Der Begriff Tradition bezeichnet etwas, das sich im Hinblick auf Sitten, Bräuche, Ideen, Wissen und Kultur in der geschichtlichen Entwicklung gebildet hat und innerhalb einer bestimmten Gruppe von Menschen (z.B. Volk, Staat, Verein, Kirche etc.) weitergegeben wird. Sie sind eine Art gesellschaftliches Gedächtnis.
So ist es Tradition bei den Halloren 10 Tage nach Pfingsten zum Pfingstbier einzuladen, wie einst festgelegt immer an ungeraden Jahren. Das Pfingstbier ist ein Privileg aufgrund der Einsatzwilligkeit und der Unterstützung der Stadt in Notzeiten. Es wurde seit alters her von Salzwirkern und Bornknechten gefeiert und zum wichtigsten und größten Fest im Thale zu Halle. In der ältesten “Ordnung der Salzwirker-Brüderschaft im Thale zu Halle” vom 03.02.1699 wurde nach uralter Gerechtigkeit beschlossen, dass sich die Halloren alle zwei Jahre zum Pfingstbier versammeln. Schon 1594 und dann 1645 wurden Ordnungen zum Pfingstbier vom Salzgrafen und den Oberbornmeistern erlassen. Als Höhepunkt des Pfingstbieres gelten das Friedewirken durch den Salzgrafen, das Fahnenschwenken und der Zappeltanz der Halloren.
Am Vorabend des Pfingstbieres wurde der neue Vorstand der Salzwirkerbrüderschaft gewählt und vom Salzgrafen vor dem Feste bestätigt. Damals erfolgte die Bestätigung vorm Thalamt im Thale oder der Halle (Hallmarkt). Das Fest begann mit dem „Friedewürken“ durch den Salzgrafen. Dabei erließ er an die Halloren ein Gebot „dass sie nicht zanken, raufen, schlagen oder sonstigen Unfug treiben“ sollen. Der Salzgraf eröffnete auch den Reigen mit einem Solotanz und zog sich dann zum Imbiss ins Thalamt zurück. Den Salzgrafen in der Salzstadt Halle stellte Lothar Milde seit 18 Jahren dar. Der 89-jährige rüstige Rentner machte schon etwas her in seinem Gewand. Er erzählte mal, dass er von den Halloren höchstpersönlich den „Auftrag“ bekam, am Fest als Salzgraf aufzutreten. Es sind alte Traditionen, die hochgehalten wurden, schließlich gehören die Halloren zum immateriellen Kulturerbe unseres Landes, wie erst kürzlich wieder in einer Rede von einem Halloren auf dem Landtag in Magdeburg betont wurde.
Da der Landesherr (im Mittelalter der Erzbischof) wegen der Ausübung seiner Machtfunktion im Gebiet des ganzen Erzbistums gewöhnlich nur dreimal das Thal zu Halle besuchte, ergab sich die Notwendigkeit eines Vertreters, der niedere Gerichtsbarkeit zu erledigen hatte, im Laufe der Zeit aber auch mit der höheren Gerichtsbarkeit betraut wurde. Der Salzgraf, auch Salzgräfe genannt, war Träger dieses Amtes.
In der Folgezeit wurde er auch mit dem Amt des Vorstehers der erzbischöflichen Münze belehnt; somit war er einer der mächtigsten Männer in Halle. In seinem Amt vereinigten sich 3 wichtige Funktionen: Richter, Vogt und Münzmeister.
Salzgrafen waren in der Zeit von 1145 bis 1919 in Halle existent. Der erste Salzgraf war Meinfried 1145. Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts wurde das Amt vom Vater auf den Sohn bzw. unter Brüdern weitergegeben, später wurde der Salzgraf durch den Rat der Stadt gewählt und durch den Landesherren, dem Erzbischof des Erzbistums Magdeburg, bestätigt und mit dem Amt beliehen. Ihm waren drei Oberbornmeister, die jeweils für ein Jahr vom Rat der Stadt gewählt wurden, zugeordnet.
Der 48. Salzgraf, der 1785 ins Amt eingeführte Salzgraf Dr. Karl Friedrich Zepernick, war der Letzte, der offiziell diesen Titel führte. Danach haben Beamte des Oberbergamtes diese Arbeit übernommen, ohne den Titel Salzgraf zu führen.
Lothar Milde als “neugewonnener” Salzgraf setzte diese Tradition in den letzten 18 Jahren fort, eben als gesellschaftliches Gedächtnis. Er war an vielen Festen und Veranstaltungen dabei, begrüßte unter anderem Frau Szabados und Ministerpräsident Hasseloff, engagierte sich für die Erneuerung der Evangelistenfiguren der Lutherkirche, „kontrollierte“ mit dem verstorbenen Salzwirker Uli Frosch den Salzhandel in Lößnitz und auch den Salzhandel zum Hansefest.
Er ist eigentlich gar nicht wegzudenken aus den Traditionen, auch wenn er als „Pfänner“ (die Salzgrafen waren Pfänner, denen die Kothen gehörten und die reich wurden) kein direkter Hallore war. Immerhin aber gehört(e?) er seit 28 Jahren zum „Freundeskreis der Halloren“, war also auch dabei, als der Freundeskreis aus der Taufe gehoben wurde. Alles aufzuzählen, was er leistete für die Traditionen der Stadt und der Halloren in den vielen Jahren, würde einen weiteren Artikel erfordern.
Die ganze Sache hat nur einen kleinen Haken, unwichtig, fast nicht nennenswert. Lothar darf ab diesem Jahr nicht mehr als Salzgraf an dem Pfingstbierfest teilnehmen. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wurde ihm ohne Begründung übermittelt, dass man ihn (nach 18 Jahren) nun nicht mehr in Gewandung als Salzgraf wünscht. Er soll doch als Privatmann teilnehmen. Kein Abschied, kein Danke, einfach so, was den Mann tief erschüttert. Gut, man könnte argumentieren, dass manche Traditionen überholt sind. Vor Jahren (und das ist gar nicht allzu lange her) wäre es noch undenkbar gewesen, dass Halloren in der Neuen Pfännerschaft sind, weil die Pfänner sich einst reich verdienten am Besitz der Kothen und die Halloren (also die ehemaligen Salzwirker) dafür schufteten. Das hat sich dann wohl bis heute gewandelt und man will voneinander partizipieren. So sind denn auch einige Halloren in der Neuen Pfännerschaft, was historisch gesehen eigentlich ein Unding ist. Das heißt ja nicht, dass man nicht zusammenarbeiten kann. Die Doppelmitgliedschaft ist nur historisch gesehen seltsam. Das hat wohl seine eigene Logik. So werden scheinbar Traditionen, die nichts bringen, einfach abgeschafft.
Was nun Lothar Milde betrifft, über den es noch einen gesonderten Artikel geben wird, so denkt er darüber nach, aus dem “Freundeskreis der Halloren” auszutreten. Im übrigen trifft es ihn in Sachen Traditionen nicht allein. Dem Hallischen Hanseverein e.V. wurde der traditionelle Salzhandel mit den Halloen zum Hansefest vom Vorstand der Halloren abgesagt. Eigentlich war der Salzhandel seit 2011 immanenter Bestandteil des Hansefestes. Kann man doch verstehen, oder? Der Hanseverein ist ja auch kein immaterielles Kulturerbe, er ist halt nur da. Da muss dann der Hansevereinsvorsitzende sein Salz für das Hansefest aus einer anderen Salzquelle respektive Stadt besorgen. Das ist sollte doch wohl kein Problem sein? Der Verein findet dann laut Pressemitteilung eine Notlösung für den traditionellen Salzhandel nun ohne Unterstützung der Halloen, der zumindest die Leute unterhalten wird. Dann handeln eben Prager Kaufleute mit Hallischen Kaufleuten. Ein Spiel fürs Publikum, das unbedarft an die Sache herangeht und unterhalten werden will.
Historisch gesehen, kamen im Mittelalter die Salzgäste (so nannte man die Salzhändler) über die Salzstraßen in die Salzstadt. Die Straßen, wohl älter als Halle selbst, entwickelten sich aus einfachen Handelspfaden und führten vom und zum heutigen Hallmarkt (der Halle) über den Alten Markt, der noch im Anfang des 14. Jahrhundert das eigentlich Zentrum der sich entwickelnden Stadt war. Bei den Salzproduktionsstätten, dem heutigen Hallmarkt (damals einfach nur Halle genannt) kauften sie das Salz vom Salzwirker der Kothen. Die Preise wurden vom Salzgrafen und den Bornmeistern für den Tag festgelegt. Der Salzwirker war auch der Einzige der monetär vergütet wurde und musste davon, Holz, das Bier für den Siedevorgang und alles Werkzeug, sowie die Leute bezahlen, die das Salz für den Salzgast verpackten (Läder, Uffwäger, Zustörerin) usw. Viel Spielraum für Handel blieb da eigentlich nicht. Die Salzgäste handelten dann in anderen Städten wie Lößnitz und Prag den Preis aus und verdienten recht gut.
Einst wurde am Roten Turm inmitten einer Salzlandschaft zum Salzfest von der Theatergruppe des Hansevereins ein Spiel um einen Salzdieb gezeigt. Das ist aber lange her. Das Salz muss für die Touristen verpackt werden. Heute schleppt man das Salz für die Geschichte der Salzstadt im Eimerchen von irgendwo her zum Hansefest. Könnte zur neuen Tradition werden.
Zurück bleiben ein 89-jähriger Mann, der die Welt nicht mehr versteht und der nun aus dem Freundeskreis der Halloren nach 28 Jahren austreten will und ein, sagen wir mal irritierter Hanseverein e.V. Aber dafür haben wir ja einen neuen Solebohrturm und bald ein tolles Salinemuseum, da sind solche Feinheiten nun wirklich nur Nebensache, oder? Aber einen kleinen Paukenschlag hat der Salzgraf noch vor und wird sich bald mit der Salzmagd des Salzstadtclan e.V. treffen. Dort wartet eine Überraschung auf ihn. Ehre, wem Ehre gebührt. Darauf freut er sich wenigstens. Der Salzmagd, eine fiktive Leitfigur des Salzstadtclan e.V. vor realem historischen Hintergrund, hatte er ja mal die Produktion des Salzes in der Saline erklärt. Da wurde Geschichte (nach)gemacht. Zum diesjährigen Salzmarkt in Lößnitz wird der Salzstadtclan unter anderem ein Stück über die Tätigkeiten in der Halle oder dem Thal aufführen.
Die Fotogeschichte vom Salzgrafen gibt es hier…