlassenschaften mitnehmen. Ich kann das ja nicht brauchen, auch wenn es schön riecht. Er guckt es sich zwar an, schnüffelt aber nicht mal daran, was ja hündisch gesehen, völlig doof ist. Irgendwann hat er von meinem Spielzeug genug und wirft es in irgendwelche Behälter. Vielleicht sammeln Menschen so etwas, um einen Garten der Gerüche aufzubauen. Das wäre vernünftig und sehr sinnvoll. Ein Hundeparadies. Na, wie auch immer, das kleine Geschäft scheint Menschen gar nicht zu interessieren, dabei ist das die reinste Hundewelt. Da hinterlasse ich schließlich meinen Namen. Goja, weiß dann jeder Hund, der hier vorbeikommt und ich erkenne mich auch das nächste Mal wieder. 

Micha schaut auf so ein Gerät und murmelt etwas von Orientierung. Sag mir, wo der nächste Haufen ist und ich sag dir, wer hier war und wo ich bin. So einfach ist die Welt.

Wir sind wieder beim Auto. Ich springe in den Kofferraum und weiß, dass Micha beim Aussteigen mich ganz doll lobt und Dreckspatz zu mir sagt. Gern geschehen, kugelrunder Micha.

Der Spaziergang auf Podcaster

Es war einmal eine wunderschöne kleine Drohne, die in den Tag hineinlebte. Sie schwirrte von einem Blumenfeld zum anderen. Sie war nett und freundlich und hatte die tollsten Ideen, wie man die Welt gestalten kann. Freilich hielt sie es nie lange an einer Stelle aus, denn sie war ständig auf der Suche nach der Selbstverwirklichung. Hatte sie mal keine Lust zum Fliegen, fand sich immer jemand, der sie mitnahm und auch mal fütterte. Ein schönes Leben.
Eines Tages traf sie auf einem kargen Landstrich eine Biene, die gerade ihren Bienenstock verloren hatte und nach neuem Anschluss suchte. „Wenn du mich mitnimmst“, sagte die Drohne, „zeige ich dir meine Ideen und du brauchst keinen Bienenstock mehr.“ Und die kleine Drohne erzählte von ihren fantastischen Träumen. Doch zuerst müsse man ja den Landstrich mit geeigneten Blumen bepflanzen, um den Nektar zu ernten. Natürlich hatte die Drohne einen Plan, doch fehlte ihr der Samen für die Blumen. „Da hab ich eine Idee“, rief die Biene und schwirrte ab. Mit unermüdlichen Eifer sammelte sie Samen und bestellte das Feld, fütterte auch mal die kleine Drohne und trug sie von Ort zu Ort. Die kleine Drohne besah sich die Sache und befand sie für gut. „Wir sollten uns um andere Bienen kümmern, wenn wir ein wenig mehr sind, wäre es doch toll“, sagte die Drohne und die Biene tat ihr Bestes. Sie pflegte die Blumen, kümmerte sich um andere Bienen, transportierte den Samen und den Nektar und selbst wenn die kleine Drohne mal etwas verschusselte, nahm ihr das die kleine Biene nicht krumm. Manchmal, nur manchmal, waren die Ideen der Drohne so tolldreist, dass die kleine Biene sich fragte, wie sie das bewerkstelligen sollte. Blumen bis zum Mond oder Blüten, die im Mondschein nicken, waren selbst für die fleißige Biene zu viel. So gedieh der Landstrich prächtig. Bergauf und talabwärts waren die kleine Drohne und die fleißige Biene bald bekannt. Unermüdlich sorgte die kleine Biene dafür, dass das gemeinsame Werk der beiden bekannter und bekannter wurde. So hatte im Laufe der Zeit die kleine Biene viele Bekanntschaften geschlossen und sich auch auf anderen Landstrichen umgesehen. Sie ging sogar kleine Bündnisse ein, um ihre Drohne besser zu unterstützen, denn gar schwer war die Last der kleinen Biene.
Die Drohne besah das Werk und befand es für gut.
Überall stolzierte die kleine Drohne übers Land und verwies auf ihre Ideen und wie schön sie geworden seien. Doch die kleine Biene wollte mehr und beschloss ein Teil des Feldes umzugestalten, schließlich hatte sie ja auch für die notwendigen Materialien gesorgt. Die Drohne sah es und es gefiel ihr gar nicht mehr. „Meine Idee wird vernichtet“, schrie sie. Die kleine Biene stutzte: „Aber ohne die Hilfe der anderen Gruppen geht es nicht weiter“, sagte sie. Das kümmerte die kleine Drohne überhaupt nicht. „Schau wie das Feld aussieht, da ist kaum noch eine Linie drin. Man kann mich auch gar nicht mehr sehen und erst recht nicht meine Ideen“, trampelte sie wütend mit den Füßen. Da ward die kleine Biene traurig, „Hab ich dir nicht alles gegeben, hab ich dich nicht oft genug gefüttert, alles besorgt, was du haben wolltest, hab ich nicht viel Arbeit hineingesteckt.“ Die kleine Drohne sah das gar nicht ein: „Du machst alles nur zu deinem Ruhm, damit jeder über dich spricht, mich vergisst du und was wir einst wollten. Ich suche mir einen anderen Landstrich.“ Da ward die kleine Biene traurig und flog der Drohne ein klein wenig her. „So versteh doch, einen so großen Landstrich kann man nicht nur mit deinen Ideen bestellen.“
Doch die kleine Drohne war unbeirrbar in ihrer kleinen Welt. Sie fühlte sich verraten und alleingelassen und vergaß die gemeinsame Zeit mit der kleinen Biene und den anderen aus der Gruppe. „Ich bin kein Mitflieger“, brummte sie beleidigt und schwirrte in das Reich der neuen Ideen und Träume. „Das ist wohl wahr“, summte die kleine Biene. „Mitgeflogen bist du nicht, hast dich tragen und füttern lassen, hast deine Ideen mit dem Material der anderen ausgefüllt.“ Ein wenig wehmütig schaute die kleine Biene der Drohne nach, ging ihr doch diese Trennung sehr, sehr nah. Dann wand sie sich wieder ihren Blumen zu, wo schon die anderen Bienen warteten.
Die kleine Drohne aber philosophierte vor sich hin, flog auf der Suche nach der Selbstverwirklichung unbeirrt weiter und war überzeugt, ihr Lebenswerk noch zu schaffen. Sie sollte bald bemerken, dass das Leben nicht allzu lang ist und es nicht viele Bienen gibt, die Drohnen vor dem Winter aufnehmen.

Es war warm, weich und eine kleine Welt, voller Geräusche und dem Klopfen eines Herzens. Mutter. Ich war geborgen, bis zu dem Tag, als mich eine unbekannte Kraft durch eine dunkle Höhle rückwärts schob. Grelles Licht. Ich fiel in ein weiches, gelbes Lager, rang nach Luft, das Klopfen war weg. Mutter? Die Welt war riesig, mit einer endlosen Weite. Doch da war der Geruch, den ich kannte. Mutter! Und dann spürte ich sie, die feine Schnauze, sie leckte mich behutsam ab, befreite mich von den Höhlenresten. Ich atmete tief Luft ein und spürte den warmen Atem meiner Mutter… Sie war ganz nah bei mir, ich spürte die feinen Haare und hörte ihre Stimme: „Mein Sohn“. Jetzt konnte ich sie sehen, ihren massigen Kopf, die wunderschöne weiße Blesse, die schwarze Mähne und ihre Nasenwölbung. Sie war einfach nur riesig. Ein Fels, der mich schützte. „Er ist grau“, wieherte leise eine Stimme. „Das waren wir alle als Fohlen, Tori“, gab Mutter leise schmatzend zurück. „Komm ihm nicht zu nahe. Du bist noch jung“, Mutter klang streng, vielleicht ein klein wenig müde. Irgendetwas schien sie doch mitgenommen zu haben.

Ich schaute nach dem großen Etwas, das Mutter Tori nannte. Das Etwas stellte sich quer vor uns und verdeckte den Blick in die endlose Weite, die ich noch gar nicht fassen konnte. „Tori ist deine Tante, sie wird dich auch beschützen. Bleib noch etwas fern von ihr, sie ist sehr tapsig. Mich nennen die Menschen Anouk“. Menschen kannte ich nicht, aber wenn Mutter es sagte, schien es irgendwie vertraut. Vielleicht waren die Menschen der eigenartige Geruch, den Mutter und Tori gar nicht hatten. Irgendetwas in mir spannte die Muskeln, es flüsterte und forderte mich auf, aufzustehen. Ich versuchte auf meine vier Stelzen zu kommen, doch mein kleiner, zittriger Körper wackelte und die Stelzen knickten immer wieder ein. Mutter nickte mir ermunternd zu und leckte mich weiter. Es dauerte eine Weile und ich konnte mich umsehen. Im Gegensatz zur Höhle war hier alles viel, viel größer. Und wieder flüsterte die Stimme: „Hunger“.

Ganz ohne meinen Willen zog es mich unter Mutters Bauch und an einer Zitze fand ich die sprudelnde Quelle. Die warme Milch floss meine Kehle hinunter. Ich war angekommen. Ich war Mutters Fohlen. Nur einen Namen hatte ich noch nicht. Mutter schien meine Gedanken zu erraten. „Menschen geben dir den Namen, achte auf ihre Körpersprache. Sie sehen anders aus als wir, geben komische Laute von sich. Ein paar musst du dir einprägen.“ Ich verstand noch nicht, was sie meinte. Da waren Ohren, die Haut, der Schwanz, der Kopf. Also was brauchte ich mehr, um Mutter oder Tori zu verstehen. Waren die Menschen wie wir? Waren sie keine Pferde?

„Sie kommen“, flüsterte Tori. Ich drückte mich an Mutter und sah diese zweibeinigen Wesen auf uns zukommen. Das Wesen strahlte Ruhe aus, schob Tori, diesen riesigen Muskelberg, behutsam beiseite und hielt meiner Mutter die Hand hin. „Gutes Mädchen“, flüsterte er und schaute mich an. Das war er also, ein Mensch. Er hatte keine Ohren und zwei seiner Stelzen hingen seltsam hoch in der Luft. Das Gesicht war eingedrückt und eine Blesse fehlte ganz. Die Haut flatterte an ihm herum und hatte seltsame Muster und Farben, ein Schweif fehlte auch. Es war ein seltsames Pferd, aber Mutter schien ihm zu vertrauen. Ich zitterte etwas, doch Mutter ließ dieses seltsame Wesen an mich heran. Er fuhr mit seinen Vorderhufen, die Mutter Hände nannte, auf meinem Rücken entlang. Es war seltsam, aber er schien nichts Böses zu wollen. 

Bald darauf kamen zwei weitere kleinere Menschen, die anders rochen als der Mensch, den sie Christian nannten. Die kleinere von den Neuen quietschte vergnügt als sie mich sah und sagte so etwas „Oh mein Gott, oh mein Gott, wie süß“ und die größere mit einer kleinen blonden Mähne verzog den Mund ganz komisch. Mutter sagte, dass die Menschen dann lachen und fröhlich sind. Das war also meine neue Welt, Mutter, Tori und die drei Menschen. Ob es noch mehr gab da draußen? Ich musste mich erst einmal hinlegen, es war ja alles so aufregend und das Stehen strengte an. „Sie nennen dich Diamant“, flüsterte Tori, als die Menschen gingen. Ich schaute Mutter fragend an. „Der Diamant ist für die Menschen ein besonderer Schatz und der Name wird deine Zukunft sein“, sagte Mutter. „Bis dahin musst du aber noch sehr viel lernen, kleiner Hengst.“ lachte Tori und gab jetzt den Blick in meine neue Welt frei und die hörte gar nicht mehr auf.  Sie hatte selbst die Menschen verschluckt, als sie gingen. Aber wenn Mutter dabei war, nahm ich mir vor, mutig zu sein. Denn es war nun auch meine Welt und ich war sein Diamant.

Da ich demnächst Fotoshootings plane, hatte ich heute den Tag genutzt, meine umfangreiche technische Fotoausrüstung zu überprüfen. Neu in meiner Sammlung ist ein synchroner Zweitauslöser für Blitze mit Aufhellungsschirm. Außer das der Schirm ständig aufschnappte, aufgrund einer Fehlfunktion, ich nach dem dritten Fluch den Aufsteckmechanismus des Blitzes endlich begriff, mir bei der ganzen Schrauberei den Finger klemmte, mit einem Bein in der Fotolampe hängenblieb, sie aber noch retten konnte, der Blitz leere Batterien hatte, ich ihn falsch herum montiert, die verdammte Fotolampe noch einmal drohte umzukippen, die Kamera plötzlich weg war (ich hatte ein Tuch drüber gedeckt), und ich die Zimmer fluchend nach ihr durchsuchte, die Fotolampe zum dritten Mal zu stürzen drohte, geschah eigentlich nichts Bedeutendes, was man aufschreiben könnte.

Endlich stand alles zur Probe bereit. Ich wählte auf unserem Eichentisch ein geschnitztes Motiv und wollte mit Blitz fotografieren, dabei sollte der Synchronblitz ebenfalls auslösen und der Aufhellschirm das Licht verteilen. Da geschah es, das Marlow, einer meiner Katzen im Weg vor dem Motiv stand. Ich wollte ihn verscheuchen, beugte mich nach vorn, geriet aus dem Gleichgewicht, wollte die Kamera beschützen, verdrehte die Hand, das die Kamera zu mir zeigte und löste aus Versehen aus, den Kamerablitz und den Zweitblitz und beide in die Augen. Getroffen von dem doppelten Lichtschlag, wollte ich aufstehen und vergaß, dass ich durch den Fall mittlerweile unter einem schweren Eichentisch saß. Der Schlag war für meinen Kopf erschütternd. Ich taumelte nach hinten und setzte mich auf den Schwanz des andren schwarzen Katers – Milow. Der jaulte auf und jagte davon, nicht ohne die Fotolampe umzureißen. Sie zersplitterte. Kruzitürken noch mal, ich brauche dringend ein chinesisches Rezept für Katzen und eine neue Fotolampe.

Ich brauchte ganz dringend ein Tier. Eine neue Katze. Unsere Vierfarbkatze mussten wir abgeben an einen Bauernhof. Sie liess sich partout nicht von ihrem Klo überzeugen und machte hin, wo sie gerade lustig war. Sie war zu alt, als wir sie aufnahmen und konnte an ein Leben in der Stube nicht mehr gewöhnt werden. Das kostete uns eine Teppich und letztendlich die Katze.

Also machten wir uns auf zum Tierheim. Nun bin ich eher der Typ, der Wert darauf legt, von einem Tier akzeptiert zu werden und nicht einfach zu nehmen, was meinem Auge entspricht. Das Auge kann trügen, dass Herz nicht und Tiere nehmen es mit der Sympathie gewöhnlich sehr genau. Natürlich spielte auch das Aussehen eine Rolle, aber das musste ich ja nicht zugeben, schon gar nicht gegenüber einer eigenwilligen Katze. Ich versuchte diesen Gedanken also so gut es ging zu verstecken und kehrte meine biologische Seite heraus. Viele Katzen nahmen dies zur Kenntnis und ignorierten mit schlichtweg. Und dann kam sie. Die wunderbarste Katzenlady der Welt. Mandy schoss es mir durch den Kopf. Ich verbinde aus irgendeinen Grund diesen Namen mit Mandelaugen und genau die hatte sie. Dazu ein schwarzes, seidiges Fell mit weißen Unterbauch und weißen Pfoten. Den Schwanz aufrecht, stolzierte sie auf mich zu. Ich setzte mich auf den Boden, was sie zur Aufforderung nahm, sich in meinem Schoß bequem zu machen. „Die ist es wohl!“, sagte meine Frau und bevor sie den Satz richtig zu Ende sprechen konnte, stand mein Entschluss fest. Ich war in diese Schönheit bis über beide Ohren verliebt und Mandy wusste das auch. Sie schnurrte zustimmend. Eine Stunde später waren wir zu Hause. Sie inspizierte die Wohnung, ging aufs Katzenklo und fand zielsicher die kleine, zurecht gelegte Decke im Schlafzimmer, rollte sich hinein und schlief. Ich war fassungslos, hatte ich doch ein neugieriges Umhersuchen erwartet. Nichts. Ich machte mich in die Küche und bereitete aus rohem Fleisch verschiedene Katzengerichte zu. Es gab damals kaum Katzenfutter und  ich wollte sie verwöhnen.

Am nächsten Tag stand mein Futter ungenutzt in der Küche. Sie hatte es verschmäht. Ich war frustriert. Sie lag auf ihrer Decke und schlief. Ich streichelte sie sacht, sie bewegte sich nur wenig und schnurrte. Ihr Katzenklo war benutzt. Ich war ein wenig beruhigt. Vielleicht muss sie sich an das Futter nur gewöhnen. Im Katzenhaus hatte ich vergessen zu fragen, was ich schleunigst nachholte. Ich erfuhr, dass sie schon ein paar Wochen nur schlecht fraß und keiner wusste so recht warum. Mandy war vier Jahre, eine wichtige Information. In meiner Euphorie hatte ich nicht daran gedacht, etwas zu erfragen. Sie war abgegeben worden aus unbekannten Gründen. Einen Tierarzt hatte sie im Katzenhaus nicht gesehen, weil ich darauf bestand, sie mitzunehmen. Kein Mensch der Welt hätte mich daran hindern können. Sie hatte sich in mein Herz eingefressen und wen ich dort einschließe, den lasse ich nur schwerlich wieder los.  Das war schon immer ein Problem.
Ich brachte sie zum Tierarzt, inzwischen war schon eine Woche vergangen. Sie schlief viel, kam zu mir in die Stube, kuschelte und schnurrte, fraß ein paar Brocken und schlich zurück zu ihrem Platz. Manchmal setzte ich mich zu ihr und streichelte sie nur einfach. Ich erzählte ihr alles, was ich über Katzen wusste und schilderte ihr meinen verzweifelten Kampf um einen Hund, den ich verlor. Sie wusste mehr über mich, als ich über sie.
Der Tierarzt impfte sie nach allen Regeln der Kunst und machte mir Vorwürfe, dass ich zu spät gekommen sei. Ja, Gott, was wusste er schon von meiner Zeit und sie hatte ja auch nichts.

Ach, das wird schon wieder. Zu Hause verwunderte mich Mandy immer mehr. Sie hatte kein Interesse für die Wohnung, spielte nicht, suchte aber ständig meine Nähe, allerdings immer nur für einen kleinen Moment. Das war seltsam und ungewöhnlich. Eines Tages holte mich meine Frau zum Katzenklo. Zwischen dem Kot lagen kleine Plättchen, die mir bekannt vorkamen. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Ein Bandwurm. Blitzartig wurden mir die Symptome bewusst. Mandy war nicht uninteressiert, sondern sie hatte Schmerzen und war geschwächt. Wir hatten sie gegen Würmer geimpft, aber dieser Bandwurm hatte schon Finnen abgekapselt und die wanderten durch den Körper zur Lunge, zum Gehirn. Ich hasste mich. In meiner grenzenlosen Liebe zu dem Tier hatte ich die primitivsten Dinge übersehen, habe nichts erfragt, bin zu spät zum Tierarzt gegangen. Tierarzt! Ich beschloss sofort aufzubrechen, schnappte mir Mandy und ein paar von diesen Plättchen. Der Tierarzt hielt mir mit ernster Miene einen Vortrag über Bandwürmer und die Einhaltung von Regeln beim Erwerb einer Katze. Mir war sein Gequatsche egal, er sollte Mandy behandeln und nicht mich.

 

Ich wich nicht mehr von Mandys Seite: Nach der Arbeit saß ich bei ihr, streichelte sie, gab ihr die Medikamente. Sie schnurrte fast unentwegt. Ich war sicher, dieses Tier gesund zu pflegen. Meine Frau mied mich in dieser Zeit, ging mir aus dem Wege. In der Schule waren meine Gedanken ständig bei Mandy, ich hatte kaum noch Zeit für meinen Minizoo, der im Aufbau begriffen war. Ich strebte so schnell wie möglich zu meiner Katze nach Hause. Sie wurde immer apathischer. Eines Tages kam ich nach Hause. Meine Frau empfing mich traurig. „Mandy ist gestorben.“ In mir krampfte sich alles zusammen. „Sie hat die ganze Wohnung nach dir durchsucht und kam zu ihrer Decke zurück. Ich nahm sie in die Arme und sie starb.“

Mandy lag auf ihrer Decke, als ob sie schlief. Ihr Fell war so sanft. Ich hatte sie auf dem Gewissen, meine verdammte Liebe hatte sie nicht beschützt, sondern getötet. In mir gab es einen Knacks. Ich bin Biologe, ausgebildet, habe die Diplomarbeit über Kleintiere geschrieben und bei ihr jämmerlich versagt. Ich habe mein Herz über mein Wissen gestellt und sie damit zu spät behandeln lassen. Ich fühlte mich jämmerlich, nahm das tote Tier und begrub es allein. Meine Frau sagte, ich war drei Stunden unterwegs. Ich wusste es nicht und wollte diesen Tag streichen. Noch heute seh ich sie ganz deutlich vor mir, ihre mandelförmigen Augen, ihr samtweiches Fell. Da ich gerade einen Minizoo aufbaute, schwor ich mir, mich mehr auf mein Wissen zu verlassen, als auf meine Gefühle, was bei so vielen Tieren sowieso nicht ging. Ich wusste noch nicht, dass auch mein Wissen  versagen konnte, aber das ist eine andere Geschichte. Die von Mia, einer sehr jungen Katze, die mich viel Kraft und Tränen kostete. 

Kennen Sie Lettin? Der Stadtteil von Halle, auch Vorstadt genannt, der schon vor tausend Jahren eine Burg hatte, seine Geschichte und seine Geschichten. Das kleine ehemalige Fischerdorf, das im 19. Jahrhundert durch eine Porzellanmanufaktur bekannt wurde, hat viel erlebt. Im 30-jährigen Krieg wurde es von schwedischen Truppen niedergebrannt. Der Schwedenweg erinnert noch heute an diese Zeit. Hier flohen die Einwohner vor den marodierenden Soldaten. Das ist lange her. Heute geht es in dem zu Halle gehörenden Stadtteil eher beschaulich zu. Am Schwedenweg sind viele Einfamilienhäuser entstanden, man hört Hunde bellen und das Dorf, das im halleschen Amtsdeutsch laut Bebauungsplan inzwischen ein Wohngebiet ist, hat trotz dieser Bezeichnung vier Reiterhöfe. Obwohl der Ort von Pferden, Hühnern, Eseln, Ziegen und Kühen umzingelt ist, darf man eines nicht: Pferde halten, selbst wenn man ein ausreichend großes, unbebautes Grundstück besitzt. Dieser Anachronismus ist nicht für jeden nachvollziehbar, vor allem nicht für diejenigen, die sich mit der Haltung von fünf Pferden ein eigenes Geschäft mit Reitunterricht aufbauen wollten. Hier haben bunte Häuschen gegen diese Haltung geklagt und schon haben sie die Stadt Halle und ihre gut ausgebildeten Bürokraten auf ihrer Seite. Die Stadt stellt sich hinter das klagende Häuschen und verbietet in ihrem geschliffenen Amtsdeutsch die Pferdehaltung. Wohlgemerkt in einem Ort mit vier Pferdehöfen im Umkreis von ca. 2 km, denn länger ist der Ort Lettin nicht. Die Geschichte zieht sich schon einige Jahre hin, inzwischen mussten die Betroffenen die Haltung der Tiere aufgeben, Kutschen verkaufen und einer der Beschwerdeführer ist auch schon verstorben. Bürokratischer Unsinn zieht sich eben, man hat ja sonst nichts Wichtiges zu tun.

 

Schlimm genug, dass die Kläger oder besser Beschwerdeführer nicht einmal mit den Pferdebesitzern gesprochen haben, denn das haben sie laut ihren Anwälten getan. Vielleicht neigten sie zu Selbstgesprächen, das kommt in ihrem Alter schon mal vor. Dass die Kläger stattdessen von Haus zu Haus gegangen sind, um Mitkläger zu finden, was bis auf einen Fall nicht geklappt hat, ist gelinde gesagt bösartig, denn man spricht die Leute, um die es geht, zuerst an, damit sie nicht aus allen Wolken fallen. Es wurde sogar behauptet, die Pferdehaltung sei auch ein Baugewerbe mit schwerem Gerät.

Diese Meisterleistung der Verdrehung wurde ohne große Prüfung einfach übernommen. Aus dem Lader, der für die Vorbereitung benutzt wurde, wurden mehrere Traktoren. Hollywood kann es nicht besser. Schnell wurde diese Behauptung oder dieses Gerücht von der Stadt aufgegriffen und mit allen bürokratischen Mitteln versucht, Recht zu bekommen oder das Gesicht zu wahren, koste es, was es wolle. Da half auch kein Ortstermin, auch nicht mit einer Richterin. Eigentlich hätte man sich am runden Tisch gütlich einigen können. Es soll schon vorgekommen sein, dass das geholfen hat.

 

Die Beklagten waren sehr an einer Einigung interessiert und bereit zuzuhören, um Änderungen herbeizuführen. Aber die Gegenseite wollte keinen Kompromiss. Die Pferde sollten weg, basta, denn sie zogen Heerscharen von Fliegen an, und nur das Wiehern störte die einträgliche Ruhe inmitten des Hundegebells ringsum. Dass es in der Nähe einige Pferdehöfe mit riesigen Misthaufen gab, wurde einfach ignoriert. Schließlich kackten die fünf Pferde in der Nähe, einige Hunde auch, aber das war wohl steriler Kot.

 

So machte man sich frisch, fromm und frei daran, eine Existenz zu zerstören. Halles Bürokraten, zwei bunte Häuser gegen fünf Pferde und ihre engagierten Besitzer.

 

Die Stadt hält an ihrem Bebauungsplan fest, der aus dem Dorf ein Wohngebiet macht.

Rein rechtlich ist das wohl so, aber selbst besagte Richterin, die sich das Ganze ansah, meinte, man könne hier doch, sagen wir mal, menschlich reagieren und müsse nicht gleich den großen Paragraphenhammer rausholen.

Das Wiehern der Pferde ist eigentlich nur zu hören, wenn das Bellen der vielen Hunde rund um das Gelände, auf dem die fünf Pferde stehen, aufhört, also so gut wie gar nicht. Auch die Hunde tun nur das, was ihnen die Natur vorgibt. Sie bellen Fremde an und „verteidigen“ ihr Revier. Eine der Klägerinnen fand das Konzert nervenschonender als das Wiehern der Pferde. Während die Stadt für ihre Menschen blind war, waren die Kläger für das Hundegebell wohl sehr taub. Übrigens standen die Pferde im Sommer auf der Koppel, weit weg vom Schuss, obwohl sie ja eigentlich für die Lettiner Fliegeninvasion verantwortlich waren. Aber vielleicht wurde ja auch der Winter gemeint. Wer weiß das schon.

 

Anstatt nach Lösungen zu suchen und wie bereits erwähnt mit den Pferdebesitzern zu sprechen, fotografierte die Hauptklägerin illegal das Privatgelände und die Stadt nahm diese gegen jeden Datenschutz verstoßenden Fotos gleich zum Anlass, mit Konsequenzen zu drohen. Dass die Fotos nur Momentaufnahmen und kein Dauerzustand sind, hätte den Schreibtischakrobaten mal jemand erklären sollen. Aber Geld braucht Halle immer. Schlimmer noch, die Stadt hat gar nicht mitbekommen, dass der Betrieb bzw. die Firma irgendwann gar nicht mehr existierte, die Pferde kaum noch auf dem Gelände waren, sondern ständig auf der seit bereits 1993 vorhandenen Koppel standen. Sie wurden nur noch zum Abspritzen in der Hitze heruntergebracht und eigentlich über den Zaun abgespritzt, weil man das Gelände mit den Tieren nicht mehr betreten durfte. Aber auch das war offenbar verboten und entsprach nicht dem Bebauungsplan von Lettin, wie die Stadt mitteilte. Soviel zum Thema Tierschutz. Schließlich muss Recht bleiben, was man für Recht hält, Tierschutz hin oder her. Den Verantwortlichen der Stadt ist auch nicht aufgefallen, dass auf dem ehemaligen Reitplatz inzwischen die entsprechende Umzäunung fehlt, weil eben die Tiere nicht mehr da sind und kein Reitunterricht mehr stattfand. Man kann ja nicht überall sein. Woher sollten die das auch wissen, auf dem ach so braven Schreibtisch lagen nur besagte illegale Fotos herum, die irgendwann einmal gemacht worden waren. Die Beschwerdeführerin musste sich also in Geduld üben, um den richtigen Moment abzuwarten. Sie musste lange zwischen ihren sorgfältig gepflanzten Blumen warten. Das war bedauerlich für sie. Fotos von den vorgenommenen Veränderungen scheint die Beschwerdeführerin nicht gemacht zu haben, sie war wohl etwas zu sehr mit der Pflege ihres Gartens beschäftigt oder mit der Zurechtweisung ihres Mannes, Gott habe ihn selig.

 

Sie und die Stadt hatten kein Verständnis für den Tierschutz, kein Verständnis für die Menschen, die sich ihrer Existenz beraubt sahen. Man fragt sich unwillkürlich, wie die Menschen zu ihren bunten Häuschen gekommen sind, ohne Baulärm, ohne Maschinen, ohne den geringsten Bezug zur Natur. Aber so ist das wohl, wenn Menschen aus der Stadt aufs Dorf ziehen und erwarten, dass jeglicher Tierbestand nur im Zoo existiert.

Der Pferdetrainer, der sich mit zwei der fünf Pferde eine Existenz aufbauen wollte, ist inzwischen aus Halle weggezogen. Das dritte Pferd ging mit ihrer Besitzerin in ein Örtchen neben Halle gelegen. Die beiden letzten Pferde, die eigentlich nur dem Reithobby dienten und nicht einmal dem Pferdetrainer gehörten, sind samt Besitzerin nach Köln umgezogen. In einer Stadt, die nur bunte Häuser und Selbstverleugnung liebt und kein Verständnis für Tierliebe hat, will niemand leben. Auf die Bitte, doch etwas Verständnis dafür zu haben, dass die Auflösung einer Existenz und der Umzug etwas Zeit in Anspruch nehmen und die Tiere nicht einfach auf die Straße gesetzt werden können, wedelte man mit Bebauungsplänen und einem wirklich schön bürokratisch formulierten Brief, der vielleicht sachlich richtig war, aber die meisten zum Schenkelklopfen animieren würde, wenn die Sache an sich nicht so traurig wäre. So ein Bürokratendeutsch ist für einen Laien völlig unverständlich. Da wimmelt es nur so von Paragrafen, die sich überlagern, verschlingen, aufheben und dann wieder ad absurdum führen. Es gibt Wörter, bei denen man sich fragt, ob sie der deutschen Sprache entstammen oder erfunden sind. Mensch und Tier gegen eine Gesetzesflut. Dagegen war die Flut damals in Halle eine seichte Überschwemmung. Auf drei Seiten wurde so umständlich wie möglich begründet, warum man die Pferde im Sommer bei Hitze nur mit einem Bauantrag auf seinem Grundstück abspritzen durfte. Auch die Menge der Parkplätze mussten benannt werden, wozu genau ist allerdings bis heute nicht ganz klar. Da niemand die Ausflüchte verstand, spritzten die Besitzer ihre Tiere auf der Straße ab, die nicht zum Grundstück gehört. Das war keine Demonstration oder Sturheit, sondern einfach notwendig für die Gesunderhaltung der Tiere. Das steht natürlich in keinem Bebauungsplan. Wollt ihr die totale Bürokratie? Nein, die haben wir schon.

In Halle haben die Schreibtische gewonnen und die besagte Klägerin, die jetzt ganz allein in ihrem Haus lebt und ihre Ruhe genießen kann. Sie hat keine Existenzsorgen mehr, sie hat eher mit Fliegen zu kämpfen, die immer noch da sind, weil die anderen Reiterhöfe nicht wegzuklagen sind. Gut, zwei, drei Fliegen weniger, aber ob das zu einer neuen Lebensqualität geführt hat, darf bezweifelt werden.  Lieber betoniert man und wohnt in gemütlichen bunten Häusern mit bellenden Hunden in der Nachbarschaft. Schöne, gepflegte Rosen und Pflanzen sind ja ok, aber ganze Pferde? Die Zeiten sind vorbei, sozusagen wegbürokratisiert und weggeklagt.

Nun, Lettin hat fünf Pferde, ein paar Fliegen und eine Familie weniger, und da die Stadt in diesem Ort nun nichts mehr tun konnte, nahm sie sich nun den Hubschrauberlandeplatz vor, der an der Porzellanfabrik sein Domizil hat, und wollte zu einem Rundflug einladen. Und wieder beginnt ein Paragraphenstreit und wieder ist eine Existenz bedroht. Mit solch renitenten Bürgern hat man ja inzwischen Erfahrung.

Ein Wasserwechsel für mein Aquarium ist mal wieder fällig. Ich bereite alles vor: Schlauch, Eimer, das Übliche. Tausendmal probiert, nie ist was passiert. Routine eben. Ich hebe den Aquariumeckel ab, er verkantet sich. Ich zerre nach links, ich zerre nach rechts. Nichts tut sich.  Ich werde wütend, mache einen großen Schritt nach vorn, um mich zu stabilisieren und steh in einem Eimer drin, ausgerechnet das 5l Ding. Er hängt am Fuß fest. Immerhin habe ich den Aquariendeckel abgehoben und eine Lampe fällt raus. Zu doll geruckelt. Ich versuche jetzt methodisch und ruhig vorzugehen und die nächsten Schritte klug zu durchdenken. Doch der Wasserschlauch ist auf einmal weg. Wo ist der verdammte Schlauch? Eine meiner Katzen hat ihn zum Spielen entdeckt und weggezerrt. Ich hasse Katzen.

Ich nehme den Schlauch an mich. Marlow, unser schwarz-weißer Kater, spielt wieder mit dem Ende. Ich will gleichzeitig saugen und schimpfen, habe das Fischwasser im Mund und verschlucke mich. Also das ganze nochmal. Endlich ist ein Eimer fast voll. Milow interessiert das kreisende Wasser im Eimer.

Er will es fangen, springt in den Eimer, der Eimer kippt um, der Teppich ist nass, meine Strümpfe nunmehr auch. Der Kater sieht jämmerlich aus, ist feucht und ich kenne kein Mitleid, jetzt nicht. Ich versuche das Wasser aufzutitschen, verliere aber dabei das Gleichgewicht. Es reicht, nun ist der Hintern auch nass. Ich hole also neues Wasser, will es einfach nur ins Aquarium kippen, habe von weiterem Wechsel und Absaugen die Nase voll. Der Schwung mit dem vollen Eimer muss wohl ein wenig zu groß sein, das Wasser geht zur Hälfte außen am Aquarium vorbei, trifft den noch trockenen Marlowekater, der sich quer über den Tisch aus dem Staube macht, natürlich nicht ohne Tischdecke, Vase und diverse Gegenstände abzuräumen. Ich brauche eine Weile um aufzuräumen, die nasse Katze liegt auf meinen Papieren im Arbeitszimmer und trocknet sich. Die Papiere und Fotos kann ich vergessen.

Morgen mache ich einen neuen Wasserwechsel, ohne Katzen, die werden in einen anderen Raum. Jetzt ist Couchzeit, sprecht mich ja nicht an.

Thriller

Elena blickte misstrauisch auf die Kartons im Wohnzimmer. Ihr Mann war damit beschäftigt, die Aufschriften zu lesen. „Kirche, Schneeschanze, Tannenbäume“, murmelte er geistesabwesend vor sich hin. Sie wusste genau, was in den nächsten Stunden passieren würde, und schwankte zwischen aus dem Haus oder ins Bett gehen und fernsehen. Hier würde gleich das Chaos ausbrechen, wenn Daniel anfing, die Kartons zu öffnen. Er hatte schon den ganzen Vormittag damit verbracht, die Kartons in die Wohnung zu schleppen und alle Tische, auch den Fernsehtisch und die Regale, von den Accessoires zu befreien, die sonst dort ihren Platz hatten. Alle Jahre wieder. Immer wieder staunte sie, wie akribisch und organisiert Daniel vorging und schon Wochen vorher, ab Oktober, von seinem großen Ereignis in der Vorweihnachtszeit schwärmte. Er schien an nichts anderes mehr zu denken. Der Aufbau des Weihnachtsdorfes war in den letzten Jahren zu seinem Lebensinhalt geworden. Je mehr Daniel sich darauf freute, desto mehr hasste Elena dieses Dorf. Es war längst kein Dorf mehr, sondern eine Stadt in einem Tal mit unendlich vielen Tannenbäumen. Abends würde diese riesige Landschaft, die zwei Drittel des Wohnzimmers einnahm, ein Licht ausstrahlen, das wahrscheinlich jede Flugzeugbesatzung sehen würde, wenn es kein Dach gäbe. Der Schnee verbrauchte mehrere Packungen Watte, über 800 Figuren bevölkerten die Landschaft auf Skiern, Schlitten, in der Kirche, beim Schlittschuhlaufen, beim Skispringen. Nur die Bäume übertrafen die Zahl der Figuren. Bei den Gebäuden, ob Kirche, Weihnachtsfabrik, Stadion, Häuser, hatte Elena schon aufgehört zu zählen. Irgendwo bei 300 war ihre letzte Erinnerung. Ganz zu schweigen von den inzwischen armdicken Kabelsträngen, die sorgsam unter der Watte verborgen waren und die Häuser und Gebäude mit Licht versorgten. Sie hätte sich da nie durchgefunden. Die vielen Transformatoren stapelten sich unter ihrem Schrank, der extra auf Füßen etwas höhergestellt wurde. Eine Maßanfertigung ihres Mannes extra für das Weihnachtsdorf, so wie alles im Wohnzimmer so angefertigt wurde, dass sein Weihnachtsdorf darauf Platz fand. Da der große Esstisch vollgestellt wurde, musste in dieser Zeit in der Küche gegessen werden. In der Vorweih-nachtszeit verging kaum ein Tag, an dem Daniel nicht sein Dorf erweiterte. An die Decke hängte er sogar einen Sternenhimmel, die dafür spezielle Haken hatte. Anfangs, als sie ihn vor zehn Jahren heiratete, lächelte sie über das Weihnachtsdorf, hielt es für einen romantischen Spleen. In den Jahren danach musste sie mit ansehen, wie das Wohnzimmer umgestaltet wurde und seine Weihnachtsdorf ins Unermessliche wuchs. In den letzten Jahren überkam sie eine Art Grauen, sobald Daniel im Herbst anfing, Kataloge zu wälzen, um sein Dorf zu vervollständigen. Für Elena war es schon eine Megaweihnachtscity. Von da an schien auch Elena für ihn nur noch Luft zu sein. Er vernachlässigte sie einfach und die Zärtlichkeiten hörten plötzlich auf. Seine ganze Liebe schien in diesem verdammten Dorf zu sein.

Wie schön waren einst die gemeinsamen Weihnachtstage, als noch Besuch kam, der jetzt aus Platzmangel ausblieb, als das Dorf auf einem Buffet stand und sie den großen Tisch zum gemeinsamen Essen nutzen konnten. Ihr Gespräche drehten sich damals um die schönen Dinge des Lebens, und Daniel hatte auch ein paar liebe Worte für sie. Elena schaute ihm zu, als er den ersten Karton mit Gebäuden öffnete. Die Kartons waren riesige Umzugskartons, die er im Wohnzimmer und auf dem Balkon gestapelt hatte. Heute hatten sie zum letzten Mal vor Weihnachten an ihrem Wohnzimmertisch gesessen, bevor ihr Mann ihn in einen Teil seiner Weihnachtsstadt bebauen würde. Sie hatte eine Gänsehaut, und in ihr stieg ein unbändiger Hass auf, der sich im Laufe der Jahre langsam, aber sicher nicht nur auf das Weihnachtsdorf, sondern auch auf Daniel übertrug. Wenn Elena an die nächsten zehn Jahre dachte, wurde ihr schwindelig und sie glaubte, dass sich ihre ganze Wohnung in eine einzige Weihnachtsstadt verwandeln würde, in der sie mit Schneeflöckchen-Weißröckchen und Kling-Glöckchen-klingeling gefangen gehalten würde. Sie musste etwas tun. Dringend, sonst würde sie verrückt werden. „Wir gehen nachher in die Stadt“, strahlte Daniel und legte sorgfältig ein Haus auf die gezeichnete Unterlage. „Ich habe etwas ganz Neues gesehen.“ Elena erstarrte. Nicht schon wieder! „Muss das sein, reicht es nicht jetzt?“, versuchte Elena zu protestieren. „Ich brauche ein paar neue Schuhe.“ „Deine Schuhe laufen nicht weg, aber die Weihnachtsbäckerei gibt es nicht so oft. Da müssen wir zuschlagen.“ Daniels Antwort klang wie ein Befehl und ließ keinen Zweifel daran, dass er von diesem Gedanken nicht abzubringen war. Elena sah ihren Mann an und wusste, dass jeder Widerstand zwecklos war. Sie versuchte es mit Tränen, schrie ihn an, aber alles prallte an ihm ab. Selbst als sie letztes Jahr mit der Scheidung drohte, war seine einzige Antwort: „Ich kann in deinem Arbeitszimmer dann weiterbauen“. Sie konnte ihn auch nicht so einfach verlassen, weil er das meiste Geld verdiente und vor allem, weil er als Tischlermeister fast alles in der Wohnung allein baute, auch wenn es letztlich seinem Hobby diente. Als Halbtagskraft würde ihr nicht viel bleiben. Insgeheim hatte sie in ihren Träumen auch schon an Mord gedacht, indem sie ihn mit seinen eigenen Lichtkabeln erdrosselte. Aber das brachte sie einfach nicht fertig. So fügte sich Elena in ihr weihnachtliches Schicksal. Daniel bemerkte nicht einmal, dass Elena Tränen über das Gesicht liefen. Er trug in der Vorweihnachtszeit seine Weihnachtspullover, 24 Stück, für jeden Tag einen. Alle hatten irgendwelche kitschigen Weih-nachtsmotive, die einfach nur albern waren. Heute lächelte sie ein Rentier mit roter Nase an. „Scheiß Rudolph”, dachte sie. “Lass uns in die Stadt gehen”, befahl Daniel und zog seinen roten Mantel und die schwarzen Stiefel an. Am peinlichsten ware seine Weihnachtsmütze, die er sich aufsetzte. Elena kleidete sich ebenfalls traurig an. Sie hasste Daniel, sie hasste diesen Tag, sie hasste Weihnachten.

Elena war den Tränen nahe, als sie wieder zu Hause ankamen. Sie hatte sich die ganze Zeit wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt. Daniel schleppte sie durch die halbe Stadt, rannte von einem Geschenkeladen zum nächsten, um etwas für sein verdammtes Weihnachtsdorf zu ergattern. Unterwegs blieb nicht einmal Zeit für ein anständiges Essen, eine Bockwurst musste reichen, von Gemütlichkeit und Weihnachtsstimmung keine Spur. „Zu Hause ist es gemütlicher, da ist Weihnachten pur“, antwortete er lakonisch auf ihre vorsichtige Frage nach einem Essen in einer Gaststätte. Freudestrahlend hielt er nun zwei Tüten in der Hand, die er sofort in sein Weihnachtswunderland schleppte, um sein Horrorkabinett zu erweitern.  Elena schluckte sich, als sie einen Blick in das Wohnzimmer warf, in dem Daniel emsig sein Weihnachtsdorf oder besser seine Weihnachtsmegacity aufbaute. Ihr wurde schwindelig und alle Figuren im Dorf schienen sie hämisch anzugrinsen. In der Küche sah sie ihren Messerblock und griff nach dem langen Brotmesser.

Daniel erschrak, als Elena plötzlich vor ihm stand. Mit großen Augen schaute er sie ungläubig an. In der Hand hielt Elena eine Schüssel mit Keksen, die sie ihm anbot. „Das ist aber nett“, freute er sich.  „Weißt du, wenn ich hier fertig bin, darfst du dir etwas wünschen, sofern ich es dir erfüllen kann und es nicht zu teuer ist.“ ‚Natürlich‘ dachte sie grimmig, ‚Ich kenne deine Geschenke. Es darf nie mehr als 20 Euro kosten. Ich hasse dich und wünschte, du würdest mit deinem Dorf verschwinden.’ Daniel grinste immer noch und kaute genüsslich an einem Keks. Elena beschloss, sich ins Schlafzimmer zurückzuziehen und ein wenig fernzusehen, um sich abzulenken. Tatsächlich verstand sie den Inhalt des Programms kaum, war in Gedanken versunken und schlief bald ein. Es war schon spät, als Daniel zu ihr ins Bett kroch und fröhlich rief: „Schatz, ich bin fertig. Willst du mal sehen?“ Elena zog sich die Decke über den Kopf und murmelte etwas von Müdigkeit. „Du kannst einem die schönste Freude verderben, du alter Weihnachtsmuffel.“ Verärgert legte sich Daniel hin. ‚Fahr zur Hölle‘, dachte Elena und schlief wieder ein.

Als Elena aufwachte, war es bereits Morgen. Der Baum vor ihrem Fenster war mit Schnee bedeckt. Irgendwie hatte sie Angst, aufzustehen, wenn sie daran dachte, wie es in ihrem Zimmer aussah. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen, erhob sich langsam und stellte irritiert fest, dass Daniel entgegen seiner Gewohnheit vor ihr aufgestanden war.  Sie lauschte, aber kein Duschgeräusch oder ein anderer Laut drang an ihr Ohr. Elena sah sich in der Wohnung um. Daniel war nicht da. Seine Schuhe waren vollständig vorhanden, auch die schwarzen Stiefel waren da. Sein roter Mantel hing am Haken, die Aktentasche stand an ihrem Platz. Er hatte ja auch Urlaub genommen, wie immer um diese Zeit. Elena war verwirrt und blieb es den ganzen Tag lang. Daniels Handy lag ebenfalls an seinem Platz im Flur. Sie rief seine Freunde und seine Eltern an, aber niemand hatte Daniel gesehen. Nicht, dass sie ihn besonders vermisst hätte, aber es war schon merkwürdig, und barfuß, ohne Schuhe und Mantel konnte er bei diesen Minusgraden wohl kaum die Wohnung verlassen haben. Am Abend rief sie endlich die Polizei an, die in den nächsten Tagen intensiv suchte und ermittelte. Daniel blieb verschwunden, obwohl die ganze Nachbarschaft auf den Kopf gestellt wurde und Elena endlose Fragen über sich ergehen lassen musste. Aber sie konnte ihr nichts nachweisen. Irgendwie fühlte sie sich befreit und beschloss, das ganze Weihnachtsdorf zu verkaufen. Sie machte eine öffentliche Anzeige, hängte Zettel an die Bäume und hoffte, dass eine Woche vor dem Fest doch noch jemand dieses oder jenes kaufen würde. Der Preis war ihr im Moment eigentlich egal.

Einige Leute kamen tatsächlich, bestaunten das Weihnachtsarsenal und kauften dieses und jenes. Langsam leerte sich die Stube und Elena atmete auf. Es war schon spät, als es noch an der Tür klingelte. Um diese Zeit hatte sie eigentlich keine Käufer mehr erwartet, stand doch auf dem Zettel bis 18:00 Uhr. Inzwischen war es aber schon 19:00 Uhr. Für einen Moment dachte sie mit Schrecken daran, dass es Daniel sein könnte.  Vor seinem plötzlichen Auftauchen hatte sie wirklich Angst, hatte sie doch fast das ganze Dorf verkauft. Vorsichtig öffnete sie die Tür und vor ihr stand eine Frau mit zwei Kindern. “Entschuldigen Sie die späte Störung”, sagte die Frau schüchtern, “aber wir kommen gerade aus dem Urlaub. Meine Kinder haben mich her geschleift, weil sie selbst ein kleines Weihnachtsdorf haben. Vielleicht gibt es ja noch etwas.” Elena war unglaublich erleichtert. „Ja, sucht euch was aus, es ist noch was da.“, forderte sie die Kinder auf, die sofort in die Stube liefen. Die Frau strahlte: „Aber nicht so viel, wir sind knapp bei Kasse.“ „Wir werden uns schon einigen”, meinte Elena “Kommen Sie in meine Küche, ich habe noch etwas Lebkuchen und eine Tasse Tee.“ Die beiden Frauen setzten sich in die Küche und unterhielten sich, während die Kinder die Reste des Dorfes durchsuchten. Nach einer Weile kamen sie mit zwei Häusern, Tannenbäumen, einem Kindergartengebäude und verschiedenen Figuren zurück. „Oh, so viel, was kostet das?“ fragte die Frau erschrocken. Bevor Elena etwas sagen konnte, unterbrach sie der Junge: „Schau mal, Tante, die Figur ist komisch. Obwohl draußen Schnee liegt, ist der Mann barfuß und hat keinen Mantel an“ Elena nahm die kleine Figur und ihr stockte der Atem. Der kleine Mann sah ängstlich aus und trug einen Rentierpullover mit Rudolph. Das Gesicht der Figur war, sie konnte es kaum glauben, ihrem Mann wie aus dem Gesicht geschnitten. „Und wie viel soll das kosten?“, fragte die Frau vorsichtig. Sie schaute Elena an, die immer noch wie versteinert dasaß. “Wissen Sie was! Es ist fast Weihnachten, ich schenke es Ihnen.“ Die Frau und ihre Kinder bedankten sich überschwänglich. „Danke, welch eine Freude, ich hoffe, ihre Wünsche gehen auch in Erfüllung“. “Ja”, sagte Elena, “Mein Mann hat mir schon meinen sehnlichsten Wunsch erfüllt”. „Welch ein guter Mann!“, freute sich die Frau beim Abschied. 

Elena lächelte zufrieden. Es würde das schönste Weihnachtsfest seit langem sein.

Der alte Mann liebte diese Morgen an seinem kleinen See. Schilf, Enten, Schwäne, viel Ruhe. Wenn bei Sonnenaufgang der Nebel kam, war es Zeit, sich seinen Gedanken zu widmen. Insgeheim nannte er das Kopfrauschen. Er hätte viel zu erzählen gehabt, wenn es noch jemanden gegeben hätte, der ihm zugehört hätte. Seine Frau war gestorben, er war im Rentenalter, sprach höchstens noch mit seinem Hund. Das Erfrischendste in seinem Leben war ein Eis, das er sich alle zwei Tage gönnte, ansonsten war menschliche Kälte sein Lebensinhalt. Etwas Wärme spendeten ihm seine 3D-Figuren, die ihm nach über 65 Jahren Leben geblieben waren, und dieser See. Der alte Mann war sein Leben lang aktiv gewesen, hatte viele Spuren hinterlassen, aber die Spurenträger lebten ihr eigenes Leben. In vielen Vereinen war er gewesen, vieles hatte sich verändert. Wie sehr er sich auch mühte, die Zeit war gegen ihn. Die einen starben, die anderen entzogen sich dem Vereinsleben. Die besten Freunde verstreuten sich in alle Winde, jung an Jahren und hungrig nach Leben. Er hatte alles getan, um diesen Prozess aufzuhalten und spät erkannt, dass er ihn nicht aufhalten konnte. So blieb am Ende eine Katze, seine Vergangenheit, seine 3D-Bilder. Irgendwann resignierte er und fand nichts mehr wichtig. Natürlich kannte er sein Selbstmitleid, aber wenn er im Wohnzimmer saß, freute er sich über ein paar kurze Gespräche mit seinen Freunden per Telefon oder WhatsApp. Sein Arbeitszimmer schmückte er immer noch mit den Bildern aus der Vergangenheit und eine Atmosphäre mit Kerzen fand er erotisch. Der alte Mann lachte. Erotisch, so ein Unsinn.

„Onkel. Warum lachst du?“ Ein kleines Mädchen zupfte an seinem Mantel. Neben ihr stand wohl die Mutter und zuckte lächelnd mit den Schultern. „Ich habe gerade daran gedacht, als ich noch jünger war. Da hatte ich eine unbändige Lust zu leben“, er tippte der Kleinen mit dem Finger auf die Nase, „…und zu lachen.“ „Und das ist jetzt vorbei?“, fragte die Mutter fast besorgt. „Nein, nein“, versicherte der Alte, „wenn man dem Horizont des Lebens begegnet, ist es manchmal schwer, dann ist nicht mehr viel da, mit dem man hemmungslos leben kann. Die Knochen sind alt.“ „Schau“, quietschte das kleine Mädchen und blickte auf den See, „der Schwan, er kommt auf uns zu.“ Der Alte griff in seine Manteltasche, holte ein Stück altes Brot heraus und gab es dem Mädchen. „Hier, probiere mal, das wird ihm schmecken.“ Das Mädchen lachte und warf dem Schwan kleine Stücke zu, der sich ihr näherte. Der alte Mann trat zurück und beobachtete das Geschehen. Die beiden waren so in die Fütterung vertieft, dass sie ihn schon vergessen hatten. „Wie im Film“, plapperte das kleine Mädchen, „da haben die Tiere die Menschen geliebt. „Ja, ich weiß“, sagte die Mutter, „der Truthahn, der riesige Wal, das Nilpferd“. Die Mutter machte dicke Backen und beide lachten. Der alte Mann erinnerte sich und vergaß, dass er keine Kinder hatte. Er erinnerte sich nicht und fühlte die morgendliche Kälte. Man müsste ein Tier sein, dachte er, dann würde man ein paar Streicheleinheiten bekommen. Er hatte das erwähnte Video gesehen, hatte es ausgeschaltet, weil es ihn nicht interessierte. Er wusste, dass es eine Lüge war, aber er wollte seinen Gefühlen nicht nachgeben, das hatte ihm noch nie geholfen. Aber der Wunsch überkam ihn sofort. Es war ihm unangenehm. Das kleine Mädchen streichelte den Kopf des Schwans, der sich das seltsamerweise gefallen ließ. Vielleicht war er einsam.

Das Mädchen schaute sich um. „Schau mal, Onk… Wo ist denn der Opa?“, fragte sie erstaunt. Die Mutter zuckte mit den Achseln. „Ach, den habe ich ganz vergessen. Der ist bestimmt nach Hause gegangen oder zu seiner Frau und den Kindern. Er schien ja sehr kinderlieb zu sein. Wer weiß?“ „Und warum hat er seinen Hut hiergelassen?“, fragte die Kleine. Sie wollte danach greifen, aber die Mutter war schneller und hob ihn auf. Im selben Moment stieß sie einen entsetzten Schrei aus, der selbst den Schwan in die Flucht schlug. „Iiih, eine hässliche Kröte, fass die bloß nicht an. Die können giftig sein.“ Mit einem Fußtritt beförderte sie das Tier in den Teich. „Leben in dem Teich Kröten?“, fragte die Kleine traurig. „Ich weiß es nicht! Komm, wir gehen nach Hause, wir haben den schönen Schwan gesehen. Das war doch toll, oder?“ „Das werde ich Papa erzählen“, jubelte die Kleine.

Die Kröte war längst aus ihrem Teich gehüpft. Sie erinnerte sich. Das konnte sie am besten. Sie war allein, auch daran war sie gewöhnt. Sie suchte sich ein warmes Plätzchen und vergaß bald, wer sie war.

Raimond war es gewohnt, abends auf dem Sofa zu liegen und Zeitung zu lesen. Was sollte er sonst tun, er hatte den ganzen Tag am Computer gearbeitet. Der Fernseher lief, es war Krimizeit, seine Frau stand in der Küche und bereitete das gemeinsame Abendessen vor. Ab und zu las Raimond ihr einen interessanten Artikel vor, man übte sich im abendlichen Smalltalk über dies und das. Mit den Jahren waren beide ihrer jugendlichen Figur etwas entwachsen, was Raimond zwar bedauerte, aber sein Bewegungsdrang war nicht der allergrößte. Seine Frau war inzwischen fertig, brachte das Abendessen und setzte sich. Beide achteten sorgfältig darauf, sich nicht unnötig zu berühren, wie sie es wohl schon seit vielen Jahren taten. Aber Raimond brauchte das tägliche abendliche Ritual, um mit jemandem sprechen zu können. Das war so und würde so bleiben, bis der Tod sie beide in seine stummen Arme nahm. Raimond hatte alles, was das Leben an Geld und anderen Dingen zu bieten hatte, er war zivilisationssatt.  Und doch schlummerte tief in ihm eine Sehnsucht nach mehr, eine Sehnsucht nach Berührung, eine Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit, die es hier zwischen Zeitungslesen, Abendessen und Small Talk nie gab. Seine Frau plauderte munter vor sich hin, erzählte von ihren Kollegen, deren Namen Raimond schon lange kannte. Amüsiert dachte er plötzlich an ihren Nachttisch, wo er zufällig zwei Dildos gefunden hatte. Er beneidete sie um diese Möglichkeit der Befriedigung, die ihm so gänzlich verwehrt blieb, da er durch die lange Entwöhnung nichts mehr mit seinem besten Stück anzufangen wusste. Man hatte ihm gesagt, dass regelmäßiges Training ihm helfen könnte, seine Schwellkörper wieder zu aktivieren, aber er war nicht der Typ, der sich „runterholen“ ließ. Er mochte eher das Sinnliche, das Sanfte, das Langsame, diesen Tantra-Effekt, bei dem das beste Stück eine sanfte Behandlung erfährt. Das konnte er sich nicht leisten. Er hatte es nur zweimal in seinem Leben erlebt. Es war, wie bei anderen, eine Massage des Rückens und des Bauches, aber da es sich um einen besonderen Teil des menschlichen Körpers handelte, konnte er niemanden finden, der ihm diesen „unanständigen“ Wunsch erfüllen konnte. Das wurde sofort mit Sex in Verbindung gebracht, obwohl jedes Lehrbuch etwas anderes sagen würde.

Seine Frau hatte das schon in ihren erotischen Zeiten nicht verstanden, und er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand diesen Wunsch überhaupt verstand. Eher konnte man rumhuren, ins Bordell gehen, das war nicht so pervers wie seine Wünsche.

 

Längst hatten die beiden aufgehört, sich mit solch obszönen Gedanken zu beschäftigen. Sexuell waren sie geschlechtslose Disneyfiguren oder bestenfalls Schlümpfe. Oft wälzte er sich im Bett und war zutiefst betrübt über seinen berührungslosen Zustand. Raimond konnte seine Frau nicht mehr berühren, seit sie ihn eines Tages brüsk aus dem Bett verjagte, vertrieben hatte, weil er etwas ausprobieren wollte. Es war an ihrem Geburtstag, als er mit einem Sektfrühstück in ihr Herz und zugegebenermaßen auch in ihr schönes Geschlecht schleichen wollte. Doch der zaghaft geäußerte

zaghaft geäußerte Wunsch nach etwas Oralverkehr und die Berührung an der falschen Stelle

zu einem lebenslangen Totalausfall ihres Liebeslebens. Natürlich hatte er sich bei Prostituierten versucht, aber auch das war eher peinlich und führte zu nichts. Er war nicht der Typ dafür, er mochte eine Art von Berührung und Zärtlichkeit, die ihm diese Frauen nicht geben konnten und wollten. Im Gegenteil, er machte sich lächerlich. So blieb ihm nichts anderes übrig, als dieses Ritual aus Zeitung, Abendessen und Fernsehen am Abend zu wiederholen. Das stürzte ihn oft in tiefe Depressionen.

 

“Hast du dir schon einen Film ausgesucht?“, fragte seine Frau, und bevor er antworten konnte, nahm sie die Fernbedienung und wählte sich selbst einen Film aus. Es war einer dieser Liebesfilme, die er sowieso nicht mochte, weil sie ihm zeigten, wie schön die Liebe sein konnte, an der er nicht mehr

nicht mehr teilhaben konnte. Während der Bettszenen vertiefte er sich in seine Zeitung.

„Guck mal, den würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen“, provozierte sie.

„Schön für dich.“

„Das Mädchen ist auch hübsch. Hat nur einen kleinen Busen.“

„Sehr interessant.“

„Du liest nur, vom Film bekommst du nichts mit.“

„Vom Leben bekomme ich auch nichts mit.“

„Was soll das heißen?“

„Es ist schön zu sehen, wie es zwei machen.“

„Du willst nicht mehr.“

„Um wieder aus dem Bett geworfen zu werden?“

„Das ist altmodisch. Außerdem war dein Wunsch eklig.“

„Ich habe immer Oralsex mit dir gemacht und du hast es geliebt.“

„Das ist was anderes, aber so ein Schwanz ist eklig.“

„Haut, nichts als empfindliche Haut.“

„Wir leben gut.“

„Ja, wir leben. Aber es ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe.“

„Ach, du mit deinem Sex, Entschuldigung Eroootik. Das war schon zu viel.“

„Was zu viel? Ich dachte, es hat dir gefallen?“

„Ich habe dir zuliebe nichts gesagt. Aber ich hab rumgemacht. Ich hatte auch meine Fantasien.“

„Ach so, welche denn?“

“Na ja, so wie in dem Film “Fifty Shades of gray”. Das war prickelnd, oder mal so richtig genommen zu werden, ohne Gedichte, ohne die Kerzenflut und ohne Sektfrühstück.“

„Das haut mich um, du hast nie was gesagt.“

„Das konntest du doch gar nicht, mit deinem Gefühlsquatsch. Du wolltest doch nur mit der Zunge an die Muschi ran.“

„Aber, aber ich dachte …“

„Ist doch egal, so was brauchen wir nicht mehr, das ist was für die Jugend. Und du hast ja deine Pornos.“

„Was für Pornos?“

„Naja, ich habe gesehen, wie du dir so was angeschaut hast. Da war ganz groß eine offene Muschi auf dem Bildschirm. Das ist doch eklig.“

„Ich hab ein bisschen recherchiert.“

„Recherchiert nennt man das? Haha. Ja, ich weiß, für deine Prostituierten. Oder meinst du, ich weiß nicht, dass du beim Bordell geparkt hast, des Öfteren.“

„Ich? Beim Bordell geparkt? Du spinnst doch. Ich hatte in der Nähe etwas zu erledigen.“

„Klar. Ist doch logisch.“

„Verdammt, ich war bei keiner Prostituierten, das kann ich nicht.“

„Klar, das sagen alle Männer. Was denn sonst. Guck du doch deine Pornos, ich will das nicht sehen. Das finde ich pervers in deinem Alter. Recherche, klar, du hast damals bei mir recherchiert, das war für mich schon unerträglich.“

„Was redest du da? Du hast es gewollt, es hat dir gefallen. Warte mal.“

 

Raimond kochte, in seinem Kopf drehte sich ein Karussell der schlimmsten Art. Was redete sie da für einen Unsinn? Er holte eine Mappe mit Briefen und blätterte sie durch. Dann las er vor: „Es war eine wunderschöne Nacht mit dir. Die vielen Kerzen und dann noch die Gedichte. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich liebe dich dafür.“ Er kramte und fand ein neues Blatt: „Ich weiß, wie hungrig du bist, wenn du in die Ferien kommst. Dass du dann so schön an mir knabberst und dir auch unter rum viel Zeit nimmst, gefällt mir sehr. Das tut gut, bitte mehr davon und alles schöööön langsam. Das hast du mir selbst geschrieben.“

„Hör auf, Raimond, ich will das nicht mehr hören, das ist fast 40 Jahre her. Ich war jung, du hattest Geld, da bietet man sich an. So ist das. Aber mir hat der Kick gefehlt, den du nie wolltest, der starke Mann, das bist du nicht. So was Weiches will keine Frau auf Dauer. Ja, am Anfang war es auch schön, aber heute würde ich darüber lachen. Wirf das Zeug weg, das ist nur noch Müll. Ich will nicht mehr darüber reden.“

„Aber im Film…?“

„Du hast deine Pornos, ich habe meine schönen Filme.“

Raimond saß mit gesenktem Kopf da. Sein Leben, seine Liebe waren soeben zerstört worden. Er schob den Ordner zurück in sein verstaubtes Regal, strich mit der Hand darüber und Tränen rannen ihm aus den Augen. Das war es, was ihm am Ende seines Lebens geblieben war? Er wollte schreien, heulte hemmungslos, und in seinem Kopf hämmerte der Satz: „So etwas Weiches will keine Frau auf Dauer.“ Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder gefangen hatte, dann setzte er sich auf die Couch und las weiter in der Zeitung. „Du hast recht, wir sollten nicht mehr über so einen Quatsch reden“, sagte er noch, und seine Frau nickte. Er hatte wohl verstanden.

Wolter schielte aus dem Fenster. Er hatte gerade Mittagsschlaf gehalten, als er die Sirenen des Krankenwagens und des Polizeiautos hörte. Was war bei den Nachbarn los? Er kannte Raimond schon lange und nie war etwas passiert. Ein blauer BMW fuhr vor und die Schranke öffnete sich. Ein grauhaariger Mann stieg aus und musterte die Umgebung. Wie zufällig blickte er in Wolters Richtung, der sich ertappt fühlte und sich schnell vom Fenster entfernte. Wolter ahnte, dass es sich um einen Kriminalbeamten handelte. Was war mit Raimond los?

Manuel, von Beruf Kriminalpolizist, musterte die Umgebung. Es war eine normale kleine Siedlung, unauffällig und gediegen. Nichts Besonderes. Er war hierher gerufen worden, wegen eines unnatürlichen Todes. Noch wusste er nicht, was passiert war. Überall liefen Leute von der Spurensicherung herum. Manuel verschaffte sich einen Überblick und betrat die Wohnung. Ein Beamter führt ihn ins Schlafzimmer. Was er sieht, erstaunt ihn. Das ganze Zimmer war voll mit kleinen Teelichtern, die zum Teil noch brannten. Auf dem Bett lag eine nackte, korpulente männliche Leiche, aus deren Mund Papierfetzen quollen. Das Gesicht war tränenverschmiert. In den verkrampften Händen befand sich beschriebenes Papier. Um seinen Penis war ein rotes Band gebunden, an dem ein Geschenkzettel mit einem Kussmund und einer Hand hing. Auf dem einen Oberschenkel stand mit Permanentmarker „Was ist passiert?“, auf dem anderen „Berührungslos“. Eine Frau in einem weißen Kittel untersuchte die Leiche. Sie bemerkt Manuel, der fragend auf den Toten zeigt. „Seltsam. Der Typ ist erstickt, weil er Unmengen von Papier in sich hineingestopft hat. Es sind Liebesbriefe, Tagebuchaufzeichnungen, die er vor über 40 Jahren an seine Frau geschrieben hat oder die sie ihm geschrieben hat. Was die Sätze bedeuten und die komische Schleife und die vielen Kerzen, das muss man die Frau fragen. Es sieht fast romantisch aus. Ich weiß es auch nicht. Die Frau sitzt im Wohnzimmer und versteht die Welt nicht mehr. Fremdeinwirkung kann ich ausschließen, eher ein unfreiwilliger Selbstmord. Mehr nach der Obduktion.“ Irgendwie schien die ganze Sache sexueller Natur zu sein, irgendwie aber auch nicht, dachte der Kommissar. Er hob mit einer Pinzette ein Stück Papier vom Boden auf und las. Seine Augenbraue zuckte erstaunt nach oben. „Wo ist seine Frau?“, fragte er den Beamten, der gerade an ihm vorbeigehen wollte. „Kommen Sie mit“, wies ihm der Beamte den Weg.

 

Raimonds Frau saß zusammengekauert und in Gedanken versunken im Wohnzimmer und schüttelte immer wieder den Kopf. Ihr Gesicht war von Verwunderung geprägt. „Sind Sie die Frau des Mannes im Schlafzimmer?“, fragte Raimond etwas unbeholfen. „Ja, ich verstehe nicht. Wir haben uns doch gestern gar nicht gestritten. Was hat er denn gemacht? Das ist alles so merkwürdig!“ Manuel sah die Frau schief an. „Er ist erstickt, an diesen Zetteln oder Briefen“, er hielt der Frau den Brief hin, den er mitgenommen hatte. Die Frau legte den Kopf schief und las, denn Manuel verbot ihr, den Zettel anzufassen. Dabei beobachtete er die Frau genau: „Es war eine wunderschöne Nacht mit dir. Die vielen Kerzen und dann noch die Gedichte. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich liebe dich dafür.“ „Meint er sie damit?“, fragte er etwas streng. „Ja, aber das ist vierzig Jahre her, und es war nicht mehr“, stotterte sie.

„Nun, gute Frau, Ihr Mann scheint vor vierzig Jahren an der Liebe erstickt zu sein. Wahrscheinlich wollte er Ihnen mit seinem Geschenk mit der roten Schleife etwas sagen“, meinte Manuel sarkastisch. „Wenigstens haben Sie ein schönes Haus. Das ist doch was am Ende des Lebens, oder?“  Die Frau antwortete nicht, sondern sah ihn nur verständnislos an. Sie konnte immer noch nicht begreifen, was passiert war, warum er sie beide so unerwartet und auf so merkwürdige Weise aus ihrem Alltag herausgerissen hatte. Das war doch nicht nötig.

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Weihnachtliches

Elena blickte misstrauisch auf die Kartons im Wohnzimmer. Ihr Mann war damit beschäftigt, die Aufschriften zu lesen. „Kirche, Schneeschanze, Tannenbäume“, murmelte er geistesabwesend vor sich hin. Sie wusste genau, was in den nächsten Stunden passieren würde, und schwankte zwischen aus dem Haus oder ins Bett gehen und fernsehen. Hier würde gleich das Chaos ausbrechen, wenn Daniel anfing, die Kartons zu öffnen. Er hatte schon den ganzen Vormittag damit verbracht, die Kartons in die Wohnung zu schleppen und alle Tische, auch den Fernsehtisch und die Regale, von den Accessoires zu befreien, die sonst dort ihren Platz hatten. Alle Jahre wieder. Immer wieder staunte sie, wie akribisch und organisiert Daniel vorging und schon Wochen vorher, ab Oktober, von seinem großen Ereignis in der Vorweihnachtszeit schwärmte. Er schien an nichts anderes mehr zu denken. Der Aufbau des Weihnachtsdorfes war in den letzten Jahren zu seinem Lebensinhalt geworden. Je mehr Daniel sich darauf freute, desto mehr hasste Elena dieses Dorf. Es war längst kein Dorf mehr, sondern eine Stadt in einem Tal mit unendlich vielen Tannenbäumen. Abends würde diese riesige Landschaft, die zwei Drittel des Wohnzimmers einnahm, ein Licht ausstrahlen, das wahrscheinlich jede Flugzeugbesatzung sehen würde, wenn es kein Dach gäbe. Der Schnee verbrauchte mehrere Packungen Watte, über 800 Figuren bevölkerten die Landschaft auf Skiern, Schlitten, in der Kirche, beim Schlittschuhlaufen, beim Skispringen. Nur die Bäume übertrafen die Zahl der Figuren. Bei den Gebäuden, ob Kirche, Weihnachtsfabrik, Stadion, Häuser, hatte Elena schon aufgehört zu zählen. Irgendwo bei 300 war ihre letzte Erinnerung. Ganz zu schweigen von den inzwischen armdicken Kabelsträngen, die sorgsam unter der Watte verborgen waren und die Häuser und Gebäude mit Licht versorgten. Sie hätte sich da nie durchgefunden. Die vielen Transformatoren stapelten sich unter ihrem Schrank, der extra auf Füßen etwas höhergestellt wurde. Eine Maßanfertigung ihres Mannes extra für das Weihnachtsdorf, so wie alles im Wohnzimmer so angefertigt wurde, dass sein Weihnachtsdorf darauf Platz fand. Da der große Esstisch vollgestellt wurde, musste in dieser Zeit in der Küche gegessen werden. In der Vorweih-nachtszeit verging kaum ein Tag, an dem Daniel nicht sein Dorf erweiterte. An die Decke hängte er sogar einen Sternenhimmel, die dafür spezielle Haken hatte. Anfangs, als sie ihn vor zehn Jahren heiratete, lächelte sie über das Weihnachtsdorf, hielt es für einen romantischen Spleen. In den Jahren danach musste sie mit ansehen, wie das Wohnzimmer umgestaltet wurde und seine Weihnachtsdorf ins Unermessliche wuchs. In den letzten Jahren überkam sie eine Art Grauen, sobald Daniel im Herbst anfing, Kataloge zu wälzen, um sein Dorf zu vervollständigen. Für Elena war es schon eine Megaweihnachtscity. Von da an schien auch Elena für ihn nur noch Luft zu sein. Er vernachlässigte sie einfach und die Zärtlichkeiten hörten plötzlich auf. Seine ganze Liebe schien in diesem verdammten Dorf zu sein.

Wie schön waren einst die gemeinsamen Weihnachtstage, als noch Besuch kam, der jetzt aus Platzmangel ausblieb, als das Dorf auf einem Buffet stand und sie den großen Tisch zum gemeinsamen Essen nutzen konnten. Ihr Gespräche drehten sich damals um die schönen Dinge des Lebens, und Daniel hatte auch ein paar liebe Worte für sie. Elena schaute ihm zu, als er den ersten Karton mit Gebäuden öffnete. Die Kartons waren riesige Umzugskartons, die er im Wohnzimmer und auf dem Balkon gestapelt hatte. Heute hatten sie zum letzten Mal vor Weihnachten an ihrem Wohnzimmertisch gesessen, bevor ihr Mann ihn in einen Teil seiner Weihnachtsstadt bebauen würde. Sie hatte eine Gänsehaut, und in ihr stieg ein unbändiger Hass auf, der sich im Laufe der Jahre langsam, aber sicher nicht nur auf das Weihnachtsdorf, sondern auch auf Daniel übertrug. Wenn Elena an die nächsten zehn Jahre dachte, wurde ihr schwindelig und sie glaubte, dass sich ihre ganze Wohnung in eine einzige Weihnachtsstadt verwandeln würde, in der sie mit Schneeflöckchen-Weißröckchen und Kling-Glöckchen-klingeling gefangen gehalten würde. Sie musste etwas tun. Dringend, sonst würde sie verrückt werden. „Wir gehen nachher in die Stadt“, strahlte Daniel und legte sorgfältig ein Haus auf die gezeichnete Unterlage. „Ich habe etwas ganz Neues gesehen.“ Elena erstarrte. Nicht schon wieder! „Muss das sein, reicht es nicht jetzt?“, versuchte Elena zu protestieren. „Ich brauche ein paar neue Schuhe.“ „Deine Schuhe laufen nicht weg, aber die Weihnachtsbäckerei gibt es nicht so oft. Da müssen wir zuschlagen.“ Daniels Antwort klang wie ein Befehl und ließ keinen Zweifel daran, dass er von diesem Gedanken nicht abzubringen war. Elena sah ihren Mann an und wusste, dass jeder Widerstand zwecklos war. Sie versuchte es mit Tränen, schrie ihn an, aber alles prallte an ihm ab. Selbst als sie letztes Jahr mit der Scheidung drohte, war seine einzige Antwort: „Ich kann in deinem Arbeitszimmer dann weiterbauen“. Sie konnte ihn auch nicht so einfach verlassen, weil er das meiste Geld verdiente und vor allem, weil er als Tischlermeister fast alles in der Wohnung allein baute, auch wenn es letztlich seinem Hobby diente. Als Halbtagskraft würde ihr nicht viel bleiben. Insgeheim hatte sie in ihren Träumen auch schon an Mord gedacht, indem sie ihn mit seinen eigenen Lichtkabeln erdrosselte. Aber das brachte sie einfach nicht fertig. So fügte sich Elena in ihr weihnachtliches Schicksal. Daniel bemerkte nicht einmal, dass Elena Tränen über das Gesicht liefen. Er trug in der Vorweihnachtszeit seine Weihnachtspullover, 24 Stück, für jeden Tag einen. Alle hatten irgendwelche kitschigen Weih-nachtsmotive, die einfach nur albern waren. Heute lächelte sie ein Rentier mit roter Nase an. „Scheiß Rudolph”, dachte sie. “Lass uns in die Stadt gehen”, befahl Daniel und zog seinen roten Mantel und die schwarzen Stiefel an. Am peinlichsten ware seine Weihnachtsmütze, die er sich aufsetzte. Elena kleidete sich ebenfalls traurig an. Sie hasste Daniel, sie hasste diesen Tag, sie hasste Weihnachten.

Elena war den Tränen nahe, als sie wieder zu Hause ankamen. Sie hatte sich die ganze Zeit wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt. Daniel schleppte sie durch die halbe Stadt, rannte von einem Geschenkeladen zum nächsten, um etwas für sein verdammtes Weihnachtsdorf zu ergattern. Unterwegs blieb nicht einmal Zeit für ein anständiges Essen, eine Bockwurst musste reichen, von Gemütlichkeit und Weihnachtsstimmung keine Spur. „Zu Hause ist es gemütlicher, da ist Weihnachten pur“, antwortete er lakonisch auf ihre vorsichtige Frage nach einem Essen in einer Gaststätte. Freudestrahlend hielt er nun zwei Tüten in der Hand, die er sofort in sein Weihnachtswunderland schleppte, um sein Horrorkabinett zu erweitern.  Elena schluckte sich, als sie einen Blick in das Wohnzimmer warf, in dem Daniel emsig sein Weihnachtsdorf oder besser seine Weihnachtsmegacity aufbaute. Ihr wurde schwindelig und alle Figuren im Dorf schienen sie hämisch anzugrinsen. In der Küche sah sie ihren Messerblock und griff nach dem langen Brotmesser.

Daniel erschrak, als Elena plötzlich vor ihm stand. Mit großen Augen schaute er sie ungläubig an. In der Hand hielt Elena eine Schüssel mit Keksen, die sie ihm anbot. „Das ist aber nett“, freute er sich.  „Weißt du, wenn ich hier fertig bin, darfst du dir etwas wünschen, sofern ich es dir erfüllen kann und es nicht zu teuer ist.“ ‚Natürlich‘ dachte sie grimmig, ‚Ich kenne deine Geschenke. Es darf nie mehr als 20 Euro kosten. Ich hasse dich und wünschte, du würdest mit deinem Dorf verschwinden.’ Daniel grinste immer noch und kaute genüsslich an einem Keks. Elena beschloss, sich ins Schlafzimmer zurückzuziehen und ein wenig fernzusehen, um sich abzulenken. Tatsächlich verstand sie den Inhalt des Programms kaum, war in Gedanken versunken und schlief bald ein. Es war schon spät, als Daniel zu ihr ins Bett kroch und fröhlich rief: „Schatz, ich bin fertig. Willst du mal sehen?“ Elena zog sich die Decke über den Kopf und murmelte etwas von Müdigkeit. „Du kannst einem die schönste Freude verderben, du alter Weihnachtsmuffel.“ Verärgert legte sich Daniel hin. ‚Fahr zur Hölle‘, dachte Elena und schlief wieder ein.

Als Elena aufwachte, war es bereits Morgen. Der Baum vor ihrem Fenster war mit Schnee bedeckt. Irgendwie hatte sie Angst, aufzustehen, wenn sie daran dachte, wie es in ihrem Zimmer aussah. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen, erhob sich langsam und stellte irritiert fest, dass Daniel entgegen seiner Gewohnheit vor ihr aufgestanden war.  Sie lauschte, aber kein Duschgeräusch oder ein anderer Laut drang an ihr Ohr. Elena sah sich in der Wohnung um. Daniel war nicht da. Seine Schuhe waren vollständig vorhanden, auch die schwarzen Stiefel waren da. Sein roter Mantel hing am Haken, die Aktentasche stand an ihrem Platz. Er hatte ja auch Urlaub genommen, wie immer um diese Zeit. Elena war verwirrt und blieb es den ganzen Tag lang. Daniels Handy lag ebenfalls an seinem Platz im Flur. Sie rief seine Freunde und seine Eltern an, aber niemand hatte Daniel gesehen. Nicht, dass sie ihn besonders vermisst hätte, aber es war schon merkwürdig, und barfuß, ohne Schuhe und Mantel konnte er bei diesen Minusgraden wohl kaum die Wohnung verlassen haben. Am Abend rief sie endlich die Polizei an, die in den nächsten Tagen intensiv suchte und ermittelte. Daniel blieb verschwunden, obwohl die ganze Nachbarschaft auf den Kopf gestellt wurde und Elena endlose Fragen über sich ergehen lassen musste. Aber sie konnte ihr nichts nachweisen. Irgendwie fühlte sie sich befreit und beschloss, das ganze Weihnachtsdorf zu verkaufen. Sie machte eine öffentliche Anzeige, hängte Zettel an die Bäume und hoffte, dass eine Woche vor dem Fest doch noch jemand dieses oder jenes kaufen würde. Der Preis war ihr im Moment eigentlich egal.

Einige Leute kamen tatsächlich, bestaunten das Weihnachtsarsenal und kauften dieses und jenes. Langsam leerte sich die Stube und Elena atmete auf. Es war schon spät, als es noch an der Tür klingelte. Um diese Zeit hatte sie eigentlich keine Käufer mehr erwartet, stand doch auf dem Zettel bis 18:00 Uhr. Inzwischen war es aber schon 19:00 Uhr. Für einen Moment dachte sie mit Schrecken daran, dass es Daniel sein könnte.  Vor seinem plötzlichen Auftauchen hatte sie wirklich Angst, hatte sie doch fast das ganze Dorf verkauft. Vorsichtig öffnete sie die Tür und vor ihr stand eine Frau mit zwei Kindern. “Entschuldigen Sie die späte Störung”, sagte die Frau schüchtern, “aber wir kommen gerade aus dem Urlaub. Meine Kinder haben mich her geschleift, weil sie selbst ein kleines Weihnachtsdorf haben. Vielleicht gibt es ja noch etwas.” Elena war unglaublich erleichtert. „Ja, sucht euch was aus, es ist noch was da.“, forderte sie die Kinder auf, die sofort in die Stube liefen. Die Frau strahlte: „Aber nicht so viel, wir sind knapp bei Kasse.“ „Wir werden uns schon einigen”, meinte Elena “Kommen Sie in meine Küche, ich habe noch etwas Lebkuchen und eine Tasse Tee.“ Die beiden Frauen setzten sich in die Küche und unterhielten sich, während die Kinder die Reste des Dorfes durchsuchten. Nach einer Weile kamen sie mit zwei Häusern, Tannenbäumen, einem Kindergartengebäude und verschiedenen Figuren zurück. „Oh, so viel, was kostet das?“ fragte die Frau erschrocken. Bevor Elena etwas sagen konnte, unterbrach sie der Junge: „Schau mal, Tante, die Figur ist komisch. Obwohl draußen Schnee liegt, ist der Mann barfuß und hat keinen Mantel an“ Elena nahm die kleine Figur und ihr stockte der Atem. Der kleine Mann sah ängstlich aus und trug einen Rentierpullover mit Rudolph. Das Gesicht der Figur war, sie konnte es kaum glauben, ihrem Mann wie aus dem Gesicht geschnitten. „Und wie viel soll das kosten?“, fragte die Frau vorsichtig. Sie schaute Elena an, die immer noch wie versteinert dasaß. “Wissen Sie was! Es ist fast Weihnachten, ich schenke es Ihnen.“ Die Frau und ihre Kinder bedankten sich überschwänglich. „Danke, welch eine Freude, ich hoffe, ihre Wünsche gehen auch in Erfüllung“. “Ja”, sagte Elena, “Mein Mann hat mir schon meinen sehnlichsten Wunsch erfüllt”. „Welch ein guter Mann!“, freute sich die Frau beim Abschied. 

Elena lächelte zufrieden. Es würde das schönste Weihnachtsfest seit langem sein.

Es war eine kalte und stürmische Nacht kurz vor Weihnachten, als Anna durch die verschneiten Straßen ihrer kleinen Stadt schlenderte. Die Lichter der geschmückten Häuser glitzerten im Schnee und ein Hauch von Zimt und Tannennadeln lag in der Luft. Plötzlich hörte sie eine leise Melodie, die von irgendwo her zu kommen schien. Neugierig folgte sie dem Klang und fand sich plötzlich vor einer kleinen Gasse wieder, die sie noch nie zuvor bemerkt hatte.

In der Gasse stand eine verzierte Holztür, die leicht geöffnet war. Anna zögerte kurz, aber dann entschlossen trat sie hindurch. Was sie sah, ließ sie den Atem anhalten: Ein prächtig geschmückter Weihnachtsbaum ragte bis zur Decke, umgeben von funkelnden Lichtern und farbenfrohen Geschenken. In der Mitte des Raumes saß ein alter Mann mit einem weißen Bart, der in einem bequemen Sessel saß und leise vor sich hin summte.

Anna erkannte ihn sofort – es war der Weihnachtsmann! Doch etwas war anders an ihm. Seine Augen strahlten eine unbeschreibliche Güte aus und sein Lächeln schien die Dunkelheit zu vertreiben. Er lud Anna ein, sich ihm gegenüberzusetzen und begann, ihr eine Geschichte zu erzählen.

Es war eine Geschichte von Hoffnung und Mut, von Mitgefühl und Liebe. Der Weihnachtsmann sprach von einer Welt, in der die Menschen einander helfend zur Seite standen und einander mit Respekt und Freundlichkeit begegneten. Er erzählte von kleinen Taten der Güte, die große Veränderungen bewirken konnten, und von der Bedeutung, niemals die Hoffnung auf eine bessere Welt zu verlieren.

Als die Geschichte zu Ende war, stand Anna auf, erfüllt von einem warmen Gefühl der Zuversicht. Der Weihnachtsmann lächelte sie sanft an und drückte ihr eine kleine Schachtel in die Hand. Als sie sie öffnete, fand sie darin eine glänzende Kugel, in der sich unzählige Sterne spiegelten.

Mit einem letzten freundlichen Blick verschwand der Weihnachtsmann, und Anna stand allein in der magischen Gasse. Als sie wieder nach draußen trat, fühlte sie eine tiefe Gewissheit in ihrem Herzen – die Gewissheit, dass die Hoffnung auf eine gute Welt niemals verloren geht, solange es Menschen gibt, die bereit sind, einander mit Liebe und Mitgefühl zu begegnen.

Es war einmal ein alter Mann namens Herr Braun, der in einem kleinen, verschneiten Dorf lebte. Jedes Jahr freute er sich sehr auf das Weihnachtsfest, und obwohl er schon viele Winter erlebt hatte, trug er die Wärme und die Freude dieser besonderen Zeit immer in seinem Herzen. Sein kleines, in die Jahre gekommenes Haus war mit selbstgebasteltem Weihnachtsschmuck geschmückt, und die Fenster leuchteten im Kerzenlicht.

Herr Braun hatte keine Familie mehr, doch das störte ihn nicht. Er hatte seinen kleinen Garten, in dem er die schönsten Weihnachtssterne züchtete, und jeden Tag besuchte er die Kinder des Dorfes, um ihnen Geschichten vorzulesen und den älteren Leuten beim Holzhacken zu helfen. Die Dorfbewohner schätzten ihn sehr und betrachteten ihn wie einen Teil ihrer eigenen Familie.

Eines Weihnachtsabends, als der Himmel von funkelnden Sternen erleuchtet wurde, setzte sich Herr Braun auf seine Veranda und blickte in den nachtblauen Himmel. Er dachte an all die schönen Erinnerungen, die das Fest in ihm weckten. Plötzlich hörte er ein zartes Kichern und sah einen kleinen Lichtstrahl am Ende seines Gartens. Neugierig stand er auf und näherte sich.

Dort, zwischen den schneebedeckten Tannen, sah er einen winzigen Freund: einen echten Weihnachtselfen! Der Elf hatte grüne Ohren, Schimmer und Glitzer überall und trug einen roten Hut. “Hallo, Herr Braun!”, rief der Elf fröhlich. “Ich bin Niko, der Weihnachtself, und ich habe eine besondere Aufgabe für dich!”

Der alte Mann war erstaunt und lächelte. “Was kann ich für dich tun, Niko?”

“Dein Herz ist voller Weihnachtsmagie, und ich habe gemerkt, dass du die wahre Bedeutung von Weihnachten in dir trägst”, erklärte Niko mit leuchtenden Augen. “Ich möchte dich bitten, unser neuer Weihnachtself zu werden! Du hast das Herz, das die Welt braucht, um das Licht und die Freude an Weihnachten zu verbreiten.”

Herr Braun war überwältigt. “Aber ich bin zu alt und nicht mehr so agil wie früher”, sagte er mit einem Blick auf seine faltigen Hände.

Niko lachte. “Alter spielt keine Rolle! Solange du deinen Geist bewahrst und deinen Wunsch, zu helfen und Freude zu schenken, in dein Herz trägst, wirst du einen Unterschied machen! Was sagst du?” Nach kurzem Überlegen fiel es Herrn Braun leicht, die Entscheidung zu treffen. “Ich sage Ja! Ich möchte helfen, Weihnachten für alle zu einem besonderen Fest zu machen!” Sofort umhüllte Niko ihn mit einem funkelnden Lichtstrahl.

Plötzlich fühlte sich Herr Braun leicht und voller Energie. Er wusste jetzt, dass er fliegen konnte! Aus der Ruhe seines Gartens hinaus und hoch in die Nacht, die mit Sternen überzogen war. Gemeinsam mit Niko reiste er durch das Dorf und darüber hinaus, um Geschenke auszuliefern, die Herzen zu erfreuen und die Menschen mit seiner Weihnachtsfreude zu inspirieren.

In den folgenden Jahren wurde Herr Braun, der alte Mann aus dem kleinen Dorf, zum berühmtesten Weihnachtselfen. Er brachte Licht und Freude überall hin, wo er hinflog, und das Christmas Village erlebte die magischsten Feiertage, die die Dorfbewohner je gesehen hatten.

Er half dem Weihnachtsmann, die Wunschzettel zu erfüllen, organisierte Pfadfinder-Treffen mit den Kindern und sang Lieder, die die Herzen aller berührten. Von diesem Tag an wusste jeder im Dorf, dass die wahre Magie von Weihnachten in der Liebe und der Wärme lag, die wir füreinander bereit sind, zu teilen.

Und so lebte Herr Braun, der alte Mann, mit dem Herzen eines Weihnachtselfen, glücklich und erfüllt für alle Jahre, die noch kamen.

Weihnachtszeit

Es ist schöne Weihnachtszeit,
auch wenn es draußen gar nicht schneit,
so ist Frau Helmich doch bereit,
dies Fest ein wenig zu genießen,
mit ihrem Mann den Tannenbaum zu begießen,
und nicht zu verdrießen,
denn ihr alter Ehemann,
ist doch dann und wann,
wenn er’s nicht erwarten kann,
sagen wir mal unromantisch
und auch manchmal sehr pedantisch,
seiner Frau gegenüber
und schon ist dann das Fest hinüber.

 

Frau Helmich aber, die gute Seele,
auf das sie sich nicht quäle,
nimmts schon ein Eheleben hin,
von der Hochzeit an beginn.
Sie hofft, das Werner so sein Name,
mal nicht so ist wie Paviane,
sondern ist zum Fest ganz engelszahm,
doch ach, ist es nur ein falscher Wahn.

Denn kaum hat sie gebacken und den Baum geschmückt,
ihr Gatte sie mit Schimpf und Meckerei beglückt,
das Glöckchen hängt an der falschen Stelle,
die Kekse schmecken wie Schweineställe,
nichts ist ihm recht,
von allem wird ihm schlecht
und außerdem ist sie ‚ne dicke Kuh,
er will nur eins, seine Ruh.

Und ach, da bemerkt sie in letzter Minute;
sie hat kein Gehacktes in der Pute.
Oh, da schreit der Werner laut,
und er auf dem Tische haut:

Ach ´du dumme, dumme Pute,
dir geb ich gleich ‚ne Rute,
seit 30 Jahren will ich das so befüllt,

knusprig fein vom Rest umhüllt.
Du hast das ganze Fest versaut,
so brüllt er lauter als erlaubt.

Elfriede aber guckt ganz stumm,
in der Wohnung dann herum,
in ihren Augen tut’s dann blitzen,
man sieht sie in die Küchen flitzen.

Am nächsten Morgen
sitzt Elfriede ohne Sorgen
am Mittagstisch,
mit ‚ner Pute, die ganz frisch
mit Gehacktes aufgefüllt
und fein mit Kruste ganz umhüllt.

 

Sie nimmt sich Pute und Püree,
draußen gibt’s ein wenig Schnee.
Dann legt sie sich Gehacktes auf den Teller,
das scheint heut ein wenig heller,
und vor dem ersten Bissen, streichelt sie es zart,
ich hoff, sagt sie, das Pürre ist dir nicht zu hart,
und nun ist alles so befüllt
in knusprige Haut eingehüllt,
wie du es am liebsten magst,
so das du dich nicht mehr plagst.

So genießt sie ihre Weihnachtszeit,
kaut das Fleisch und lächelt breit,
während es draußen weiter schneit.
Und in der Küche liegt ein blutig Messer,
nun wird’s in ihrem Leben besser.

Ach du schöne Weihnachtszeit,
für diese Stille sind wir bereit.

Frau Helmich, ist nicht mehr allein
das findet sie an sich ganz fein.
Weihnachten naht nun heran,
und sie denkt kurz an ihren Mann,
der zum letzten Fest irgendwie verschwand,
was sie doch sehr schnell verwandt,
denn er tobte gerne rum,
machte sie nur ständig dumm.
Die Polizei suchte an allen Orten,
fand indes keinerlei Antworten.
Frau Helmich streichelt sanft ihr gold‘nes Messer,
und lächelt, weiß sie es ein wenig besser.

So blieb verschwunden der Ehegatte,
denn sie einst in besseren Zeiten hatte,
und ein Jahr später ist’s so weit
und sie fürs neue Fest bereit.

Es kommt nun die Schwiegermutter,
sie ist ganz rund, steht gut im Futter
und ist noch voller Trauer um den Sohn,
möchte zum Weihnachtsfeste, ein wenig wohn‘,
wo der Liebling einst seinen Fuß gesetzt,
hat seine Hochzeit sie vor Jahren tief verletzt,
weil Frau Helmich ihrem Sohn nicht würdig war,
das fand die Gute gar nicht wunderbar.

Frau Helmich knirschte damals mit den Zähnen,
musste sich an die Schwiegermutter gar gewöhnen.

Doch nun komm diese Alte Jahr um Jahre wieder,
da schwabbelt‘s von den Zehen bis ins Mieder.
Eine Pute soll sie machen,
so wie bei ihrem Sohn, den Herd anfachen,
vollgestopft mit Hackepeter,
und Fr. Hellmich hört schon das Gezeter,
das es ihr doch nicht gelänge,
und sie zu viel Haut absenge.

Und Frau Hellmich fuchelt stumm,
mit dem gold’nen Messer in der Küch‘ herum,
als es an der Türe schellt,
es ist die Schwiegermutter, was ihr nicht gefällt.

Schon geht die Plapperei lauthals los,
das Findet Frau Helmich nicht famos.
Und die Helga Schwiegermutter ist voller Lob,
für ihren toten Sohn, der doch eine Tonne wog,
was die Mutter nicht wissen will,
Frau Helmich denkt nur Kill, kill, kill
und fuchtelt lächelnd und ganz stumm
mit dem Messer hinterm Rücken rum.

Ach liebste Martha, hol’n wir einen Tannenbaum
die Zeit vergeht, man glaubt es kaum,
und schmücken den für uns’ren Werner fein,
dann ist er wieder bei uns, so soll es sein.

In Frau Hellmichs Augen tut es blitzen,
sie möchte die Alte am liebsten schlitzen,
doch zieht sie sich getreulich an,
so wie sie‘s tat, ein Eheleben lang.

Und plappernd treten beide aus dem Haus,
Frau Helmich hat in ihren Taschen noch ein Messer,
da fühl sie sich etwas besser,
und hofft an eine dunkle Ecke,
wo man nicht sieht, was sie bezwecke.

Doch kaum kommt die Schweigermutter auf die Straße,
rutscht sie nach vorn in vollem Maße.
Sie rudert verzweifelt mit den Armen rum,
verdreht die Augen, wird ganz krumm
und wums – fällt sie frontal in den LKW hinein,
Frau Hellmich grinst und zieht ihre Hände ein.

Den blut‘ge Spur schaut sie lächelnd nach
und sie ruhig zu sich sprach:
Nun seid ihr beide vereint im Himmel,
mit weihnachtlichem Gebimmel.

Frau Hellmich hat eine friedliche Weihnachtszeit,
ist wieder zum schönen Fest bereit.

Wieder naht die Weihnachtszeit heran
Frau Hellmich ist nun ohne Mann
und auch die Schwiegermutter
ist inzwischen Würmerfutter,
denkt Frau Hellmich unbefangen,
wer soll sie auch belangen.

Sie wartet schon seit Tagen
mit Geduld und ohne Klagen
auf ihre Weihnachtskarte zum Konzert
die war schon eine Menge wert.

Der Postbote aber schüttelte stumm
den Kopf auf die Frage: Warum
denn er noch nicht bei ihr sei,
das war ja nun nicht einerlei.

So ging sie dann am Weihnachtsmorgen,
denn Kopf voller trüber Sorgen
zur Post, um mal zu fragen.
Am Telefon tat man ihr sagen,
dass die Karten längst geschickt,
das macht Frau Hellmich ganz verrückt.

Sie biegt gerade um die Ecke rum,
und wird ganz stumm.
Der Postbote, dieser Lausebengel,
ist gar kein Weihnachtsengel,
er hält die Briefe gegens Licht
ist auf den Inhalt ganz erpicht.
Jetzt reisst er auf einen Brief,
dort läuft doch was gehörig schief
denkt Frau Hellmich mit stiller Wut,
das wird für den Boten gar nicht gut.

Da sieht er sie mit bösem Blick.
Ich brech dir das Genick,
wenn du was sagst, du alte Frau,
ich kenn dich ja genau,
wo deine Wohnung ist,
dich keiner dort vermisst,
wenn ich dich besuche,
und an den Teufel dann verfluche.

Frau Hellmich nimmt die Beine in die Hand
und ist ganz schnell weggerannt:
In ihren Augen tat es blitzen
beim nach Hause flitzen.

Es klingelt an der Tür den nächsten Tag

Frau Hellmich – die vierte Weihnacht

Frau Hellmich ist wieder mal bereit,
für eine ruh’ge Weihnachtszeit.
Ohne ihren lauten Mann,
der im Himmel Harfe spielen kann.
Auch die Schwiegermutter feiert weit
unten in der Hölle, was sie freut.
Der Postbote hat sein Leben eingetauscht
Und im Himmel ihren Manne nun lauscht.
So bleibt ihr Ruhe vor dem Weihnachtsessen
Sie hat Pute und Klöße nicht vergessen.
Da klingelt es an der Türe stürmisch laut
Ein Mann steht dort, vor dem‘s ihr graut.
Frau Hellmich schaut ihn grimmig an.
Der Gerichtsvollzieher ist der dunkle Mann.
Da fällt ihr ein die Hypothek, das belastet sie,
Sie brauchte Geld für Urlaub und dem Weihnachtsvieh.
„Laut meinen Unterlagen“, hob der Mann leise an,.
„Sind die nächsten Zahlungen dran.
Sie haben einige vordem versäumt,
Kommt’s wieder vor, wird geräumt.
Im Neuen Jahr
das ist mal klar.
So nun muss ich über die Brücken,
eine Vorlage zu den Sibermanns schicken.
Sprachs und ging von dannen,
Tränen über Hellmichs Gesicht nun rammen.
Doch schnell wickelt sie sich in Schal Mantel ein,
Lässt den schönen Weihnachtsbraten sein
Und jagt in die Kälte raus,
Noch ohne Festtagsschmaus.

Am nächsten schönen Weihnachtstag,
lud sie Silbermanns ein, ohne Frag.
Beim Essen erzählen die ihr dann,
dass der dunkle Gerichtsvollziehermann
Auf der Brücken ausgerutscht
Und in den eiskalten Fluss geflutscht,
Wo er auf einem spitzen Stein geschlagen.
All das führte zum Herzversagen.
Die Akten waren auch verschwunden,
man hat nicht alle wiedergefunden,
Nur die, wo Helmich und Sibermann entlastet!
Was erstaunlich ist, waren beide doch belastet.
Er war auch ein Betrüger vor dem Herrn
und der Wahrheit ziemlich fern.
In der Sparkasse hat er gefälscht Papiere,
insbesondere Frau Hellmichs Ihre.
Mit offiziellem Stempel noch versehen,
war dies ein schweres Vergehen.
So ging der Nachmittag schnell rum
Frau Hellmich lächelte stumm.
Nachdem Silbermanns gegangen,
musste sie nicht mehr bangen.
Warf einen Stempel schnell ins Feuer,
der war ihr nun nicht mehr geheuer.
Schade fand sie nur,
dass ihr spitzer Stein im Flur
nun nicht mehr an der Stelle stand,
wel er sich im Fluss befand.
Der Stein war ein Geschenk von ihrem Mann
Als er noch sanft, jung und stramm.

Bald senkte sich die Nacht herein
über den dörflichen Weihnachtsschein.
Frau Hellmich war wieder mal gesichert,
So dass sie leise vor sich hingekichert.
Derweil der dunkle Mann
mit der Schwiegermutter tanzen kann,
an einem Ort ohne Schnee und Eis,
aber vielen Glühwein, ganz schön heiß.